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Brexit-Folgen
Verunsicherung ist Gift für die Konjunktur

Das Brexit-Votum hat nicht nur Politik und Gesellschaft überrascht - auch Investoren sind verunsichert. Und das hat Auswirkungen auf die Konjunktur. Das zeigt der aktuelle Index des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), der die Konjunkturerwartungen für Deutschland misst. Doch der Brexit ist nicht der einzige Grund für Verunsicherung.

Von Brigitte Scholtes | 19.07.2016
    ZEW-Präsident Achim Wambach
    ZEW-Präsident Achim Wambach (Uwe Anspach/dpa )
    Die Stimmung unter den Finanzmarktexperten hat sich deutlich eingetrübt. Die 220 Analysten und Institutionellen Anleger, die das ZEW, das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, monatlich befragt, waren mehrheitlich vom Brexit überrascht worden. Der ZEW-Index, der ihre Konjunkturerwartungen für Deutschland misst, fällt deshalb deutlich um 26 Punkte auf minus 6,8 Zähler. Das ist der niedrigste Stand seit November 2012. Wie dramatisch das Votum für den Austritt Großbritanniens am Finanzmarkt eingeschätzt wird, lässt sich etwa ablesen an den Worten Gunter Dunkels, des Präsidenten des Verbands Öffentlicher Banken:
    "Es ist ein tiefer, schwerer und historischer Einschnitt für Europa, Größenklasse ‘89 Mauerfall. Der 23. Juni wird als Ende der Nachkriegsordnung in die Geschichtsbücher unserer Enkelkinder eingehen."
    Die Finanzmarktexperten und die Wirtschaft sind also tief verunsichert, und Verunsicherung sei Gift für die Konjunktur, meint ZEW-Präsident Achim Wambach:
    "Lohnt es sich noch zu investieren? Warte ich noch mit den Investitionen? Sollte ich nicht lieber den Kauf noch verschieben und erst mal ein bisschen sparen? Und das bringt diese Konjunkturprobleme mit sich. In Großbritannien sehr stark, aber auch Europa wird es spüren."
    "Brexit-Verstimmung wird sich erst nächstes Jahr niederschlagen"
    Vor allem die Sorge um die Absatzmöglichkeiten für Unternehmen und die Stabilität des europäischen Banken- und Finanzsystems dürften den Konjunkturausblick belasten, meint der ZEW-Präsident. Das zeigt sich auch an den sinkenden Konjunkturerwartungen für den Euroraum. Auch die aktuelle Lage in der Eurozone und in Deutschland wird schlechter bewertet als im Vormonat. Stefan Schneider, Chefvolkswirt der Deutschen Bank für Deutschland, warnt jedoch vor zu großem Pessimismus für das laufende Jahr:
    "In Deutschland ist es im Moment natürlich ein bisschen schwierig. Nach der extrem guten Konjunktur, die zum Teil durch Sondereffekte getrieben wurde im ersten Quartal, ist sicherlich eine Verlangsamung im zweiten Quartal. Und auch insgesamt das Umfeld weltwirtschaftlich im zweiten Quartal ist sicherlich gerade von Dynamik geprägt. Also wir gehen davon aus, dass die deutsche Wirtschaft insgesamt in diesem Jahr schon so gut 1,5 Prozentpunkte wachsen kann. Und wenn, davon gehen wir auch aus, die Brexit-Verhandlungen zu einer Eintrübung der Stimmung geführt haben, dann wird sich das wahrscheinlich erst im nächsten Jahr sowohl in Deutschland als auch in Europa niederschlagen. Wir haben unsere Deutschland-Prognose um ein gutes Viertelprozent-Pünktchen nach unten revidiert."
    Verunsicherung hat weitere Gründe
    Die Verunsicherung der Investoren rühre jedoch nicht nur vom Brexit-Votum her, sagt Stefan Schneider, sie habe weitere Gründe:
    "Ich glaube noch nicht, dass sie massiv die Investitionstätigkeit beeinflusst. Es dürften wahrscheinlich eher dann doch wichtigere Ereignisse wie zum Beispiel die Fragen bei den italienischen Banken, die Frage von US-Wahlen, die ja anstehen oder auch in Bezug auf die europäische Geldpolitik - das dürfte wahrscheinlich die Investitionsentscheidungen und Kaufentscheidungen von Investoren und Konsumenten stärker beeinflussen."
    Beruhigend dürfte gewirkt haben, dass bis auf die ersten Tage nach dem Brexit-Votum größere Finanzmarktturbulenzen bisher ausgeblieben sind.