
Sahra Wagenknecht steht für kontroverse Positionen, mit denen sie in ihrer Partei und der Öffentlichkeit aneckt, wenn es etwa um den Krieg in der Ukraine und Waffenlieferungen geht. Ihrer Prominenz schadet dies indes nicht. Doch die Linkspartei, für die sie nicht mehr antreten will, tut sich schwer mit ihr. Bald könnten sie jeweils eigene Wege gehen.
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Wie realistisch ist es, dass Sahra Wagenknecht eine Partei gründet?
Selbst innerhalb der Linken gibt es unterschiedliche Ansichten, ob Sahra Wagenknecht wirklich ein eigenes Projekt startet. Ihr Parteiflügel hat indes innerhalb der Linken kaum noch Einfluss – zugehörige Gruppen wie die Sozialistische Linke oder die Karl-Liebknecht-Kreise diskutieren über Konsequenzen.
Im Hintergrund gibt es hierfür bereits konkrete Vorbereitungen für eine Abspaltung. Zumindest eine eigene Liste für die Europawahlen 2024 gilt derzeit als wahrscheinlich.
Wagenknecht steht aus ihrem Umfeld unter großem Druck, dieses Projekt anzuführen. Allerdings würde sie das nur unter bestimmten Bedingungen: Sie möchte sich auf die Rolle als mediales und politisches Gesicht der Partei konzentrieren. Das Organisatorische müssten andere übernehmen.
Derzeit ist unklar, ob die Partei wirklich flächendeckend – also in allen Bundesländern – engagierte, seriöse und glaubwürdige Akteure findet, die sich um die Kärrnerarbeit kümmern und dafür sorgen, dass eine "Wagenknecht-Partei" nicht zum Auffangbecken für problematische Figuren wird.
Für die Linke wird Wagenknecht bei der kommenden Bundestagswahl 2025 nicht mehr antreten. Der Aufforderung des Parteivorstands, wegen ihrer Gründungsüberlegungen ihr Bundestagsmandat abzugeben, hat sie bislang allerdings nicht Folge geleistet.
Wer würde sich der Wagenknecht-Partei anschließen?
Der Kern der Partei bestünde aus dem Wagenknecht-Flügel der Linkspartei, also aktuellen Bundestagsabgeordneten wie Sevim Dağdelen, Alexander Ullrich, Christian Leye oder Żaklin Nastić. Sie würden entsprechend aus der Bundestagsfraktion austreten.
Auch aus Landesverbänden wie Nordrhein-Westfalen könnte es Überläufer geben. Abwerbeversuche, die sich an Linken-Landespolitiker aus dem Osten richteten, sorgten zuletzt in der Linken-Parteispitze für Verärgerung und einen öffentlichen Bruch mit Wagenknecht.
Wie viele Wagenknecht-Sympathisanten wirklich in die neue Partei wechseln würden, ist unklar: Der Linken-Parteivorstand und die Landesverbände haben in den vergangenen Wochen und Monaten versucht, die Reihen zu schließen und damit das Signal zu senden, dass man auch ohne Wagenknecht klar kommt.
Weil Wagenknecht am Ende nicht völlig als One-Woman-Show antreten kann, werden auch Künstler und Wissenschaftler als mögliche Gründungsmitglieder gehandelt. Mögliche Kandidatinnen und Kandidaten sind die Unterzeichner der offenen Briefe gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung.
Welche Chancen hätte die Partei von Sahra Wagenknecht bei Wahlen?
In Umfragen der Meinungsforschungsinstitute Forsa und Kantar kommt eine potenzielle Wagenknecht-Partei auf ein Wählerpotenzial von 19 Prozent. Solche Werte sind allerdings mit Vorsicht zu behandeln: Ein ähnliches Potenzial wurde 2009 der Horst-Schlämmer-Partei bescheinigt, als Harpe Kerklings Kunstfigur in einem Kinofilm Politiker wurde.
Doch werden solche Umfragen im Wagenknecht-Lager als Signal gedeutet, ein weit größeres Potenzial als die linke Stammpartei zu besitzen. Die verharrt derzeit in bundesweiten Umfragen zwischen vier und fünf, zuweilen sechs Prozent.
Eine Chance besteht darin, dass sich Wagenknechts mögliche Wählerschaft nicht nur aus enttäuschten Linken-Sympathisanten zusammensetzen würde, sondern vor allem aus bisherigen Anhängern der AfD und bis zu einem gewissen Grad der CDU.
Damit könnten sich auch auf Landesebene Chancen auftun: Einer Onlinestudie des Umfrageinstituts INSA zufolge wäre eine Wagenknecht-Partei bei der Thüringer Landtagswahl im kommenden Jahr mit 25 Prozent sogar die stärkste Partei. Allerdings gilt auch hier: Solche Werte sind mit Vorsicht zu betrachten.
Wo würde die Wagenknecht-Partei inhaltlich stehen?
Sahra Wagenknecht verfolgt die Strategie eines Linkskonservatismus: Ökonomisch und sozialpolitisch wären die Unterschiede zu ihrer aktuellen Partei gering. Allerdings würde sich eine Wagenknecht-Partei wahrscheinlich noch deutlicher als Protestpartei inszenieren, mit einer Botschaft des "Wir da unten gegen die da oben".
Besonders in der Debatte über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine kritisiert sie deutlich Kiew. Außerdem stellt sie klarer als die Linke eine Mitverantwortung der NATO an der Eskalation fest.
Der große Unterschied aber wäre gesellschaftspolitisch und kulturell: Hier prägt Wagenknecht eine konservative Haltung, weshalb sie in den vergangenen Jahren immer wieder mit ihrer Nochpartei aneinandergeriet.
Die Positionen zu Migration oder Klimapolitik dürften näher an den Unionsparteien als an der Linken liegen. Das entspricht auch ihrer Kritik an der Linken, diese richte sich an ein "urbanes Milieu" und kämpfe für Interessen von "skurrilen Minderheiten" statt für die "normalen Leute". Entsprechend hat Wagenknecht neben ihrer eigenen Partei vor allem die Grünen als Hauptgegner ausgemacht.
Was würde das für die Linke und andere Parteien wie die AfD bedeuten?
Wenn die Linke in Konkurrenz zu einer Wagenknecht-Partei treten müsste, würde der Wiedereinzug in den Bundestag noch schwieriger als ohnehin schon. Außerdem würde sich die Bundestagsfraktion spalten, die Linke entsprechend zur "Gruppe" herabgestuft und so zahlreiche Rechte verlieren, die nur Fraktionen haben.
Eine Hoffnung innerhalb der Linken ist es, dass die ständigen inhaltlichen Unklarheiten und Widersprüche, die Wagenknecht personifiziert, mit einem Austritt verschwinden und dann sich die Partei als moderne, progressive linke Partei mit klarer Haltung präsentieren kann. Fraglich ist, ob das genügt, den Niedergang zu stoppen.
Für die AfD wäre eine Wagenknecht-Partei eine direkte Konkurrenz, die sie einige Prozentpunkte kosten und das eigene Wählerpotenzial unter den von der Politik Enttäuschten schmälern könnte. Sowohl der künftigen Linken als auch der AfD fehlen charismatische Figuren wie Wagenknecht.