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Britische Verteidigungstrategie
Gefahren jenseits vom IS-"Todeskult"

Neue Kampfjets, zusätzliche Ausstattung, mehr Geld für die Geheimdienste: Der britische Premierminister David Cameron hat angekündigt, die Ausgaben für das Militär um 15 Milliarden Euro zu erhöhen. Eine Bedrohung geht für ihn nicht nur von den IS-Terroristen aus, sondern auch von den Streitkräften anderer Staaten - zum Beispiel im Ukraine-Konflikt.

Von Friedbert Meurer | 24.11.2015
    David Cameron und zwei britische Soldaten laufen vor einem Kampfjet über das Rollfeld
    Vor der Verkündung seiner neuen Sicherheitsstrategie besuchte David Cameron die Royal Air Force in in Northolt (AFP / Justin Tallis)
    Paris gestern Morgen. An der Seite des französischen Präsidenten schreitet der britische Premier David Cameron mit einer weißen Rose in der Hand auf das Blumenmeer zu, das sich vor dem Konzerthaus Bataclan gebildet hat. Die Geste soll zeigen: Großbritannien steht an der Seite Frankreichs. "Ich unterstütze die militärischen Maßnahmen in Syrien, die Präsident Hollande in Angriff genommen hat", erklärte Cameron zuvor im Elysée-Palast. "Es ist meine feste Überzeugung, dass Großbritannien das auch tun sollte."
    Seit Monaten lässt Cameron erkennen, dass die Royal Air Force – genauso wie Frankreich und die USA – Luftangriffe in Syrien fliegen soll. Britische Piloten feuern zwar Raketen auf Stellungen des IS im Irak ab, machen aber an der Grenze zum syrischen Luftraum halt. Praktisch hält Großbritannien allerdings den Verbündeten den Rücken frei, um Ziele in Syrien anzugreifen.
    "Taktisch würde der Einsatz einen Unterschied ausmachen"
    Werden britische Bomber und Kampfjets in Syrien also überhaupt gebraucht? Der frühere Generalstabschef David Richards sagt: eindeutig ja. "Auch wenn die Flugzeuge recht alt sind, haben sie trotzdem große Fähigkeiten. Die verfügen über Kapazitäten, über die sonst nur die USA verfügen, und da auch nicht viele US-Flugzeuge. Taktisch würde ihr Einsatz schon einen Unterschied ausmachen."
    Ex-Militär Richards meint damit die Brimstone-Raketen, mit denen die britischen Jets bewaffnet sind. Sie haben zwar nur eine Reichweite von etwa zwölf Kilometern, können aber sehr präzise Ziele treffen, ohne zum Beispiel Nachbarhäuser zu zerstören. Aber es werden auch Zweifel in London laut. Geht es den Briten doch nur darum zu zeigen, dass sie noch eine Rolle in der Welt spielen?
    Cameron im Unterhaus
    "Statement, the Prime Minister!" Am Nachmittag steht David Cameron wieder am Rednerpult im Unterhaus. Er stellt eine neue Verteidigungsstrategie Großbritanniens vor. Die Armee soll sowohl einen klassischen Krieg gegen einen Staat als auch Terroristen wie den IS bekämpfen können. Für die nächsten fünf Jahre will die Regierung umgerechnet 15 Milliarden Euro zusätzlich ausgeben. "Die Bedrohung geht über den Todeskult des IS hinaus. Von der Krise in der Ukraine, über Cyberattacken im Internet bis zu einer Pandemie ist unsere Welt gefährlicher als vor fünf Jahren. Diese Regierung ist entschlossen, in unsere Sicherheit zu investieren."
    Der gemeinsame Feind führt zueinander
    Großbritannien fühlt sich nicht nur durch Terrorgruppen, sondern auch von Russland bedroht. Ein russisches U-Boot wurde gerade dieser Tage gesichtet, es soll mutmaßlich den schottischen Heimathafen der britischen Atom-U-Boote ausspionieren. Französische Flugzeuge helfen zur Zeit, aus der Luft nach dem Eindringling zu fahnden. Cameron verspricht, eigene Seeaufklärungsflugzeuge anzuschaffen. Gleichzeitig wollen London und Paris aber mit Moskau gegen den islamischen Staat vorgehen – der gemeinsame Feind führt also doch zueinander, zumindest vorübergehend. "Was sind die Lehren aus Libyen, dem Irak, Afghanistan und anderen Einsätzen", fragt Oppositionsführer Jeremy Corbyn von der Labour-Party. "Sie müssen sicherstellen, dass die Desaster sich nicht wiederholen."
    Zwei Dritten der Briten sind für Krieg gegen den IS
    Als Corbyn, der Pazifist, zugesteht, Großbritannien brauche starke Militärkräfte, um sich zu beschützen, nehmen ihm die Abgeordneten der Regierung das nicht ab. Corbyn fügt noch vergeblich hinzu, dass er doch für humanitäre Einsätze sei. Der Aufstieg des Außenseiters und bekennenden Pazifisten Jeremy Corbyn zum Parteichef hatte auch damit zu tun, dass die britische Gesellschaft seit dem Irakkrieg am Sinn von Auslandseinsätzen zweifelt.
    Das Land zögert, wieder seine alte Rolle einzunehmen. Aber Labour ist gespalten. Corbyns eigene Schatten-Verteidigungsministerin Maria Eagle wird dem Krieg in Syrien wohl zustimmen. "Wir müssen erst einmal abwarten, was der Premierminister uns am Donnerstag sagen will. Dann werden wir prüfen, ob das den Bürgerkrieg in Syrien beenden kann."
    Die Abstimmung im Unterhaus rückt näher, etliche Labour-Abgeordnete werden Cameron wohl zur Mehrheit verhelfen. In der Bevölkerung ist der Stimmungswandel dagegen schon angekommen: nach den Ereignissen von Paris sind jetzt zwei Drittel der Briten dafür, Krieg gegen den Islamischen Staat in Syrien zu führen.