Dienstag, 16. April 2024

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Flüchtlingsstreit in der Union
"Brauchen EU-Abkommen mit nordafrikanischen Staaten"

Der CDU-Politiker Jens Spahn unterstützt den Vorschlag von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und nordafrikanischen Staaten abzuschließen. Ähnlich wie bei der Türkei werde dies auch Geld kosten, sagte Spahn im DLF.

Jens Spahn im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 24.09.2016
    Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jens Spahn.
    Jens Spahn, der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. (picture alliance/dpa/Soeren Stache)
    "Wenn wir diese Menschen aus dem Mittelmeer retten, sollen sie an die Küste zurückgebracht werden, woher sie kommen", betonte Spahn. Dafür benötige man aber entsprechende Abkommen mit den Ländern. Die Menschen sollten dort gute Verfahren erhalten und entsprechend behandelt werden. "Wenn wir das zwei, drei Wochen konsequent machen, dann ist klar: Schmuggler bezahlen lohnt sich nicht."
    Damit wäre die irreguläre Migration, aber vor allem auch das Sterben endlich beendet. Skeptisch äußerte sich Spahn zu Forderungen nach einem Zuwanderungsgesetz in Deutschland. Eine Bündelung sei zwar sinnvoll, trotzdem würden viele Menschen versuchen, auf anderen Wegen nach Europa und Deutschland zu kommen.
    Mit Blick auf die Meinungsunterschiede in der Flüchtlingspolitik zwischen CDU und CSU meinte Spahn, der Streit schade der Union. Die Analyse sei richtig, überdecke aber, dass es viele Gemeinsamkeiten geben. "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht um des Kaisers Bart streiten und um Semantik".
    Hintergrund ist die Forderung von CSU-Chef Seehofer nach einer Obergrenze für Asylbewerber. "Deutschland könne nicht unbegrenzt Menschen aufnehmen", betonte auch Spahn und verwies auf mögliche Probleme bei der Integration. Zugleich beklagte er, dass abgelehnte Asylbewerber nicht umgehend abgeschoben werden könnten. Es habe sich eine "ganze Anwaltsindustrie" um diese Frage gebildet.

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: CDU und CSU wagen heute etwas ganz Besonderes: In einem ersten Deutschlandkongress in Würzburg will man versuchen, bei wichtigen Themen eine gemeinsame Plattform zu erarbeiten.
    Wir wissen, dass da ein Thema ganz besonders im Vordergrund steht, obwohl es viele andere gibt, die auch wichtig sind und die diskutiert werden müssen, natürlich das Thema der Zuwanderung. Unter anderem darüber wurde sicherlich auch in dieser Woche zwischen Horst Seehofer und Angela Merkel geredet. Am Ende haben wir nicht viel erfahren, was sie beredet haben.
    Wir wollen sprechen und fragen, was kann, was muss sich tun, wird sich was tun zwischen CDU und CSU, und wir werden reden mit Jens Spahn von der CDU, der jetzt am Telefon ist. Guten Morgen, Herr Spahn!
    Jens Spahn: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Herr Spahn, ich habe es gerade gesagt: Frau Merkel und Herr Seehofer haben sich diese Woche getroffen, und am Ende hieß es, es war eine wunderbare Atmosphäre. Wissen Sie, warum es wunderbar? War es vielleicht das Essen oder der Wein?
    Spahn: Das weiß ich nicht! Entscheidend ist doch, dass CDU und CSU ... Ich meine, wir regieren zusammen in Berlin, wir sind Schwesterparteien, natürlich im regelmäßigen Austausch miteinander sind. Ich halte das für was ziemlich Normales, und dass es dabei gut miteinander zugeht und offen, halte ich auch für normal, weil wir haben ja viele, viele Themen. Das ist nicht nur die Flüchtlingsfrage. Es geht um Steuerpolitik, Rentenpolitik, was sind die Schwerpunkte noch in dem letzten Jahr der Großen Koalition, aber auch was sind Themen für unseren Wahlkampf, und insofern gibt es immer viel zu besprechen.
    "Wir sollten die Gemeinsamkeiten stärker herausarbeiten"
    Zurheide: Da haben Sie sicher recht, aber es ist natürlich dieses eine Thema, was vieles überlagert, auch wenn ich die Woche noch mal so auf mich wirken lasse und die Wahlergebnisse vor allen Dingen, dann kommt man doch zu einem Ergebnis, da kommen jedenfalls viele zu: Der Streit, der im Moment stattfindet um bestimmte Begriffe, der schadet. Ist die Analyse richtig?
    Spahn: Die Analyse ist ohne Zweifel richtig, weil er vor allem überdeckt, dieser Streit, dass wir ganz, ganz viele Gemeinsamkeiten haben. Nehmen Sie das Papier der CDU zur inneren Sicherheit, das vor zwei Wochen beschlossen wurde im CSU-Landesvorstand. Das kann, glaube ich, jeder CDUler eins zu eins unterschreiben, und ich würde mir wünschen, dass wir jetzt versuchen, in der Großen Koalition möglichst viel davon auch umzusetzen und notfalls mit der SPD dann auch zu ringen um die richtigen Lösungen, und beim Thema der Flüchtlinge, dass wir grundsätzlich bereit sind und auch wollen, Flüchtlingen helfen, humanitäre Hilfe leisten und unterstützen, dabei eben aber auch wollen, dass es regelgebunden zugeht, dass wir Kontrolle darüber haben, was passiert, und dass wir auch wissen, dass wir nicht unbegrenzt Menschen aufnehmen können, schon gar nicht in kurzer Zeit, weil wir sonst die Gesellschaft überfordern, weil wir sonst Akzeptanz verlieren.
    In all dem haben wir ja große Gemeinsamkeiten, und das sollten wir stärker herausarbeiten.
    "Am Ende hilft wie so oft im Leben reden, reden, reden"
    Zurheide: Ich glaube, das ist wenig umstritten, was Sie gerade sagen, nur in der CSU scheinen das einige anders zu sehen, wenn man sagt, selbst auf das, was die Kanzlerin in dieser Woche abgelesen und vorgetragen hat und wo sie ihren Satz "Wir schaffen das", ich will nicht sagen relativiert hat, aber zumindest ein Stück zurückgedrängt hat, da sagt die CSU immer, ja, ja, wir glauben das alles noch nicht. Also das ist ja unverständlich angesichts der Faktenlage, und deshalb fragt man sich immer, wie wollen die eigentlich je von den Bäumen runterkommen, auf denen sie sitzen?
    Spahn: Gut, da hilft dann am Ende wie so oft im Leben reden, reden, reden über die Frage, analysieren wir die Lage gleich. Mein Eindruck ist ja. Jeder sagt so etwas, so eine Ausnahmesituation wie vor zwölf Monaten darf sich nicht wiederholen, schon gar nicht an den EU-Außengrenzen. Wir müssen Kontrolle behalten, und von der Analyse dann auch zu dem, was zu tun ist.
    Wir haben viele Themen noch. Wie gesagt bei der inneren Sicherheit, vor allem aber auch beim Thema Asylrecht zum Beispiel die Frage, wenn über eine halbe Million Menschen im Land, die eigentlich ausreisepflichtig sind, wie können wir das Asylrecht so verändern, dass die, die nach einem langen Rechtsverfahren das Land verlassen müssen, dann tatsächlich auch gehen müssen. Das macht die Menschen wahnsinnig, dass so viele am Ende bleiben und die auch noch Sozialleistungen bekommen, oder die Frage ...
    "Wir können auch gewinnen im gemeinsamen Ringen mit den anderen"
    Zurheide: Wobei – Entschuldigung, wenn ich dazwischen gehe – das Problem liegt ja daran, dass die Verfahren so lange dauern. Da gibt es andere Länder – wir schauen in die Schweiz –, die schaffen nach kürzerer Zeit, wie ich höre und viele andere auch das beobachten, rechtstaatlich saubere Verfahren. Das ist doch der Kernpunkt.
    Spahn: Genau, deswegen kann man sich ja auch zusammensetzen. Ich hoffe, dass die SPD da am Ende das auch so sieht, und schauen, wie können wir die Verfahren beschleunigen. Ein Thema ist sichere Herkunftsstaaten Nordafrika, Maghreb – Marokko, Tunesien, Algerien –, der Bundestag hat das beschlossen. Ich bin gerade in Nordrhein-Westfalen, ich würde mir wünschen, dass die NRW-Landesregierung dann nicht nur jammert, sondern im Bundesrat auch zustimmt.
    Also an diesen Themen mal rausarbeiten, was wir schon alles beschlossen haben, was wir schon alles weiter ins Auge genommen haben und wo wir dann an SPD und Grünen scheitern, da kann man auch viel Einigkeit gewinnen im gemeinsamen Ringen mit den anderen, was wir für richtig halten oder eben auch zu schauen, wie können wir beim Thema Abschieben, Ausreispflicht durchsetzen die Verfahren, die rechtlichen kleinen Hindernisse, was da alles kommt. Da gibt es ja mittlerweile auch eine ganze Anwaltsindustrie, die sich nur damit beschäftigt, diese Verfahren zu verzögern. Wie können wir die Verfahren so straffen, dass sie natürlich rechtsstaatlich bleiben, aber am Ende dann auch schneller zum Ergebnis kommen.
    "Wir haben in diesem Land eine Vermischung von irregulärer Zuwanderung und Asylrecht"
    Zurheide: Aber die entscheidende Frage war, und die haben Sie jetzt nicht beantwortet, das alles liegt auf dem Tisch und viele beobachten das und bewerten das so, wie Sie es gerade tun, aber auch wir haben in dieser Woche im Programm von CSU-Vertretern gehört, nein, das reicht alles nicht, solange dieses Wort Obergrenze nicht real irgendwo auftaucht. Wie wollen Sie aus diesem Konflikt rauskommen?
    Spahn: Ich wäre halt sehr dafür, dass wir mal schauen ... Ich meine, wenn wir sagen, wir können nicht unbegrenzt aufnehmen, wir müssen die Zahlen spürbar reduzieren, weil wir sonst die Gesellschaft überfordern, dann ist das doch die gleiche Erkenntnis vom Inhalt her, –
    Zurheide: Richtig.
    Spahn: – die da drin steckt, was das Wort Obergrenze sagt, nämlich dass eine Gesellschaft nur begrenzt aufnehmen kann, zumindest wenn sie sich nicht selbst überfordert.
    Zurheide: Darüber gibt es noch kaum einen Streit.
    Spahn: Ja eben.
    Zurheide: Das unterstreicht Gabriel auch.
    Spahn: Deswegen müssen wir ja aufpassen, dass wir nicht nur noch um Kaisers Bad am Ende streiten, sondern nur um Semantik, sondern um die Inhalte, und deswegen setze ich darauf, dass diese Kongresse, die wir jetzt machen, dass die vielen Gespräche, die wir führen, einfach dazu führen, dass wir erkennen, dass wir an der Stelle doch eigentlich das gleiche wollen.
    Das eigentliche Problem des deutschen Asylrechts ist doch, und da geht ja auch die Begrifflichkeit immer durcheinander: Flüchtlinge, Zuwanderung, Asylbewerber, Migranten. Das eigentliche Problem, wir haben eine Vermischung von irregulärer Zuwanderung und Asylrecht, weil etwa die Hälfte derjenigen, die kommen, am Ende keine Flüchtlinge sind, sondern aus anderen Gründen, Armutsauswanderer vor allem aus Nordafrika sind, aber wir haben gleichzeitig eine Situation, wenn sie einmal im Land sind – das haben wir gerade besprochen –, dann bleiben sie irgendwie fast alle immer da. Das heißt, wir haben irreguläre Zuwanderung – das sind keine Flüchtlinge – nach Deutschland, vor allem in die Sozialsysteme, und haben es vermengt mit dem Asylrecht.
    Deswegen müssen wir, wenn wir über Obergrenzen und über Begrenzung reden, nicht nur über das Thema Flüchtlinge reden, sondern vor allem auch über die Frage, wie wir irreguläre Zuwanderung beenden können, und dazu gehören Abkommen wie mit der Türkei, müssten wir sie auch mit Nordafrika haben, damit die Menschen sich erst gar nicht auf den Weg machen. Aus Afrika kommen fast keine Flüchtlinge, sind fast alles Armutsauswanderer.
    "Wir brauchen mit Ägypten ähnliche Abkommen wie mit der Türkei"
    Zurheide: Jetzt haben Sie das entscheidende Stichwort schon genannt: Wir haben in dieser Sendung auch schon mehrfach darüber gesprochen, dass im Moment eine neue Flüchtlingswelle nicht aus Libyen kommen, wie wir es alle möglicherweise erwartet haben, sondern aus Ägypten und dass die ägyptische Führung, die politische Führung das als Erpressungspotenzial nutzt, um zu sagen, ähnlich wie die Türkei wollen wir Geld haben. Was machen wir da?
    Spahn: Erst mal sollten wir die Begriffe richtig wählen. Es sind in großen Teilen keine Flüchtlinge, soweit die Asylverfahren im Moment laufen, sind die, die aus Nordafrika kommen, eben Menschen, die Armutsauswanderer ... Menschen, die kommen aus Gründen, die ich verstehe, die aber keine Fluchtgründe im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sind, sondern wir brauchen am Ende mit Ägypten, mit den anderen nordafrikanischen Staaten als Europäische Union ähnliche Abkommen, ähnliche Absprachen wie mit der Türkei ...
    Zurheide: Die auch Geld kosten werden.
    Spahn: Ja, auch Geld kosten werden. Natürlich, weil wir ja sagen, wenn wir Menschen retten aus dem Meer – das wollen wir natürlich, wir wollen niemanden ertrinken lassen –, bringen wir sie zurück an die Küste, von der sie gekommen sind. Dafür brauchen wir Abkommen etwa mit Ägypten oder Tunesien, dass dann die Menschen natürlich auch dort gut behandelt werden, gute Verfahren bekommen.
    Dafür sollten wir auch finanzielle Unterstützung geben, aber wissen Sie, wenn wir das zwei, drei Wochen lang konsequent machen, dann ist klar, Schmuggler bezahlen, sich auf diese gefährliche, ja auch oft tödliche Reise zu machen, lohnt sich nicht, weil es eh zurückgeht an die Küste, von der man gekommen ist. Damit wäre diese irreguläre Migration, aber vor allem auch das Sterben endlich beendet. Deswegen brauchen wir mehr von diesen Abkommen.
    Zurheide: Brauchen wir nicht auch dann am Ende ein Einwanderungsgesetz, damit wir klare Regeln schaffen, damit genau dieses Tor Asyl, was im Moment als einziges Tor hier steht oder nicht als einziges, aber wesentliches Tor da steht, damit das endlich abgelöst wird durch eine richtige Regelung?
    Spahn: Wir haben eigentlich gute Zuwanderungsregelungen. Wir können drüber reden, wie wir sie noch mal bündeln, aber wenn man mal reinschaut, wer nach Deutschland kommen will zum arbeiten, zum studieren, um hier eine Arbeit zu suchen, geht sogar für einige Monate, muss halt vorher ein Visum beantragen bei unserer Botschaft, bei unseren Konsulaten, und dann gibt es viele, viele Wege nach Deutschland legal, um hier auf den Arbeitsmarkt zu kommen.
    Das sollten wir vielleicht stärker bewerben. Make-it-in-Germany.com, wenn ich hier mal Werbung machen darf, kann man sich informieren, wie viele Wege es gibt, nach Deutschland zu kommen, und trotzdem, Herr Zurheide, brauchen wir einen Mechanismus. Es werden nicht alle kommen können von denen, die gerne wollen. Es sind davon nicht alle Flüchtlinge.
    "Es wird nicht ohne Grenzschutz gehen"
    Zurheide: Meine Frage war ja, ob wir es bündeln sollen in einem Einwanderungsgesetz, was viele sagen, und dann können wir ja die Regeln festlegen.
    Spahn: Ja, ich bin sehr dafür, zu bündeln und klar rauszuarbeiten, aber ich will nur eins sagen: Damit machen Sie immer noch nicht alle glücklich. Es wird trotzdem noch Menschen geben, die versuchen werden, auf anderen Wegen nach Europa, nach Deutschland zu kommen, und deswegen wird es nicht ohne Grenzschutz gehen, deswegen wird es nicht ohne Kontrolle gehen, und deswegen wird es auch nicht ohne diese Abkommen etwa mit der Türkei und mit Nordafrika gehen. Da sollten wir uns nichts vor weismachen. Ein Einwanderungsgesetz führt ja nicht dazu, dass all die zufrieden sind, die sich jetzt teilweise eben in der Hoffnung auf eine bessere Perspektive auf den Weg machen.
    Zurheide: Jens Spahn war das von der CDU aus dem Präsidium. Ich bedanke mich heute Morgen für das Gespräch! Danke schön, Herr Spahn!
    Spahn: Sehr gerne, Herr Zurheide!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.