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Brasilien und Corona
Eine "kleine Grippe" mit verheerenden Auswirkungen

Brasilien befindet sich seit Wochen an der Spitze der Negativskalen rund um Corona. Auch die Politik des rechtspopulistischen Staatspräsidenten Jair Bolsonaro dürfte dazu beigetragen haben. Besonders auf dem Land wird die Situation immer unübersichtlicher.

Von Ivo Marusczyk |
Indigene Brasilianer vom Stamm "Parque das Tribos" trauern um ihren Chef Messias Kokama, der an den Folgen einer Corona-Erkrankung gestorben ist.
Corona fordert in Brasilien immer mehr Opfer (AFP / MICHAEL DANTAS)
Der brasilianische Staatspräsidenten Jair Bolsonaro ignoriert bei öffentlichen Auftritten Abstandsregeln, schüttelt Hände von Anhängern oder umarmt sie. Covid-19 ist für Bolsonaro allenfalls eine kleine Grippe. Dieses Verhalten beschäftigt längst auch die brasilianische Justiz. Ein Bundesrichter hat Bolsonaro diese Woche aufgefordert, die Maskenpflicht endlich einzuhalten. Doch der Präsident will dem nicht nachkommen und hat gerade Widerspruch gegen die richterliche Anordnung eingereicht.
Auf den Erfolg der Corona-Strategie seiner Regierung kann er sich dabei aber nicht berufen. Brasilien ist mit mehr als 55.000 Toten nach den USA das stärkste von der Pandemie betroffene Land.

Liegt das schlechte Abschneiden bei den Corona-Infektionen auch an der Politik des brasilianischen Präsidenten?
Das kann man schon so sehen. Die Politik von Jair Bolsonaro ist immer noch, dass das Coronavirus nur eine "kleine Grippe" ist, dass man das nicht so ernst nehmen muss und man auf keinen Fall irgendetwas lahmlegen oder stilllegen sollte. Und das ist ein durchaus großes Problem für Brasilien, weil selbst in den Städten oder den Bundesstaaten, die Hygieneregeln, Abstandsregeln, Ausgangssperren und Ähnliches eingeführt haben, das nicht so richtig befolgt wird. So werden gemischte Signale ausgesandt: Wenn der Bürgermeister so sagt und der Präsident etwas ganz Anderes.
Wie erklären die Medien in Brasilien die Tatsache, dass der Präsident praktisch seit Beginn der Pandemie die Lage verharmlost?
Jair Bolsonaro hat sich immer als Vertreter der Wirtschaftsinteressen gesehen. Das sieht man in der Umweltpolitik. Das sieht man natürlich in der Wirtschaftspolitik, aber eben auch in der Gesundheitspolitik, dass er von vornherein immer auch ganz offen gesagt hat, die Wirtschaft darf nicht stillstehen, Brasilien darf nicht stillstehen. Das war einer seiner Slogans. Und das ist der Grund, warum er gegen jede Maßnahme vorgeht, die irgendjemand erlassen könnte.
Was bedeutet Corona für die brasilianische Wirtschaft?
Brasilien war gerade mit Müh und Not wieder ein bisschen auf Wachstumsfahrt, hatte sich aus der Rezession rausgearbeitet. Jetzt kommt Corona und die Hoffnung von Jair Bolsonaro, dass er diese Pandemie oder die Effekte dieser Pandemie von Brasilien abhalten kann, indem er einfach gegen jedes Social Distancing ist, haben sich nicht erfüllt. Die Produktion ist eingebrochen, die Wirtschaftsleistung ebenfalls. Brasilien steckt genauso in einer tiefen Rezession wie alle anderen Länder.
Was bedeutet das für die Beliebtheit und für den Rückhalt des Präsidenten in der Bevölkerung?
Man vergleicht Bolsonaro oft mit Donald Trump. Der Vergleich ist angebracht, weil in vielen Dingen imitiert Bolsonaro Donald Trump - und das gilt auch für die Coronapolitik. Mit Blick auf seine Popularität sieht man: sie bröckelt. In den Umfragen schneidet er immer schlechter ab. Immer mehr Menschen wenden sich von ihm ab und da spielt das miserable Krisenmanagement in Sachen Corona bestimmt eine große Rolle. Aber es gibt natürlich auch einen harten Kern von treuen Anhängern.
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Die sind so jetzt in der Situation, dass sie sagen, wir müssen unseren Präsidenten verteidigen. Es gab ja auch in Brasilia immer zuerst Kundgebungen für Bolsonaro und erst jetzt in letzter Zeit die ersten Kundgebungen gegen Bolsonaro. Aber die Popularität bröckelt. Nur den harten Kern von ungefähr 30 Prozent wird man wahrscheinlich so schnell nicht belehren können.
Wie ist im Land das Zusammenspiel der unterschiedlichen politischen Ebenen?
Brasilien ist ein föderaler Staat. Und wie bei uns ja auch, ist die Gesundheitspolitik eine Sache, bei der die einzelnen Teilstaaten ein sehr großes Mitspracherecht haben. In diesem Fall ist es aber auch so, dass es bewusst an die unteren Ebenen delegiert worden ist. Der Präsident hat gesagt, über solche Maßnahmen sollen die einzelnen Bundesstaaten entscheiden.
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Und die Bundesstaaten haben dann wieder nach unten an die Kommunen delegiert. Das Ergebnis ist ein völliger Flickenteppich. In Rio de Janeiro gibt es keine Ausgangssperre, wie auf der anderen Seite der Bucht. Da gab es eine etwas strengere Ausgangssperre als in Rio. Aber das macht die Sache natürlich auch nicht leichter, wenn das von Stadt zu Stadt, von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich ist.
Gibt es Unterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsteilen oder auch Regionen bei der Corona-Infektion?
Corona war nicht nur in Brasilien, sondern überall in Südamerika zuerst mal eine Krankheit der Reichen. Die ersten Fälle sind in den Reichenvierteln aufgetreten. Das waren die Leute, die sich auch Fernreisen leisten können. Das hat sich aber geändert: Inzwischen ist das Virus eben auch in den ärmeren Vierteln angekommen. Und in Brasilien ist es inzwischen sogar so, dass die Städte gar nicht mehr so im Fokus stehen. Also in Sao Paulo, in Rio de Janeiro, wo es angefangen hat, hat man das Gefühl, man ist aus dem Schlimmsten raus.
Coronavirus
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Es gibt zwar noch viele Fälle, aber die Krankenhausbetten sind nicht mehr so belegt wie vorher. Dafür gibt es aber immer mehr Fälle im Hinterland, in den ländlichen Gebieten Brasiliens, teilweise selbst in ganz entlegenen Gebieten im Amazonas-Regenwald. Da weiß man eigentlich nicht mehr so richtig, was passiert. Da gibt es teilweise keine Krankenhäuser, oder die Menschen trauen sich nicht so richtig in die Krankenhäuser, weil sie Angst haben, sich dort anzustecken. Also da bleiben dann noch mehr Fälle unbemerkt.
Gibt es andere südamerikanische Staaten, die in der Krisenbekämpfung so etwas wie eine Vorbildfunktion haben?
Es wird immer gesagt, Argentinien und Uruguay hätten das ganz gut gemacht. Uruguay ist ohne größere Sperrmaßnahmen bis jetzt durchgekommen. Aber in den letzten Tagen gab es im Norden eine gewisse Häufung von Fällen. Und man muss doch auch dort ein bisschen anziehen. Und ganz ähnlich ist es in Argentinien. Argentinien wird immer gelobt, weil sehr früh ein Lockdown erlassen wurde. Aber jetzt merkt man, dass diese Maßnahmen doch nicht gereicht haben, dass die Lockerungen vielleicht zu früh kamen. Und ab dieser Woche wird wieder eine ganz strenge Ausgangssperre gelten. Argentinien hat auch mit diesem relativ strengen und sehr langen Lockdown die Lage nicht wirklich in den Griff bekommen.