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Britische Unis werden teuer

In England sollen sich Studenten schon vor Beginn ihres Studiums überlegen, wie viel Geld sie mit ihrem Abschluss später verdienen können. Das ist auch nötig, denn die Gebühren werden ab Oktober an fast allen staatlichen Unis 9000 Pfund im Jahr betragen.

Jochen Spengler | 17.01.2012
    Alle Proteste und Demonstrationen scheinen nichts genutzt zu haben. Das weltweit anerkannte, sozialstaatlich organisierte englische Hochschulsystem wird radikal umgebaut. Erkenntnis und Bildung gelten dagegen nicht mehr als primäre, öffentliche, vom Steuerzahler zu finanzierende Aufgabe. Stattdessen sollen sich die mehr als 100 Unis auf die Produktion erwerbsrelevanter Hochschulabschlüsse konzentrieren. Der konservative Regierungschef David Cameron hat ein privatwirtschaftliches Geschäftsmodell vor Augen, in dem es um Verwertbarkeit geht.

    "Unsere Vorschläge werden das Unisystem viel wettbewerbsfähiger machen. Statt dass die Regierung entscheidet, wohin das Geld fließt, werden es die Studenten sein. Die Kaufkraft liegt direkt in ihrer Hand, was ihnen den größtmöglichen Einfluss auf die Dienstleistungen gibt, die sie erhalten, und die Unis wirklich unter Druck setzt, die Standards anzuheben."

    Die Mittel für die staatlichen Universitäten werden drastisch eingedampft. Für die Lehre stehen künftig 80 Prozent weniger zur Verfügung und schon jetzt fehlt fast eine Milliarde Pfund. Die Konsequenz: mindestens zwölf Prozent der Kurse sind gestrichen, es trifft vor allem Kunst, Musik,Geistes- und Gesellschaftswissenschaften. Schon unter Labour war das Wissenschaftsministerium in das Wirtschaftsressort integriert worden. Schon da wurden Studiengebühren eingeführt. Doch die konservativ-liberale Regierung aber geht darüber hinaus. Sie stellt dem bislang staatlichen Hochschulwesen ein privates, profitorientiertes zur Seite. Vor allem international agierende Unternehmen sollen sich gegen hohe Studiengebühren ihren eigenen Nachwuchs heranzüchten können.

    Liam Burns, Präsident der Nationalen Studentengewerkschaft kritisiert:

    "Es gibt einen Vorausanschub für private Investoren, um in diesen Sektor zu kommen: das ist die Gewinnorientierung. Ich habe noch nie eine Regierung erlebt, die wollte, dass Profitmacherei einen Platz im Erziehungswesen hat. Das erschreckt mich. Aber sie wird weiter Studenten als Kunden betrachten, die das bekommen, wofür sie bezahlen, und die nichts kriegen, wenn sie es sich nicht leisten können. Das ist schrecklich."

    Studierende werden dazu gedrängt, schon bei der Auswahl der Studiengänge auf die künftigen Verdienstmöglichkeiten zu achten. Auch dazu dient die Verdreifachung der Studiengebühren, die die staatlichen Kürzungen ausgleichen sollen. Statt bislang etwa 3000 Pfund verlangen die meisten Unis ab Oktober 9000 Pfund im Jahr, also rund 900 Euro pro Monat.

    "Sie werden sich ziemlich anstrengen müssen, Studenten zu gewinnen. Niemand will 9.000 Pfund im Jahr zahlen…"

    …meint Naomi, die an der Northumbria University studiert.

    Bislang gibt es neun Prozent weniger Anmeldungen von britischen Studenten. Viele werden von einem Studium abgeschreckt. Schließlich kommen nach vier Jahren allein an Studiengebühren 36.000 Pfund Schulden zusammen. Abgezahlt werden müssen die erst nach dem Studium und auch nur dann, wenn das Arbeitseinkommen 21.000 Pfund beträgt.

    Eine am Wochenende veröffentlichte Untersuchung belegt, wie wenig durchdacht die Reform ist. Die Summe der nicht einzutreibenden Studiengebühren könnte jährlich rund neun Milliarden Pfund ausmachen. Ein hoher Preis zu Lasten des Steuerzahlers.

    Ursprünglich sollte der Gebührenhöchstsatz von 9000 Pfund die Ausnahme sein – für die leistungsstärksten Unis. Doch nun wird ihn die Hälfte der Hochschulen verlangen, und der Rest kassiert kaum weniger. Niemand wollte sich durch niedrige Gebühren als zweitklassig einstufen.

    Eine Ausnahme ist die Uni in Coventry. Sie wirbt mit 4500 Pfund. Ein "half price degree" für jene Studierenden, die sich bereit erklären auf Mensaessen, Bibliothek und Studentensport zu verzichten, dafür aber Vorlesungen von 7 Uhr morgens bis abends 22 Uhr zu besuchen.