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Britisches Gesundheitssystem
Gewerkschaft befürchtet Fachkräftemangel wegen Brexit

Der bevorstehende Brexit macht nicht nur die Wirtschaft nervös - auch im Gesundheitssektor macht man sich Sorgen. Denn: Jeder 14. Mitarbeiter des britischen National Health Service kommt aus der EU. Seit Monaten verlassen viele Osteuropäer das Land.

Von Sandra Pfister | 19.03.2019
Eine Krankenschwester in einem Londoner Krankenhaus. Viele der Angestellten des britischen Gesundheitssystems NHS kommen aus Osteuropa. Aus Angst vor dem Brexit verlassen viele gerade das Land.
Jeder 14. Mitarbeiter des britischen Gesundheitssystems NHS kommt aus der EU. Aus Angst vor dem Brexit verlassen viele gerade das Land. (imago stock&people)
Die Gewerkschaftszentrale von Unison in London. Allison Roche ist die Brexit-Beauftragte der Gewerkschaft, die 1,3 Millionen Mitglieder hat. Von ihnen stammen 80.000 aus der EU. Und die sind im Moment oft Telefon.
"Sie können sich von spezialisierten Anwälten beraten lassen", erklärt Roche einem Gewerkschaftsmitglied am Telefon. Unison hilft polnischen Krankenschwestern oder spanischen Altenpflegern, wie sie sich zum Beispiel für den sogenannten "settled status", ihre künftige Aufenthaltserlaubnis, Rechtsberatung holen können. Die Stimmung sei schlecht, viele Fachkräfte kehrten in die EU zurück, neue kommen kaum nach.
"Bis 2020 werden uns 50.000 Krankenpfleger fehlen. Wir brauchen die Arbeitnehmer aus der EU, sonst steuern wir auf eine Krise in der Pflege zu", sagt Roche.
EU-Arbeitnehmer, die neu einwandern wollen, sollen künftig nach den Plänen der Regierung keine Vorzugsbehandlung mehr gegenüber Nicht-EU-Ausländern erhalten. Sie müssen zum Beispiel ein Mindesteinkommen von 30.000 Pfund jährlich nachweisen, sonst dürfen sie erst gar nicht kommen. Laut Gewerkschafterin Roche verdient eine Krankenschwester, die neu anfängt, aber im Schnitt nur 23.000 Pfund, etwa 27.000 Euro.
Abbau von Arbeitgeberrechten durch Brexit?
Allison Roche sieht noch ein weiteres großes Problem, das der Brexit dem öffentlichen Dienst in Großbritannien bescheren könnte: dass Arbeitgeberrechte abgebaut werden.
"Was wir gelernt haben, ist, dass unsere Regierung immer wieder die Standards der EU absenken will. Wenn wir nicht mehr das Sicherheitsnetz der EU haben, dann werden sie uns die Rechte ganz nehmen oder abschwächen. Oder die Arbeitgeber müssen sich nicht mehr daran halten."

Gesetze zur Arbeitszeit und zum Mutterschutz könnten zur Disposition stehen. Schon jetzt haben britische Eltern weniger Ansprüche auf Teilzeit, auf eine Rückkehr an den Arbeitsplatz oder auf Elternzeit - als Eltern in Deutschland. Das träfe die Mitglieder der Unison-Gewerkschaft besonders heftig, denn 80 Prozent ihrer Mitglieder sind Frauen.
"Ein künftiger Vertrag mit der EU darf nicht dazu führen, dass unsere Mitglieder benachteiligt werden. Wir wollen eine Garantie für das, was wir dank Europa an Rechten gewonnen haben. Auch in Zukunft müssen unsere Rechte die gleichen wie in der EU sein."
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Angst vor klammer Staatskasse
Theresa May will den Gewerkschaften zwar weitgehende Zusagen machen. Aber die Frage ist, ob das den britischen Gesetzgeber in Zukunft davon abhalten kann, Sozialstandards abzusenken. Die Arbeitszeitrichtlinie der EU zum Beispiel war in Großbritannien heiß umstritten.
Eine weitere Sorge treibt die Gewerkschaft Unison auch noch um: dass der Staat knapp bei Kasse sein wird, weil die Geschäfte vieler Unternehmen schlechter laufen werden. Wenn das Wachstum sinken sollte – was die Regierung selbst vorhersagt - , gehen die Steuereinnahmen zurück. Und das bedeutet dann weniger Geld für den öffentlichen Dienst – und damit für Schulen und das ohnehin schon chronisch unterfinanzierte britische Gesundheitssystem.
Die Iren, deren Wirtschaft sich noch immer von der Finanzkrise erholt, würden mitgezogen in diese Spirale, glauben viele Gewerkschafter, sagt Nick Crook, der bei Unison die internationalen Beziehungen koordiniert.
"Die irischen Gewerkschaften machen sich die größten Sorgen. Sie verfolgen die britische Politik sehr genau und bangen, welche Konsequenzen das für die irische Wirtschaft wohl haben könnte."