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Britische Hochschulen
Erneute Streiks für gerechtere Arbeitsbedingungen

Der Lehrbetrieb ruht - etwa 43.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der rund 60 britischen Hochschulen sind im Ausstand. Es geht um drohende Einschnitte in der Altersversorgung, aber auch um Arbeitsbedingungen, Chancengleichheit und berufliche Perspektiven.

Von Judith Koch |
Hochschulmitarbeiter und Studenten laufen am 27. November 2019 mit Bannern an Gebäuden des University College London vorbei. Sie streiken für gerechte Arbeitsbedingungen für Hochschulmitarbeiterinnen und - mitarbeiter.
Hochschulmitarbeiter und Studenten streiken vor dem University College London (dpa / picture alliance / NurPhoto / Wiktor Szymanowicz)
Die Studierenden an der University of Sussex in Brighton haben sich mit Megafonen und Kochtöpfen ausgerüstet. Sie unterstützen ihre Professoren und Tutoren, die zusammen mit der Gewerkschaft "University and College Union", UCU, acht Tage lang streiken.
Es ist der erste Streiktag im erneuten Kampf für gerechtere Arbeitsbedingungen. Ein wiederholter Auftakt – nachdem im letzten Jahr der Unibetrieb nach einer beispiellosen Protestwelle praktisch zum Erliegen gekommen war. Samuel Solomon, leitender Dozent für Anglistik an der Uni Sussex, und Gewerkschaftsrepräsentant, sieht den - wenn auch nur kleinen - Erfolg der letzten Aktion:

"Das, was wir durch den letzten Streik gewonnen haben, ist, dass wir unsere Arbeitgeber dazu bringen konnten, die geplante Umstellung von einem leistungsorientierten Rentensystem auf ein System, das komplett von der Situation an den Finanzmärkten abhängig ist, fallen zu lassen."
Lohnunterschiede und ungleiche Arbeitsbedingungen
Beim aktuellen Streik geht es um die Höhe der Beiträge. Die Gewerkschaft fordert eine Deckelung auf 8% des Gehalts, anstatt auf die 9,6%, die von den Arbeitgebern gebilligt wurden. Die Forderungen der Gewerkschaft und der Uni-Mitarbeiter gehen diesmal jedoch über das prekäre Rentensystem hinaus, sie richten sich gegen tiefgreifende Systemfehler. Solomon:
"Die wirklich entscheidende Frage ist aber, wie Lohnunterschiede und unsere Arbeitsbedingungen mit Ungleichheit einhergehen. Der Streik richtet sich diesmal auch gegen die Tatsache, dass es große Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen und in Bezug auf ethnische Minderheiten und Menschen mit Behinderung gibt – und zwar im gesamten Sektor."
Schwarze ethnische Minderheit benachteiligt?
Einer Gewerkschaftsstatistik zufolge haben Mitarbeiter der Black Ethnic Minority Group, also schwarze ethnische Minderheiten, seltener eine leitende akademische Stellung inne und werden schlechter bezahlt als ihre weißen Kollegen. Im letzten Jahr war jeder neunte weiße akademische Mitarbeiter an britischen Unis Professor, im Gegensatz zu nur jedem 33. Mitarbeiter der Black Ethnic Minority Group.
Jo Grady, Generalsekretärin der Gewerkschaft UCU spricht zum Auftakt des Protests am Streikposten vor der Uni Sussex: "Ihr wisst, dass Prekärisierung ein moralischer Makel in der Hochschulbildung ist. Ihr wisst auch, dass Hochschulleiter sich nicht im Geringsten Gedanken über geschlechtsspezifische Gehaltsunterschiede machen!"
Kritik am marktorientierten Ausbildungsmodell
Ab diesem Tag wird der Posten von streikenden Mitarbeitern und Studierenden höchstens überschritten, um alternative Lehrveranstaltungen zu besuchen, die sich mit den Arbeitsbedingungen im akademischen Sektor auseinandersetzen. Die Professoren sind nicht die einzigen, die sich ungerecht behandelt fühlen. Connor Moylett und seine Kommilitonen protestieren gegen die neoliberale Linie des Universitätssystems:
"Die Prioritäten unserer Unis hier in Großbritannien könnten offensichtlicher nicht sein. Sie richten sich nicht etwa an den Bedürfnissen von uns Studierenden und denen der Mitarbeiter aus, sondern an einem finanz- und marktorientierten Ausbildungsmodell. Und die Studiengebühren steigen – obwohl wir hier enorm viel zahlen, und die Mieten extrem hoch sind – und rund um den Campus gibt es wie man sieht, riesige neue Bauprojekte und große neue Forschungseinrichtungen."
Hochschulleitung hofft auf schnelle Lösung für alle Betroffenen
Der Unmut ist besonders groß, weil der Vize-Kanzler der Uni Sussex, Adam Tickell, einer der landesweit am besten verdienenden Hochschulleiter ist. Äußern will er sich nicht. Nur ein schriftliches Statement gab es: Man hoffe, dass für alle Betroffenen schnell eine Lösung gefunden werden könne, das Hauptaugenmerk der Hochschulleitung liege aber auf der Minimierung von Unterbrechungen des Hochschulbetriebs.

Kat Sinclair promoviert an der Uni Sussex, sie hofft auf einen Job hier, möglicherweise schon nächstes Jahr. Doch sie ist besorgt: "Ich sehe die Bedingungen, unter denen die Angestellten der Universität hier arbeiten, und ich habe Angst. Ich sehe, dass Leute, die ihre Promotion abschließen, keine Arbeit finden und auf Hilfe vom Staat zurückgreifen müssen. Es gibt keine Garantie dafür, dass ich nach dem Abschluss meiner Promotion eine Stelle finde, auch wenn ich drei oder vier Jahre lang als Doktorandin an der Universität gearbeitet habe."
Falls die Verhandlungen in den nächsten Tagen nicht wieder aufgenommen werden, will die Gewerkschaft UCU den Streik ausweiten.