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Brexit-Deal
"Brüssel hat sich selbst übervorteilt"

Der britische Tory-Abgeordnete Greg Hands fordert von der EU-Kommission ein Entgegenkommen im Brexit-Streit. Die Backstop-Regelung für eine dauerhaft offene Grenze zu Irland müsse entweder aus dem Vertragsentwurf herausgenommen oder befristet werden, sagte er im Dlf.

Greg Hands im Gespräch mit Philipp May | 23.01.2019
    Greg Hands, Tory-Abgeordneter und ehemaliger Staatssekretär im britischen Außenhandelsministerium.
    Greg Hands, Tory-Abgeordneter und ehemaliger Staatssekretär im britischen Außenhandelsministerium. (imago )
    Philipp May: Sie ist für immer mehr Menschen diesseits und jenseits des Kanals ein großes Rätsel: Großbritanniens Regierungschefin Theresa May. Nach dem Scheitern des von ihr ausgehandelten Brexit-Deals mit der EU wollte sie am Montag eigentlich einen Plan B präsentieren. Doch das, was May dort im Parlament erzählte, sorgte eher für noch mehr Ratlosigkeit als ohnehin schon. So suchen Parlamentarier aller Fraktionen mittlerweile vermehrt selbst die Initiative, um einen Kompromiss zu finden.
    In London sind wir jetzt mit Greg Hands verbunden, Abgeordneter der konservativen Tory-Fraktion von Theresa May. Schönen guten Morgen, Herr Hands!
    "Brüssel hat sich selbst übervorteilt mit dem Deal"
    Greg Hands: Ja! Guten Morgen hier von London!
    May: Mr. Hands, als Sie im November/Dezember, als der Deal von Theresa May mit der EU bekannt wurde, das letzte Mal bei uns im Interview waren, da wussten Sie noch nicht, ob Sie mit Ja oder Nein stimmen würden für den Brexit-Deal. Am Ende haben Sie doch mit Nein gestimmt. Warum?
    Hands: Ja! Es gibt viele Probleme mit dem Deal. Einfach ist der Deal zu nah in Richtung Brüssel geschoben und Brüssel hat sich selbst übervorteilt mit dem Deal. Das ist der Kern des Problems. Das Problem ist nicht nur in London, sondern auch in Brüssel. Das ist das Hauptproblem, denke ich.
    Persönlich habe ich drei Probleme damit. Erstens mit dem Backstop. Das heißt, mit dem Backstop könnte Großbritannien vielleicht langfristig oder sogar vielleicht für immer in diesem Backstop sein. Im Moment darf Großbritannien die EU verlassen. Das ist nach Artikel 50 des Lissaboner Vertrages. Aber Großbritannien darf nie den Backstop verlassen, und das finde ich eher undemokratisch und unvorteilhaft für Großbritannien, für lang andauernde Zeit in einer Zollunion mit der EU zu bleiben, ohne einen Sitz an dem Tisch zu haben.
    May: Jetzt sagt aber die EU ja auch, dass sie mit Theresa May durchaus bereit ist, noch mal zu reden. Doch dazu müsste sie erst einmal wissen, was denn der neue Vorschlag der Briten ist. Können Sie uns da weiterhelfen?
    Hands: Ja, das stimmt auch. Aber man kann nicht einfach sagen, dass der Ball nur auf der Londoner Seite ist. Da sind auch andere Probleme, das ist die Stellung von Nordirland in diesem Abkommen. Es ist sehr wichtig! Die Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland ist wichtig für den Friedensprozess. Aber so ist auch die Grenze zwischen Nordirland und Großbritannien. Wir sind ein Vereinigtes Königreich. Das ist der Name von dem Land, das Vereinigte Königreich. Das Abkommen trennt Nordirland von Großbritannien. Erstens ist das wirtschaftlich sehr gefährlich, denn Nordirland macht viel mehr Geschäfte mit Großbritannien als mit der Republik Irland. Zweitens gibt es keine demokratische Zustimmung dafür. Nach dem Karfreitagsabkommen muss auch das Volk von Nordirland hier eine Rolle spielen. Da wohnen zwei Millionen Leute und die möchten nicht von Großbritannien getrennt werden. Die sind ein demokratischer Teil vom Vereinigten Königreich. Das ist das zweite Problem.
    "Alle MPs von Nordirland sind gegen das Abkommen"
    May: Wobei die ja gegen den Brexit gestimmt haben, und mittlerweile gibt es sogar Umfragen, die sagen, die würden lieber sich wiedervereinigen, was es vorher noch nie gab mit Irland, als noch Teil des Vereinigten Königreichs sein, einfach logischerweise wegen des Brexits und in Erwartung, was da jetzt kommt.
    Hands: Aber das Problem ist: Es gibt hier keine demokratische Zustimmung. Alle MPs von Nordirland, die Demokratische Unionistenpartei ist gegen das Abkommen. Ich denke, auch die anderen Parteien in Nordirland. Im Moment gibt es keine anderen Parteien, dank des letzten Wahlkampfs. Das ist ein bisschen kompliziert. Aber keine MPs von Nordirland, keine Partei, denke ich, von Nordirland wäre auch für diesen Deal. Das ist ein großes Problem. Der nordirische Backstop, das liegt auch an dem Namen Nordirland. Da muss Nordirland auch dabei sein.
    May: Nur wenn Sie danach gehen: Die übergroße Mehrheit der Parlamentarier war auch gegen den Brexit. Aber sie haben am Ende das Volk gefragt.
    Hands: Ja, genau. Das war eine demokratische Entscheidung. Ich war für Remain in 2016. Ich habe dagegen entschieden. Aber das war eine demokratische Entscheidung vom britischen Volk, und das durften sie machen nach dem Lissaboner Vertrag, nach Artikel 50 von dem eigentlichen Vertrag.
    May: Um mal wieder zum Punkt zu kommen. Es geht ja tatsächlich jetzt um einen Plan B, und Sie haben es ja deutlich gemacht: Das größte Problem ist dieser Backstop in Nordirland beziehungsweise in Irland. Jetzt war es nicht die Idee der EU, dass Großbritannien die EU verlässt, und es war nun mal auch Teil des Karfreitagsabkommens, dass Nordirland und Großbritannien in der EU bleibt. Das heißt, jetzt liegt es doch an den Briten, uns eine Lösung zu präsentieren beziehungsweise einen Vorschlag zu präsentieren, der gangbar ist.
    Hands: Es liegt eigentlich an allen, eine Lösung zu finden. Wir sind alle dabei. Das ist ein Problem für uns alle. Denn von einem Tag zum nächsten, innerhalb von etwa zwei Monaten ist Großbritannien aus der EU. Dann ist Großbritannien plötzlich erstens fast der größte Außenhandelspartner von der Europäischen Union – sehr wichtig. Die EU hat einen riesigen Handelsüberschuss mit Großbritannien. Also wir haben alle dieses Problem. Aber ich denke, die Lösung liegt doch an diesem Deal, aber bei diesem Deal, da muss man mit dem Backstop irgendwas machen. Denn von Anfang an muss der Deal über vier Hürden rüberkommen: Erstens EU-Kommission, EU-Rat, zweitens britische Regierung, drittens Europaparlament und viertens das House of Commons. Wenn es nicht durch das House of Commons kommt, dann ist es kein Abkommen. Wir brauchen Änderungen vom Backstop und ich denke, es ist doch möglich, dass das Abkommen durch das House of Commons kommen könnte. Aber im jetzigen Zustand ist es unmöglich, denke ich.
    Kritik am "Backstop"
    May: Was für Änderungen brauchen Sie in Großbritannien, dass es tatsächlich eine Möglichkeit gäbe, dass der Deal am Ende durch das Haus kommen würde?
    Hands: Entweder muss der Backstop einfach rauskommen, oder da muss eine zeitliche Frist von diesem Backstop sein. Großbritannien kann nicht immer in diesem Backstop sein. Stellen Sie sich vor: Man darf aus der EU rauskommen, aber man darf nie aus diesem Backstop rauskommen. Was soll denn das! Das funktioniert nicht! Ich denke, die Befürchtung von vielen MPs in Großbritannien ist, dann wäre man für immer in diesem Backstop, und das ist sehr unvorteilhaft für Großbritannien, lange Zeit, für eine lange Frist in dem Backstop zu sein.
    May: Wären Sie denn tatsächlich bereit dafür, wenn sich das nicht lösen ließe, dafür einen No Deal Brexit in letzter Konsequenz in Kauf zu nehmen?
    Hands: Es gibt viel mehr Leute in Großbritannien, die eigentlich für einen No Deal Brexit okay sind. Ich denke, das ist sehr problematisch, aber das ist vielleicht nicht ganz so schlimm, wie viele Leute sagen und das macht Probleme für beide Seiten. Der Vorteil für Großbritannien würde darin liegen, dass man wieder anfängt. Das heißt: Alles was schlecht gemacht worden war in den Verhandlungen in den letzten zweieinhalb Jahren, das kann man neu wieder anfangen. Zweitens hat man 39 Milliarden Pfund gespart, denn für dieses Abkommen muss auch Großbritannien zahlen. Für dieses total unvorteilhafte Abkommen muss Großbritannien 39 Milliarden Euro zahlen, und das macht auch wenig Sinn, wenn das Abkommen so schlecht ist.
    Ich denke, die Anzahl von Leuten, die bequem sind mit einem No Deal Brexit, steigt, und wahrscheinlich steigt damit auch die Anzahl von MPs.
    May: Das heißt, Sie glauben am Ende, dass die Angst in Europa vor einem No Deal Brexit größer ist als in Großbritannien, und deswegen wird Europa sich am Ende doch zuerst bewegen?
    Hands: Nein, das sage ich nicht. Aber ich denke, die Probleme sind wiederum an beiden Seiten. Man braucht Bewegung auf beiden Seiten, um das zu verhindern. Ich bin gegen einen No Deal Brexit. Ich denke, es ist viel besser, mit einem Abkommen zu kommen. Ich denke, die deutsche Kanzlerin hat das gleiche gesagt in Rostock am Wochenende. Sie braucht eine vertragliche Lösung von diesem Problem. Ich denke, das ist die richtige Methode.
    Aber wenn kein Vertrag ist, kein Abkommen ist, und das Abkommen muss über all diese vier Hürden rüberkommen, dann ist doch ein No Deal Brexit eigentlich auf dem Tisch.
    "Ich denke, Theresa May möchte wieder mit Brüssel reden"
    May: Wird es dann irgendwann noch mal einen Vorschlag geben, einen wirklich gangbaren Vorschlag der Briten gegenüber der EU, der ja angekündigt war?
    Hands: Ich denke, das kommt. Ich denke, Theresa May möchte mit Brüssel wieder reden, wahrscheinlich später in dieser Woche. Erst braucht sie ein bisschen mehr Konsens in London, das stimmt. In London ist weniger Konsens im Moment an diesem Tag. Aber in den kommenden Tagen wird sie weitere Besprechungen haben. Sie hat seit einer Woche schon Besprechungen gehabt mit anderen MPs in ihrer eigenen Partei, mit der Demokratischen Unionistenpartei und auch inzwischen mit verschiedenen Labour-MPs. Sie wird, denke ich, wieder einen Vorschlag machen. Der Backstop liegt eigentlich in der Mitte von dem Problem. Und dann mal sehen, ob da Bewegung ist in Brüssel. Aber ich denke, Brüssel hat zu hoch gepokert mit diesem Ding. Das Abkommen ist im Moment so unvorteilhaft für Großbritannien. Es macht es sehr schwierig, durch das House of Commons zu kommen.
    May: Eine letzte Frage habe ich noch. Gibt es denn einen Parlamentarierantrag, dem Sie zustimmen würden, zum Beispiel den der Labour-Abgeordneten Yvette Cooper, der sich für eine Verschiebung des Brexits ausspricht, sollte man sich bis Ende Februar nicht einigen, dass man ein bisschen mehr Zeit gewinnt?
    Hands: Ja, das wird wahrscheinlich nächsten Dienstag abgestimmt. Es gibt viele Probleme damit. Erstens: Ich bin nicht sicher, ob alle Labour-MPs für eine Aufschiebung der Entscheidung sind. Die Labour-MPs, die dafür sind, sind eher aus Wahlkreisen, die für Remain gestimmt haben. Aber es gibt viele, 60 Prozent der Labour-Wahlkreise haben 2016 für Leave gestimmt. Ich weiß nicht, ob alle Labour-MPs, die in Wahlkreisen sind, die mit Leave gestimmt haben, damit okay sein würden. Das finde ich ein bisschen zweifelhaft.
    Zweitens gibt es eine Frage, was Brüssel dazu sagen würde, wenn man einfach sagt, Großbritannien kann sich nicht entscheiden, ist nicht einig, vielleicht wird die ganze Entscheidung verlegt. Das braucht Einigkeit von allen 27 EU-Mitgliedern und ich weiß nicht, ob das in Brüssel gut ankommen würde, wenn einfach Großbritannien sagt, wir können uns noch nicht entscheiden, wir brauchen mehr Zeit. Aber mehr Zeit wozu denn? – Ich bin meines Erachtens nicht sicher, ob Brüssel das billigen würde oder nicht.
    May: Wie geht es weiter in London mit dem Brexit? Dazu haben wir gehört, in exzellentem Deutsch, by the way, Greg Hands, Abgeordneter der konservativen Tory-Fraktion im britischen Unterhaus. Herr Hands, vielen Dank für das Gespräch.
    Hands: Ich danke auch.
    May:
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.