Freitag, 10. Mai 2024

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Bundesregierung gegen Ausnahmeregelung beim Internationalen Strafgerichtshof

Peter Lange: Noch in der vergangenen Woche hatten die USA ultimativ damit gedroht, ihre Truppen aus internationalen Missionen zurückzuziehen, wenn der Weltsicherheitsrat amerikanischen Soldaten nicht weiterhin strafrechtliche Immunität vor dem internationalen Strafgerichtshof gewährt. Die Ausnahmeregelung läuft demnächst aus und soll, wenn es nach UNO-Generalsekretär Annan geht, nicht verlängert werden. Der Sicherheitsrat hält dem Druck aus Washington nun offenbar auch stand, und wohl deshalb hat die amerikanische Regierung offenbar einen Rückzieher gemacht und Kompromissbereitschaft signalisiert. Keine generelle Ausnahmegenehmigung mehr, nur noch eine einmalige Verlängerung um ein Jahr. Haben die Foltervorwürfe die USA damit ein weiteres Mal in der UNO isoliert? Frage an Karsten Voigt, den Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen.

Moderation: Peter Lange | 23.06.2004
    Karsten Voigt: Also sicherlich hat bei dem einen oder anderen Land diese Frage eine Rolle gespielt. Bei der deutschen Bundesregierung war es ganz eindeutig so, dass unsere sehr engagierte Haltung bei der Unterstützung des internationalen Strafgerichtshofes die ausschlaggebende Rolle gespielt hat, die dazu geführt hat, dass wir in der Vergangenheit dem amerikanischen Anliegen nicht Rechnung getragen haben und nicht für diese Ausnahmeregelung eingetreten sind.

    Lange: Aber es ist doch jetzt absehbar schon ein großer außenpolitischer Flurschaden für die USA entstanden.

    Voigt: Das müssen die USA letzen Endes selber beurteilen. Ich kann nur sagen und eigentlich nur voraussehen, dass auch jetzt die Bundesregierung sich nicht in der Lage sehen wird, dem amerikanischen Wunsch Rechnung zu tragen. Wir bedauern das natürlich, weil wir ja auch an guten Beziehungen zu den USA interessiert sind. Aber genau so wie der UNO-Generalsekretär Annan sehen wir eigentlich keinen Anlass, hier eine Ausnahme, die im Widerspruch zu den Regelungen des Strafgerichtshofes steht, zu unterstützen.

    Lange: Also auch keine einmalige Verlängerung um ein Jahr?

    Voigt: Soweit ich das beurteilen kann, hat sich an dieser Haltung der Bundesregierung nichts geändert.

    Lange: Meinen Sie, dass damit der prinzipielle Widerstand der USA gegen den Strafgerichtshof gebrochen ist?

    Voigt: Das, fürchte ich, ist leider nicht der Fall. Ich sehe, dass in den USA diejenigen, die den Strafgerichtshof unterstützen wollen, immer noch in der Minderheit sind, und sicherlich sind sie es auch in der gegenwärtigen Bush-Administration.

    Lange: Was ist denn Ihr Eindruck? Reden wir zur Zeit über Einzelfälle von Misshandlungen oder über ein System von Folter oder folterähnlichen Praktiken, gebilligt oder sogar verlangt von höchsten Regierungsstellen der USA?

    Voigt: Ich glaube, das ist eine der guten Seiten dieser an sich ja sonst scheußlichen Vorwürfe. Die gute Seite ist nämlich, dass die amerikanische Öffentlichkeit und jetzt auch der US-Kongress, sich mit den Vorwürfen im Detail beschäftigt, und dass der Wunsch nach völliger Aufklärung in Amerika dominiert. Und da werden wir auch alles erfahren und haben es zum Teil schon erfahren, wer verantwortlich ist. Es zeigt sich, dass es nicht nur Ausschreitungen von Einzelnen waren, sondern dass es im System selber sozusagen Hinweise gibt, dass diese Folter toleriert wenn nicht sogar angeordnet worden ist. Auf welcher Ebene diese Entscheidungen getroffen sind, das ist etwas, was noch nicht endgültig geklärt ist und was ja gegenwärtig im Kongress und durch die Öffentlichkeit versucht wird rauszufinden.

    Lange: Immerhin musste jetzt Donald Rumsfeld, der Verteidigungsminister, einräumen, dass er zumindest zeitweise aggressive Verhörmethoden, wie man das nennt, für die Gefangenen von Guantanamo angeordnet hat. Ist es jetzt nicht langsam für George Bush an der Zeit, sich von Rumsfeld zu trennen, um nicht selber da mit hineingezogen zu werden?

    Voigt: Also ich halte überhaupt nichts davon, wenn ich als Deutscher mich an die Stelle der amerikanischen Öffentlichkeit und des US-Kongresses setze. Über die Frage des Rücktrittes von Ministern in den USA wird in den USA entschieden, so wie auch über die Frage des Rücktrittes von Ministern in Deutschland in Deutschland entschieden wird. Ich halte nichts davon, wenn ich als jemand, der auch noch zusätzlich in der politischen Landschaft verortet ist und sozusagen in enger Kooperation mit der Regierung steht, jetzt irgendwelche Ratschläge irgendwelcher Art in dieser Richtung in die USA hineingebe.

    Lange: Sie sind häufig in den USA. Wie beurteilen denn Ihre Gesprächspartner die langfristigen Folgen des Folterskandals?

    Voigt: Also man muss wissen, dass die Amerikaner in gewisser Weise über diese Vorwürfe noch mehr erschüttert sind als wir. Das geht tief an das eigene Selbstverständnis, gerade weil sie doch geglaubt haben, nicht nur gegen das Böse, sondern auch für das Gute im Irak einzutreten mit dem Irakkrieg, der zur Beseitigung Saddam Husseins geführt hat. Gerade deshalb sind sie in ihrem Selbstvertrauen und ihrem Selbstimage erschüttert, wenn sie diese Bilder sehen, und sie sehen dieses Verhalten der Folterer als unamerikanisch an und verlangen auch eine Bestrafung und hoffen, dass die Aufklärung der Hintergründe das Image der USA nicht nur im eigenen Lande, sondern auch in Europa und in der islamischen Welt wieder verbessern wird. In Amerika wird dieser Wunsch sicherlich erfüllt werden. In Europa wird er hoffentlich erfüllt werden, zumindest zum Teil erfüllt werden. In der islamischen Welt sehe ich leider dafür keine Chancen.

    Lange: Aber ist das nicht ein bisschen blauäugig? Die älteren Zeitgenossen können sich zum Beispiel daran erinnern, dass es in der Panama-Zone eine regelrechte Folterschule des US-Militärs gab. Das hat doch auch unheilige Traditionen gegeben.

    Voigt: Ich würde das mal jetzt nicht auf die Amerikaner spezifisch konzentrieren wollen. Der deutsche Militärtheoretiker Clausewitz hat schon früher einmal geschrieben, dass eine der wichtigsten Aufgaben im Krieg es sei, nicht nur die Dominanz der Eskalation gegenüber dem Gegner aufrechtzuerhalten, sondern dass es sehr wichtig sei, um Frieden stabilisieren zu können, dass man die Tendenz zur Eskalation der Gewalt auf der eigenen Seite kontrolliere. Das war für ihn eine wichtige nicht nur moralische Forderung, sondern auch eine strategische Forderung, weil die Kontrolle der Gewalt auf der einen Seite wieder eine Voraussetzung ist, um später einen Frieden zu etablieren mit Einverständnis des Besiegten. Dieser wichtiger Grundsatz von Clausewitz, die Kontrolle der eigenen Gewalt, der Tendenz zur Eskalation der Gewalt auf der eigenen Seite, auch durch scharfe Kontrollmaßnahmen, die solche Übergriffe unmöglich machen, ist vernachlässigt worden.

    Lange: Vielen Dank für das Gespräch.