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Bundestagswahl
Das Programm von CDU/CSU

Die Wahlprogramme als politische Literatur: Unsere Korrespondenten haben alle Papiere der chancenreichen Parteien gelesen und ordnen sie nach bestimmten Kriterien ein. Nicht zuletzt interessieren uns der Stil und die Ansprechhaltung. Sechster Teil: CDU/CSU.

Von Catrin Stövesand | 04.09.2017
    Merkel und Seehofer mit Parteigrogramm vor Kameras
    Angela Merkel und Horst Seehofer mit dem Wahlprogramm von CDU/CSU (imago / Thiel)
    1. Die Schwerpunkte
    Beachtlich: Punkt 1 lautet Vollbeschäftigung bis zum Jahr 2025.
    Das eigentliche SPD-Thema Arbeit bekommt also einen Spitzenplatz:
    Wohlstand und Wirtschaftswachstum - die Themen, die man eigentlich ganz oben auf der Unionsagenda kennt, haben zwar im Fließtext immer noch Priorität, in den Überschriften sind sie jedoch nicht mehr so prominent.
    "Unser Wohlstand und unsere Lebensqualität hängen wesentlich vom stetigen und nachhaltigen Wachstum unserer Wirtschaft ab. Sie muss international wettbewerbsfähig bleiben, ihre Fähigkeit zur Innovation ausbauen und ausreichend neue Arbeitsplätze schaffen. [...] Wir sind überzeugt, dass wir mehr von Wirtschaft, Wachstum und Arbeitsplätzen verstehen als andere."
    Weitere Schwerpunkte liegen auf Familienförderung, Sicherheit innen wie außen, Unterstützung der Landwirtschaft sowie Digitalisierung. Trotz "Klimakanzlerin" fällt der Part Klimaschutz mit zweieinhalb Seiten recht mau aus.
    Ohnehin heißt der eigentliche Schwerpunkt des Programms Angela Merkel: "Wir werben um ein starkes Mandat für einen neuen Regierungsauftrag: [...] Damit Angela Merkel Bundeskanzlerin unseres Landes bleibt."
    2. Die Gesellschaft
    "Ein gutes Land in dieser Zeit" - Was so ähnlich klingt wie ein bekanntes Volkslied, schafft auch den Rahmen für die Gesellschaft, wie sie nach Ansicht der Union in diesem Land funktionieren soll. Eine heile Welt: Entfaltungsmöglichkeiten für alle, d.h. Chancengleichheit - allerdings mit besonderem Augenmerk auf Familien - und Kinder, wie es im Programm heißt.
    "Familien und Kinder sind unser großes Glück. Wenn zwei Menschen füreinander da sind und Verantwortung übernehmen, leisten sie einen Beitrag zu einer menschlichen und stabilen Gesellschaft. Wo immer Menschen Verantwortung für Kinder und ihre Erziehung übernehmen, leisten sie einen wertvollen Beitrag für unsere gemeinsame Zukunft. Es ist eine große Ermutigung, dass gerade junge Menschen dazu zunehmend bereit sind und dass die Zahl der Geburten wieder steigt. Ehe und Familien zu fördern, bleibt für uns eine der wichtigsten Aufgaben des Staates. [...]
    Wir schreiben Familien kein bestimmtes Familienmodell vor. Wir respektieren die unterschiedlichen Formen des Zusammenlebens."
    Konkret heißt das: Kinderfreibetrag erhöhen, mehr Geld für Betreuung, Wohneigentum für Familien fördern, Teilzeitbeschäftigung erleichtern.
    3. Die Kosten
    Angela Merkel: "So’n Regierungsprogramm aufzuschreiben ist ja interessant. Was macht man, wenn man soundso viele Milliarden Freiräume hat? Hier können Sie einfach nochmal ein bisschen träumen, was Sie glauben, was für die nächsten vier Jahre notwendig ist."
    Ein wahres Füllhorn an Wohltätigkeiten wird in diesen Träumen ausgeschüttet. Wo es an Visionen fehlt - wird bei den möglichen Förderungen und Subventionen für jedermann nicht gegeizt. Eben ein Wahlprogramm für alle: Ärztliche Versorgung im ländlichen Raum absichern, superschnelles Internet in allen Regionen, Förderung von Unternehmensansiedlung in wirtschaftsschwachen Regionen, Steuersenkungen für die arbeitende Mitte der Gesellschaft und und und.
    Das Programm enthält aber auch gewissermaßen ein Schäuble-Kapitel - Überschrift: Solide Staatsfinanzen
    "Wir versprechen für die kommende Regierungsperiode:
    •Auch in den kommenden vier Jahren halten wir die Schuldenbremse des Grundgesetzes ein.
    •Wir werden im Bundeshaushalt auch weiterhin keine neuen Schulden aufnehmen. [...]
    •Mittel- und langfristig wollen wir auch vorhandene Schulden tilgen."
    Das geht nicht so ganz zusammen mit dem restlichen ambitionierten Förderprogramm - wir dürfen gespannt sein. Damit wären wir auch schon bei:
    4. Die Praxis
    "Heute leben wir im schönsten und besten Deutschland, das wir je hatten."
    Ausgehend von dieser Behauptung aus der Einleitung des Programms ist mit Blick auf die Zukunft natürlich vieles, wenn nicht alles möglich. Aber wie schon bemängelt, das undifferenzierte Allerlei an Vorhaben klingt nur in Teilen umsetzbar. In Regierungsverantwortung wird ja ohnehin noch mindestens ein Koalitionspartner mitreden. Wenig realistisch wird es, wenn sich die Vorhaben in verschiedenen Absätzen widersprechen - zwei Beispiele:
    1. "Wir treten für die Bewahrung der Schöpfung ein. [...] Die Weiterentwicklung im Tierschutz muss praxistauglich sein."
    2. "Marktpreise müssen fair sein und den Erzeugern ein auskömmliches Einkommen ermöglichen. [...] Wir stehen [...] für die Beibehaltung des 2-Säulen-Modells. Wir treten auch nach 2020 für die Fortführung der Direktzahlungen ein."
    Allerdings findet sich im Programm für alles auch für dieses Problem ein Argument: "Die Stärke unserer Politik liegt im Zusammenführen von vermeintlichen Gegensätzen."
    5. Der Stil
    Es gibt eine sprachliche Analogie zum Programm der Linken - "gut" ist ein prägender Begriff: gutes Land, gute Arbeit, gute Zukunft. Und da sind wir dann - bei aller Anerkennung für einfache Sprache - auch schon bei den Patzern: "Gute Zukunft für morgen"? Solche stilistischen Ärgernisse wirken genauso achtlos zusammengestellt wie die unzähligen Floskeln, Allgemeinplätze und die schon genannten Widersprüche, um eben alles abzudecken - für alle.
    Überzeugend ist das nicht, von mitreißend oder motivierend ganz zu schweigen. Es scheint, als habe die Union mit dem Untertitel "Regierungsprogramm" ihrer Ansicht nach schon alles Nötige gesagt. Das Kleingedruckte - Nebensache. Schade für den, der so träumt.
    Das Wahlprogramm der CDU/CSU zum nachlesen