Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Brexit-Befürworter
"Wir wollen einen sanften Übergang"

Großbritannien wolle sich von der EU nichts verbieten lassen, wie etwa die niedrigere Mehrwertsteuer, sagte John Redwood (Tory), Sprecher der britischen Vote-Leave-Kampagne für einen Austritt aus der EU, im DLF. Negative wirtschaftliche Folgen eines Brexits für sein Land fürchtet Redwood nicht. Auch danach wolle man mit den anderen EU-Staaten gut zurechtkommen.

John Redwood im Gespräch mit Friedbert Meurer | 19.06.2016
    John Redwood, Tory-Abgeordneter.
    John Redwood, Tory-Abgeordneter. (imago / Zuma Press)
    Christoph Heinemann: Heute mit John Redwood, Abgeordneter des britischen Unterhauses von der konservativen Partei. Ausnahmsweise kurz am Mikrofon Christoph Heinemann. Denn unser Großbritannien-Korrespondent Friedbert Meurer hat dieses Interview der Woche kurz vor der Ermordung der Labour-Abgeordneten Jo Cox mit John Redwood aufgezeichnet. Herr Meurer, Sie haben sich bemüht, dieses Gespräch zu aktualisieren. Aber Herr Redwood wollte zu dem Anschlag nicht Stellung nehmen. Mit welcher Begründung?
    Friedbert Meurer: Ich hatte das Interview mit John Redwood am Mittwoch Abend aufgenommen. Donnerstag Mittag kam dann die Eilmeldung aus Nordengland über diesen unfassbaren Mordanschlag. Ich habe dann versucht, im Verlauf des Freitags mit John Redwood noch einmal Kontakt aufzunehmen. Wir hatten uns über das Thema Brexit unterhalten. Und ich hatte eben darum gebeten, dass wir eben über diesen Mord reden. Er sagte dann, bzw. ließ mitteilen, er kennt die Abgeordnete nicht. Labour-Abgeordnete, die seit einem Jahr im Unterhaus ... Ich glaube, ihm kommt gar nicht in den Sinn, dass gerade wir in Deutschland da einen Zusammenhang zum Brexit sehen. Es ist hier so, dass ein klarer Schnitt gemacht wird in Großbritannien. Die Diskussion über den um sich greifenden Hass gegen Politiker, unfassbare Schmähungen vor allem Dingen online, gegen Politikerinnen auch vor allem. Das ist hier das Thema. Es wird aber fast kein Zusammenhang zum Referendum und zur Debatte hergestellt.
    Heinemann: Hat der Anschlag die Europa-Debatte verändert?
    Meurer: Ich glaube, dass sie die Europa-Debatte nicht verändert hat. Es gibt eine Diskussion, ob sich die politische Debatte insgesamt verändern muss. Es gibt auch Kritik an der medialen Berichterstattung. Es gibt Kritik zum Beispiel an einem Poster von UKIP, der rechtspopulistischen Partei. Dieses Poster, Wahlplakat, zeigt eine Flut von Einwanderern, die angeblich alle nach Großbritannien strömen wollen. Es gibt Kritik an der medialen Berichterstattung: Zu sehr Aufregung, alles aufzupeitschen. Und den Appell, dass man sich insgesamt mäßigen soll. Es wird gefragt, können denn Politiker überhaupt noch eine Bürgersprechstunde abhalten, ohne fürchten zu müssen, dass auf sie ein Attentat verübt wird. Das sind viele Fragen, die diskutiert werden. Keine neue Europa-Debatte, aber eine Debatte über die politische Kultur im Land.
    Heinemann: Unser Großbritannien-Korrespondent Friedbert Meurer. Und nun folgt sein Interview der Woche mit dem Tory-Politiker John Redwood.
    Interview der Woche: John Redwood (englische Fassung) (16:42)

    Das Interview der Woche zum Nachlesen:
    Friedbert Meurer: John Redwood, wir sitzen hier in Ihrem Büro im Portcullis House in London. Hier haben viele Unterhaus-Abgeordnete ihr Büro. Sie schauen auf die Themse, das London Eye, Westminster Abbey ist nur ein paar Meter entfernt und das Parlament ist auch ganz nah. Sie genießen diesen Ausblick seit fast 30 Jahren. Denn 1987 wurden Sie erstmals ins Unterhaus gewählt. Seit wann sind Sie gegen eine britische Mitgliedschaft in der Europäischen Union?
    John Redwood: Ich war immer dagegen. Eines der ersten Voten, an dem ich als junger Mann teilnehmen konnte, war 1975 (*). Als ein junger Konservativer hatte ich damals einen guten Job in der City. Und den Vertrag von Rom. Ich habe alles durchgerechnet, was das wahrscheinlich für die britische Wirtschaft bedeuten würde, für den Handel, das Gewerbe, den britischen Anteil am EWG-Haushalt. Und ich kam zu dem Schluss, dass das nicht im Interesse meines Landes ist. Also stimmte ich dagegen.
    Meurer: Zwei Drittel der Briten stimmten damals für die EU. Damals herrschte eine wirtschaftliche Krise. Hat die Mitgliedschaft in diesen frühen Tagen der Gemeinschaft Großbritannien geholfen, sich wirtschaftlich zu erholen?
    Redwood: Sicher nicht. Das hatte ich ja befürchtet, als ich die Zahlen durchforstet und das Dokument gelesen hatte. Die Beiträge, die das Vereinigte Königreich leisten musste, waren immer ziemlich hoch und wir bekamen damals ziemlich wenig heraus für das, was wir einzahlten. Sogar die Art der wirtschaftlichen Liberalisierung war asymmetrisch. Die EU reduzierte die Zölle auf verarbeitete Produkte sehr schnell, ein Gebiet, auf dem Frankreich und Deutschland stark waren. Aber die Belastungen für Dienstleistungen und andere Wirtschaftsbereiche – also für unsere Domäne - wurden nicht so schnell verringert. Und deshalb fürchtete ich, dass wir unter dem Strich bei einem dauerhaften Budget-Defizit landen könnten während dieser Phase der EWG und später der EU.
    Meurer: Wie Sie wissen, stimmt eine breite Mehrheit der Ökonomen in London, mehr als 80 Prozent, darin überein, dass ein Brexit zu einem geringeren wirtschaftlichen Wachstum führen würde. Was macht Sie so sicher, dass die Wirtschaft des UK boomen würde im Falle eines Brexit?
    Redwood: Die Zahlen akzeptiere ich erst einmal nicht. Nur 17 Prozent der Ökonomen, die man bei dieser Umfrage befragt hat, haben überhaupt geantwortet. Von denen, die geantwortet haben, waren tatsächlich die meisten dafür, drin zu bleiben. Es gibt einen starken Wunsch im Establishment, in der EU zu bleiben. Und den teilen auch viele Minister, die Weltbank, andere internationale Institutionen und die meisten Regierungen der EU. Es überrascht mit nicht, dass einige Ökonomen, die von diesen Organisationen bezahlt werden oder von ihnen Stipendien erhalten, dass die das sagen. Vielleicht glauben manche auch selbst, was sie sagen. Als ein guter Europäer will ich, dass wir den bestmöglichen Beitrag abliefern zur Entwicklung der Vereinigten Staaten von Europa. Und die einzige Möglichkeit, das im Moment zu tun, ist zu sagen: Wir wollen nicht Teil des Ganzen sein. Wir machen den Weg frei dafür, dass Ihr die Vereinigten Staaten von Europa schaffen könnt.
    Meurer: Natürlich treffen viele Briten Ihre Entscheidung, indem sie sich anschauen, was für die Wirtschaft dabei herauskommen könnte. Der Gouverneur der Bank of England, Marc Carney, ein Kanadier, denkt, dass ein Brexit das Pfund dramatisch abstürzen lassen könnte, dass er die Arbeitslosigkeit erhöhen und zu einer Rezession führen könnte. Schürt er nur Ängste? Ich meine: Er ist ein sehr erfahrener Notenbank-Gouverneur?
    Redwood: Ja, und ich bin ein sehr erfahrener Investment-Direktor und -Berater. Und ich glaube: Das ist alles extrem unwahrscheinlich. Und wenn Sie sich meine bisherigen Vorhersagen anschauen verglichen mit denen dieser tollen Institute: Ich habe den Crash 2008 vorausgesehen und ich habe meinen Klienten damals geraten, ihr Geld zu behalten oder nur sehr sicher zu investieren, weil ich vorhersah, dass die Politik, die verfolgt wurde, extrem schädlich sein würde. Ich sehe überhaupt nicht, welchen Schaden Großbritannien nehmen sollte, wenn es die EU verlässt. Denn ich habe mit meinen deutschen Freunden und anderen gesprochen. Und die haben mir versichert, dass sie nicht vorhaben, irgendwelche Handelsbarrieren für ihre Güter und Exporte aufzubauen. Warum auch? Sie werden nicht umgekehrt Handelsbarrieren für uns Exporteure aufbauen wollen, das wäre ja nur fair. Ich sehe also dieses Risiko des Brexits für den Handel nicht. Ich weiß nicht, woher sie ihre Zahlen über eine mögliche Rezession holen.
    Meurer: Sie arbeiten seit Jahrzehnten für den Rothschild Investment Fonds. Ignorieren Sie, dass das Pfund fallen wird im Falle eines Brexit?
    Redwood: Das ist eine recht verbreitete Vorhersage. Ich habe heute eine andere Expertise gelesen. Demnach würde das Pfund im Verhältnis zum Euro Ende des Jahres steigen, wenn wir aus der EU rausgehen. Wir wissen ja, dass sie bei diesen Vorhersagen falsch liegen, denn die Bank von England und die Regierung haben versucht, das Pfund herunter- und die Zinsen heraufzureden in den vergangenen drei Monaten. Und was ist passiert seit Ende Februar? Das Pfund ist gegenüber dem Dollar leicht gestiegen, trotz all ihrer Versuche, es zu schwächen. Und die Zinsen sind eingebrochen wie die Zinsen in anderen Teilen der Welt auch. Das zeigt, das die Ängste vor dem Brexit – und der Brexit wird ja jetzt wahrscheinlicher – weder die Zinsen steigen lassen noch das Pfund taumeln lassen.
    Meurer: Schatzkanzler George Osborne hat angekündigt, dass er die Einkommenssteuer im Falle eines Brexit um zwei Prozent erhöhen muss und dass es dann heftige Einschnitte beim nationalen Gesundheitssystem und bei Schulen geben werde. Führen David Cameron und George Osborne das Publikum an der Nase herum?
    "Angekündigtes Sparprogramm nach dem Brexit wird es nicht geben"
    Redwood: Das ist absolut lächerlich. Solche Kürzungen sind überhaupt nicht nötig. 65 Abgeordnete, ich selbst eingeschlossen, haben heute einen Brief veröffentlicht, in dem steht, dass wir solche Sparmaßnahmen nicht brauchen, dass es uns außerhalb der EU besser ginge, und dass wir ein solches Budget auch gar nicht in Parlament passieren lassen würden. Also ist Mr. Osborne meilenweit davon entfernt, ein haarsträubendes und schädliches Sparprogramm überhaupt durchzubekommen.
    Meurer: Ein wichtiger Punkt bei der Debatte ist: Wird das Vereinigte Königreich sofort wieder Zugang zum EU-Binnenmarkt erhalten? Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat vor ein paar Tagen gesagt: Drinnen ist drinnen und draußen ist draußen. Das heißt, wenn das Vereinigte Königreich die EU verlässt, ist es auch raus aus dem freien Markt. Blufft Wolfgang Schäuble nur?
    Redwood: Er hat wahrscheinlich Recht, weil er Binnenmarkt als etwas sieht, was auch die Freizügigkeit von Personen einschließt. Und er denkt wahrscheinlich auch an Umsatzsteuern, die die EU uns auferlegen würde und die wir nicht wollen. Also, wir haben sehr klar gemacht: Wenn wir gewinnen, wollen wir so schnell wie möglich Gesetze, die den Willen des britischen Volkes umsetzen, das wieder Kontrolle über seine Gesetze und Steuern zurückgewinnen möchte. Wir wollen keine Dinge abschaffen, die wichtig sind für den Handel mit der EU; wir wollen mit unseren Freunden gut zurechtkommen, wir wollen einen sanften Übergang. Wir lassen alle Handelsregeln für den Binnenmarkt einfach weiterlaufen. Und wir werden mit den anderen Mitgliedern der EU darüber reden, wie ein Übergang für beide Seiten sanft gestaltet werden kann. Wir wollen den Handel nicht beschädigen und ich bin sicher, sie wollen das auch nicht.
    Meurer: Die Politiker in Brüssel und in Deutschland wollen keinen Präzedenzfall schaffen, um zu verhindern, dass andere Länder Großbritannien folgen. Denken Sie nicht, dass da doch ein großes Risiko bleibt mit Blick auf den Binnenmarkt?
    Redwood: Nein, es gibt da gar kein Risiko. Deutschland verkauft uns dreimal so viel wie wir nach Deutschland exportieren. Ich will das Deutschland nicht schwerer machen. Und ich bin daher sicher, dass Deutschland es uns auch nicht schwerer machen will, Produkte zu verkaufen. Denn das ist ein fairer Handel. Natürlich ist Deutschland vor dem Referendum Teil des "Projekts Angst", "project fear", weil es der britischen Regierung dabei hilft, dem britischen Volk zu vermitteln, dass etwas Fürchterliches passieren wird. Aber ich glaube, dass Deutschland eine freiheitsliebende, vernünftige Nation ist, die versteht, dass sie weiter mit uns Handel treiben will. Wir wollen mit Ihnen befreundet sein. Ich denke, wir werden eine bessere Freundschaft haben, wenn diese ewigen Querelen mit der EU aufhören. Wenn Ihr eine Sache so machen wollt, wollen wir sie oft ganz anders machen.
    Meurer: Unsere Kanzlerin Angela Merkel hat davor gewarnt, es könnte schwierig sein, wieder in den EU-Binnenmarkt zurückzukehren. Sie selbst haben daraufhin in Ihrem Blog geschrieben: "Nichts hilft besser dabei, Wähler für den Brexit zu mobilisieren, als eine herrische Deutsche, die uns vorschreibt, was wir zu tun haben." Ist sie wirklich "bossy", herrisch, unsere Kanzlerin?
    "Einmischung der Deutschen helfe der Vote-Leave-Kampagne sehr"
    Redwood: Ich habe nicht sie als "herrische Deutsche" bezeichnet. Aber Deutsche, die uns sagen, was wir zu tun haben, helfen unserer Brexit-Kampagne sehr. Ich ermuntere so viele führende deutsche Politiker wie möglich, sich in unsere Debatte einzumischen, denn das hilft uns sehr. Es geht um Demokratie! Darum, dass unser Volk seine eigenen Angelegenheiten regeln kann. Deshalb stimmen viele für den Brexit. Es geht nicht um Handel oder Regulierungen – damit kämen wir schon zurande. Es geht um etwas viel Elementareres. Wir sind ein stolzes Volk, das sich selbst regiert. Jetzt wachen die Briten auf und halten ihren Politikern vor: Wie konntet Ihr es nur wagen, unsere Freiheit und unsere ureigensten Rechte wegzugeben?
    Meurer: Aber ist es wirklich bossy, herrisch, zu sagen: Bitte bleibt! Das ist besser für Deutschland?
    Redwood: Es ist nicht bossy, zu sagen: Bitte bleibt! Aber wenn sie immer wieder sagen: Es gibt böse Konsequenzen, wenn ihr geht, dann ist das nicht so freundlich. Ich bin immer sehr wohlwollend gegenüber Deutschland, ich freue mich auf viele gemeinsame Projekte und einen prosperierenden Handel in der Zukunft. Ich denke auch, wir kommen viel besser miteinander klar, wenn wir in Brüssel im EU-Rat nicht immer wieder unterschiedlicher Meinung darüber sind, wie viele politische Kontrolle wir abgeben und ob wir beim Euro mitmachen wollen.
    Meurer: Denken Sie, dass Deutschland manchmal in der EU zu mächtig geworden ist?
    Redwood: Das ist keine Frage, die ich beantworten muss, weil ich ja nicht in der EU sein will.
    Meurer: Also das ist kein Grund für Sie, auszutreten?
    Redwood: Damals, als ich noch verhandlungsführender Minister war und als die EU noch kleiner war, damals kamen oft viele Länder zu mir und baten mich darum, schwierige Fälle auszuhandeln, weil ich sowieso ständig anderer Meinung war als Deutschland. Und ich antwortete immer: Die Deutschen sind doch freundlich, wenn Ihr anderer Meinung seid als sie, dann sagt es Ihnen bitte selbst, statt das UK zu bitten, es für Euch zu tun. Manchmal bin ich einer Meinung mit Deutschland, manchmal nicht. Ich denke, wir kommen besser miteinander klar, wenn wir uns nicht ständig gegenseitig überstimmen müssen. Ich glaube, das schafft Konflikte, wo eigentlich keine sein müssten.
    Meurer: Sie denken, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und dem UK nach einem Brexit gut sein werden?
    Redwood: Sie werden besser werden. Wir werden nicht so viele Streitigkeiten und Hindernisse haben. Und dass wir nicht beim Euro mitmachen, ist vom deutschen Standpunkt aus großer Unsinn, solange wir in der EU sind, weil die Deutschen sagen: Der Euro ist ein integraler Bestandteil des gemeinsamen Marktes. Wir sagen hingegen: Man kann keine sich selbst regierende Demokratie sein und gleichzeitig mit anderen Ländern eine Währung teilen.
    Meurer: Deutschlandfunk, das Interview der Woche. Ich rede mit John Redwood, konservativer Abgeordneter im britischen Unterhaus. Mr. Redwood, ich wundere mich manchmal über die Wortwahl der Leave-Kampagne. Einige Beispiele: Die EU ist undemokratisch, diktatorisch und ähnelt sogar der Sowjetunion. Ist die EU diktatorisch?
    "EU kann diktatorisch sein"
    Redwood: Ja, sie kann diktatorisch sein. Sie verbietet uns zum Beispiel, niedrigere Mehrwertsteuern einzuführen. Sie verbietet uns, Sozialhilfeleistungen zu verändern. Sie hält uns davon ab, unsere Grenzen so zu kontrollieren, wie wir das gerne tun würden. Sie verhindert, dass wir einige unserer Wahlversprechen von 2015 umsetzen.
    Meurer: Aber Sie können doch die Mehrwertsteuer heruntersetzen. Nicht auf Null, aber doch auf fünf Prozent.
    Redwood: Ja, aber wir wollen zum Beispiel bei Heizöl weniger als fünf Prozent und dürfen das nicht. Und wir haben gerade einen Fall vor dem Europäischen Gerichtshof verloren, bei dem wir die Steuer auf energiesparende Produkte auf fünf Prozent festgelegen wollten. Sie haben uns gezwungen, sie auf 20 Prozent hochzusetzen. Britische Wähler sehen nicht, wozu das gut sein soll. Sicherlich nicht, um einen neuen Mercedes zu kaufen.
    Meurer: Ist es legitim, die EU mit der Sowjetunion zu vergleichen?
    Redwood: Ich denke, da gibt es offensichtliche Unterschiede. Und ich würde diesen Vergleich nicht benutzen, aber ich denke, die EU beschädigt die Demokratie. Je mehr wir gemeinsam entscheiden, besonders bei einer gemeinsamen Währung, desto mehr schädigt sie die nationalen Demokratien. Das ist ein ernsthaftes Problem der EU, zum Beispiel in Griechenland, wo der Wille des Volkes sich nicht so niederschlagen darf, dass er die EU-Politik ändern würde. Ich bin weder auf der griechischen noch auf der deutschen Seite, ich verstehe das Dilemma. Aber bevor man nicht dieses demokratische Problem löst, gibt es dort ernsthafte Schwierigkeiten, über die wir uns Sorgen machen sollten.
    Meurer: Deutschlandfunk, das Interview der Woche. Ich rede mit John Redwood, konservativer Abgeordneter im britischen Unterhaus. In Ihrer konservativen Partei wird heftig gestritten, John Redwood. Cameron attackiert Johnson und Michael Gove, den Justizminister, und umgekehrt. Können Sie sich vorstellen, dass in Ihrer Partei nach dem Referendum Friede und Harmonie einkehrt?
    Redwood: Wir wollen das, aber ich kann ihnen nicht versprechen, dass das vollständig klappt. Und ich will in einer lebhaften Partei sein. Ich bin stolz darauf, dass wir es waren, die das Referendum durchgesetzt haben. Wir wussten immer, dass das viele aufwühlen würde und dass es Zeit kostet, bis sich alles wieder beruhigt hat. Aber eine Partei ohne Widerspruch ist eine tote Partei.
    Meurer: Aber schadet es nicht der Reputation von David Cameron, wenn wichtige Parteigrößen wie Boris Johnson sagen: Er liegt komplett falsch bei einem so wichtigen Thema?
    Redwood: Es zeigt, dass wir eine gesunde Partei sind. Und ich bin ein überzeugter Demokrat. Wir haben in diesem Land eine lange Tradition von politischem Streit auch an der Spitze der Regierung. Wenn ich an die lange Phase der Labour-Regierung denke, da haben sich der Premierminister und der Finanzminister ständig öffentlich in den Zeitungen gestritten – aber trotzdem haben sie ziemlich lange regiert.
    Meurer: Kenneth Clark, Ihr Parteifreund, Pro-EU, hat vorhergesagt, dass David Cameron binnen 30 Sekunden zurücktreten würde im Falle eines Brexits. Sollte er als Premierminister weitermachen, wenn die Briten mehrheitlich für den Brexit stimmen?
    "Cameron wird bei einem Brexit wahrscheinlich zurücktreten"
    Redwood: Er wird wahrscheinlich zurücktreten wollen. Ich bin sicher, das führende Köpfe der Partei ihn beraten werden, wie und wann er das tun sollte. Wir brauchen einen zivilisierten Übergang. Und wir wissen, dass David Cameron ohnehin zurücktreten wird in dieser Legislaturperiode. Es geht nur noch darum, ob früher oder später. Und es ist in meinem Interesse und sicher auch dem anderer Parteimitglieder, dass er das auf zivilisierte und vernünftige Weise tut.
    Meurer: Was machen Sie am Freitagmorgen, wenn Sie das Ergebnis kennen?
    Redwood: Ich vermute, dass ich ein paar Interviews geben werde. Und wenn Brexit gewonnen hat, werde ich mich mit meinen Brexit-Kollegen über den nächsten Schritt beraten, weil wir einen ordentlichen und reibungslosen Übergang haben wollen. Ich versichere unsere deutschen Freunden und allen anderen, dass wir mit Euch Handel treiben und Eure Freunde sein wollen. Wir wollen in vielerlei Hinsicht mit Euch zusammenarbeiten, aber wir wollen nicht, dass der Europäische Gerichtshof uns sagt, was wir tun sollen.
    Meurer: Wenn Brexit nicht gewinnt, was machen Sie dann?
    Redwood: Ich glaube, dann nehme ich einen Tag frei.
    Meurer: Vielen Dank für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    (*) Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Version hatte sich ein Zahlendreher eingeschlichen. Die Jahreszahl wurde deshalb korrigiert.