Kommentar zu Sahra Wagenknecht
Rhetorik für die Unzufriedenen

Sahra Wagenknechts "Bündnis" ist der Versuch, eine Partei zu etablieren, die auf eine einzige Person zugeschnitten ist. Offenbar will sie einen Populismus betreiben, der den politischen Betrieb verächtlich machen soll, kommentiert Johannes Kuhn.

Ein Kommentar von Johannes Kuhn |
Die Politikerin Sahra Wagenknecht
Sahra Wagenknecht verkündet ihren Austritt aus der Partei Die Linke. Ihr Bundestagsmandat will sie behalten. (picture alliance / dpa / Soeren Stache)
So quälend lang der Scheidungsprozess, so kurz und knapp an diesem Montag die eigentliche Ankündigung: Nach mehr als 30 Jahren macht Sahra Wagenknecht Schluss mit der Linken. Gemeinsam mit neun weiteren Fraktionsmitgliedern verlässt sie die Partei und fügt damit der langen Spaltungsgeschichte des linken politischen Spektrums ein weiteres Kapitel hinzu.
Sie selbst wendet sich der Zukunft zu. Die gehört dem "Bündnis Sahra Wagenknecht", kurz BSW. Das haben Wagenknecht zumindest Demoskopen und ihr Umfeld eingeredet und damit den Weg bereitet für ein Experiment, das in der Bundesrepublik in dieser Form bislang noch nie gelang: Langfristig eine Partei zu etablieren, die vollkommen auf eine einzige Person zugeschnitten ist, konkret auf Wagenknecht, auf ihre Rhetorik und ihr Charisma.
Die gute Nachricht: Die Bundesrepublik kann diese Partei mit ihren Personenkult-Zügen verkraften. Allerdings deutet sich an, dass nach der AfD auch das BSW eine Form von Populismus betreibt, der den politischen Betrieb als Ganzes verächtlich machen möchte.
Berührungsängste, wie sie hier die Linke hier an den Tag legte, kennt Wagenknecht nicht: Die Menschen fühlten sich nicht mehr vertreten, die Ampel agiere ideologisch und arrogant, politische Vernunft werde von einem autoritären Politikstil verdrängt. Wenn es so weitergehe, werde man Deutschland in zehn Jahren wahrscheinlich nicht wiedererkennen, raunte die 54-Jährige.

Alte Ideen neu kombiniert

Das ist der Sound, dessen Klang durchaus den Zeitgeist trifft. Politische Unzufriedenheit und Abstiegsängste sind groß. Daraus lässt sich aber noch nicht ableiten, wie groß der Platz wirklich ist, den die Parteienlandschaft Wagenknechts Linkskonservatismus bietet. Denn hinter der Formel "sozial- und wirtschaftspolitisch links, gesellschaftspolitisch konservativ", verbergen sich oft altbekannte Ideen, neu kombiniert.
Eine erfolgreiche Wirtschaft? Die Energiepreise mit Hilfe von Gas aus Russland senken, nebenbei für Friedensverhandlungen Putins mit der Ukraine sorgen. Bessere Bildungschancen? Mehr Geld durch Millionärssteuern einnehmen und ins System geben. Gesellschaftlicher Zusammenhalt? Die Zuwanderung irgendwie begrenzen und gegen Sprachreglementierungen kämpfen.
Das alles wird bei der Europawahl kommendes Jahr sein Publikum finden. Der gängige Politikfrust, eine traditionell geringe Wahlbeteiligung und eine niedrige Sperrklausel dürften hierfür ausreichen.
In den drei ostdeutschen Bundesländern, in denen die Wagenknecht-Partei 2024 ebenfalls antreten möchte, sieht es anders aus. Denn hier braucht es Organisation in der Fläche – eine Aufgabe, die Wagenknechts Gewährsleute übernehmen sollen.
Leicht wird das nicht: Denn mit vielen Überläufern aus der Ost-Linken braucht das BSW dabei nicht zu rechnen. Das ist einer der Erfolge, den die aktuelle Linken-Parteiführung vorweisen kann. Allerdings einer der wenigen. Denn so viel ist im Moment klar: Wagenknecht hat derzeit die Aufmerksamkeit. Die Linke dagegen den Totalschaden.