Donnerstag, 18. April 2024

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Bundesverdienstkreuz
"Eine große Genugtuung"

"Nazi, treten Sie zurück", rief Beate Klarsfeld dem damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger zu - dann ohrfeigte sie ihn. 1968 bekam Klarsfeld dafür ein Jahr Gefängnis, jetzt das Bundesverdienstkreuz. Klarsfeld im DLF: "Die Auszeichnung ist für mich eine große Genugtuung."

Beate Klarsfeld im Gespräch mit Martin Zagatta | 16.05.2015
    Beate Klarsfeld zwischen den Stelen des Holocaust-Mahnmal in Berlin
    Beate Klarsfeld kandidierte 2012 für die Linkspartei als Bundespräsidentin (imago/IPON)
    Beate Klarsfeld und ihr Mann Serge klärten mit ihrer journalistischen Arbeit NS-Verbrechen auf und verfolgten die Täter, die vor allem in der frühen Bundesrepublik teilweise schon wieder in hohen Positionen saßen: Ernst Achenbach, Klaus Barbie - Gestapo-Chef von Lyon - und nicht zuletzt der ehemalige Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger. Die Tatsache, dass ein Nazi wie Kiesinger - als stellvertretender Leiter der rundfunkpolitischen Abteilung im Außenministerium hatte er enge Verbindungen zum Reichpropagandaministerium - an der Spitze der deutschen Regierung stand, sei für sie unerträglich gewesen, sagte Klarsfeld im DLF. Die Ohrfeige war Ausdruck ihres Protestes.
    Für ihre Aufklärungsarbeit haben Beate Klarsfeld und ihr Mann Serge nun das Bundesverdienstkreuz erhalten. Klarsfeld sagte im Deutschlandfunk, sie habe immer gehofft, dass der deutsche Staat irgendwann ihre Verdienste anerkenne. Es habe sich viel geändert in Deutschland und sie sei stolz darauf, dazu beigetragen zu haben. "Das Bundesverdienstkreuz ehrt unsere Arbeit. Ich empfinde große Genugtuung."

    Lesen Sie hier das vollständige Interview:
    Martin Zagatta: Eine Ohrfeige hat sie weltberühmt gemacht. 1968 war das, als Beate Klarsfeld dem damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger auf einem CDU-Parteitag einen Schlag ins Gesicht verpasst, um auf dessen NS-Vergangenheit aufmerksam zu machen. Die Deutsch-Französin, die gemeinhin als Nazi-Jägerin bezeichnet wird und unter anderem Klaus Barbie, den Gestapo-Chef von Lyon ausfindig gemacht hat, ist in Israel, in Frankreich und den USA mit höchsten Orden geehrt worden. Sehr lange hat es gedauert, aber jetzt erhalten Klarsfeld und ihr Ehemann Serge doch noch das Bundesverdienstkreuz. Und in Paris, wo sie lebt, bin ich nun mit ihr verbunden. Guten Morgen, Frau Klarsfeld!
    Beate Klarsfeld: Guten Morgen!
    Zagatta: Frau Klarsfeld, das hat ja jetzt ewig gedauert, bis sich der deutsche Staat dazu durchgerungen hat, Sie doch noch mit diesem Verdienstkreuz zu ehren. Haben Sie denn überhaupt noch damit gerechnet? Und wie wichtig ist Ihnen diese Auszeichnung?
    Klarsfeld: Habe ich damit gerechnet . Ja, man rechnet immer mit etwas, denn es waren ja viele Anläufe damals schon in der alten Regierung in Deutschland gemacht worden und es wurde entweder in die Länge geschoben oder abgelehnt. Aber gut, ich habe es jetzt bekommen, auch mit Serge zusammen, und es ist für uns natürlich eine große Genugtuung. Denn das zeichnet ja auch unsere Arbeit aus, die wir seit Jahren schon leisten.
    Zagatta: Sie sagen Genugtuung. Haben Sie kein Problem damit, diese Auszeichnung anzunehmen von einem Staat, der ja lange NS-Verbrecher geschützt hat in der Nachkriegszeit, zumindest nicht sehr viel getan hat, sie zu belangen?
    Klarsfeld: Wahrscheinlich bekomme ich gerade deswegen das Bundesverdienstkreuz, weil ich viel dafür getan habe, erstens mal zu verhindern, dass ehemalige Nazis wie Kurt Georg Kiesinger oder Ernst Achenbach in der deutschen Regierung sein konnten, und auch weil Serge und ich es erreicht haben, dass die NS-Verbrecher, die in Frankreich tätig waren und in Deutschland friedlich lebten wie Lischka, Hagen und Heinrichsohn, in Köln 1979 vor Gericht gestellt wurden. Das war unsere Arbeit und ich nehme an, deswegen bekommen wir auch das Bundesverdienstkreuz.
    Zagatta: Also, Sie sind stolz auf diesen Orden?
    Klarsfeld: Ich würde nicht sagen stolz, aber ich finde, er ehrt unsere Arbeit. Ich meine, wenn man, wie Sie sagten, die Ohrfeige gegen Kurt Kiesinger, ein Jahr Gefängnis danach bin ich ...
    Zagatta: Auf Bewährung.
    Klarsfeld: Nein, nicht auf Bewährung.
    Zagatta: Sie mussten nicht absitzen.
    Klarsfeld: Ich musste nicht, weil ich Französin war, ich durfte frei sein bis zur ???. Aber 2012 bin ich von der Linken als Kandidatin gegen Gauck aufgestellt worden und ...
    Zagatta: Als Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten.
    Einen langen Weg zurückgelegt
    Klarsfeld: Es ist immerhin ein langer Weg!
    Zagatta: Frau Klarsfeld, Sie haben das vorhin schon gesagt, Sie sind ja oft vorgeschlagen worden in der Vergangenheit. Warum hat das so lange gedauert, bis man sich dann doch durchgerungen hat von deutscher Seite, Ihnen diesen Orden zu verleihen? War das Obrigkeitsdenken, dass man nicht jemand ehren wollte, der es gewagt hat, einen deutschen Bundeskanzler zu ohrfeigen? Oder wie erklären Sie sich das?
    Klarsfeld: Ja, ich glaube, doch. Wenn ich höre, ach, Beate Klarsfeld, die Ohrfeige! Aber ich habe selten gehört, warum sie es getan hat, weil er immerhin ein Nazi-Propagandist war, Verbindungsmann zwischen Rippentrop und Auswärtigem Amt und dem Propagandaminister. Er wusste, was in den Lagern geschah, er kannte die militärische Lage. Ich meine, dass sich so kurze Zeit nach dem Kriege die Bundesrepublik einen Mann wählte, der Nazi war, als Chef der Regierung, das war immerhin . Das musste irgendwie bestraft werden. Die Ohrfeige war auch symbolisch, denn ich hatte ja danach die Jugendlichen hinter mir. Und Sie wissen, 1969 war ich Kandidatin für eine Linkspartei, ich habe einen Wahlkampf geführt für Willy Brandt und gegen Kiesinger. Und 1969 wurde Willy Brandt, für den ich immer geschwärmt habe, für den ich mich immer eingesetzt habe in allen Zeitungsartikeln, wurde Bundeskanzler. Das war für mich, würde ich sagen, das war das Ende der Periode gegen Kiesinger.
    Zagatta: In Ihrem Fall, weil Sie in Paris leben, auch die französische Staatsbürgerschaft angenommen haben, hat ja das Außenministerium ein entscheidendes Wort gehabt bei der Verleihung dieses Bundesverdienstkreuzes. Wissen Sie zum Beispiel - Sie haben jetzt Brandt angesprochen -, warum es dann auch später nicht passiert ist? Warum der grüne Außenminister Joschka Fischer zum Beispiel das nicht auf den Weg gebracht hat, Ihnen das Verdienstkreuz zu verleihen?
    Klarsfeld: Ich weiß es nicht, ich glaube, alle Parteien hatten doch ein bisschen Angst, sich von den anderen Parteien da irgendwie ausschimpfen zu lassen, dass sie der Klarsfeld das Bundesverdienstkreuz geben, also im Allgemeinen. Ich möchte da nicht so in die Einzelheiten gehen, aber man weiß immer nicht, man versucht immer, doch keine Tat zu tun ... Das Bundesverdienstkreuz für Beate Klarsfeld war nicht so wichtig, man wollte sich deswegen nicht mit den anderen Parteien anlegen. Und Sie wissen ja auch, als ich Kandidatin war, wie hässlich die etablierten Parteien über mich schimpften und ständig meine Verbindung zur Stasi hervorhoben.
    Zagatta: Sie sprechen jetzt an, dass Ihnen vorgeworfen wurde, dass Sie bei Ihrer Arbeit mit der DDR, mit dem SED-Regime zusammengearbeitet haben. Da haben ja viele gesagt, das ist ein Unrechtsregime. War Ihnen das bei der Jagd nach ehemaligen Nazi-Größen ganz egal? Hätten Sie auch mit dem Teufel da zusammengearbeitet, um an solche Nazi-Verbrecher wie Klaus Barbie heranzukommen?
    Klarsfeld: Im Allgemeinen, ich sagte ja, als ich meine Kampagne gegen Kiesinger führte, war ich eigentlich allein. Denn ich hatte keine Unterstützung in Westdeutschland. Die DDR vor allen Dingen öffnete uns die Archive, die mein Mann in Potsdam gefunden hatte, um die Vergangenheit von Kiesinger aufzudecken und zu beschreiben. Wir hatten auch eine große Unterstützung vom Staat Israel, denn ich hatte immer in meinen ganzen Aktionen auch gezeigt, dass ich gegen den Antisemitismus kämpfe, wie in Polen und in der Tschechoslowakei, wo ich mich ankettete, um gegen Antizionismus und Antisemitismus zu demonstrieren, oder auch später in Syrien und in Beirut. Meine Solidarität mit dem Staat Israel habe ich immer gezeigt und in Israel habe ich auch Unterstützung bekommen, ist ganz klar. Man muss im Allgemeinen, wenn man etwas erreichen will, man bekommt eine Hilfe von einem Staat, dann nimmt man sie auch an. Sie wissen, später dann, als ich in Polen und Tschechoslowakei gegen Antisemitismus demonstrierte, wurde mir die Grenze zur DDR geschlossen. Also, ich habe mich von niemandem einfangen lassen.
    Zagatta: Hätten Sie in diesen Anfängen damals, nach dieser aufsehenerregenden Ohrfeige sich vorstellen können, für Ihr Verhalten einmal vom deutschen Staat geehrt zu werden?
    Eine Auszeichnung für alle, die uns geholfen haben
    Klarsfeld: Ach, im Allgemeinen, ich habe es immer gehofft. Ich meine, wissen Sie, wir haben ein so glückliches Familienleben, wir sind so engagiert, ich meine, ich werde nicht jeden Tag darüber nachdenken, bekomme ich das, bekomme ich das nicht? Jetzt bekomme ich es, es ist eine wunderbare Auszeichnung für Serge und für mich, und gut, ich meine, wir werden es in den nächsten Tagen, den nächsten Monaten von der Deutschen Botschaft in Paris überreicht bekommen, es ist auch nicht nur für mich, sondern auch für die ganzen Freunde, die um uns herum sind, die jahrelang mit uns gekämpft haben, die Gruppe der Söhne und Töchter der Deportierten aus Frankreich oder auch mein Sohn, der uns seit Langem schon unterstützt und der sich ja auch unseren Kampfes angenommen hat gegen Rechtsextremismus und. Es ist ein bisschen auch für alle, dieses Bundesverdienstkreuz, für all diejenigen, die uns geholfen haben, die um uns herum sind.
    Zagatta: Ist das Joachim Gauck, dem Sie das jetzt verdanken? Also, glauben Sie, der Mann, gegen den Sie ja kandidiert haben bei der Bundespräsidentenwahl, als Kandidatin damals der Linkspartei, ist das jetzt Joachim Gauck, dem Sie da dankbar sind?
    Klarsfeld: Ich bin dankbar demjenigen, der das uns jetzt das Bundesverdienstkreuz verleiht, Serge und mir. Wie die Prozedur war, durch das Auswärtige Amt, das wurde ja auch von vielen anderen Organisationen gefordert, den genauen Ablauf, wo von wo. Jedenfalls ist es der Präsident Joachim Gauck, der es uns verleiht.
    Zagatta: Frau Klarsfeld, ich will jetzt Ihre Verdienste, Ihr Lebenswerk nicht nur darauf reduzieren, aber weil Sie mit dem Ohrfeigen von Bundeskanzler Kiesinger so bekannt, so berühmt geworden sind, doch die Frage: Wie schwer oder wie leicht ist es Ihnen denn damals gefallen, das zu tun? Hatten Sie eine solche Wut in sich, dass Ihnen das ganz leichtgefallen ist, oder mussten Sie da allen Mut zusammennehmen?
    Klarsfeld: Im Allgemeinen, solche Aktion ist nicht sehr leicht durchzuführen, das ist ganz klar. Ich arbeitete damals im deutsch-französischen Jugendwerk in Frankreich und in einigen Artikeln in der damals linksliberalen Zeitung "Combat" hatte ich dagegen protestiert, als Deutsche, die in Frankreich lebt, dass sich die Bundesrepublik einen Bundeskanzler wählen konnte, der Nazi war. Daraufhin wurde ich damals aus dem deutsch-französischen Jugendwerk entlassen, weil ich gesagt hatte, dass Kiesinger sich einen genauso guten Ruf geschaffen hat in den Reihen der Braunen wie in den Reihen der Christdemokraten. Das wäre heute unmöglich, so was zu tun. Und das war eben der Auslöser. Ich musste es sagen, als Deutsche hatte ich wohl das Recht zu schimpfen, wenn die Bundesregierung einen Nazi-Kanzler macht, und dann ist natürlich die Sache weitergelaufen. Zusammenstellung der Kiesinger-Akten, ich habe gesehen, dass sich niemand in der Bundesrepublik dafür interessierte, nur in der DDR, und dann eben Zwischenfälle, wir mussten ja die Öffentlichkeit und dadurch auch die Presse mobilisieren, dann Unterbrechung seiner Rede im Bundestag in Bonn und dann diese vorbereitete Ohrfeige. In der Tat, es war der CDU-Kongress in Berlin und ich hatte eben die Möglichkeit am letzten Tag dieses Kongresses, so nah an Kiesinger heranzukommen und ihn zu ohrfeigen mit dem Ruf "Nazi-Kiesinger, abtreten". Und Kiesinger wusste sofort, er sah es, das ist die Klarsfeld. Denn er hatte meine Kampagne gegen ihn ja oft in den Zeitungen gelesen.
    Zagatta: Wenn Sie sich das heutige Deutschland anschauen, sind Sie mit dem Staat jetzt versöhnt oder möchten Sie heute auch noch gerne jemand ohrfeigen?
    Klarsfeld: So was tut man nicht ein zweites Mal. Aber ich meine, sicher, ich habe ja auch viel dazu beigetragen, dass Deutschland heute eine Demokratie ist. Ich sagte ja, die Jugendlichen und im Allgemeinen Geschichtsbücher, wenn Sie hineingucken, beschäftigen sich mit der Zeit 1933 bis 1945, es gibt die vielen Gedenkstätten, ich gehörte ja auch zum Förderkreis von dem Holocaust-Denkmal in Berlin. Nein, es hat sich sehr, sehr viel geändert, darauf bin ich sehr stolz und ich hoffe, dass ich da auch etwas mitgewirkt haben kann.
    Zagatta: Frau Klarsfeld, ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zum Bundesverdienstkreuz und bedanke mich für dieses Gespräch!
    Klarsfeld: Dankeschön! Wiederhören!
    Zagatta: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.