Freitag, 29. März 2024

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Bundesaußenminister Maas (SPD) zu Libanon
"Dieses Land braucht Reformen von innen"

Nach der Explosion in Beirut und den landesweiten Protesten, sollen internationale Soforthilfen an den Libanon gezahlt werden. Neuwahlen seien aber das Mindeste, was die Bevölkerung nun erwarte, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) im Dlf. Zudem müsse es weitreichende Reformen geben.

Heiko Maas im Gespräch mit Mario Dobovisek | 10.08.2020
Heiko Maas, Bundesaussenminister, aufgenommen im Hintergrundgespräch mit Journalisten auf dem Weg nach Kairo, 28.10.2019.
Bundesaußenminster Heiko Maas (imago / photothek.net / Florian Gaertner )
Nach der verehrenden Explosion im Hafen von Beirut ist die Sorge um die politische Stabilität im Libanon groß. Auf einer internationalen Geberkonferenz wurden 253 Millionen Euro an Soforthilfen eingesammelt. Diese Hilfen sei bitter nötig, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) im Deutschlandfunk. Neben den Soforthilfen bräuchte es im Libanon auch Wirtschafts- und Finanzhilfen. Diese könnten aber nur dann gezahlt werden, wenn die Reformen, welche seit langem angekündigt, aber nie umgesetzt wurden, jetzt eingeleitet würden.
Blick auf den zerstörten Hafen von Beirut und die dahinterliegende Stadt.
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Mario Dobovisek: Herr Maas, auch Sie waren gestern als Vertreter Deutschlands der internationalen Geberkonferenz zugeschaltet. Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?
Heiko Maas: Ja, absolut. Also dass so innerhalb kürzester Zeit so viele Staaten aus allen Teilen der Welt sich daran beteiligt haben, dass letztlich über eine viertel Milliarde Euro gesammelt worden ist, um unmittelbar in Beirut, aber auch darüber hinaus, zu helfen, das ist, glaube ich, wirklich eine große Leistung der internationalen Staatengemeinschaft, und das ist aber auch bitter notwendig, wenn man sich die Lage in Beirut anschaut.
Nach den Explosionen in Beirut treffen erste Helfer ein - hier vom Libanesischen Roten Kreuz
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Dobovisek: Dabei müssen wir uns auch genau ansehen, wer auf der Empfängerseite sitzen könnte. Das Außenamt Ihres libanesischen Amtskollegen zum Beispiel wurde vorübergehend von ehemaligen Soldaten, so hieß es, und Demonstranten besetzt, andere Regierungsgebäude ebenso. Können wir überhaupt noch davon ausgehen, dass es im Libanon eine handlungsfähige Regierung gibt?
Maas: Na ja, wir haben ja in den letzten Monaten schon gesehen, dass es keine große Stabilität innerhalb der Regierung gegeben hat. Es gab ja schon im letzten Jahr Proteste, dass die Menschen auf die Straße gegangen sind gegen Misswirtschaft und Korruption. Das hat sich durch die Explosion und durch den Tod vieler Menschen natürlich noch einmal weiter verschärft. Man wird jetzt sehen, die Regierung hat ja angekündigt, einige Maßnahmen auf den Weg zu bringen.
Es stehen Neuwahlen zur Diskussion. Ich glaube, das ist auch das Mindeste, was die Bevölkerung erwartet, dass das Mandat, eine Regierung zu bilden, an die Bevölkerung zurückgegeben wird. Man wird sehen, ob das ausreichend ist, um die Proteste, die es gibt, die ja bedauerlicherweise auch Gewalt mit beinhalten, ob diese Proteste dann in konstruktive Bahnen geleitet werden können.
"Komplette Neuorientierung in der politischen Landschaft"
Dobovisek: Trotzdem mach die Regierung ja momentan keine besonders großen Anstalten, möglicherweise sofort zurückzutreten. Gleichzeitig wächst der Protest, wachsen die Demonstrationen, wächst auch die Gewalt, wie Sie es zu Recht angesprochen haben. Wie groß sind da Ihre Sorgen?
Maas: Es sind ja jetzt einige Minister schon zurückgetreten. Ich glaube, das ist eine Entwicklung, die wird sich möglicherweise fortsetzen, wenn das, was der Premierminister angekündigt hat, nämlich Neuwahlen auszurufen, wenn das der Fall sein wird, glaube ich, wird es ohnehin noch mal eine komplette Neuorientierung in der politischen Landschaft geben.
Ich glaube, eines muss klar sein, allen im Libanon, es kann nicht so weitergehen wie bisher. Also die Tatsache, dass so viel Misswirtschaft und Korruption dazu führt, dass die Menschen im Libanon leiden, das werden die Männer und Frauen auf der Straße nicht mehr bereit sein zu akzeptieren.
Also wer glaubt, das alles weiter vor sich herschieben zu können, das wird nicht funktionieren, und deshalb wird neben den Hilfen, die es jetzt unmittelbar gibt, die Hilfen, die Soforthilfen für die Katastrophe, aber alles, was darüber hinausgeht, Wirtschafts- und Finanzhilfen, ganz eng daran gekoppelt werden müssen, dass endlich die Reformen, die permanent angekündigt werden, aber die nie umgesetzt werden, jetzt auch eingeleitet werden. Deshalb, glaube ich, ist es richtig, dass die internationalen Finanzhilfen auch daran gekoppelt werden.
Dobovisek: Welche Reformen erwarten Sie von der Regierung?
Maas: Also ich glaube, es gibt erst mal ganz grundlegende Reformen, was die Regierungsführung angeht. Also wir haben dort mittlerweile so viel Misswirtschaft, und selbst diese Katastrophe, die Explosion, scheint ja auch das Ergebnis von Misswirtschaft und Nachlässigkeit zu sein. Es gibt Korruption, die muss bekämpft werden, und dann muss es wirtschaftliche Reformen geben, die ja schon lange zur Diskussion stehen, die dazu führen, dass der Libanon auch wieder interessant wird für ausländische Unternehmen, die Geld investieren in dieses Land. Dieses Interesse gibt es grundsätzlich, aber das tut natürlich nur ein Unternehmen, wenn es sich sicher ist, dass die Investitionen, die man tätigt, auch einigermaßen rechtssicher ist und nicht im Sumpf irgendwo versinkt und damit auch die komplette Investition. Also es gibt ein ganzes Bündel von Reformmaßnahmen. Ich glaube, die sind im Libanon alle bekannt. Die müssen nur mal umgesetzt werden.
Dobovisek: Viele Experten sehen vor allem den Religionsproporz im Libanon, in der libanesischen Regierung, als Problem an. Sie auch?
Maas: Also ich kann zumindest nur feststellen, dass, so wie es jetzt ist, es nicht bleiben kann. Das ist, glaube ich, auch die Meinung der Menschen im Libanon. Ich glaube, dass es nicht hilfreich ist, was den Religionsproporz angeht, von außen jetzt Ratschläge nach Beirut zu geben.
Wirtschaftliche Hilfen und Reformen
Dobovisek: Na ja, aber Sie müssen ja Bedingungen vorgeben, damit tatsächlich Finanzhilfen ausgezahlt werden können, weil ganz offensichtlich, so, wie wir beide gerade die Situation beschreiben, können Sie ja nicht Millionen oder eine viertel Milliarde einfach in den Libanon überweisen.
Maas: Also bei den Geldern geht es zunächst einmal darum, die Folgen der Katastrophe zu bekämpfen, also Sofortmaßnahmen, Wiederaufbau und alles, was dazugehört, dafür zu sorgen, dass die Stadt mit Elektrizität versorgt wird. Nur darüber hinausgehende wirtschaftliche Hilfen, die müssen an die Reformen, das sind wirtschaftliche Reformen im Wesentlichen, geknüpft werden.
Wenn es Wahlen gibt, wird man sich anschauen müssen, wie das Wahlergebnis ist. Das werden die Libanesen selber entscheiden müssen. Ich glaube, dass gewisse Mechanismen, um es mal so zu formulieren, die es bisher im Libanon gegeben hat, ich glaube, die können keine Grundlage mehr dafür sein, dieses Land vernünftig in die Zukunft zu führen, aber auch das muss im Libanon vor Ort selbst entschieden werden.
Ein Platz in der Innenstadt von Beirut ist voller Demonstranten.
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Dobovisek: Sie formulieren das jetzt sehr weich. Wie hart könnte das Europa, könnte das Deutschland in den nächsten Wochen und Monaten formulieren, damit tatsächlich etwas geschieht?
Maas: Wir werden uns das jetzt sicherlich anschauen. Ich selber werde am Mittwoch nach Beirut fliegen und dort Gespräche führen. Wir werden das noch mal mit aller Deutlichkeit dort einfordern. Wir werden den Verantwortlichen noch einmal sehr deutlich machen, dass wir bereit sind zu helfen – diese Geberkonferenz gestern hat es unter Beweis gestellt –, wir werden aber auch sagen, dass wir der Auffassung sind, dass dieses Land reformiert werden muss, dass die Korruption beendet werden muss und dass alle weiteren Mittel, die es gibt, etwa aus Europa, sicherlich auch daran geknüpft werden.
"Ich glaube nicht, dass man den Libanon alleingelassen hat"
Dobovisek: Bei gut sechs Millionen Einwohnern insgesamt hat der Libanon rund zwei Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Das wäre so, als hätte Deutschland 20, 25 Millionen Flüchtlinge aufnehmen müssen. Hat die internationale Gemeinschaft den Libanon mit seinen ohnehin schon großen, gewaltigen wirtschaftlichen Problemen in der Flüchtlingskrise alleingelassen?
Maas: Na ja, also das ist eine große Leistung, die in diesem Land erbracht wird, und ehrlich gesagt finde ich, dass das schon einer der Gründe ist, warum die internationale Staatengemeinschaft jetzt nicht tatenlos zuschauen kann. Ich glaube nicht, dass man den Libanon alleingelassen hat. Ich glaube, man wird sehr genau noch einmal darauf achten müssen, wie die Flüchtlingssituation weitergehen wird. Der Libanon ist auch strategisch ein wichtiges Land in dieser Region, die voller Konflikte ist.
Deshalb darf man den Libanon mit dieser Frage, nämlich was die Aufnahme von Flüchtlingen angeht, auch weiterhin nicht alleine lassen. Da können auch keine Gelder hin- und hergeschoben werden, aber dieses Land braucht auch Reformen von innen, damit es funktioniert, damit die Menschen das Vertrauen in die politische Führung zurückgewinnen. Ansonsten wird es dort Dauerkonflikte geben, und die werden sicherlich noch viel mehr infrage stellen, als es ohnehin schon der Fall ist.
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Durch das betrügerische Bankensystem habe die politische Elite die Menschen im Libanon in die Armut getrieben, sagte Nahost-Experte Michael Lüders im Dlf.
Dobovisek: In Libyen haben wir ganz ähnliche Situationen mit Konflikten, die Dauerkonflikte sind. Da erwägt jetzt auch Deutschland mit – das ist eine relativ neue Meldung –, Sanktionen zu beschließen gemeinsam mit der EU. Wäre das auch ein Weg für den Libanon, wenn das nicht weitergeht?
Maas: Also ich glaube, so wenige Tage nach einer solchen Katastrophe, die es ja dort gibt, jetzt mit Sanktionen zu drohen, halte ich nicht für den richtigen Weg. Ich glaube, dass die Zeichen der Zeit erkannt werden müssen. Ich glaube, das es jetzt darum geht, sofort zu helfen, die Folgen der Katastrophe zu überwinden und dann vernünftig miteinander zu reden, wie dieses Land aus seiner Dauerkrise herausgeführt werden kann und auch sehr klar zu formulieren, was man von dem Land erwartet, wenn man es weiterhin finanziell unterstützen wird.
"Dinge, die im Moment noch nicht anstehen"
Dobovisek: Das klingt alles nach pragmatischer Außenpolitik, nach partnerschaftlicher Außenpolitik. Wenn wir uns die jüngste Debatte am Wochenende anschauen, nach einer möglichen Zusammenarbeit der SPD mit der Linkspartei und den Grünen, wäre auch mit diesen beiden Partnern eine solche Außenpolitik möglich?
Maas: Es hängt von denen ab. Die Frage müssen die beantworten durch das, was sie außen- und sicherheitspolitisch vertreten. Das wollen wir mal sehen, wenn im nächsten Jahr die Wahlen dann kommen werden.
Dobovisek: Ihre beiden Parteivorsitzenden haben das als pragmatisches Bündnis bezeichnet, als progressives Bündnis, pardon. Würden Sie das auch so sehen?
Maas: Also ich glaube, das ist eine Debatte, die man irgendwann führen kann, gerade im Moment sind wir mit einer Vielzahl von Themen beschäftigt, die uns fordern und bei der auch, glaube ich, die Menschen in Deutschland die Erwartung zumindest an diejenigen haben, die in einer Regierung sitzen wie ich, dass sie sich in einer Pandemie, in einer Situation, in der es viele internationale Krisen gibt, sich um dieselben bemühen und nicht um Dinge, die im Moment noch nicht anstehen.
Dobovisek: War das eine Botschaft an Ihre beiden Parteivorsitzenden?
Maas: Nein, das war der Hinweis darauf, dass wir arbeitsteilig unterwegs sind. Diejenigen, die in der Regierung sind, haben im Moment einiges zu tun, um dazu beizutragen, dass dieses Land aus dieser Krise wieder herauskommt, und darauf konzentrieren wir uns. Dass innerhalb einer Partei natürlich Diskussionen geführt werden, wie Machtoptionen sind, das halte ich für völlig normal, und in der Arbeitsteilung ist das auch völlig in Ordnung, wie ich finde.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.