Donnerstag, 28. März 2024

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Bundespräsidentenwahl in Österreich
"Es war ein Votum gegen Rechts"

Es war ein denkbar knappes Ergebnis für den neuen österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen. Seine Wahl verdanke er vor allem jenen Wählern, "die keinen Rechtspopulisten in der Hofburg sehen wollten, und die zeigen wollten, dass Österreich weiterhin ein weltoffenes Land sein soll", sagte Alexandra Föderl-Schmid, Chefredakteurin der liberalen österreichischen Tageszeitung "Der Standard" im DLF.

Alexandra Föderl-Schmid im Gespräch mit Dirk Müller | 23.05.2016
    Der österreichische Präsidentschaftskandidat und ehemalige Grünen-Chef Alexander Van der Bellen nach der Stichwahl am Sonntag., 22.05.2016.
    Alexander Van der Bellen setzte sich mit 50,3 Prozent der Stimmen knapp gegen den FPÖ-Kontrahenten Norbert Hofer (49,7 Prozent) durch. (picture alliance / dpa / Florian Wieser)
    Dirk Müller: Alexander Van der Bellen ist der neue Bundespräsident in Österreich - unser Thema nun mit Alexandra Föderl-Schmid, Chefredakteurin der liberalen österreichischen Tageszeitung "Der Standard". Guten Abend.
    Alexandra Föderl-Schmid: Guten Abend.
    Müller: Hat das bessere Österreich jetzt gewonnen?
    Föderl-Schmid: Österreich hat sich noch einmal aufgerafft und alle Stimmen zusammengekratzt gegen Rechts. Das ist ein Votum, ein deutliches Votum, aber es war ziemlich knapp. Dass im ersten Wahlgang Hofer, der freiheitliche Kandidat, der Rechtspopulist, mit einer halben Million Stimmen vorne lag, hat vermutlich doch viele erschreckt, und der grüne Kandidat Van der Bellen konnte für den zweiten Wahlgang entscheidend mobilisieren. Es gab aber auch eine relativ breite Allianz. Einzelne Politiker der SPÖ, der ÖVP, also beider Regierungsparteien, haben dazu aufgerufen, für Van der Bellen zu stimmen, und auch die Neos und die unterlegene unabhängige Kandidatin Irmgard Griss haben gemeint, es wäre besser, für Van der Bellen zu votieren.
    Müller: Heißt das, Norbert Hofer hat im Grunde nur richtige, ehrliche Stimmen eingefangen, und Van der Bellen, der jetzt gewonnen hat, hat Leihstimmen bekommen?
    Föderl-Schmid: Nein. Diesen Begriff der Leihstimmen, glaube ich, kann man in dem Bereich nicht anwenden. Es war eine Bundespräsidentenwahl, eine Direktwahl, und beide Kandidaten haben über das bisherige bekannte Potenzial für ihre Partei hinaus Wähler anziehen können. Das heißt, beide haben, wenn Sie den Terminus verwenden möchten, sogenannte Leihstimmen bekommen, weil am Schluss einfach nur noch zwei Kandidaten übrig waren.
    Müller: Frau Föderl-Schmid, ich hatte eben gefragt, hat das bessere Österreich gewonnen, haben Sie nicht klar beantwortet. Haben die Guten jetzt gewonnen?
    Föderl-Schmid: Es war ein Votum gegen Rechts am Ende. Das hat mobilisiert.
    Müller: Also haben die Guten gewonnen aus Ihrer Sicht?
    Föderl-Schmid: Ich weiß nicht, ob das die Guten sind, die für Van der Bellen wählen. Es sind auf jeden Fall jene Österreicherinnen und Österreicher, die keinen Rechtspopulisten in der Hofburg sehen wollten, die weiterhin die proeuropäische Haltung in Österreich auch nach außen verdeutlicht sehen wollten und die zeigen wollten, dass Österreich weiterhin ein weltoffenes Land sein soll. Denn es war klar: Wenn Norbert Hofer in die Hofburg einzieht, dann ist das ein Signal in eine genau andere Richtung.
    "Selten hatte eine Wahl so unmittelbare Auswirkungen wie der erste Wahlgang"
    Müller: Aber offenbar hat die Weltoffenheit vielen in Österreich nicht gefallen, immerhin fast 50 Prozent. Was ist da falsch gelaufen in der Vergangenheit mit der viel gepriesenen liberalen Weltoffenheit?
    Föderl-Schmid: Das muss man vor allem der Bundesregierung anlasten und selten hat eine Wahl ja so unmittelbare Auswirkungen wie der erste Wahlgang. Der Bundeskanzler ist zurückgetreten und vier Minister wurden ausgetauscht. Der Denkzettel, der im ersten Durchgang ausgestellt worden ist von vielen Wählerinnen und Wählern, ist durchaus angekommen. Und das war mit ein Grund, warum einige, die vorher für Hofer votiert haben, dann im zweiten Wahlgang nicht noch einmal die blaue Karte gezückt haben.
    Müller: Demnach hatten die etablierten Parteien, die Sozialdemokraten, die Konservativen Schuld?
    Föderl-Schmid: Nicht schuld, sondern sie haben über die Jahre einfach eine Stillstandspolitik betrieben, und vielen Wählerinnen und Wählern war es ein Anliegen zu signalisieren, wir sind mit dieser Regierung, mit dieser Politik nicht zufrieden. Und so wie in Deutschland auch die Flüchtlingskrise polarisiert, und das war natürlich Wasser auf die Mühlen eines rechtspopulistischen Kandidaten.
    Müller: Sie sagen, nicht schuld. Aber haben die Etablierten, dann noch mal die nächste Frage, versagt?
    Föderl-Schmid: Ja, das muss man ganz klar und eindeutig so sehen. Das ist aber kein punktuelles Versagen, sondern eine Entwicklung, die sich in den vergangenen Jahren schon immer deutlicher von Wahl zu Wahl abzeichnet. Die Enttäuschung bei vielen, dass die Probleme im Land nicht angepackt werden. Es gibt einen Reformstau in Österreich. Das, was in Deutschland zum Beispiel unter der Regierung Schröder in Angriff genommen worden ist, die Agenda 2010, das ist etwas, was in Österreich versäumt worden ist, und der neue Kanzler hat jetzt eine Agenda 2025 in Aussicht gestellt und hat auch heute Abend gesagt, wir haben den Protest verstanden.
    Müller: Das haben ja viele Regierungen im Vorfeld oder in den vergangenen Jahren immer wieder auch getan. Das macht die Bundesregierung in Deutschland auch immer wieder. - Sie sagen, die Etablierten haben versagt. Trotzdem waren ja jetzt ganz viele sauer auf den Wahlkampf von Norbert Hofer, auf den Wahlkampf der FPÖ. Auch Sie benutzen ganz klar den Terminus Rechtspopulisten. Ist das angebracht?
    Föderl-Schmid: Ja! Nach dem, was die FPÖ an Positionen vertritt, und vor allem auch, wie sie sich im EU-Parlament einordnet. Dort sind die FPÖ-Politiker in einer Fraktion mit dem Front National, der Partei von Marine Le Pen, die ganz klar zum Ziel sich gesetzt hat eine Zerstörung der EU.
    "Die Positionen, die die FPÖ vertritt, sind rechtspopulistisch
    Müller: Das sind gerade mal zehn Abgeordnete.
    Föderl-Schmid: Ja, aber das ist trotzdem ein Signal, wenn man sich in dieser Parteienfamilie einordnet. Und die Positionen, die die FPÖ zum Beispiel in Bezug auf Ausländer vertritt, sind rechtspopulistisch. Und sie versuchen natürlich, mit Forderungen, die zum Teil nicht erfüllbar sind, auch im Sozialbereich, Wähler anzulocken.
    Müller: Frau Föderl-Schmid, dann gehen wir noch mal auf das Wahlergebnis ein. 50,3 für van der Bellen, 49,7 für Hofer. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind 49,7 Prozent der Österreicher Rechtspopulisten?
    Föderl-Schmid: Sie haben ihre Stimme für einen rechtspopulistischen Kandidaten gegeben. Ich glaube, da muss man unterscheiden. Es ist auch nicht so - und das ist die Verkürzung, die im Ausland schon auch gerne gemacht wird -, dass quasi alle, die jetzt für Hofer votiert haben, Nazis gewesen wären. Das ist eine Verkürzung, die unzulässig ist. Viele wollen eine rechte Partei, aber die FPÖ vertritt auch Linkspositionen, anders als die AfD in Deutschland. Übrigens war Frauke Petry gestern Abend bei der FPÖ-Party in Wien zu Gast. Aber anders als die AfD vertritt die FPÖ wirklich auch linke Positionen und überholt da manchmal sogar die Sozialdemokraten.
    Müller: Das heißt, so rechtspopulistisch sind die gar nicht? Die haben auch ein bisschen was Linkspopulistisches? Das hört sich ja fast an, dass man sich in der Mitte irgendwann treffen könnte.
    Föderl-Schmid: Das glaube ich nicht, weil gerade im Ausländerbereich ist das ein strammer Rechtskurs. Und insbesondere Norbert Hofer selbst ist ein Deutschnationaler. Er ist Mitglied einer schlagenden Burschenschaft, die sich "Marko-Germania" nennt, die eigentlich die österreichische Nation ablehnt. Da ist schon ein Gedankengut, das klar rechts ist.
    Müller: Bei uns heute Abend im Deutschlandfunk Alexandra Föderl-Schmid, Chefredakteurin der liberalen österreichischen Tageszeitung "Der Standard".
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.