Gerwald Herter: Es könnte mit den Landtagswahlen zu tun haben, oder auch mit dem wachsenden Handlungsdruck, denn die Bundesregierung hat ihr Atom-Moratorium für die Frist von drei Monaten ausgerufen. Die deutsche Atomdebatte nimmt Fahrt auf. Heute findet im Kanzleramt wieder ein Spitzentreffen zur Zukunft der Kernenergie statt.
Vor wenigen Minuten habe ich darüber mit Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) gesprochen. Er hat am EU-Rat der Energieminister in Brüssel teilgenommen und wird heute in Berlin dabei sein. Guten Morgen, Herr Brüderle.
Rainer Brüderle: Guten Morgen!
Herter: Herr Brüderle, war das Dreimonats-Moratorium für die ältesten deutschen Atommeiler eine Sicherheitsmaßnahme, oder bloß ein politisches Signal, vielleicht gar Symbolpolitik?
Brüderle: Nein, es war schon eine Sicherheitsmaßnahme, weil wir ja nun grundlegende neue Faktoren mit einbeziehen müssen, die über die bisherigen Überlegungen hinausgehen, etwa die Fragen, ob Erdbeben doch eine Rolle spielt, Kühlsicherungssysteme, Hochwasser, Notstrom-Aggregate, Diesel-Aggregate, alles das, Cyber-Angriffe, was man bisher noch nicht in die Betrachtung einbezogen hatte, und da werden sicherlich heute auch bei der Runde im Kanzleramt weitere Berichte über die Situation in Japan folgen. Das muss man ja auch auswerten, daraus lernen, und wir haben deshalb eine gemischte Maßnahme ergriffen. Erst einmal haben wir gesagt, alle Kernkraftwerke in Deutschland werden nochmals, obwohl sie regelmäßig geprüft werden, sicherheitsüberprüft, und die ältesten, die vor 1980 gebaut wurden, die über 30 Jahre alt sind, nehmen wir sicherheitshalber für drei Monate vom Netz, bis wir diese Überprüfung durchgeführt haben.
Herter: Herr Brüderle, bleiben wir mal bei der ersten Gruppe, die, die also noch nicht vom Netz genommen werden. Wenn dieser Schritt, dieses Moratorium aus Gründen der Sicherheit nötig war, warum dauert es dann so lange, bis Sie Kriterien für eine Sicherheitsüberprüfung der Kernkraftwerke festlegen?
Brüderle: Ja das ist, weil wir eine völlig neue Situation haben. Es ist ja immer so: Bei technischen Anlagen müssen sie von irgendwelchen Prämissen ausgehen. Die Japaner hatten zum Beispiel Erdbeben einkalkuliert, aber bis zur Stärke auf der sogenannten Richterskala von acht. Jetzt hatten wir ein Erdbeben mit neun, wobei ich gelernt habe, von acht auf neun ist nicht irgendwie zehn Prozent mehr, das ist eine Potenz, da ist das Zehnfache dabei. Und daraus, diese Situation, die in Japan sich ereignet hat, gibt neue Hinweise, neue Aspekte, und so muss eine Überwachung, Begleitung auch lernfähig sein, und das kann man ja, nachdem wir ja auch nur stückweise Erkenntnisse aus Japan haben, auch die Japaner ja noch nicht offensichtlich alles wissen, wenn man das so richtig beobachtet, dann ist es nicht so leicht, aus dem Handgelenk das zu definieren und auf den Weg zu bringen.
Herter: Eines wissen wir aber ganz genau, wenn es um Flugzeugabstürze geht: Die sieben ältesten Atomkraftwerke in Deutschland sind nicht gegen Flugzeugabstürze gesichert, auch ohne neue Erkenntnisse aus Japan. Warum wollen Sie das noch überprüfen?
Brüderle: Nein, da hat man ja einige Maßnahmen ergriffen, etwa Vernebelungsanlagen, dass die Anlagen quasi dann nicht mehr erkennbar sind. Das ist bei einigen Anlagen installiert worden.
Herter: Halten Sie das für sicher?
Brüderle: Ja ich bin nicht der Fachmann für Reaktorsicherheit. Ich glaube, sicherlich besser ist, wenn man etwas nicht erkennen kann. Da ist ja die Angst auch vor Terroranschläge, vor einfachen Abstürzen. Das sind ja Sicherheitsmaßnahmen, aber nach 9/11 ist natürlich auch die Gefahr von Terroranschlägen nicht auszuschließen. Deshalb, glaube ich, ist die Vernebelungsaktion immerhin eine Möglichkeit, die zusätzliche Sicherheit dabei bringt. Aber ich sage noch mal: Wenn man jetzt so ein Ereignis hat wie in Japan, von dem viele nicht glaubten, oder alle nicht glaubten, das sei nicht möglich, dann muss man eben auch über das bisher für unmöglich Gehaltene neu nachdenken. Wir müssen ja lernfähig sein, können nicht sagen, was wir vor 30 Jahren bei der Entscheidung bei diesen alten Kernkraftwerken für richtig gehalten haben, darf heute nicht modifiziert, fortgedacht werden.
Herter: Erst Kriterien entwickeln, dann prüfen. Haben wir wirklich so viel Zeit?
Brüderle: Nun, das geht ja relativ schnell. Es wird ja heute praktisch schon eine Zusammenstellung sein, wie die Expertenkommission aussieht. Das sind ja einige Anhaltspunkte, die sich einfach anbieten, etwa dass man die schon existierende Reaktorsicherheitskommission einbezieht, Fachleute in den Ländern - die Länder haben ja die Überwachung, Begleitung und den Vollzug in diesen Maßnahmen -, und man dann schauen muss, was man noch vielleicht zusätzlich an internationalen Experten gewinnen kann. Insofern, glaube ich, ist das schon relativ schnell, wenn man das in wenigen Tagen dann jetzt heute auf die Beine stellt, angesichts der komplexen Zusammenhänge. Das ist nicht einfach mal ein links und rechts greifen.
Herter: Zeit ist Risiko, kostet aber auch Geld. Der Generalsekretär Ihrer Partei, der FDP, sagt, es komme auch auf wirtschaftliche Kriterien an. Steckt das vielleicht auch hinter den Überlegungen?
Brüderle: Ich glaube, das Oberste ist die Sicherheit - darüber sind wir uns alle einig – der Menschen im Land. Dass wir insgesamt in der Energiepolitik verschiedene Aspekte einbeziehen müssen – es war immer, die Energieversorgung muss klimafreundlich sein, sie muss sicher sein, aber sie muss auch noch bezahlbar sein, weil wir ja gesehen haben, auch schon am 1. Januar, dass schon bisher aus anderen Umständen heraus kräftige Strompreiserhöhungen waren. Man muss versuchen, das auch in einer vernünftigen Relation zu halten. Aber oberstes Kriterium ist die Sicherheit.
Herter: Das Umweltministerium hat schon Kriterien vorgelegt und Ihr Kollege Röttgen hat die Oberaufsicht für die Sicherheit der Atomkraftwerke. Damit wäre doch schon alles klar!
Brüderle: Ja. Trotzdem muss auch er zulernen, müssen wir alle zulernen, was wir als Erkenntnisse aus diesem Unfall in Japan ziehen müssen, wie man das greifbar macht und wie man es überträgt auf unsere Gegebenheiten. Wir haben keine hohe Wahrscheinlichkeit, sie ist null, dass ein Tsunami, eine Flutwelle in Baden-Württemberg oder in Bayern passiert. Aber die Faktoren, die wir gesehen haben: Sind diese Notstrom-Aggregate richtig ausgerichtet, kann, wenn Hochwasser auftritt, das auch entsprechend anspringen? Das ist ja ein Teil der Problematik in Japan offensichtlich nach dem, was man an Informationen hat. Das sind schon ein paar neue Fragestellungen, und Fragen muss man stellen, immer wieder, immer wieder neu. Menschen, auch Überwachungs- und Sicherheitssysteme müssen immer wieder sich fortentwickeln können, lernfähig sein und bleiben.
Herter: Aber das Perfekte ist manchmal der Feind des Guten. Das neue kerntechnische Regelwerk liegt in den Schubladen, bisher ohne Aussicht auf Anwendung.
Brüderle: Darüber wird sicherlich Herr Röttgen seine Einschätzung bei uns einbringen, wie weit das jetzt in der Situation ein Aspekt ist, der uns weiterhilft, wie weit wir uns auf andere Dinge konzentrieren müssen. Aber solche Neuland-Entwicklungen, wie wir sie jetzt haben, die können erst durch Fragen, durch Herantasten interaktiv erschlossen werden. Das kann man nicht wie einfache andere Abläufe so schnell mit Vorhandenem gestalten.
Herter: Es kommt auch auf andere Länder an, nicht nur auf Deutschland. EU-Kommissar Oettinger, für Energie zuständig, dem wird aus einigen Mitgliedsstaaten vorgeworfen, die Apokalypse nach Europa geholt zu haben. Sie haben an den Beratungen der Energieminister gestern teilgenommen. Was ist Ihr Eindruck? Wann kommen europäische Kriterien für die Überprüfung?
Brüderle: Also wir waren uns dort in dieser Runde einig, dass wir auch innerhalb Europas eine Überprüfung der Anlagen durchführen müssen, einen Sicherheitscheck. Wichtig ist, dass man sich auf gemeinsame Kriterien verständigt. Das wird auch Gegenstand des Europäischen Rates jetzt Ende dieser Woche sein, in Brüssel, wo quasi die Regierungschefs zusammensitzen als oberstes Organ nach den Lissabon-Verträgen, und da ist die Stimmungslage innerhalb Europas sehr unterschiedlich. Es gibt Länder wie Polen, die erklären, wir halten an Neubauplänen fest. Es gibt Länder wie Österreich, die schon keine haben und sagen, wir fordern, dass ganz Europa aussteigt. Es gibt eine mittlere Linie, die Deutschland vertritt und sagt, wir wollen es ernsthaft wieder prüfen, wo keine hohe Wahrscheinlichkeit der Sicherheit ist, wollen wir auch Entscheidungen treffen. Das ist sehr heterogen und da muss man sich denn auf gemeinsame Kriterien verständigen, sonst wird es keine europaweite Überprüfung geben.
Herter: Großbritannien hält eine Überprüfung für überflüssig. Ist das richtig?
Brüderle: Sie waren jedenfalls sehr skeptisch. Sie meinten, dass sie hinreichend prüfen. Aber wenn wir uns auf Kriterien verständigen, ist mein Eindruck, dass auch Großbritannien einen solchen gemeinsamen Stresstest, wie Herr Oettinger das nennt, durchführt.
Herter: Aber auf Europa können wir hier auf keinen Fall warten?
Brüderle: Wir müssen unseren Weg anpacken. Wir brauchen Europa, wir brauchen über Europa hinaus auch unsere Nachbarn außereuropäisch. Sie müssen mal sehen: Die Schweiz geht vor wie wir, nicht Mitglied der EU. Die Türkei sagt was ganz anderes, sie wollen umfassend neue bauen. Deshalb brauchen wir den Dialog auch mit den Nachbarn. Es hilft ja nichts, wenn wir in Deutschland alles optimal machen, und dann an unseren Grenzen ganz andere Maßstäbe praktiziert werden. Ich bin Rheinland-Pfälzer. Wenn ich an Trier denke, da ist Cattenom, drei französische Kernkraftblöcke mit anderen Sicherheitsstandards und Vorstellungen als in Deutschland. Hier müssen wir schon versuchen, europaweit uns anzunähern, damit auch von der Nachbarschaft keine Gefahren für unsere Bevölkerung ausgehen können und die Ängste abgebaut werden.
Herter: Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) über das Spitzentreffen zur Zukunft der deutschen Atomkraft heute in Berlin. Herr Minister, danke für das Gespräch.
Brüderle: Ich danke Ihnen.
Atomkraft - nun doch (dradio.de-Sammelportal)
Bundesamt für Strahlenschutz: Fragen und Antworten zu Japan
Vor wenigen Minuten habe ich darüber mit Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) gesprochen. Er hat am EU-Rat der Energieminister in Brüssel teilgenommen und wird heute in Berlin dabei sein. Guten Morgen, Herr Brüderle.
Rainer Brüderle: Guten Morgen!
Herter: Herr Brüderle, war das Dreimonats-Moratorium für die ältesten deutschen Atommeiler eine Sicherheitsmaßnahme, oder bloß ein politisches Signal, vielleicht gar Symbolpolitik?
Brüderle: Nein, es war schon eine Sicherheitsmaßnahme, weil wir ja nun grundlegende neue Faktoren mit einbeziehen müssen, die über die bisherigen Überlegungen hinausgehen, etwa die Fragen, ob Erdbeben doch eine Rolle spielt, Kühlsicherungssysteme, Hochwasser, Notstrom-Aggregate, Diesel-Aggregate, alles das, Cyber-Angriffe, was man bisher noch nicht in die Betrachtung einbezogen hatte, und da werden sicherlich heute auch bei der Runde im Kanzleramt weitere Berichte über die Situation in Japan folgen. Das muss man ja auch auswerten, daraus lernen, und wir haben deshalb eine gemischte Maßnahme ergriffen. Erst einmal haben wir gesagt, alle Kernkraftwerke in Deutschland werden nochmals, obwohl sie regelmäßig geprüft werden, sicherheitsüberprüft, und die ältesten, die vor 1980 gebaut wurden, die über 30 Jahre alt sind, nehmen wir sicherheitshalber für drei Monate vom Netz, bis wir diese Überprüfung durchgeführt haben.
Herter: Herr Brüderle, bleiben wir mal bei der ersten Gruppe, die, die also noch nicht vom Netz genommen werden. Wenn dieser Schritt, dieses Moratorium aus Gründen der Sicherheit nötig war, warum dauert es dann so lange, bis Sie Kriterien für eine Sicherheitsüberprüfung der Kernkraftwerke festlegen?
Brüderle: Ja das ist, weil wir eine völlig neue Situation haben. Es ist ja immer so: Bei technischen Anlagen müssen sie von irgendwelchen Prämissen ausgehen. Die Japaner hatten zum Beispiel Erdbeben einkalkuliert, aber bis zur Stärke auf der sogenannten Richterskala von acht. Jetzt hatten wir ein Erdbeben mit neun, wobei ich gelernt habe, von acht auf neun ist nicht irgendwie zehn Prozent mehr, das ist eine Potenz, da ist das Zehnfache dabei. Und daraus, diese Situation, die in Japan sich ereignet hat, gibt neue Hinweise, neue Aspekte, und so muss eine Überwachung, Begleitung auch lernfähig sein, und das kann man ja, nachdem wir ja auch nur stückweise Erkenntnisse aus Japan haben, auch die Japaner ja noch nicht offensichtlich alles wissen, wenn man das so richtig beobachtet, dann ist es nicht so leicht, aus dem Handgelenk das zu definieren und auf den Weg zu bringen.
Herter: Eines wissen wir aber ganz genau, wenn es um Flugzeugabstürze geht: Die sieben ältesten Atomkraftwerke in Deutschland sind nicht gegen Flugzeugabstürze gesichert, auch ohne neue Erkenntnisse aus Japan. Warum wollen Sie das noch überprüfen?
Brüderle: Nein, da hat man ja einige Maßnahmen ergriffen, etwa Vernebelungsanlagen, dass die Anlagen quasi dann nicht mehr erkennbar sind. Das ist bei einigen Anlagen installiert worden.
Herter: Halten Sie das für sicher?
Brüderle: Ja ich bin nicht der Fachmann für Reaktorsicherheit. Ich glaube, sicherlich besser ist, wenn man etwas nicht erkennen kann. Da ist ja die Angst auch vor Terroranschläge, vor einfachen Abstürzen. Das sind ja Sicherheitsmaßnahmen, aber nach 9/11 ist natürlich auch die Gefahr von Terroranschlägen nicht auszuschließen. Deshalb, glaube ich, ist die Vernebelungsaktion immerhin eine Möglichkeit, die zusätzliche Sicherheit dabei bringt. Aber ich sage noch mal: Wenn man jetzt so ein Ereignis hat wie in Japan, von dem viele nicht glaubten, oder alle nicht glaubten, das sei nicht möglich, dann muss man eben auch über das bisher für unmöglich Gehaltene neu nachdenken. Wir müssen ja lernfähig sein, können nicht sagen, was wir vor 30 Jahren bei der Entscheidung bei diesen alten Kernkraftwerken für richtig gehalten haben, darf heute nicht modifiziert, fortgedacht werden.
Herter: Erst Kriterien entwickeln, dann prüfen. Haben wir wirklich so viel Zeit?
Brüderle: Nun, das geht ja relativ schnell. Es wird ja heute praktisch schon eine Zusammenstellung sein, wie die Expertenkommission aussieht. Das sind ja einige Anhaltspunkte, die sich einfach anbieten, etwa dass man die schon existierende Reaktorsicherheitskommission einbezieht, Fachleute in den Ländern - die Länder haben ja die Überwachung, Begleitung und den Vollzug in diesen Maßnahmen -, und man dann schauen muss, was man noch vielleicht zusätzlich an internationalen Experten gewinnen kann. Insofern, glaube ich, ist das schon relativ schnell, wenn man das in wenigen Tagen dann jetzt heute auf die Beine stellt, angesichts der komplexen Zusammenhänge. Das ist nicht einfach mal ein links und rechts greifen.
Herter: Zeit ist Risiko, kostet aber auch Geld. Der Generalsekretär Ihrer Partei, der FDP, sagt, es komme auch auf wirtschaftliche Kriterien an. Steckt das vielleicht auch hinter den Überlegungen?
Brüderle: Ich glaube, das Oberste ist die Sicherheit - darüber sind wir uns alle einig – der Menschen im Land. Dass wir insgesamt in der Energiepolitik verschiedene Aspekte einbeziehen müssen – es war immer, die Energieversorgung muss klimafreundlich sein, sie muss sicher sein, aber sie muss auch noch bezahlbar sein, weil wir ja gesehen haben, auch schon am 1. Januar, dass schon bisher aus anderen Umständen heraus kräftige Strompreiserhöhungen waren. Man muss versuchen, das auch in einer vernünftigen Relation zu halten. Aber oberstes Kriterium ist die Sicherheit.
Herter: Das Umweltministerium hat schon Kriterien vorgelegt und Ihr Kollege Röttgen hat die Oberaufsicht für die Sicherheit der Atomkraftwerke. Damit wäre doch schon alles klar!
Brüderle: Ja. Trotzdem muss auch er zulernen, müssen wir alle zulernen, was wir als Erkenntnisse aus diesem Unfall in Japan ziehen müssen, wie man das greifbar macht und wie man es überträgt auf unsere Gegebenheiten. Wir haben keine hohe Wahrscheinlichkeit, sie ist null, dass ein Tsunami, eine Flutwelle in Baden-Württemberg oder in Bayern passiert. Aber die Faktoren, die wir gesehen haben: Sind diese Notstrom-Aggregate richtig ausgerichtet, kann, wenn Hochwasser auftritt, das auch entsprechend anspringen? Das ist ja ein Teil der Problematik in Japan offensichtlich nach dem, was man an Informationen hat. Das sind schon ein paar neue Fragestellungen, und Fragen muss man stellen, immer wieder, immer wieder neu. Menschen, auch Überwachungs- und Sicherheitssysteme müssen immer wieder sich fortentwickeln können, lernfähig sein und bleiben.
Herter: Aber das Perfekte ist manchmal der Feind des Guten. Das neue kerntechnische Regelwerk liegt in den Schubladen, bisher ohne Aussicht auf Anwendung.
Brüderle: Darüber wird sicherlich Herr Röttgen seine Einschätzung bei uns einbringen, wie weit das jetzt in der Situation ein Aspekt ist, der uns weiterhilft, wie weit wir uns auf andere Dinge konzentrieren müssen. Aber solche Neuland-Entwicklungen, wie wir sie jetzt haben, die können erst durch Fragen, durch Herantasten interaktiv erschlossen werden. Das kann man nicht wie einfache andere Abläufe so schnell mit Vorhandenem gestalten.
Herter: Es kommt auch auf andere Länder an, nicht nur auf Deutschland. EU-Kommissar Oettinger, für Energie zuständig, dem wird aus einigen Mitgliedsstaaten vorgeworfen, die Apokalypse nach Europa geholt zu haben. Sie haben an den Beratungen der Energieminister gestern teilgenommen. Was ist Ihr Eindruck? Wann kommen europäische Kriterien für die Überprüfung?
Brüderle: Also wir waren uns dort in dieser Runde einig, dass wir auch innerhalb Europas eine Überprüfung der Anlagen durchführen müssen, einen Sicherheitscheck. Wichtig ist, dass man sich auf gemeinsame Kriterien verständigt. Das wird auch Gegenstand des Europäischen Rates jetzt Ende dieser Woche sein, in Brüssel, wo quasi die Regierungschefs zusammensitzen als oberstes Organ nach den Lissabon-Verträgen, und da ist die Stimmungslage innerhalb Europas sehr unterschiedlich. Es gibt Länder wie Polen, die erklären, wir halten an Neubauplänen fest. Es gibt Länder wie Österreich, die schon keine haben und sagen, wir fordern, dass ganz Europa aussteigt. Es gibt eine mittlere Linie, die Deutschland vertritt und sagt, wir wollen es ernsthaft wieder prüfen, wo keine hohe Wahrscheinlichkeit der Sicherheit ist, wollen wir auch Entscheidungen treffen. Das ist sehr heterogen und da muss man sich denn auf gemeinsame Kriterien verständigen, sonst wird es keine europaweite Überprüfung geben.
Herter: Großbritannien hält eine Überprüfung für überflüssig. Ist das richtig?
Brüderle: Sie waren jedenfalls sehr skeptisch. Sie meinten, dass sie hinreichend prüfen. Aber wenn wir uns auf Kriterien verständigen, ist mein Eindruck, dass auch Großbritannien einen solchen gemeinsamen Stresstest, wie Herr Oettinger das nennt, durchführt.
Herter: Aber auf Europa können wir hier auf keinen Fall warten?
Brüderle: Wir müssen unseren Weg anpacken. Wir brauchen Europa, wir brauchen über Europa hinaus auch unsere Nachbarn außereuropäisch. Sie müssen mal sehen: Die Schweiz geht vor wie wir, nicht Mitglied der EU. Die Türkei sagt was ganz anderes, sie wollen umfassend neue bauen. Deshalb brauchen wir den Dialog auch mit den Nachbarn. Es hilft ja nichts, wenn wir in Deutschland alles optimal machen, und dann an unseren Grenzen ganz andere Maßstäbe praktiziert werden. Ich bin Rheinland-Pfälzer. Wenn ich an Trier denke, da ist Cattenom, drei französische Kernkraftblöcke mit anderen Sicherheitsstandards und Vorstellungen als in Deutschland. Hier müssen wir schon versuchen, europaweit uns anzunähern, damit auch von der Nachbarschaft keine Gefahren für unsere Bevölkerung ausgehen können und die Ängste abgebaut werden.
Herter: Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) über das Spitzentreffen zur Zukunft der deutschen Atomkraft heute in Berlin. Herr Minister, danke für das Gespräch.
Brüderle: Ich danke Ihnen.
Atomkraft - nun doch (dradio.de-Sammelportal)
Bundesamt für Strahlenschutz: Fragen und Antworten zu Japan