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Bundestagswahl
"Teile der Linkspartei sind weder regierungswillig noch regierungsfähig"

Hubertus Heil hält eine rot-rot-grüne Koalition nach der Bundestagswahl gegenwärtig nicht für möglich. Der Grund: Besonders der Linkspartei sei Skepsis angebracht. Ein Partner der Sozialdemokraten müsse verlässlich und proeuropäisch sein sowie für wirtschaftlichen Erfolg und soziale Gerechtigkeit kämpfen, sagte der SPD-Fraktionsvize im Deutschlandfunk.

Hubertus Heil im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Hubertus Heil.
    Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Hubertus Heil. (Imago / IPON)
    Deshalb könne er es verstehen, wenn Wähler der Linkspartei skeptisch gegenüberstünden. Heil schloss zwar keine Koalition aus, nannte aber Bedingungen, unter denen die SPD Bündnisse eingehen würde. Diese Fragen müsse die Linkspartei vor einer möglichen rot-rot-grünen Koalition für sich klären.
    Der Linken-Politiker Lafontaine hatte seinerseits gefordert, dass sich die SPD wieder stärker um soziale Gerechtigkeit kümmern müsse. Er kritisierte erneut die sozialen Folgen der Agenda 2010.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Christiane Kaess: Es geht sicher auch um eine ehemalige Männerfreundschaft, die zur Feindschaft wurde, und um verletzte Gefühle. Aber im Schlagabtausch zwischen Oskar Lafontaine von der Linken und Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder von der SPD werden auch einmal mehr die unterschiedlichen politischen Vorstellungen klar, an denen die Freundschaft damals zerbrach, als Lafontaine die SPD verließ. In der "Welt am Sonntag" ließ dieser nun wissen, Schröder habe bis heute nicht begriffen, warum Die Linke gegründet werden musste, nämlich gegen Lohndrückerei und Rentenkürzungen. Wenn die SPD eine Chance haben will, so Lafontaine, dann muss sie den Sozialstaat erhalten und ausbauen, nicht zerstören.
    – Am Telefon ist Hubertus Heil. Er ist Mitglied im Parteivorstand der SPD und stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im Bundestag. Guten Morgen, Herr Heil!
    Hubertus Heil: Schönen guten Morgen. Ich grüße Sie.
    Kaess: Hatten Sie bisher auch nicht verstanden, warum Die Linke gegründet werden musste?
    Heil: Es gibt ja sehr unterschiedliche Gründe, wie die Linkspartei entstanden ist, in der Tradition im Osten und dann in der Auseinandersetzung um die Agenda 2010. Das ist alles bekannt. Aber wir brauchen keine Belehrung von Oskar Lafontaine.
    Kaess: Was heißt das?
    Heil: Der soll sich um seine eigene Partei kümmern. Da gibt es ja genug zu diskutieren auch in der Linkspartei. Das sind politische Wettbewerber und das sind ja sehr durchsichtige Rufe von der Seitenlinie. Die Linkspartei muss für sich Klärungsprozesse durchlaufen. Das hat sie bisher in vielerlei Hinsicht nicht getan. Wir kämpfen für eine starke SPD, das ist das, worauf wir uns konzentrieren. Und wir werden uns nicht auf solche Debatten einlassen.
    Kaess: Lafontaine nimmt ja ganz offenbar Kanzlerkandidat Schulz sein Engagement für die Gerechtigkeit nicht ab. Und er liefert auch eine stichhaltige Begründung, nämlich dass Schulz bei seiner Antrittsrede gesagt hat, Schröder habe mit der Agenda 2010 Deutschland so reformiert, dass heute alle noch davon profitieren. Also gibt es doch nichts zu verbessern?
    Heil: Na ja, das ist eine sehr simple Sicht der Dinge, das gegeneinanderzuhalten. Tatsache ist, die Strukturreformen waren damals notwendig und richtig. Wir hatten fünf Millionen Arbeitslose. Wir hatten eine Situation, dass ein Reformstau in der Regierungszeit von Helmut Kohl aufgelaufen war, den es galt, aufzulösen. Und das hat Deutschland vorangebracht. Da sind auch Dinge schiefgelaufen, gar keine Frage. Die musste man korrigieren und weiterentwickeln, das haben wir getan. Aber die Debatte ist eine der Vergangenheit. Wir reden ja jetzt über die Frage, was ist in den 20er-Jahren, was sind die Aufgaben unserer Zeit. Und wir haben heute ganz andere Bedingungen, über die wir reden. Damals hatten wir fünf Millionen Arbeitslose, heute haben wir einen Fachkräftemangel, über den zu reden ist. Und die Kraft, die jetzt wirtschaftliche Vernunft mit sozialer Gerechtigkeit zu verbinden hat, ist wiederum die SPD. Und darauf konzentrieren wir uns.
    Kaess: Und Schulz' Einsatz für Gerechtigkeit, kann der glaubhaft sein, wenn er gleichzeitig an der Agenda 2010 festhält und sie auch lobt? Ich möchte noch einmal Herrn Lafontaine zitieren, der sagt, für Millionen Arbeitnehmer hat diese Agenda die Altersarmut programmiert. Er führt an das Beispiel Österreich, wo ein Durchschnittsrentner 800 Euro im Monat mehr hat als in Deutschland. Und 40 Prozent der Deutschen hat heute ein geringeres Haushaltseinkommen als 1999. Wie kann man für Gerechtigkeit einstehen, wenn man gleichzeitig an diesem Programm festhält?
    "Wir erleben, dass mit der CDU es tatsächlich nicht weitergeht"
    Heil: Noch mal: Wir haben soziale Ungleichheiten in diesem Land, die auch gewachsen sind. Und wir hatten nicht die Kraft, auch in den letzten vier Jahren alles umzusetzen, was wir richtig fanden. Wir haben viel geschafft in den letzten vier Jahren, nicht nur den Mindestlohn durchzusetzen, auch Verbesserungen in der Alterssicherung. Aber wir erleben, dass mit der CDU es tatsächlich nicht weitergeht.
    Kaess: Aber es geht jetzt um die SPD, Herr Heil. Dann sind Sie auch für ein weiteres, noch stärkeres Umsteuern? Das ist meine Frage.
    Heil: Meine klare Antwort ist, es geht um unser Land. Wir kreisen ja nicht um Parteien, sondern um die Frage, was kann eine Partei wie unsere zum Beispiel für unser Land tun, damit wir wirtschaftlichen Erfolg und soziale Gerechtigkeit verbinden.
    Kaess: Noch stärkeres Umsteuern?
    Heil: Ja, ich sage es an einem ganz praktischen Beispiel. Dieses Land muss mehr in Bildung investieren. Die Schulen in diesem Land sind in vielerlei Hinsicht nicht in einem guten Zustand. Dafür muss man Geld in die Hand nehmen, um zu investieren. Ich verstehe ja, dass Sie gerne über Fragen der Vergangenheit diskutieren wollen; wir kümmern uns um die Zukunft.
    Kaess: Das sind ja ganz aktuelle Fragen.
    Heil: Ja, ich finde, das sind ganz aktuelle Fragen. Die Frage zum Beispiel von sozialer Ungleichheit im Bildungssystem ist nach wie vor ein richtig dickes Thema in diesem Land. Die Frage, was wir hinbekommen, damit wir zu einer stärkeren Tarifbindung kommen, das ist ein ganz konkretes Thema. Oder die Frage, wie eine Lohn- und Gehaltsentwicklung ist. Das sind praktische Fragen. Herr Lafontaine lebt in der Vergangenheit, das soll er gerne weiter tun.
    Kaess: Wie soll der SPD dieser Spagat gelingen, auf den Gerhard Schröder noch mal hingewiesen hat, indem er gesagt hat, mit Parolen, die nach Lafontaine klängen, werde es der SPD nicht anders ergehen als der Union auf der Rechten, dann wählen die Leute nämlich das Original.
    Heil: Der Wettbewerb bei dieser Bundestagswahl findet statt zwischen CDU und SPD, zwischen Frau Merkel, die in den letzten Jahren Bundeskanzlerin war, in den letzten zwölf Jahren, und Martin Schulz. Und wer eine stärkere Orientierung auf soziale Gerechtigkeit in diesem Land will, der muss auf eine starke SPD setzen, denn sonst ist das alles nicht umzusetzen.
    Kaess: Herr Heil, die Saarland-Wahl hat uns ja gezeigt, dass es eine gewisse Angst vor einem Linksbündnis gibt. Muss sich die SPD dagegen aussprechen?
    "Unser Ziel ist, dass die SPD stärkste Kraft im Deutschen Bundestag ist"
    Heil: Wir werden uns darauf konzentrieren, dass die SPD so stark wie möglich ist. Unser Ziel ist bei dieser Wahl, dass die SPD stärkste politische Kraft im Deutschen Bundestag ist. Und wer dann mit uns koalieren muss, der muss Fragen beantworten. Der muss sich auf unsere Inhalte zubewegen. Der muss klarmachen, dass wirtschaftlicher Erfolg und soziale Gerechtigkeit zusammengehören. Der muss auch außen- und sicherheitspolitisch verlässlich sein. Der muss eine klar proeuropäische Haltung haben und sich zur europäischen Integration bekennen. Diese Fragen müssen andere Parteien dann für sich beantworten. Wir machen keinen Koalitionswahlkampf, sondern setzen auf eine starke SPD.
    Dass viele Menschen skeptisch sind, was die Regierungswilligkeit und Fähigkeit der Linkspartei betrifft, das kann ich gut nachvollziehen. Aber das sind Klärungsprozesse, die muss die Linkspartei für sich beantworten.
    Kaess: Warum tun Sie sich da so schwer, Position zu beziehen? Parteikollegen von Ihnen, die machen das ja schon. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Olaf Scholz zum Beispiel ist klar gegen eine Koalition mit der Linken. Der Parteivize Ralf Stegner wiederum sagt, das ist grundsätzlich möglich. Warum ist das nicht möglich, eine Aussage da zu treffen?
    Heil: Nein. Ich konzentriere mich nicht auf Koalitionsdebatten in diesem Wahlkampf, sondern ich kämpfe für meine sozialdemokratische Überzeugung. Ich finde, Olaf Scholz hat zurecht gesagt, dass, wer mit uns arbeiten will – das habe ich ja eben auch unterstrichen -, eine klare proeuropäische Haltung haben muss. Da gibt es Dinge, die muss die Linkspartei für sich klären. Wir werden jetzt nicht uns sechs Monate lang in Koalitionsdebatten begeben, sondern wir kämpfen für unsere Überzeugung.
    Kaess: Wenn ich da mal einhaken darf? Sie werden sich doch überlegen müssen, mit wem Sie Ihre Ziele durchsetzen. Und wie will die SPD da auf eine einheitliche Linie kommen, wenn die Meinungen da schon jetzt so weit auseinandergehen?
    Heil: Nein, wir haben eine klare Beschlusslage zu der ganzen Geschichte, und die wird in der SPD auch weit getragen. Ich erlebe im Moment doch folgendes.
    Kaess: Nämlich? Die habe ich jetzt noch nicht so ganz verstanden.
    "Keine demokratische Partei geht in Koalitionswahlkampf"
    Heil: Darf ich ganz kurz noch ausreden? Dann kann ich sie Ihnen auch erläutern. – Wir haben tatsächlich eine Situation, dass im Moment keine demokratische Partei in einen Koalitionswahlkampf geht. Die FDP hält sich das offen, die Grünen halten sich das offen, die CDU macht keine klare Koalitionsaussage und die SPD sagt auch, wir wollen so stark wie möglich werden. Das finde ich auch richtig, dass man sich erst mal darum kümmert, was die eigene Position ist. Und noch mal: Wer mit uns politisch arbeiten will, der muss verlässlich sein, der muss außen- und sicherheitspolitisch verlässlich sein, der muss eine klare europäische Haltung haben und der muss eine Politik unterstützen, die wirtschaftlichen Erfolg mit sozialer Gerechtigkeit verbindet. Das sind Fragen, die müssen andere Parteien beantworten.
    Kaess: Das ist eine Anspielung auf Die Linke, die das nicht tut, Ihrer Meinung nach?
    Heil: Ich finde, dass die Linkspartei – ich habe es ja vorhin gesagt -, um regieren zu können in Deutschland, Fragen zu beantworten hat für sich selbst. Viele Teile der Linkspartei sind weder regierungswillig, noch regierungsfähig. Wenn alle so vernünftig wären wie Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow, wäre das eine einfache Diskussion, aber ich stelle fest, da gibt es eben andere politische Kräfte. Aber noch mal: Diese Klärung kann nur die Linkspartei für sich vornehmen. Da kann die SPD nicht helfen. Wir konzentrieren uns auf unsere politische Aufgabe.
    Kaess: Herr Heil, Sie gelten als jemand, der gute Kontakte zur FDP hat. Jetzt hat der FDP-Vorsitzende Christian Lindner gesagt, die Schnittmengen mit der Union sind am größten. Wie sehr schmerzt Sie das?
    Heil: Mich schmerzt das überhaupt nicht. Jeder kann seine eigene Sicht haben in der ganzen Geschichte. Ich habe Kontakte in alle demokratischen Parteien im Parlament, ob das nun Linkspartei, Grüne, FDP oder auch CDU sind. Aber noch mal: Im Wahlkampf kämpft jeder erst mal für seine eigene Partei. Das ist doch vollkommen in Ordnung. Und da soll Herr Lindner für die FDP kämpfen, Frau Göring-Eckardt und Herr Özdemir für die Grünen, Frau Merkel für die CDU, Herr Seehofer wahrscheinlich nicht für die CDU, sondern für sich selbst, und die Linkspartei für sich. Wir Sozialdemokraten konzentrieren uns darauf, stärkste politische Kraft in Deutschland zu werden. Und das Rennen ist offen. Sie merken ja, dass die Nominierung von Martin Schulz der gesamten Demokratie gut getan hat, weil es jetzt eine klare Alternative im demokratischen Spektrum gibt. Und dass jetzt alle möglichen kleinen Parteien das Gefühl haben, sie müssten durch Koalitionsdebatten auch noch vorkommen, das ist, finde ich, nachvollziehbar, aber ist nicht Kern der Auseinandersetzung.
    Kaess: Welche Vorteile hätte denn eine Ampelkoalition der SPD mit Liberalen und Grünen?
    Heil: Wie gesagt, ich spekuliere nicht über Koalitionen oder gehe für Koalitionen in diesen Wahlkampf, sondern ich setze auf eine sozialdemokratische Überzeugung. Das muss man sehr pragmatisch sehen. Am Ende des Tages gibt es vier klare Bedingungen, wie Koalitionen zustande kommen. Die erste Frage ist, reicht es arithmetisch, hat man genug Stimmen in einem Parlament zusammen. Die zweite Frage ist, welche inhaltlichen Schnittmengen hat man und kommt man in den zentralen Fragen auch auf einen Nenner. Die dritte Frage ist, kann man verlässlich miteinander arbeiten. Das sind die Fragen, die wir haben, und da ist das Leben bunt. Sie sehen das in den Bundesländern, da gibt es die unterschiedlichsten Farbkonstellationen, von Ampel über Grün-Schwarz bis Rot-Rot-Grün bis Rot-Grün. Das ist die dominierende Farbe immer noch. Bei der Bundestagswahl wie gesagt kämpfen wir für unsere Überzeugung und dann muss jeder wissen, was die Bedingungen sind.
    Kaess: Gut, das haben wir verstanden. Kurz noch zum Schluss. Es heißt, Martin Schulz und Sigmar Gabriel hätten sich innerhalb der SPD für eine Ampel ausgesprochen. Können Sie das bestätigen?
    Heil: Ich kann bestätigen, dass wir uns auf den Wahlkampf konzentrieren und keine Diskussionen über Koalitionen in den Gremien führen, denen ich angehöre.
    Heil: ... sagt Hubertus Heil, Mitglied im Parteivorstand der SPD. Danke für Ihre Zeit heute Morgen.
    Heil: Herzlichen Dank, schönen Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.