
"Nach wie vor werden Zivilisten durch Bombardements, Luftangriffe und Anschläge getötet und verletzt. Im Nordwesten, Südwesten und im Nordosten, wo es vor kurzem besorgniserregende Zeichen von Spannungen gab, besteht die Gefahr neuer Konflikte."
Assads Lage mit Hilfe Russlands wieder gestärkt
"Es gab viele grundlegende Unterschiede in den Positionen und Ansichten im Verfassungskomitee, und es gab einige Momente, in denen die Spannungen eskalierten. Das hat mich nicht überrascht. Aber es ist positiv, dass es einige konkrete Vorschläge gab, und es hat mich ermutigt, dass die Delegationen einander zugehört haben, und zwar aufmerksam und sogar mit Respekt."
Nachdem Assad in den ersten Kriegsjahren von den Rebellen an den Rand einer Niederlage gebracht wurde, hat er seither mit Hilfe Russlands viele Gebiete zurückerobert. Heute sitzt der syrische Präsident wieder so fest im Sattel, dass der Westen das Ziel aufgegeben hat, ihn von der Macht zu vertreiben. Erst vor einigen Monaten sagte der damalige US-Syriengesandte James Jeffrey in einer Diskussionsveranstaltung des Nahost-Instituts in Washington, Amerika bestehe nicht mehr auf einem Machtwechsel in Damaskus.
Syrer leiden unter Bombenangriffen, Haft und Folter
Das macht es schwer, in Genf Vertretern dieses Regimes gegenüber zu sitzen, sagt Dima Moussa. Die 42-jährige Syrerin aus Aleppo floh nach Ausbruch des Krieges in die USA, wo sie Jura studierte. Heute gehört sie der Delegation der syrischen Opposition bei den Verfassungsgesprächen in Genf an.
"Natürlich ist es nicht leicht, mit Vertretern des syrischen Regimes an einem Tisch zu sitzen, eines Regimes, das Syrien und den Syrern das angetan hat, was wir seit zehn Jahren erleben. Viele von uns haben direkt und persönlich darunter zu leiden."
Dem Assad-Regime gehen die Argumente aus
Im neuen Jahr könnte es nun schneller vorangehen, sagt die Rechtsanwältin. Denn der Regierungsseite gehen nach ihrer Einschätzung die Argumente für eine weitere Verzögerung aus.
"In der neuen Gesprächsrunde soll es nur um Grundsätze für die Verfassung gehen, deshalb wird es ab jetzt wesentlich schwieriger, einer Diskussion über die neue Verfassung aus dem Weg zu gehen. Wir wissen natürlich nicht, was die andere Seite tun wird, aber wir werden bei den Verfassungsthemen bleiben und zudem verlangen, dass ein realistischer Zeitplan für die Arbeit des Verfassungskomitees aufgestellt wird, damit die Gespräche nicht zu lange dauern oder dazu benutzt werden, den Verfassungsprozess und den ganzen politischen Prozess lahmzulegen."
Russland könnte Assad unter Druck setzen
Druck könnte auch von anderer Seite kommen. Während Regierung und Opposition in Genf über die künftige Verfassung verhandeln, müssen sich anderswo Folterer des Assad-Regimes vor Gericht verantworten.
"Am Oberlandesgericht in Koblenz beginnt heute der weltweit erste Prozess gegen zwei mutmaßlich ehemalige Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes."
Systematische Folter in syrischen Gefängnissen
Dass in syrischen Gefängnissen systematisch gefoltert wird, ist dokumentiert. Ein syrischer Militärfotograf hat bis zu seiner Flucht im Jahr 2013 zehntausende Fotos von Folteropfern und Leichen gemacht. Der Mann ist heute unter dem Decknamen "Caesar" bekannt. Gemeinsam mit Komplizen schmuggelte er die Bilder außer Landes. In Koblenz wurden die "Caesar-Files" erstmals als Beweismittel vorgelegt. Die Niederlande wollen deswegen auch auf internationaler Ebene juristisch gegen Syrien vorgehen.
So Stef Blok, der Außenminister der Niederlande im vergangenen Sommer. Im September verkündete die niederländische Regierung dann, sie wolle Syrien gemäß des Völkerrechts zur Verantwortung ziehen. In einem kreativen juristischen Manöver nutzen die Niederlande dafür die UN-Konvention gegen Folter, so Menschenrechtsexperte Buyse:
"Warum ist die Antifolter-Konvention relevant für das syrische Regime? Nun, als Assad-Junior in den frühen 2000ern an die Macht kam, schien er geringfügige Reformen anzustreben. Es sah kurzzeitig nach einer Öffnung des Landes aus. Das war vor dem Arabischen Frühling. Damals ratifizierte die syrische Regierung die Antifolter-Konvention der Vereinten Nationen. Sie dachte wohl nicht daran, dass sie das eines Tages vor den Internationalen Gerichtshof bringen könnte. Das ist also ein alter Bumerang, der nun wieder auf das Regime zufliegt."
Vor dem Internationalen Gerichtshof
Damit unterscheidet sich der Internationale Gerichtshof vom Internationalen Strafgerichtshof, der ebenfalls in Den Haag sitzt. Dort kommen einzelne Diktatoren und Kriegsverbrecher auf die Anklagebank. Auch Assad hätten die Niederländer dort gern zur Rechenschaft gezogen. Aber Russland und auch China stimmten im UN-Sicherheitsrat 2014 gegen ein Syrien-Tribunal. Deswegen gehen die Niederländer nun den Weg über die Antifolter-Konvention und den IGH. Nach dem Versandt einer diplomatischen Note an Syrien ist es jedoch still geworden. Kein Kommentar, heißt es aus Den Haag. Der Prozess sei vertraulich. Antoine Buyse vom Zentrum für Menschenrechte in Utrecht überrascht das wenig:
"Es ist kaum etwas bekannt. Die niederländischen Behörden schweigen seit der offiziellen Mitteilung. Ich denke, sie wollen, dass der Prozess ordnungsgemäß abläuft, und spielen nach den Regeln. Dass das syrische Regime reagiert und sich ernsthaft auf Verhandlungen einlässt oder sogar Schuld eingesteht, ist aber unwahrscheinlich."
Ein Urteil wäre bindend
"Sollte der Internationale Gerichtshof die Foltervorwürfe bestätigen, kann das niemand mehr anzweifeln. Das gleiche passierte im Fall Bosnien gegen Serbien vor einigen Jahren. Damals erkannt der Gerichtshof an, dass es sich in Sebrenica um Völkermord handelte.
"Normalerweise gibt es einen geschädigten Staat. Das Gericht würde dann eine Wiedergutmachung fordern, zum Beispiel finanzieller Art. Aber die Niederländer hätten kein Recht, das einzufordern. Schließlich sind sie nicht die Geschädigten. Und angenommen das Gericht urteilt, Geschädigte in Syrien sollten Schmerzensgeld bekommen, wer zwingt Syrien dann, das auszuzahlen?"
Denn der Internationale Gerichtshof kann seine Urteile nicht selbst durchsetzen. "Der einzige Durchsetzungsmechanismus, den es gibt, ist der UN-Sicherheitsrat. Und damit obliegt die Durchsetzung des Urteils wieder ganz klar der Politik."
Hoffnung auf Gerechtigkeit
"Je mehr juristische Aktivität es gibt, als Antwort auf die Verbrechen und auf die Forderungen der Opfer, desto schwieriger ist es, alles unter den Teppich zu kehren. Die niederländische Initiative ist ein Schritt in Richtung Rechtsstaatlichkeit angesichts des fürchterlichen Leidens."
Jarrah und ihre Kollegen dokumentieren Menschenrechtsverletzungen weltweit und sprechen immer wieder mit ehemaligen syrischen Gefängnisinsassen und mit Folteropfern:
"Und sie sind dankbar für den Vorstoß der Niederlande. Und zwar aus zwei Gründen: Erstens begrüßen sie, dass der Prozess auf die Methoden des Staates abzielt und nicht nur auf kriminelle Individuen. Und sie begrüßen, dass die Niederlande quergedacht haben, um das zu ermöglichen. Diese Initiativen machen den Syrern Hoffnung auf Gerechtigkeit. Das sollte man nicht unterschätzen."
Könnten die internationalen Gerichtsverfahren also dazu beitragen, Assads Regierung bei den Genfer Verfassungsgesprächen zu mehr Kompromissbereitschaft zu bewegen? Oder könnte ein solcher Impuls von den so genannten Caesar-Sanktionen der USA kommen? Washington verfügte Strafmaßnahmen gegen syrische Unternehmen und Regierungsvertreter – darunter Assad selbst. Auslöser waren die Folter-Fotos aus den "Caesar-Files" des desertierten syrischen Militärfotografen, die auch beim Koblenzer Prozess gegen die syrischen Ex-Geheimdienstler eine zentrale Rolle spielen. Der ehemalige amerikanische Syrien-Beauftragte James Jeffrey hofft, dass die Ceasar-Sanktionen in Damaskus Wirkung zeigen.
"Das Gesetz soll den Leuten in Assads Umgebung richtig wehtun und ihnen klarmachen, dass dieser Schmerz nicht aufhören wird, wenn sie ihre Politik nicht ändern."
"Wahllose Angriffe auf Zivilisten sind Kriegsverbrechen, und die Verantwortlichen müssen dafür zur Rechenschaft gezogen werden."
Aufbereitung von Kriegsverbrechen muss in Syrien erfolgen
"Die Erfahrung zeigt, dass es nur einen Faktor gibt, der das syrische Regime zu mehr Flexibilität bewegen kann, und das ist die glaubwürdige Androhung militärischer Gewalt – und davon kann derzeit keine Rede sein. Deshalb glaube ich, dass es solche juristischen Verfahren für westliche Staaten schwieriger machen, Kompromisse mit dem syrischen Regime und Russland zu finden – und das ist meiner Meinung nach der Hauptgrund dafür, dass die syrische Opposition so viel in diese Verfahren investiert."
Unterhändlerin Dima Moussa weist zudem darauf hin, dass nach zehn Jahren Krieg viel mehr Verbrechen untersucht werden müssen, als in internationalen Verfahren behandelt werden könnten. Sie erwartet, dass die eigentliche Aufarbeitung von Kriegsverbrechen in Syrien erst nach der Einigung auf eine neue Verfassung beim Aufbau eines neuen Staates beginnen wird, also in Syrien selbst. Die internationalen Prozesse seien nicht genug.
"Insgesamt sind diese Verfahren zwar in vielerlei Hinsicht sehr wichtig, doch meiner Meinung nach erfordert der politische Prozess vor allem die Bereitschaft der syrischen Verhandlungspartner, sich zu engagieren und so die Krise zu beenden. Ohne das und ohne den Willen, eine Lösung zu finden, kann der Prozess nicht den entscheidenden Schub erhalten."