
Martin Zagatta: Kleinere und mittelständische Unternehmen sind von der Erbschaftssteuer weitgehend befreit. Ist das höchst ungerecht, oder ist das die Voraussetzung, damit der deutsche Mittelstand auch weiterhin floriert? Wie es denn auch sei: Das Bundesverfassungsgericht hat heute entschieden, dass die Steuerprivilegien für Firmenerben in der derzeitigen Form gegen das Grundgesetz verstoßen. Der Gesetzgeber muss also handeln.
Wir sind jetzt verbunden mit Tom-Arne Rüsen von der Universität Witten-Herdecke. Er ist der geschäftsführende Direktor des Wittener Instituts für Familienunternehmen. Guten Tag, Herr Rüsen.
Tom-Arne Rüsen: Guten Tag!
Zagatta: Herr Rüsen, Sie, Ihr Institut - das darf man ja, glaube ich, so sagen - steht den mittelständischen Unternehmen nahe. Sind diese Unternehmen, diese kleineren Unternehmen jetzt mit diesem Urteil noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen?
Rüsen: Na ja, das kann man so oder so sehen. Zunächst ist erst mal positiv anzumerken, dass es einen Bestandsschutz gibt der bestehenden erbschaftssteuerlichen Regelungen und dass man bis zum 30. Juni 2016 da noch davon ausgehen kann, dass das hält. Das ist erst mal ein Vorteil der heutigen Entscheidung.
Zagatta: Da hat man ja damit gerechnet, dass jetzt noch ganz schnell sehr viel weitervererbt wird. Ist das überhaupt nötig nach dem, was sich mit diesem Urteil jetzt abzeichnet? Das sieht doch sehr unternehmerfreundlich aus.
Rüsen: Na ja, das müssen wir vielleicht gleich noch mal genauer anschauen. Zunächst mal wurde in den letzten Jahren und Monaten im Hinblick auf diese Entscheidung sehr, sehr viel Vermögen in die nächste Generation vererbt, und ich würde vermuten, dass dieser Trend auch bis zum 30. Juni 2016 anhält. Man muss sich natürlich immer die Frage stellen, wie klug das ist, etwas in eine nächste Generation zu vererben, wenn die nächste Generation nicht angemessen auf ihre Gesellschafterrolle vorbereitet ist.
Zagatta: Herr Rüsen, bevor wir in die Einzelheiten gehen, zum Grundsätzlichen vielleicht noch mal, zum Stichwort Gerechtigkeit oder Gleichheit. Bleibt es jetzt dabei, so sieht es ja aus: Die einen müssen, wenn sie zu Vermögen kommen wollen, hart arbeiten, und den anderen fällt das durch Erbe schon in den Schoß?
Rüsen: Das ist eine durchaus berechtigte Sichtweise. Was wir beobachten - und wir arbeiten ja sehr intensiv in der Forschung mit Familienunternehmen und insbesondere mit den Gesellschafterfamilien zusammen und schauen uns an, wie wird denn hier eigentlich das Vermögen gesehen. Und das ist das, was mir in der ganzen Diskussion bisher zu kurz kommt. Für viele der hier betroffenen Gesellschafter, Nachkommen oder Familienmitglieder wird das Vermögen gar nicht als verfügbares Vermögen betrachtet, auch wenn es rechtlich jedem natürlich gehört, sondern es wird sehr häufig als eine Art treuhänderisches Vermögen, also ein transgenerationales Vermögen betrachtet, wo man etwas geschenkt bekommt mit der Aufgabe und der Verpflichtung, es an die nächste Generation weiterzugeben. Das muss hier mit in diese Diskussion integriert werden, weil sonst vergleicht man Äpfel mit Birnen.
Zagatta: Aber gehört in diese Diskussion nicht auch, dass da großes Schindluder getrieben wird?
Rüsen: Absolut.
Zagatta: In das steuerfreie Betriebsvermögen können Unternehmer doch zum Beispiel auch Kunstgegenstände einbringen oder Ähnliches.
Rüsen: Ja, absolut. Hier gab es einfach in dem Gesetzgebungsverfahren - das muss man klipp und klar sagen - unnötige Lücken, die diese Gerechtigkeitsdebatte unnötig hervorgebracht haben, und es ist natürlich auch dramatisch, wenn man beobachtet, was zum Teil mit Cash-GmbHs und so weiter versucht worden ist. Das ist eine Form, die Familienunternehmen zu verschonenden Regelungen schamlos auszunutzen. Absolut, da bin ich vollkommen bei Ihnen: Das muss in der Diskussion berücksichtigt werden. Aber auch hier gab es ja Nachbesserungen. Und bei den jetzt hier in Aussicht gestellten Möglichkeiten, wie der Gesetzgeber zu reagieren hat, sollte man aus meiner Sicht hier kluge und vor allen Dingen praktikable Lösungsmöglichkeiten schaffen, dass es wirklich um die betrieblichen Vermögen geht, dass die verschont bleiben, und Kunstgegenstände, Oldtimer-Sammlungen oder sonst, was Sie gerade ansprachen, das sollte aus meiner Sicht genauso besteuert werden wie ein Einfamilienhaus von jemand, der über entsprechende andere Vermögensgegenstände nicht verfügt.
Zagatta: Lesen Sie das aus diesem Urteil heraus? Ich meine, wir kennen das jetzt alles erst seit Kurzem und wahrscheinlich nur aus Zusammenfassungen. Lesen Sie das aus diesem Urteil heraus, dass so etwas passieren wird?
Rüsen: Ich lese hier eine ganze Menge Spielräume heraus. Hier wurden zwar ein paar Kommentare klar abgegeben, aber immerhin wird hier, so wie ich das verstehe, eine klare Handlungsfreiheit gewährt. Was ich für die großen Unternehmen hier heraushöre ist, dass es da über ganz andere Formen von Prüfungsregularien geben wird, und da muss man sich die Frage stellen: a) An welche Kriterien könnte man so was praktikabel definieren?, und b) Wie sollen die lokalen Finanzämter oder Finanzdirektionen das dann eigentlich in einen intelligenten und vor allen Dingen bewältigbaren Prüfprozess integrieren?
Zagatta: Könnte man sagen, es bleibt dabei: Wer einen guten Steuerberater hat, der kann sein Unternehmen auch in Zukunft nahezu steuerfrei weitervererben?
Rüsen: Überhaupt nicht, und das war in der Vergangenheit, würde ich noch mal plädieren, sich genau anzuschauen, worum es hier geht. Es geht hier in der Regel bei den Familienunternehmen - nehmen Sie die schwarzen Schafe, die Sie gerade ansprachen, aus - darum, das Vermögen, das betriebliche Vermögen zu erhalten. Und sie müssen sich ja auch die Frage stellen: Was passiert denn, wenn man es voll besteuern würde? Und das können Sie sich in anderen Ländern anschauen. Dann wird Folgendes passieren: Dann werden die Nachkommen die Steuerlast nicht tragen können und müssen Teile oder das gesamte Unternehmen verkaufen. Und wer steht denn als Käufer zur Verfügung? Das wären aus unserer Sicht Private Equity Fonds oder Technologie-interessierte Ausländer, Chinesen, Inder wie auch immer, und da muss man sich natürlich fragen, ob das eine Zukunftsvision für unseren Wirtschaftsstandort ist, der der deutschen Bevölkerung und unserer Wirtschaftskraft wirklich angemessen ist.
Zagatta: Aber das steht in Deutschland ja auch überhaupt nicht zur Debatte. Die Bundesregierung, die große Koalition, hat ja schon zu verstehen gegeben, am liebsten würde sie gar nichts ändern. Das ist doch relativ unternehmensfreundlich, oder sehen Sie das nicht ähnlich?
Rüsen: Es ist vor allen Dingen, ich würde mal sagen, deutschlandfreundlich.
Zagatta: Aber in keinem Land ist das Vermögen so ungleich verteilt wie in Deutschland. Hängt das nicht auch mit dieser Unternehmensbesteuerung zusammen?
Rüsen: Die Aussage, die müsste man vielleicht noch mal verifizieren. Noch mal: Wir müssen hier die unterschiedlichen Formen von Vermögen trennen, und ich würde auch noch mal dafür plädieren zu unterscheiden zwischen frei verfügbarem Vermögen, Oldtimer-Sammlung oder Kunstgegenständen, und betrieblich gebundenem Vermögen. Das ist ja ein Verantwortungsvermögen, um das es hier geht. Daran hängen Arbeitsplätze, daran hängt letzten Endes die Wirtschaftskraft und die Leistungsfähigkeit unseres Landes. Und das müsste man sehr genau verifizieren, weil die Unternehmerfamilien, die sich mit diesen Dingen auseinandersetzen, sind in unserer Erfahrung ja bereit, bestimmte Steuern zu zahlen, aber eben nicht auf das Produktivvermögen, weil das entzieht einfach Kapital, um weiterhin zukunftsfähig und wettbewerbsfähig zu bleiben. Noch mal: Es geht nicht um eine Verschonung von privatem Vermögen, mit dem man dann mehr konsumieren kann, sondern es geht hier um den Erhalt unserer Wirtschaftsfähigkeit.
Zagatta: Ganz konkret: Es soll ja jetzt Einschränkungen geben. Was würden Sie der Bundesregierung jetzt raten, was wäre das Wichtigste, was man ändern müsste?
Rüsen: Man müsste aus unserer Sicht diese Lücken, die wir angesprochen haben - die sind zum Teil schon geschlossen worden -, die müsste man noch weiter konkretisiert schließen. Aus meiner Sicht müsste man klären, in welcher Form bleiben die Vermögen in Familienhand, im Eigentum der Gesellschafterfamilien. Wenn man hierfür einen klugen Prozess definieren kann, kluge Kriterien findet, dass man sagt, sofern das Unternehmen unter wirtschaftlichen Bedingungen im Eigentum des definierten Gesellschafterkreises verbleibt, kann man sie befreien. Kommt es zu einem Verkauf, wird sozusagen das treuhänderische Vermögen plötzlich zu frei verfügbarem Vermögen, dann sollte man aus meiner Sicht deutlich auch hier Steuern belegen, im Prinzip dem familienunternehmerischen Prinzip folgen: Derjenige, der es in der Familie in den Generationenübergang führt, sollte begünstigt werden, derjenige, der es zu freiem Cash-Vermögen macht, soll darauf Steuern zahlen. Das wäre aus meiner Sicht eine für alle Beteiligten völlig akzeptable Lösung.
Zagatta: Die Erbschaftssteuer für Unternehmen muss neu geregelt werden - darüber haben wir gesprochen mit Tom-Arne Rüsen, dem geschäftsführenden Direktor des Wittener Instituts für Familienunternehmen. Herr Rüsen, ich bedanke mich für das Gespräch.
Rüsen: Sehr gerne. Auf Wiederhören.
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