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Bundestagswahlkampf
"Es wäre eine unglaubliche Überraschung, wenn Merkel aufs Altenteil gehen würde"

Der Politikberater und Publizist Michael Spreng rechnet fest damit, dass Merkel bei der kommenden Bundestagswahl erneut für das Kanzleramt kandidieren wird. Mit Blick auf die Bundespräsidentenwahl sagte er im DLF, es sei wahrscheinlich, dass Union und SPD jeweils einen eigenen Kandidaten aufstellten.

Michael Spreng im Gespräch mit Christine Heuer | 24.10.2016
    Der Politikberater Michael Spreng in einer Talkshow.
    Der Politikberater Michael Spreng in einer Talkshow. (imago / teutopress)
    Alle Zeichen sprächen dafür, dass Merkel auf dem CDU-Parteitag ihre Bereitschaft zur erneuten Kandidatur erklären werde. Es sei das Hauptziel von CDU und CSU, Merkel noch einmal zur Kanzlerin zu machen, sagte Spreng im Deutschlandfunk. Er gehe davon aus, dass das umstrittene Thema einer Obergrenze für Flüchtlinge dabei im Wahlkampf ausgeklammert werde. Die Schlüsselfrage sei dann, ob die CSU die Obergrenze in den Koalitionsverhandlungen für verhandelbar erkläre oder nicht.
    Mit Blick auf die Bundespräsidentenwahl sagte Spreng, es sei wahrscheinlich, dass CDU/CSU und SPD einen eigenen Kandidaten für das Amt aufstellten. Nachdem die SPD Frank-Walter Steinmeier ins Spiel gebracht habe, sei jetzt die CDU am Zug. Das sei nur eine Etappe in einem taktischen Spiel, betonte Spreng im DLF.

    Christine Heuer: Seit über einem Jahr geht das jetzt schon so. Die CSU verlangt eine Obergrenze für Flüchtlinge und Angela Merkel sagt mehr oder weniger deutlich nein. Jetzt zeichnet sich aber erstmals eine Versöhnung ab. Die CSU hat an diesem Wochenende öffentlich wissen lassen, Angela Merkel sei ihre Kandidatin für das Bundeskanzleramt, und heute Früh sind prominente CSU-Stimmen dazugekommen, die von Gerda Hasselfeldt zum Beispiel. Den Streit über die Obergrenze für Flüchtlinge, heißt es, könne man zunächst einmal ausklammern. Aber geht das wirklich so einfach? Fragen jetzt an den Politikbeobachter und Berater Michael Spreng. Guten Morgen!
    Michael Spreng: Guten Morgen, Frau Heuer.
    Heuer: Wieso geht die CSU denn gerade jetzt auf Kuschelkurs mit Angela Merkel, Herr Spreng?
    Spreng: Ja gut, ich würde es nicht Kuschelkurs nennen, sondern die Einsicht in die Notwendigkeit. Die CDU/CSU, die beiden Parteien haben keine Chance, bei der Bundestagswahl die stärkste Partei zu werden, wenn sie diesen Streit weiter fortsetzen. Sie müssen sich vor ihren beiden Parteitagen, CSU im November, CDU im Dezember, einigen und dieser Einigungszwang hängt mit der Zeit zusammen.
    "Die spannende Frage ist, ist diese Obergrenze unverhandelbar oder verhandelbar"
    Heuer: Also aus der Not geboren, und dafür soll die Obergrenze ausgeklammert werden. Geht denn das?
    Spreng: Man kennt das ja aus der Diplomatie. "We agree to disagree". Man wird beschließen, dass man in dieser Frage nicht übereinstimmt, und sie bis zur Bundestagswahl ausklammern. Allerdings wird die CSU Frau Merkel als Kanzlerkandidatin unterstützen. Die spannende Frage wird dann allerdings, wie konditioniert die CSU ihre Koalitionsverhandlungen dann. Ist diese Obergrenze dann unverhandelbar oder verhandelbar? Das wird die spannende Frage, falls die Entwicklung so kommt.
    Heuer: Das böse O-Wort wird der Union später wieder auf die Füße fallen?
    Spreng: Ja, da steckt ein großer Pferdefuß drin. Denn wenn die CSU die Obergrenze für unverhandelbar erklären würde und versuchen würde, sie genauso wie damals das Betreuungsgeld oder später die PKW-Maut mit Brachialgewalt durchzusetzen, wird sie in diesem Fall keinen Partner finden. Weder die CDU, noch die SPD, noch die Grünen, noch die FDP werden einer Obergrenze zustimmen. Die CSU steht damit allein. Insofern könnte sich die CSU mit diesem Kurs auch eine Falle graben.
    Heuer: Aber Horst Seehofer ist ja politisch auch taktisch klug. Wieso begräbt er dann die Obergrenze nicht endlich?
    Spreng: Wenn man auf die Bäume klettert und die Partei auf die Bäume getrieben hat, ist es sehr schwer, wieder davon runterzukommen. Also braucht man Zeit, um von dem Baum wieder abzusteigen, und das könnte auch der Prozess sein, dass die CSU vom Baum runterkommt, ohne dies zu einer unverhandelbaren Bedingung zu erklären. Aber das werden wir erfahren, wenn die CSU ihr Papier oder ihre Beschlüsse für die Koalitionsverhandlungen fällt.
    Spreng: CSU-interner Machtkampf wird Bundestagswahl im Vorfeld oder danach überschatten
    Heuer: Würde es denn helfen, wenn Horst Seehofer mit der Politik aufhört? Irgendwann einmal vor wenigen Monaten oder Jahren hat er das ja immer angedeutet, dass er das tun will nach der nächsten Wahl.
    Spreng: Das ist in der CSU ja offen, ob 2017 ein neuer Ministerpräsident oder ein neuer CSU-Vorsitzender gewählt wird. Das hat ja Seehofer auf seine verwirrende Art offen gelassen. Es wird auf jeden Fall die Bundestagswahl im Vorfeld oder kurz danach überschattet werden von einem CSU-internen Machtkampf und in solchen Phasen ist die CSU nicht besonders berechenbar. Das könnte die Koalitionsverhandlungen dann zusätzlich erschweren.
    Heuer: Aber sonst ist sie schon berechenbar?
    Spreng: Ja, manchmal. Sie ist berechenbar in ihrer Unberechenbarkeit. Da kann ich nur Franz-Josef Strauß zitieren, was er mal in vergleichbarer Art über die FDP gesagt hat.
    "Auch Markus Söder hat sich in der Flüchtlingsdiskussion schon festgelegt"
    Heuer: Herr Spreng, Sie sagen, Horst Seehofer hat eine verwirrende Art. Das finde ich auch. Ich versuche, das deshalb noch mal einfach nachzufragen. Würde es etwas ändern an den Aussichten und der Taktik der CSU, wenn Markus Söder übernehmen würde?
    Spreng: Markus Söder hat sich natürlich auch schon sehr festgelegt in dieser Flüchtlingsdiskussion und der Obergrenze. Er kann da auch schwer davon runter. Ich glaube, inhaltlich würde sich nichts ändern. Ich kann mir nur vorstellen, dass Söder da geradliniger wäre und nicht so verschlungene Pfade einschlagen würde wie Seehofer.
    "Die Obergrenze ist für Frau Merkel eine Grundsatzfrage"
    Heuer: Es bleibt schwierig für die CSU, es wird vielleicht sogar noch schwieriger für sie. Wieso lässt sich aber Angela Merkel, warum lässt sich die CDU auf ein Ausklammern der Obergrenze ein?
    Spreng: Die CDU will die Obergrenze nicht, Frau Merkel schon gar nicht. Das ist für sie sogar eine Grundsatzfrage. Das wäre für sie selbstzerstörerisch, einer Obergrenze zuzustimmen, also kann es ihr nur recht sein. Sie verlangt ja keinen Kotau von der CSU. Aber Ausklammern würde ihr für den Wahlkampf erst mal reichen.
    Heuer: Aber wenn das Problem doch nur vertagt wird?
    Spreng: Ja. Es hängt davon ab: ist das eine verhandelbare Forderung dann der CSU bei Koalitionsverhandlungen oder nicht. Das ist die Schlüsselfrage dann und das wissen wir im Augenblick noch nicht. Da muss die CSU sich erst noch festlegen.
    "Die CDU will keinen Bruch mit der CSU"
    Heuer: Kann es der CDU eigentlich egal sein, was nach der Bundestagswahl passiert, Hauptsache Angela Merkel bleibt im Kanzleramt?
    Spreng: Vom Prinzip her kann es ihr nicht egal sein. Auch die CDU will ja keinen Bruch mit der CSU. Die CDU will, dass diese Fraktions- und Parteiengemeinschaft erhalten bleibt. Insofern ist es ihr nicht egal. Aber natürlich ist das Hauptziel erst einmal, Merkel wieder zur Kanzlerin zu machen und dann zu sagen, dann sehen wir weiter.
    "Das Schisma kann nicht im Interesse der CSU sein"
    Heuer: Aber ein Schisma, eine Trennung der Schwesterparteien wäre für die CSU schlimmer als für die CDU?
    Spreng: Ja natürlich! Deshalb ist ja auch damals schon Franz-Josef Strauß davor zurückgeschreckt, weil es dazu führen würde, dass die CSU ihre Macht über Bayern verlieren würde und künftig auf Koalitionspartner wie zum Beispiel dann auch die CDU angewiesen wäre. Das Schisma kann nicht im Interesse der CSU sein. Es kann aber sein, dass sich die CSU in eine ausweglosen Lage manövriert. Aber wie gesagt: Das hängt davon ab, ob diese Obergrenze dann eine verhandelbare oder unverhandelbare Koalitionsbedingung wird.
    " Rot-Rot-Grün ist weder rechnerisch noch inhaltlich eine realistische Option"
    Heuer: Die Einigkeit in der Union jetzt ist so etwas wie ein Zaubermittel der Union gegen Rot-Rot-Grün im Bund. Braucht sie so ein Zaubermittel? Ist R2G eine realistische Option?
    Spreng: Ich glaube, Rot-Rot-Grün ist weder rechnerisch noch inhaltlich eine realistische Option, sondern eine Inszenierung der drei beteiligten Parteien. Die SPD will demonstrieren oder inszenieren, dass es Sinn macht, einen Kanzlerkandidaten aufzustellen, dass es doch eine Machtperspektive gibt. Die Grünen wollen ihre Offenheit demonstrieren, dass sie nicht auf die CDU nur festgelegt sind. Und in der Linken ist es eher ein innerparteilicher Kampf des einen gegen den anderen Flügel, wo der eine Flügel beweisen will, dass man regierungsfähig ist. Das ist mehr ein Inszenierungsspiel als ein realistischer Kurs.
    "Es gibt starken Widerstand gegen Steinmeier"
    Heuer: Diese Koalitionsarithmetik, die spielt ja auch eine Rolle bei der Suche nach einem neuen Bundespräsidenten. Jetzt schlägt die SPD öffentlich Frank-Walter Steinmeier vor. Ist das ein Kandidat, auf den die Union sich vielleicht am Ende sogar einlassen kann?
    Spreng: Es gibt starken Widerstand gegen Steinmeier. Ich glaube, am Ende würde es eher darauf hinauslaufen, dass beide Parteien einen Kandidaten aufstellen und man gewissermaßen es dem Spiel der Bundesversammlung überlässt, wie es weitergeht.
    Heuer: Aber die Union hat ja keinen guten Kandidaten bislang.
    Spreng: Das ist das Problem, weil auch bisher hat ja Frau Merkel einen Konsenskandidaten gesucht. Jetzt ist die SPD vorgeprescht und hat Steinmeier quasi oder fast nominiert. Jetzt ist die CDU am Zug. Gabriel hat die CDU jetzt in Schwierigkeiten gebracht, aber es ist ein taktisches Spiel. Die CDU kann nach wie vor einen eigenen Kandidaten aufstellen, sie kann immer noch einen überzeugenden Konsenskandidaten präsentieren, falls es den denn geben sollte. Es ist nur eine Etappe in einem taktischen Spiel, was wir gerade erleben, und Die Linke hat ja schon mitgeteilt, dass für sie Steinmeier unwählbar ist.
    Heuer: Und dieser Konsenskandidat, nach dem vielleicht noch gesucht wird, das könnte nicht Frank-Walter Steinmeier werden?
    Spreng: Nein, weil beide Parteien eigentlich am Anfang der Diskussion unter Konsenskandidat verstanden haben, dass es eine überparteiliche unabhängige Figur sein muss, also keiner aus den aktiven Reihen von CDU und CSU.
    "Alle Zeichen sprechen dafür, dass Merkel ihre Bereitschaft zur erneuten Kandidatur im Dezember erklärt"
    Heuer: Wie sicher ist es eigentlich, dass Angela Merkel tatsächlich wieder antritt? Sie wird gedrängt, aber zwischenzeitlich hatte man so den Eindruck, sie denkt doch ernsthaft darüber nach, es sein zu lassen.
    Spreng: Ich weiß nicht, ob sie darüber nachgedacht hat, aber alle Zeichen sprechen dafür, dass sie ihre Bereitschaft zur erneuten Kandidatur auf dem CDU-Parteitag im Dezember erklärt. So läuft jetzt auch die Diskussion in der CSU, in der CDU ohnehin. Es wäre eine unglaubliche Überraschung, wenn Frau Merkel jetzt noch gewissermaßen aufs Altenteil gehen würde. Auch ich gehe davon aus, dass sie sich im Dezember für eine neue Kandidatur erklärt.
    Heuer: Der Politikberater Michael Spreng. Wir haben mit ihm über die Union gesprochen, vor allen Dingen aber auch über Koalitionsoptionen im Bund. Herr Spreng, vielen Dank, einen schönen Tag.
    Spreng: Danke auch, Frau Heuer. Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.