Freitag, 29. März 2024

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Bundesregierung und Energie-Geschäfte
"Nibelungentreue zu Nord Stream 2 aufgeben"

In der Diskussion über die umstrittene Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 hat Oliver Krischer (Grüne) im Dlf erneut die Einstellung des Projekts gefordert. Ein Festhalten an fossilen Energien widerspreche den Klimazielen der Bundesregierung.

Oliver Krischer im Gespräch mit Christoph Heinemann | 01.04.2021
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Oliver Krischer, Fraktionsvize der Grünen im Bundestag (Deutschlandradio)
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) soll den USA im Herbst letzten Jahres angeboten haben, parallel zum Bau der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 den Import von amerikanischem Erdgas über die Nordsee zu unterstützten. Laut Presseberichten will er den Bau von LNG-Terminals mit bis zu einer Milliarde Euro Steuergeld fördern, sofern die USA im Gegenzug ihren Widerstand gegen Nord Stream 2 aufgeben und Sanktionen zurückziehen. Die USA und andere EU Staat fordern die Einstellung des Projekts, weil es zu einer zu großen Abhängigkeit Europas von russischem Gas führe.

Europäische Partner werden vor den Kopf gestoßen

Oliver Krischer Fraktionsvize der Grünen im Bundestag, spricht im Dlf von einem "doppelt schmutzigen Deal." Gas sei ein fossiler Energieträger und schon Nord Stream 2 sei eine Wette gegen den Klimaschutz. "Wenn man sagt, wir bauen hier jetzt Flüssiggasterminals, um schmutziges Fracking-Gas aus den USA zu importieren, dann können wir unsere ganze Klimaschutzpolitik vergessen", kritisiert Krischer.
Die Pipeline stoße zudem europäische Partner vor den Kopf. Krischer forderte die Bundesregierung auf, ihre "Nibelungentreue zu Nord Stream 2 und dem russischen Präsidenten Putin" aufzugeben.
Tanker, Flüssigerdgastanker LNG Liquefied Natural Gas, Teneriffa, Kanarische Inseln, Spanien, Europa *** Tanker liquefied natural gas tanker LNG Liquefied Natural Gas Tenerife Canary Islands Spain Europe Copyright: imageBROKER/MichaelxWeber iblimw04757180.jpg Bitte beachten Sie die gesetzlichen Bestimmungen des deutschen Urheberrechtes hinsichtlich der Namensnennung des Fotografen im direkten Umfeld der Veröffentlichung!
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Das Interview im Wortlaut:
Christoph Heinemann: Herr Krischer, welche Auskünfte haben Sie von Olaf Scholz bisher erhalten?
Oliver Krischer: Offen gesagt gar keine. Olaf Scholz schweigt zu dem ganzen Vorgang. Er bestreitet ihn aber auch nicht. Den Brief an den Finanzminister der Regierung Trump von ihm aus dem Jahr 2020, den hat es gegeben, und da macht er eigentlich ein unglaubliches Angebot. Er sagt, wir geben eine Milliarde öffentliches Geld, damit amerikanisches Fracking-Gas nach Deutschland importiert werden kann, wenn die Amerikaner, Trump im Gegenzug den Widerstand gegen Nord Stream 2 aufgibt. Eigentlich ein doppelt schmutziger Deal auf Kosten des Klimaschutzes und der europäischen Integration. Aber leider erteilt Herr Scholz niemandem weitere Auskünfte, was ihn dazu eigentlich getrieben hat.

"Nord Stream 2 ist eine Wette gegen den Klimaschutz"

Heinemann: Warum ist das ein unglaublicher Deal?
Krischer: Na ja, es ist so, dass Gas ja ein fossiler Energieträger ist, und schon Nord Stream 2 ist eine Wette gegen den Klimaschutz. Nord Stream 2 über die langen Jahrzehnte, die so eine Pipeline betrieben werden muss, würde dazu führen, dass wir unsere Klimaziele nicht erreichen. Und wenn man dann auch noch sagt, wir bauen jetzt hier LNG-Terminals, Flüssiggas-Terminals, um schmutziges Fracking-Gas aus den USA zu importieren, dann können wir unsere ganze Klimaschutz-Politik vergessen. Das ist schon unverantwortlich und passt zu dem überhaupt nicht, was Olaf Scholz in Sonntagsreden sagt, wo der Klimaschutz das Maß der Dinge ist.
Heinemann: Was stört Sie, das Gas oder die Geheimniskrämerei? Das habe ich noch nicht verstanden.
Krischer: Es stört beides. Der Deal selber ist unverantwortlich, hier fossile Energien auch noch mit öffentlichem Geld, mit einer Milliarde zu subventionieren. Das Gegenteil sollte eigentlich passieren. Aber dass Olaf Scholz nicht mal den Mut hat, hierzu offen zu stehen – der Brief ist öffentlich geworden, aber von ihm selber ist da nichts Qualifiziertes zu hören. Er beantwortet gar nicht, auf welcher Rechtsgrundlage er das gemacht hat. Wir haben in verschiedenen Ausschüssen dazu nachgefragt. Wir haben dazu eine Plenardebatte gemacht. Aber Olaf Scholz schweigt. Stattdessen weiter die Nibelungen-Treue der Bundesregierung zu Putin und Nord Stream 2.
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"Wir verstoßen gegen unsere eigene Klimaschutz-Politik"

Heinemann: Herr Krischer, man kann ja über Nord Stream 2 denken wie man will. Die Bundesregierung befürwortet das. Ist es nicht die Aufgabe eines Bundesministers, sich für die Interessen des Landes einzusetzen?
Krischer: Na ja. Nord Stream 2 ist nicht im Interesse der Bundesrepublik.
Heinemann: Das sagen Sie!
Krischer: Aber den politischen Schaden, den diese Pipeline schon verursacht hat – selbst wenn sie nachher nützen würde, das kann das überhaupt nicht mehr aufwiegen.
Heinemann: Welcher Schaden ist denn entstanden?
Krischer: Der Schaden ist entstanden, dass wir unsere europäischen Partner seit Jahren mit diesem Pipeline-Projekt vor den Kopf stoßen. Das Pipeline-Projekt hat lange Zeit gegen europäisches Recht verstoßen. Wir verstoßen gegen unsere eigene Klimaschutz-Politik, die wir eigentlich auf europäischer Ebene voranbringen sollten, und die Liste kann man weiter fortsetzen. Deshalb habe ich kein Verständnis dafür, dass die Bundesregierung immer noch bei Nord Stream 2 dieses Projekt weiter unterstützt – übrigens ja auch die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern mit Manuela Schwesig.
Aber dann noch zu sagen, wir geben eine Milliarde obendrauf, damit die USA ihre Sanktionsdrohungen zurückziehen, damit schmutziges Fracking-Gas importiert werden kann, das mindestens bräuchte einen Beschluss des Parlaments, das bräuchte eine haushaltsrechtliche Grundlage, wenn man so was tut. All das gibt es nicht. Es gibt auch keine politische Debatte dazu.
Heinemann: Das heißt, die Grünen würden vor diesen Sanktionsdrohungen einknicken?
Krischer: Die Sanktionsdrohungen der Amerikaner sind nicht der entscheidende Grund. Nord Stream 2 ist ein falsches Projekt.

"Nibelungen-Treue zu Putin und Nord Stream 2 beenden"

Heinemann: Die haben Sie gerade als entscheidenden Grund genannt.
Krischer: Nord Stream 2 ist ein falsches Projekt. Wir lehnen dieses Projekt, wie übrigens Herr Beyer, der transatlantische Koordinator der Union, oder Herr Röttgen, der Vorsitzende des Auswärtige Ausschusses auch, seit Jahren ab und fühlen uns auch dadurch bestätigt. Die Sanktionsdrohungen der USA sind an der Stelle unverantwortlich und unüblich. Das ist richtig. Aber man kann ja nicht das Umgekehrte machen und sagen, man reagiert dann darauf, indem man den Amerikanern eine Milliarde gibt und versucht, sich quasi da rauszukaufen. Das kann auch nicht die politische Antwort sein.
Heinemann: US-Außenminister Antony Blinken hat mit Heiko Maas über Nord Stream 2 gesprochen und aus Berlin wurde anschließend berichtet, die Bundesregierung gehe jetzt eigentlich gar nicht mehr davon aus, dass die Biden-Regierung eine Eskalation anstrebe. Löst sich das Probleme gerade von allein?
Krischer: Den Eindruck habe ich nicht. Die Biden-Administration hat ihre ablehnende Haltung bekräftigt. In den USA ist diese Kritik an Nord Stream 2 parteiübergreifend. Ich kritisiere absolut, dass das zu Sanktionsdrohungen führt. Das darf nicht zwischen demokratischen Staaten so passieren. Aber man kann nicht damit rechnen, dass Biden jetzt das Projekt so durchlaufen lassen sollte, und deshalb wäre die Bundesregierung gut beraten, ihre Nibelungen-Treue jetzt zu Putin und Nord Stream 2 endlich zu beenden.

Nord Stream: Auch Thema einer zukünftigen Bundesregierung

Heinemann: Herr Krischer, würde nach der Bundestagswahl eine Koalition mit den Grünen an Nord Stream 2 scheitern?
Krischer: Na ja. Wir werden wie über vieles auch mit wem auch immer über dieses Projekt reden müssen, weil es kann nicht sein, dass wir auf der einen Seite Herrn Putin kritisieren, mit Sanktionen belegen, aber da, wo es ihn wirklich trifft, nämlich bei Nord Stream 2, da, wo wir über den Gasimport dieses System Putin, der ja Gegner verhaften und sogar ermorden lässt, da, wo es ihn richtig treffen würde, dass wir an der Stelle nichts machen. Deshalb muss an der Stelle Nord Stream auch ein Thema sein einer zukünftigen Bundesregierung.
Heinemann: Herr Krischer, ich habe jetzt kein Nein gehört.
Krischer: Na ja. Koalitionsverhandlungen führt man immer dann, wenn sie anstehen, und eine Bundestagswahl ist in sechs Monaten. Ich erlebe in der Union einen Teil, der Nord Stream 2 ablehnt, Herr Röttgen, Herr Beyer. Ich erlebe eine SPD und eine Linke, die eine Nibelungen-Treue hat. Und mit wem man überhaupt Koalitionsverhandlungen führt, das wird man dann sehen. Wir kämpfen seit Jahren dafür, dass Nord Stream 2 nicht in Betrieb geht, weil es eine Wette gegen den Klimaschutz ist, weil es Europa spaltet, und das wird natürlich auch Thema in Gesprächen zwischen Parteien wo und wann auch immer sein. Das ist auch immer wieder Thema im Bundestag, also am Ende auch in Koalitionsgesprächen.

Forderung der Grünen: Kein Betrieb von Nord Stream 2

Heinemann: Was ist Ihr Protest gegen Nord Stream 2 wert, wenn Sie das nicht definitiv ausschließen können, auch gegenüber Ihren Wählerinnen und Wählern?
Krischer: Na ja. Am Ende müssen wir gucken, dass Nord Stream 2 nicht in Betrieb geht. Dafür kämpfen wir Grüne. Wir prüfen und würden das auch von der Bundesregierung mal erwarten eine ernsthafte Möglichkeit, wie man tatsächlich dieses Projekt auch noch stoppen kann. Wir haben dazu Vorschläge gemacht und dafür werden wir an allen Stellen – das tun wir seit Jahren – kämpfen, dass das am Ende umgesetzt wird, dass diese Pipeline nicht in Betrieb geht, dass hier das nicht gegen den Klimaschutz laufen kann.
Heinemann: Dass die Grünen am Ende umfallen, ist aber dennoch möglich?
Krischer: Herr Heinemann, ich kann Ihnen doch jetzt nicht vorweggreifen, was am Ende eine zukünftige Bundesregierung macht, wo wir noch nicht mal eine Wahl haben, und ich kann Ihnen auch nicht sagen, was eine zukünftige Bundesregierung machen wird, wenn ich nicht mal weiß, aus welchen Parteien die bestehen wird. Insofern kann ich Ihnen an der Stelle nur sagen, dass Bündnis 90/Die Grünen bei dem Thema seit Jahren auf allen Ebenen eine klare, eindeutige Position vertreten. Die werden wir auch in Zukunft vertreten wie in allen anderen Themen auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.