Dienstag, 14. Mai 2024

Archiv

Britische Hochschulen
Die Brexit-Angst geht um

Zwei Jahre nach dem Brexit-Referendum ist klar, dass das Land die EU verlässt. Das hat auch Konsequenzen für die Hochschulen. Die Studierenden sind genervt und würden den Austritt gerne mit allen Mitteln verhindern. Aber der Countdown läuft und noch immer ist vieles unklar.

Von Olivia Stracke | 09.07.2018
    Mehrere europäische Flaggen sind mit Kreide auf den Boden vor dem britischen Parlament in London gemalt
    Britische Studierende machen sich Sorgen wegen des bevorstehenden Brexits (AFP/ Justin Talls)
    Mit einer Hand die Tasche voller Bücher geschultert, mit der anderen die Augen vor der Sonne schützend, steht Jacob vor einem Studentencafé des University College London. Er ist Biologie-Student und einer von vielen, die befürchten, dass der Brexit negative Auswirkungen auf die persönliche akademische Laufbahn hat.
    "Der Brexit ist ein Riesen-Problem, ich selbst habe natürlich für unseren Verbleib in der EU gestimmt. Das hat jetzt starke Auswirkungen auf meine Zukunft, Ferien und so weiter. Ich will mal als Mikrobiologe in Afrika oder auch Europa arbeiten. Vielleicht bekomme ich jetzt keine Visa oder Forschungsgelder. Die EU wird uns jedenfalls nicht mehr unterstützen. Das verbaut mir so manche Möglichkeit. Das ist ganz schlecht."
    Unsicherheit macht sich breit
    Fast nirgendwo ist das Entsetzen über das Ergebnis des Referendums größer als an der Uni. Die Hochschule ist der Ort, der alles repräsentiert, was der Brexit augenscheinlich nicht ist: Integration, Multi-Kulturalismus, Wissenschaft. Jetzt machen sich hier Zukunftsängste und Unsicherheiten breit. Jack ist Student der englischen Literatur:
    "Ich wollte mich ja an der Sorbonne bewerben. Aber ich hab´s aufgegeben, der Brexit tritt da einfach zu sehr auf die Bremsen. Niemand weiß, wie die zukünftigen Beziehungen zwischen EU und Großbritannien aussehen werden."
    Ein Auslandssemester in einem anderen EU-Land durch Programme wie Erasmus war bisher ein bewährter Weg für kulturellen Austausch und akademische Weiterentwicklung. Schnelle Bewerbung, keine Studiengebühren. Jetzt hängt alles in der Luft.
    Zu wenig Informationen
    "Erasmus zu verlieren wäre schrecklich",
    findet Physik-Student Ashwin. Premierministerin Theresa May hat angekündigt, dass Großbritannien vorläufig nur bis 2020 in dem EU-Förderprogramm verbleibt. Die britische Regierung hat nun ihre Zusage gegeben, dass EU-Studenten, die sich bis Herbst 2019 für ein reguläres Studium in England einschreiben, dieses auch zu Ende führen dürfen ohne höhere Studiengebühren zu blechen. Alles danach liegt im Nebel. Viele britische Studenten geben der Regierung die Schuld, sie beklagen, dass sie nicht ausreichend über die möglichen Auswirkungen des Brexit auf ihre Bildung und ihre Karrieren informiert wurden.
    "Die Regierung will niemanden richtig informieren. Dumm ist das. Es ist ihnen egal, wie sich manche Leben deswegen ändern", sagt einer der Studenten. Ein anderer findet: "Die Regierung nutzt aus, dass es für manche schwer ist, politisches Kauderwelsch zu verstehen und wirft uns nur Brocken hin. Sie sind unverantwortlich und machen die Bevölkerung klein."
    Und diese Studentin kritisiert:
    "Es gab nicht viele Infos über den Brexit. Die Entscheidung fiel schnell und David Cameron, der alles erst ins Rollen gebracht hat, hat sich einfach vom Acker gemacht."
    Viele, wie die Chemie-Studentin Allessandra, haben auch Angst vor der Europäischen Reaktion auf den Brexit:
    "Die EU will an Großbritannien ein Exempel statuieren und es für andere Länder unattraktiv machen sie zu verlassen. Sie werden uns also viele Steine in den Weg legen."
    Alternative Irland?
    Zur Zeit sind über 40. 000 britische Studenten an europäischen Hochschulen eingeschrieben – und umgekehrt über 130.000 EU-Studenten an britischen Universitäten. Doch dort werden seit dem Brexit die Bewerbungen weniger. Und eine endgültige Einigung über die Zusammenarbeit von Hochschulen aus Großbritannien und Europa ist nicht in Sicht. Ob Irland nun das neue Ausweichland wird? Linda aus Trier studiert in London und ist sich sicher, wenn Großbritannien sie nicht haben will, dann wird es eben ein EU-Land wie Irland:
    "Ich bin als Masterstudentin hier, weil ich eigentlich gern hier in London bleiben möchte, aber da es momentan sehr unsicher ist, ich keine Ahnung hab, wie es weiter gehen soll… Also wenn es nicht mehr gehen würde, dann würde ich einfach nach einem anderen Land suchen, wie Irland zum Beispiel. Ich fühle mich jetzt eigentlich schon weniger willkommen und ich glaube, das beeinflusst schon die Entscheidung, wo man dann hingeht. Ich glaube dann wird England unattraktiver, grade auch für deutsche Studenten."
    Fragen bleiben unbeantwortet. Frustration macht sich bemerkbar. Ich hätte meinen Brexit gern weich-gekocht, witzeln Studenten auf einer Wiese vor dem University College London. Sie hoffen, dass die britische Regierung ihren Wunsch noch erhört.