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Bürgerkrieg
Spanier und Katalanen streiten über Umgang mit Opfern

Weit mehr als 100.000 Opfer des Franco-Regimes liegen heute noch anonym verscharrt in ihren Gräbern. Während Spaniens Regierung die Fälle als verjährt betrachtet, will sich Katalonien der Vergangenheit stellen. Nicht ohne Eigennutz, sagen Kritiker.

Von Hans-Günter Kellner | 06.07.2017
    Anthropologe bei der Exhumierung von Bürgerkriegs-Opfern in Figuerola d'Orcau in der katalanischen Provinz Lleida.
    500 Gräber aus dem Bürgerkrieg auf Feldern oder in Straßengräben hat die katalanische Regionalregierung katalogisiert, um gefallene Soldaten zu exhumieren und zu identifizieren. (Hans-Günter Kellner)
    Das Krankenhaus Vall d'Hebron in Barcelona. Eine Ärztin des DNA-Programms der Gesundheitsbehörden erklärt, wie Tote genetisch identifiziert werden. Josefina Villena hört aufmerksam zu, erzählt dann von ihrem Onkel:
    "Er ist der Bruder meines Vaters. Er ist 1938 an der Front am Ebro-Strom gefallen. Jetzt, wo die katalanische Regierung die Gebeine von all diesen Leuten exhumiert, hoffen wir, ihn zu finden und wie einen Menschen bestatten zu können. Damit er nicht länger wie ein Tier in irgendeiner Grube liegt."
    Die Ärztin entnimmt der 71-Jährigen dann mit einem Wattestab einen Abstrich aus der Mundschleimhaut. Das Ergebnis der DNA-Analyse kommt in eine Datenbank und soll mit den Ergebnissen der Proben der Gebeine später exhumierter Opfer abgeglichen werden.
    Josefina Villena beim DNA-Abstrich
    Josefina Villena hofft, die Gebeine ihre Onkels zu finden. Ihr DNA-Abstrich wird mit Proben der Gebeine exhumierter Opfer abgeglichen. (Hans-Günter Kellner)
    Die Gräber aus dem Bürgerkrieg befinden sich auf Feldern, andere in Straßengräben. Mehr als 500 hat die katalanische Regionalregierung katalogisiert. Im Gegensatz zu den Nichtregierungsorganisationen in ganz Spanien, die meist nur nach Repressionsopfern suchen, wollen die katalanischen Behörden jetzt auch gefallene Soldaten exhumieren und identifizieren. Zum Beispiel in Figuerola d'Orcau:
    "Dieser Mann wurde mit dem Bauch nach unten beerdigt. Das ist eine ungewöhnliche Position, es sieht alles sehr gewalttätig aus.", erklärt eine junge Anthropologin bei der Exhumierung von 17 Soldaten in der Provinz Lleida am Fuße der Pyrenäen: "Die Arme liegen unter dem Körper. Die Beine sind gebrochen. An einem Bein Metallteile, vermutlich von einer Granate. Wahrscheinlich ist dieser Mann nach einer Explosion gestorben. Die Sohle des Schuhs liegt vollkommen unnatürlich, vermutlich war das Bein nur noch ein Bündel aus Fleisch und Uniform."
    "Alle verdienen Respekt": Nicht nur Zivilisten, auch Soldaten
    Den Historikern, die auch an der Exhumierung beteiligt sind, fallen die guten Stiefel der Soldaten auf, Löffel, Reste des Feldbestecks; Zeichen für die deutlich bessere Ausrüstung der Soldaten Francos als auf der Seite der Verteidiger der Republik. Raül Romeva, Minister der katalanischen Regierung für Auswärtige Angelegenheiten, erklärt:
    "Wir fragen nicht, woher sie kamen, welche Sprache sie sprachen, oder auf welcher Seite sie kämpften. Alle verdienen Respekt und die Leute haben ein Recht darauf, zu wissen, wo ihre Angehörigen liegen. Darum wenden wir uns auch an die internationalen Medien: Auch Angehörige der Mitglieder der Internationalen Brigaden können jetzt Suchanfragen starten. Wir sind zwar nur für Katalonien zuständig, aber das geht alle an.",
    sagt der katalanische Außenminister den internationalen Medien. Weil viele von ihnen ihre Büros in Madrid haben, hat die katalanische Regionalregierung für sie diese Pressereise organisiert. Mit großem Aufwand setzen sich die katalanischen Behörden damit von der konservativen Regierung Spaniens ab, die wiederum meint, diese Exhumierungen würden alte Wunden aufreißen, erklärt der katalanische Historiker Joan Esculies von der "Offenen Universität Kataloniens":
    "Das ist eine gute Initiative. Ich denke aber, die katalanische Regierung versucht, ein Bild von Spanien als rückständiges Land zu zeichnen, es mit der Francodiktatur in Verbindung zu bringen, indem sie sagt, die spanische Regierung ignoriere die Gräber. Katalonien wird hingegen als europäischer, demokratischer dagegengestellt. Das hat mit dem Unabhängigkeitsprozess zu tun. So gewinnt man Leute für sich, die zweifeln, ob sie lieber im derzeitigen dezentralisierten Spanien leben oder sich den Anhängern der Unabhängigkeit anschließen sollen."
    Kritiker: "Instrumentalisierung der Vergangenheitsbewältigung"
    Schließlich will die katalanische Regionalregierung am 1. Oktober über die Unabhängigkeit abstimmen lassen. Von einer Instrumentalisierung der Vergangenheitsbewältigung spricht auch Emilio Silva, der Vorsitzende der Organisation für die Wiedererlangung des historischen Gedächtnisses Spaniens.
    "Es ist unverständlich, dass es hier zu Beginn des Projekts Gebeine exhumiert werden, die niemand sucht. Es wäre doch viel dringender, die zu exhumieren, die gesucht werden. Aber wo keine Angehörigen sind, kann sich auch niemand dagegen wehren, politisch vereinnahmt zu werden. Die katalanische Regierung nimmt für sich in Anspruch, bei diesem Thema besonders weit zu sein. Aber das Baskenland, Navarra oder Andalusien exhumieren schon lange und überreichen die Gebeine den Angehörigen."
    Die 71-jährige Josefina Villena interessiert sich nicht für Politik. Sie will einfach nur die sterblichen Überreste ihres Onkels finden. "Und wenn er jetzt nicht gefunden wird, sind wir der katalanischen Regierung trotzdem sehr dankbar, es versucht zu haben. Meine Eltern und meine Onkel hätte es sehr gefreut, ihn begraben zu können."