
Friedbert Meurer: Die Fußball-Weltmeisterschaft, auf sie kommen wir noch einmal zurück, ist nichts für schwache Nerven. Heute Nacht wieder ein Elf-Meter-Schießen, das Costa Rica gegen Griechenland gewonnen hat. Und Samstagabend fiel 200 Millionen Brasilianern ein Stein vom Herzen. Sie wurden vor einem Albtraum bewahrt. Fast wäre der ganz große Favorit ausgeschieden.
Meurer: Das war knapp. Brasilien hat sich qualifiziert für das Viertelfinale in einem spannenden Elf-Meter-Schießen. Luciana Rangel ist Deutschland-Korrespondentin für das brasilianische Nachrichtenmagazin "Veja" Guten Morgen, Frau Rangel.
Luciana Rangel: Hallo! Guten Morgen!
Meurer: Ist Ihnen auch das Herz stehen geblieben Samstagabend?
Rangel: Ja, die Stimme auf jeden Fall, und alle Brasilianer, ich glaube, wir konnten nicht mehr atmen. Das war wirklich dramatisch.
Meurer: Was wäre geschehen, wenn Brasilien ausgeschieden wäre?
Rangel: Traurig, und man hatte schon Sorge, dass dieser Druck auf die Fußballspieler zu hoch ist, weil die Party ist fast vorbei, wenn die schon raus sind. Man denkt nicht so positiv, wie die Leute reagieren. Wie würden die Leute reagieren, das ist schon die Frage.
Meurer: Wie würden sie denn reagieren, wenn die brasilianischen Superstars verloren hätten?
Rangel: Ich weiß es nicht, aber meine Kollegen in Brasilien - ich habe ganz viele Artikel gelesen und ich habe mich mit ganz vielen Kollegen unterhalten: Die Fußballspieler haben schon Sorge, wenn sie verlieren. Sie haben eine Verantwortung für den Frieden in unserem Land. Und das ist überhaupt nicht gut für die Fußballspieler - und auch nicht diese großen Erwartungen, dass wir diese WM zuhause gewinnen müssen.
"Wir müssen immer gewinnen"
Meurer: Wir in Deutschland begeistern uns natürlich für Brasilien seit eh und je, für die Leidenschaft. Wenn wir uns jetzt die Spieler anschauen, dieser Druck, der dann auch von den brasilianischen Fans ausgeht, und die Pfiffe, die dann auch immer wieder zu hören sind für gegnerische Mannschaften, übertreiben es die Brasilianer mit ihrem Patriotismus?
Rangel: Das ist schwierig zu sagen. Fußball ist mehr als ein Sport für uns, gehört zu unserer Identität. Es ist ein großer Teil unserer Kultur, und diesen Druck gibt es immer, dass wir gewinnen müssen. Aber wir müssen schon denken, dass wir zwar manchmal die WM gewonnen haben, aber wir müssen auch verlieren. Meistens verlieren wir.
Meurer: Oder gewinnen. Eher gewinnen. Vor der WM haben wir ja ein Jahr lang die Sozialproteste gehabt. Sind die jetzt wie weggeblasen im Moment?
Rangel: Die Proteste bleiben weiter. Die haben nicht so viel Platz jetzt in den Medien. Die WM spielt jetzt eine größere Rolle als die Proteste jetzt. Wir müssen jetzt nach der WM sehen, wie es weitergeht. Momentan kann man nicht so viel sehen. Die Zeitungen in Brasilien sagen schon, dass es die Demos in Rio de Janeiro oder in Sao Paulo gab, aber sie geben nicht so viel Platz. Es ist schwer, von hier zu beurteilen.
"Lateinamerika spielt eine sehr große Rolle"
Meurer: 1990 ist Deutschland zum letzten Mal Weltmeister geworden, ausgerechnet im Jahr der Einheit. Da hat man ein bisschen die politische Analogie gezogen. Jetzt haben wir diese Erfolge von Lateinamerika: Brasilien weiter, Costa Rica weiter, Kolumbien weiter, vielleicht auch Argentinien. Würden Sie sagen, darin drückt sich ein bisschen der Aufstieg Lateinamerikas aus?
Rangel: Hoffentlich. Man merkt wirklich, dass dieses Jahr Lateinamerika eine sehr große Rolle spielt. Vielleicht ist es auch umgekehrt, dass die Europäer ein bisschen depressiv sind wegen der momentanen wirtschaftlichen Situation in Europa, Spanien und Griechenland. Da kann man auch umgekehrt denken.
Meurer: Sind die Länder stolz auf die Erfolge, Costa Rica beispielsweise heute Nacht?
Rangel: Auf jeden Fall. Auf jeden Fall!
Meurer: Wie finden Sie, kurz gefragt, die Berichterstattung in Deutschland über die WM in Brasilien? Fair?
Rangel: Ich finde sie sehr gut. Alle waren fast gestorben im vorletzten Spiel, immer abwechselnd mit dem anderen Spiel. Das war furchtbar für die Brasilianer. Aber in diesem letzten Spiel haben sie das komplette Spiel übertragen. Es ist schwierig. Jedes Land will sein Spiel anschauen, aber wir sind Gastgeber. Ich war ein bisschen enttäuscht beim vorletzten Spiel, …
Meurer: …dass das Spiel nicht komplett gezeigt worden ist.
Rangel: Genau. Aber ich glaube, die Berichte und so sind sehr gut. Das ist alles okay.
Meurer: Luciana Rangel ist die Deutschland-Korrespondentin für das brasilianische Nachrichtenmagazin "Veja" und hat uns ein wenig erläutert, was der Erfolg für Brasilien bedeutet und auch für Lateinamerika überhaupt. Frau Rangel, danke schön, viel Spaß weiter bei den Spielen der Fußball-Weltmeisterschaft.
Rangel: Danke schön.
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