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Bundesverfassungsgericht zur Sterbehilfe
Karlsruhe und die Rechte von Todkranken

Was ist menschenwürdiges Sterben? Von der Entscheidung aus Karlsruhe zur Sterbehilfe erhoffen sich Patienten und Ärzte Rechtssicherheit. Dass die Sterbehilfe ganz freigegeben wird, ist wenig wahrscheinlich. Denkbar sind höchstrichterliche Rahmenbedingungen zu einem umstrittenen Thema.

Von Peggy Fiebig | 25.02.2020
15.07.2010, Nordrhein-Westfalen, Deutschland - Hospiz. Die Hand einer Pflegerin haelt die Hand eines sterbenden Mannes. (QF, ältere, älterer, berühren, Berührung, bettlägerig, europäisch, Fürsorge, fürsorglich, Hände, häusliche Pflege, Menschenwürde, menschenwürdiges Sterben, Nähe, trösten) 00X110715D001.JPG MODEL RELEASE: YES,RELEASE:
Das höchste deutsche Gericht entscheidet über Verfassungsbeschwerden von schwer kranken Menschen, Ärzten und Sterbehilfevereinen gegen den eingeführten Strafrechtsparagrafen 217, der die "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung" unter Strafe stellt (imago stock&people)
"Häufig werden wir ganz spät erst gerufen, dass es so ist, dass die Leute schon gar nicht mehr ansprechbar sind, häufig auch in Pflegeheimen, wo es wirklich so ist, dass man einfach nur guckt, was wäre jetzt für die Person gut. Hält man die Hand, liest man was vor, singt man was, sagen die Pflegekräfte vielleicht auch was zur Biografie. Und man kann anhand dessen sehen, was demjenigen guttut..."
Steffi, die nur beim Vornamen genannt werden will, ist ehrenamtliche Sterbebegleiterin. Eine von 42.000 in der Bundesrepublik. Sie geht zu Sterbenden, versucht zu unterstützen, zu helfen, vor allem emotionalen Beistand zu geben. Nicht nur den Sterbenden, auch den Familien.
"Die sich, wenn sie ihre Angehörigen zu Hause pflegen, unsicher fühlen, was kommt auf sie zu, wie werden die nächsten Tage, Wochen, Stunden. Das ist halt auch ganz wichtig, dass man für die auch da ist."
Der Wunsch nach Selbstbestimmung bis zuletzt
Manch ein Sterbender wünscht sich dann auch, dass das Sterben doch verkürzt werden möge.
"Also, es ist schon so, dass ich erlebt habe, dass Leute gesagt haben, ich hoffe, das geht ganz schnell. Und dass der Doktor mir dann mehr Schmerzmittel gibt und ich schnell einschlafe."
Die gelernte Krankenschwester und Sterbebegleiterin meint, dass es, wenn wirklich keine Hoffnung ist, auch Möglichkeiten geben muss, um selbstbestimmt das eigene Leben zu beenden.
"Also grundsätzlich finde ich schon, dass es erst mal so ist, dass wenn jemand in einer absoluten Endphase ist und klar ist, dass es keinen anderen Weg gibt und derjenige auch nicht mehr möchte, es gibt ja auch welche, die sagen, jede Stunde ist mir noch wichtig, jede Stunde will ich noch nutzen. Aber wenn der Fall nicht da ist und derjenige wirklich sagt und auch seine Angehörigen, jetzt ist wirklich gut für mich. Dann finde ich, dann machts auch wirklich nichts aus, wenn man eine gewisse höhere Dosis Morphin zum Beispiel gibt und ihm diese eine Stunde erspart. Oder auch einen halben Tag."
Was ist menschenwürdiges Sterben?
Was ist ein menschenwürdiges Sterben, wer darf darüber bestimmen und welche Möglichkeiten sollten dann zur Verfügung stehen. Zu diesen Fragen wird das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch eine Entscheidung fällen. Es geht um Paragraf 217 Strafgesetzbuch, der die "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung", wie es im Gesetz heißt, unter Strafe stellt. Mehrere Ärzte, sterbewillige Patienten und sogenannte Sterbehilfeorganisationen haben Verfassungsbeschwerden erhoben. Ein wichtiges Grundsatzurteil wird erwartet.
Bundesverfassungsgericht urteilt - Wann soll Sterbehilfe strafbar sein?
Am 26. Februar verkündet das Bundesverfassungsgericht, ob die aktuelle Regelung zur Sterbehilfe mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Genau geht es um das Verbot der "gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung". Schwerkranke Patienten, Sterbehilfevereine und Ärzte fordern Klarheit.
"Leben und Sterben und der Einfluss, den jeder Einzelne hierauf nehmen darf, das rührt an die Grundfesten ethischer moralischer und religiöser Überzeugung. Wie wir mit dem Tod umgehen spiegelt unsere Einstellung zum Leben."
Das sagte Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, bei der mündlichen Verhandlung über die insgesamt sechs Verfassungsbeschwerden. Zwei Tage hatten sich die Karlsruher Richter im April letzten Jahres Zeit genommen, um die Argumente der Kläger und von Politikern, Professoren, Ärzten und Verbandsvertretern zu hören.
"Die Suizidhilfe ist ein hochemotionales und seit jeher kontrovers behandeltes Thema, das mit zentralen und im wahrsten Sinne existenziellen Grundfragen des menschlichen Daseins verknüpft ist."
Jahrelange Beratungen vor der Abstimmung
2015 hat der Bundestag den Paragrafen 217, der jetzt in Karlsruhe auf dem Prüfstand steht, verabschiedet. Seitdem kann mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden, wer, "in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt". Die Parlamentarier haben es sich nicht leicht gemacht. Vorangegangen waren mehr als drei Jahre Beratungen auf den unterschiedlichsten Ebenen. Und letztendlich eine Abstimmung, in der jeder Abgeordnete frei von partei- und fraktionspolitischen Zwängen allein nach seinem Gewissen abstimmen sollte.
Katja Keul, Abgeordnete der Fraktion Die Grünen, hatte sich seinerzeit mit einem eigenen Antrag für die Beibehaltung der alten Rechtsordnung stark gemacht. Bis 2015 war die Unterstützung bei einem selbstbestimmten Suizid grundsätzlich erlaubt. Und das sollte auch so bleiben, meinte die Grünenpolitikerin.
Debatten, wie jene im November 2015, in denen der Fraktionszwang aufgehoben wurde, verlaufen grundsätzlich anders, sagt Keul.
"Sie sind insofern spannender, als dass erst mal nicht klar ist, wie es ausgeht. Und dann tatsächlich die einzelnen Verfechter für ihre Positionen eine eigene Mehrheit finden müssen. Das kommt ja leider oft zu kurz, weil die Koalitionsverträge bei anderen üblichen Verfahren doch immer schon sehr stark das Ergebnis vorwegnehmen. Und von daher ist das für die parlamentarische Kultur immer sehr erfrischend, solche Debatten zu führen und ich würde mir durchaus wünschen, wir würden die auch in anderen Themenfeldern öfter führen."
Eine "historische Debatte"
Über insgesamt vier verschiedene Anträge hatten die Abgeordneten im November 2015 zu entscheiden. Sie reichten von dem Vorschlag, die bisherige Rechtslage beizubehalten bis hin zu einem kompletten Verbot einer Beihilfe zur Selbsttötung. Alle Vorschläge waren parteiübergreifend erarbeitet worden, erinnert sich Michael Brand von der CDU. Er hatte den letztendlich auch verabschiedeten Gesetzentwurf vorgelegt, der eine geschäftsmäßige Suizidbeihilfe unter Strafe stellen sollte.
Michael Brand, CDU, aufgenommen im Rahmen der Bundespressekonferenz.
Michael Brand (CDU, Mitglied im Innenausschuss des Bundestages, hat viele Jahre mit Walter Lübcke zusammengearbeitet (imago / Florian Gaertner)
"Es ist natürlich was Besonderes, wenn man einen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf erarbeitet. Unsere Gruppe war die einzige, die von der CSU bis zur Linkspartei Abgeordnete versammelt hat, aus allen Fraktionen. Und es war ein sehr gruppendynamischer Prozess."
Auf der Internetseite des Bundestages ist die Sitzung vom 6. November 2015 als eine der "historischen Debatten" aufgeführt. Und so war es auch, meint Michael Brand.
"Ja, es ist eine Grundsatzentscheidung, die der deutsche Bundestag hier gefällt hat. Und, ja, es ist so, dass das besondere Stunden im Deutschen Bundestag sind, weil auch Abgeordnete miteinander zu tun haben, die sonst nichts miteinander zu tun haben. Und weil die Parteigrenzen verschwinden und man sich um den Kern des Lebens kümmert. Und auch lange ringt. Wir haben lange gerungen. Wir haben viele interne Expertenrunden gemacht, immer wieder abgeschichtet, um auch zu vermeiden, dass wir Fehlwege gehen und dass wir übers Ziel hinausschießen."
Letztendlich wurde der Vorschlag von Michael Brand und seinen Mitunterzeichnern mit deutlicher Mehrheit angenommen. Mit 360 von 602 abgegebenen Stimmen.
Am Rande der Karlsruher Verhandlung im Frühjahr 2019 über das von ihm initiierte Gesetz fasst Michael Brand gegenüber dem Deutschlandfunk noch einmal zusammen, warum die Neuregelung aus seiner Sicht notwendig war.
"Es gab in Deutschland ein neues Phänomen, dass sich Sterbehilfevereine auf den Weg gemacht haben und auch einzelne Akteure, die die Exit-Option, also die Suizid-Assistenz, als gewöhnliche Option neben anderen etablieren wollte. Der Gesetzgeber hat nach einer langen Diskussion im Deutschen Bundestag entschieden, dass er die menschliche Begleitung stärken will und nicht die Suizid-Assistenz als gewöhnliche Option."
Dignitas und die Freitodbegleitung
Gegen den Begriff "Sterbehilfeverein" wehrt sich der Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate vehement. Er vertritt mit einem Kollegen den Schweizer Verein Dignitas und dessen deutsche Sektion vor dem Bundesverfassungsgericht ebenso den Gründer und Generalsekretär Minelli und weitere Mitarbeiter.
"Es ist so: Dignitas hatte sich immer zum Prinzip gemacht, auch in den Statuten ist das so festgelegt, dass sie nicht etwa Sterbehilfe als Zweck ihrer Tätigkeit begreifen, sondern primär ein menschenwürdiges Leben ermöglichen, wozu natürlich auch gehört, dass Menschen, die von schwerer Krankheit gezeichnet sind, von seelischer Zermürbung oder einfach schlicht auch von Lebensmüdigkeit, dass denen eine Möglichkeit gegeben wird, auch mit Hilfe, sachverständiger Hilfe, aus dem Leben zu scheiden."
Insgesamt fast 10.000 Mitglieder hat Dignitas nach eigenen Angaben, allein über 3.200 aus Deutschland. Die Zahl der Freitodbegleitungen steigt stetig – von sechs im Gründungsjahr 1998 auf 256 im Jahr 2019. Deutsche nehmen diese Dienste verhältnismäßig am häufigsten in Anspruch. Geschäftemacherei sei das aber nicht, betont Gerhard Strate.
"Also, sie nehmen bestimmte Beträge entgegen, jetzt von den potenziellen Sterbewilligen, das ist völlig richtig. Aber darüber wird auch abgerechnet. Und es wird auch Transparenz, was das alles anbelangt, gepflegt. Ich habe da nicht im Ansatz den Eindruck, dass hier eine Geschäftemacherei stattfindet. Sonst hätte ich auch dieses Mandat nicht vertreten."
Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung
Dignitas und die deutsche Sektion würden durch das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung in der ihnen zustehenden Berufs- und Vereinsfreiheit verletzt, erklärt Rechtsanwalt Strate.
"Dignitas macht Rechte geltend, was seine Tätigkeit als Verein anbelangt, der die Möglichkeit oder die Gewährung der Möglichkeit, aus dem Leben selbstbestimmt zu scheiden, mit zu seinen Statuten zählt. Diese Rechte kann er natürlich nicht mehr verfolgen, wenn das hier in Deutschland verboten ist."
Ein Stempel aus Holz liegt auf einem Dokument. Deutsche Aufschrift: Unheilbar McPBBO McPBBO a Stamp out Wood is on a Document German Inscription cured
Sterbehilfe - Paragraf 217 vor Gericht
Wenn Ärztinnen und Ärzte auf Wunsch Schwerstkranker todbringende Medikamente verschreiben, gilt das als geschäftsmäßige Suizidbeihilfe und ist strafbar. Palliativmediziner sehen sich kriminalisiert. Das Bundesverfassungsgericht befasst sich morgen mit dem Gesetz.
Eine weitere Verfassungsbeschwerde vertritt der Münchener Rechtsanwalt Christoph Knauer. Seine Mandanten sind Mitglieder des vom früheren Hamburger Justizsenator Roger Kusch gegründeten Vereins "Sterbehilfe Deutschland".
Rechtsanwalt Christoph Knauer nach der Verhandlung in Karlsruhe gegenüber dem Deutschlandfunk:
"Unsere Mandanten sind sehr schwer krank und haben sich entschieden, die Hilfe eines solchen Sterbehilfevereins in Anspruch zu nehmen, um würdig zu sterben und sich nicht selbst in einer brutalen, unwürdigen Art und Weise töten zu müssen."
Anderer Ausweg: die schmerzfreie, fürsorgende Pflege
Für den Mediziner Winfried Hardinghaus gibt es aber immer auch einen anderen Ausweg: eine soweit wie möglich schmerzfreie, fürsorgende Pflege am Ende des Lebens. Hardinghaus ist Chefarzt der Klinik für Palliativmedizin am Berliner Franziskus-Krankenhaus und Vorsitzender des Deutschen Hospiz- und Palliativverbands. Die Frage nach einer Suizidunterstützung komme zwar in seinem beruflichen Alltag immer wieder mal auf, längst aber nicht so häufig, wie man vermuten mag, sagt er.
"Ich muss sagen, mir ist kein Fall bekannt, von den Patienten, die hier diesen Wunsch geäußert haben, die es, nachdem wir ihnen die Möglichkeiten einer würdevollen Begleitung eröffnet haben, die Möglichkeiten einer guten Schmerztherapie auch, dass sie vor allem auch in Würde sterben können und sie das auch erleben können – eigentlich hat niemand mehr anschließend diesen Wunsch geäußert, sondern die meisten waren froh und dankbar, dass sie hier diese Möglichkeiten der Begleitung hier, ich sag mal, genießen konnten."
Gegen eine gesetzliche Legitimierung der Beihilfe zum Suizid
Hardinghaus war in der Verhandlung des Bundesverfassungsgerichtes als Sachverständiger geladen. Auch hier machte er seine Ablehnung einer Suizidunterstützung deutlich und wies auf bestehende Alternativen hin. Der Angst vor Würdeverlust in Pflegesituationen und bei Demenz sowie vor unerträglichen Schmerzen könne nicht mit einer gesetzlichen Legitimierung der Beihilfe zum Suizid zu begegnet werden, argumentiert der Arzt in Karlsruhe. Konsequenterweise ist es auch für ihn selbst undenkbar, Menschen bei einer Selbsttötung zu unterstützen.
"Also das ist einmal meine persönliche Grundhaltung. Als Arzt bin ich für das Leben da, das ist einmal ganz klar. Und ich werde zwar im Sterbeprozess den Tod nicht aufhalten und werde alles tun, damit er würdevoll gestaltet sein kann und in Ruhe vonstatten geht. Aber ich bin nicht dafür da, Leben zu zerstören, zu töten. Es gibt auch religiöse Gründe dafür und es gibt vor allen Dingen – und das ist ganz, ganz wichtig – gesellschaftliche Gründe dafür. Wenn wir einmal anfangen, diese Bestimmungen zu liberalisieren, dann kommt es zu einem Dammbruch."
Mediziner fürchten mitkriminalisiert zu werden
Der Arzt befürchtet, dass es bei einer Aufgabe von Paragraf 217 zu einer Entwicklung wie in den Niederlanden oder Belgien kommen könnte, wo in der Tat die Zahlen freiwilliger Selbsttötungen nach dem Inkrafttreten einer entsprechenden Regelung deutlich gestiegen sind.
Nicht alle Ärzte würden sich aber dem Wunsch eines Sterbewilligen genauso vehement widersetzen. Mehrere von ihnen klagen ebenfalls in Karlsruhe, weil sie die Möglichkeit haben wollen, auf Wunsch eines Schwerkranken dessen Leid zu beenden, ohne befürchten zu müssen, dafür vor dem Strafgericht zu landen.
Matthias Thöns, wie Winfried Hardinghaus Palliativmediziner, ist einer von ihnen. Er kritisiert, dass der Gesetzgeber eigentlich Sterbehilfevereine treffen wollte, mit Paragraf 217 aber auch die Ärzte mitkriminalisiert.
"Der falsche Gedanke, der zu diesem Gesetz geführt hat, ist der Gedanke, dass es sehr viele Geschäftemacher gibt, die eben mit dieser Dienstleistung Geld verdienen wollen und dass das eine Gefahr ist, der wir begegnen müssen. Und da kann ich Ihnen sagen, das sind Ausnahmefälle, die ich selber natürlich auch gruselig finde und ablehne. Die berechtigen es nicht, ein Gesetz zu machen, was normale Palliativmedizin gefährdet."
Knackpunkt "grundsätzliche Bereitschaft" zur Suizid-Beihilfe
Denn Mediziner bewegen sich hier im Graubereich. Knackpunkt ist der Begriff "geschäftsmäßig". Denn nur wer geschäftsmäßig Suizidhilfe leistet, macht sich nach Paragraf 217 strafbar. Und geschäftsmäßig heißt hier nicht, dass unbedingt Geld fließen muss. Sondern dass die Möglichkeit besteht, dass derjenige erneut jemanden beim Suizid unterstützt. Und das kann bei Ärzten, die grundsätzlich dazu bereit sind, regelmäßig der Fall sein. Eigentlich war das von Gesetzgeber so gar nicht beabsichtigt, erklärt Sebastian Vogel, Medizinstrafrechtler in Berlin.
"Der Gesetzgeber hat in die Gesetzesbegründung geschrieben, dass Ärzte im Regelfall, wenn sie altruistisch tätig werden, nicht darunter fallen sollen. Das mag der Gesetzgeber da rein schreiben, bildet sich aber in der Gesetzesnorm nicht so richtig ab."
Außerdem, so sagt es Sebastian Vogel, der auch Ärzte der Berliner Charité berät, ist nicht klar geregelt, welche Handlungen tatsächlich unter Strafe stehen. Das Gesetz spricht hier vom Gewähren, Verschaffen beziehungsweise Vermitteln einer Gelegenheit zur Selbsttötung.
"Und da ist die Frage, was darunter zählt. Man wird sagen, dass das Zurverfügungstellen von Medikamenten, die Tod bringen, darunter fällt, aber es mag viele andere Konstellationen geben, in denen das schwammig und schwierig und schlecht vorhersehbar ist. Das heißt, auf allen Seiten ist nicht ganz klar, was strafbar ist und was nicht strafbar ist."
Mögliche Strafbarkeit "einfach unerträglich"
Das sei unzumutbar für die betroffenen Ärzte, kritisiert auch der klagende Arzt Matthias Thöns.
"Das Risiko meiner Behandlung liegt ja darin, dass ich nahezu allen meinen Patienten ein stark wirksames Mittel, also ein Morphiumpräparat aufschreiben muss und die Präparate sind natürlich bei Fehlanwendungen auch geeignet, sich das Leben zu nehmen. Und man kann ja gar nicht differenzieren, ob ich den Patienten dahingehend beraten habe. Aber ich habe es ihm ermöglicht, sich das Leben zu nehmen und auch wenn ich es nicht wollte, stehe ich in dieser möglichen Strafbarkeit dieses neuen Gesetzes und das ist einfach unerträglich."
Katja Keul (Bündnis 90/Die Grünen) spricht bei der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude am 16.05.2018 in Berlin
Katja Keul (Bündnis 90/Die Grünen) (dpa / Kay Nietfeld)
Thöns rechnet damit, dass die anstehende Entscheidung Rechtssicherheit für die Ärzte bringt und damit auch für die Patienten. Dass klargestellt wird, dass sich ein Arzt nicht strafbar macht, wenn er einem sterbenskranken Patienten beim selbst gewählten Sterben hilft.
Der Bundestagsabgeordnete Michael Brand hofft, dass die Bundesverfassungsrichter in ihrer zu verkündenden Entscheidung auch auf die Mühen des Gesetzgebers bei der Verabschiedung von Paragraf 217 geschaut haben.
"Ja, ich habe die Erwartung, dass das Verfassungsgericht genau diesen langen Prozess im Deutschen Bundestag – das Quälen, das Steinumdrehen und die sensible Debatte um die Selbstbestimmung in der sensiblen Phase, dass sie diese Diskussion im Deutschen Bundestag berücksichtigen. Auch die breite Mehrheit, die es im Deutschen Bundestag gegeben hat. Denn wenn das Verfassungsgericht die geschäftsmäßige Sterbehilfe erlauben würde und diesen Dammbruch bewirkt, dann weiß ich ehrlich gesagt auch nicht, wie wir die Menschen weiter schützen wollen, die unter Druck gesetzt werden oder sich unter Druck gesetzt fühlen, den Weg in den Tod zu gehen."
Rahmenbedingungen für Suizidhilfe wahrscheinlich
Einen anderen Blickwinkel hat Katja Keul von den Grünen, die hofft, dass Paragraf 217 nicht bestehen bleibt. Auch sie hat sich vorgenommen, bei der Verkündung der Karlsruher Entscheidung dabei zu sein.
"Also ich bin sehr gespannt, vor allen Dingen, nach dem, was aus der mündlichen Verhandlung berichtet wurde, ist es durchaus möglich, dass das Verfassungsgericht hier eine Strafnorm für verfassungswidrig erklären könnte. Das ist schon etwas Besonderes. Ja, ich muss natürlich sagen, dass wenn das Verfassungsgericht nicht nur in Teilen, sondern insgesamt den Paragraf 217 in dieser Form für verfassungswidrig erklären würde, dann hätte sich am Ende mein kleiner Antrag, der als letztes eingereicht wurde, durchgesetzt. Das wäre natürlich auch ein Erfolg."
Beobachter der mündlichen Verhandlung im vergangenen April in Karlsruhe rechnen nicht damit, dass der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichtes das strikte Verbot des Paragrafen 217 in seiner jetzigen Ausgestaltung aufrechterhalten wird. Die Richter hatten wiederholt darauf hingewiesen, dass auch die Entscheidung, dem Leben selbst ein Ende setzen zu wollen, Ausdruck der verfassungsrechtlich gewährten Autonomie eines Jeden ist. Dass die Sterbehilfe auf der anderen Seite wieder ganz freigegeben wird, ist aber ebenso wenig wahrscheinlich. Denkbar ist vielmehr, dass Karlsruhe Rahmenbedingungen für die Suizidhilfe schafft. Beispielsweise Suizidwilligen auferlegt, sich vor der Umsetzung ihres Wunsches ausführlich beraten und oder ärztlich begutachten zu lassen.
Gerichtspräsident Voßkuhle erinnerte bei der mündlichen Verhandlung im letzten April erinnerte noch einmal daran, worum es bei der Entscheidung gehen wird und worum nicht: "Es geht nicht um das Pro und Contra, nicht um unsere Meinung und unsere Standpunkte, sondern allein um die Reichweite des Freiheitsraums, den das Grundgesetz einer staatlichen Strafnorm entgegensetzt."