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Bundeswehr in Syrien
"Was ist eigentlich die Gesamtstrategie?"

Der Militäreinsatz der Bundeswehr gegen die Terrormiliz IS sei alternativlos, sagte der Konfliktforscher Christian Hacke im Deutschlandfunk. Sich in Syrien nicht zu beteiligen, wäre von vielen Partnern als unsolidarisch und feige angesehen worden. Dieser Militäreinsatz werde dabei helfen, auf diplomatischem Wege eine Friedenslösung zu suchen.

Christian Hacke im Gespräch mit Gerd Breker | 26.11.2015
    Eine an den Rändern zerfetzte syrische Fahne wehr vor einem zerstörten Gebäude in Homs
    Eine syrische Fahne in der zerstörten Stadt Homs (picture alliance / dpa / Valery Sharifulin)
    Gerd Breker: Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem Politikwissenschaftler Christian Hacke. Guten Abend, Herr Hacke.
    Christian Hacke: Seien Sie gegrüßt, Herr Breker.
    Breker: Nun ist es also so weit: Deutschland greift in den Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat ein. Da mag jetzt erst mal Aufklärung im Vordergrund stehen, aber machen wir uns nichts vor: Das ist ein richtiger Kampfeinsatz.
    Hacke: Ja, es ist ein Kampfeinsatz, aber, sagen wir mal, noch nicht ganz auf Augenhöhe. Wir sind nicht mit Kampfflugzeugen dabei und wir fliegen auch keine Ziele an, sondern wir tun das, was wir am besten können, nämlich Aufklärung leisten, und das ist schon eine ganze Menge und ist nicht ungefährlich und das ist schon eine Wende. Das ist richtig.
    Breker: Sie sagen, es ist nicht ganz ungefährlich. Deutschland teilt damit die Risiken und die Gefahren der anderen Verbündeten gegen den islamischen Staat.
    Druck aus Paris
    Hacke: Ja, das ist richtig, und es ist ja nun auch ein bisschen Druck gekommen aus Paris, können wir ja so sagen. Präsident Hollande zeigte sich ja in den letzten 13 Tagen seit dem Anschlag in Paris nicht besonders zufrieden über das, was Deutschland gebracht hat, und ich denke, nun wird er die Dinge anders sehen, denn hier nun die Unterstützung der französischen Luftwaffe und dann die deutsche Fregatte, die dem französischen Flugzeugträger Charles de Gaulle Geleitschutz geben soll, dann die Aufstockung des Mali-Engagements und einige andere Dinge mehr, das ist schon substanziell neu und erfordert ja auch dementsprechende Schlussfolgerungen für den Bundestag und natürlich im Kabinett.
    Breker: Die Kanzlerin hat in Paris gesagt, der IS muss militärisch bekämpft werden. Krieg gegen Terror - hat sie da Recht? Ist das der Weg?
    "Wahl zwischen schlimm und schlimmer"
    Hacke: Nun, also, es ist ja natürlich nicht der Weisheit letzter Schluss, Herr Breker, dass wir uns jetzt militärisch beteiligen. Aber was ist die Alternative? Die Alternative wäre keine Beteiligung und ich denke, dass das von vielen Partnern, insbesondere von Frankreich als unsolidarisch angesehen würde, vielleicht sogar als feige, und es hätte natürlich in dieser Phase der Intensivierung des Kampfes oder Krieges gegen den Terror, der nun auch Deutschland erreicht hat, natürlich auch Konsequenzen, wenn wir in Not geraten im Zuge vielleicht verschärften Terrorismus oder auch Anschlägen in Deutschland. Dann könnten wir nicht auf die Solidarität der anderen und der Franzosen setzen und das wäre sehr fatal. Also es ist in unserem eigenen Interesse letztlich, dass wir hier uns mit beteiligen. Zugegebenermaßen: Es ist keine Wahl zwischen richtig oder falsch, sondern schlimm und schlimmer. Die Frage, was schlimmer ist als Beteiligung oder nicht Beteiligung, das ist schon schwierig zu erörtern.
    Breker: Nun sagen viele, aus der Luft allein ist der Sieg gegen den IS nicht möglich. Es braucht auch Bodentruppen. Also irgendwie: Wer A sagt, muss der nicht auch B sagen?
    IS "allenfalls eingedämmt, aber noch lange nicht besiegt"
    Hacke: Muss nicht unbedingt. Die Meinungen gehen ja auseinander, ob bisher der Kampf gegen den Terror aus der Luft erfolglos oder erfolgreich war. Da gibt es widersprüchliche Meinungen. Auf jeden Fall: So erfolgreich, wie Präsident Obama das Unternehmen schildert, ist es nicht. Aber es ist auch nicht erfolglos. Ohne die Luftschläge gegen den IS hätte der IS sich sicherlich im Nahen Osten, im Irak und in Syrien weiter ausgebreitet. Er ist allenfalls eingedämmt, aber noch lange nicht besiegt, und ich denke, das Entscheidende ist hier, dass wir parallel denken müssen. Es muss militärisch was getan werden, aber natürlich noch viel mehr, viel, viel mehr, nicht militärisch, mit zivilen Mitteln. Und ich sage an vorderster Front: Wir müssen die UNO unterstützen.
    Breker: Russland hat zum Schutz seiner Flugzeuge modernste Luftabwehrraketen stationiert in Syrien. Es braucht also, wenn man dort in der Luft tätig sein will, eine ganz enge Abstimmung mit Russland im syrischen Luftraum.
    Mehr Einfluss auf Russland
    Hacke: Auf jeden Fall! Und wir sehen ja: Der Zwischenfall mit der Türkei, dass hier also die Sensibilitäten natürlich sehr groß sind, weil halt massive unterschiedliche Interessen gelagert sind. Wir wissen nach wie vor, Assad wird von den Russen rücksichtslos gestützt, und umgekehrt haben wir auf der anderen Seite natürlich die Türkei, die gerade Assad stürzen will, und natürlich auch nicht nur die Türkei, sondern auch Saudi-Arabien und natürlich auch die Vereinigten Staaten und wir hängen mitten drin. Aber ich denke, hier geht eins nach dem anderen. Wir müssen zunächst die Zusammenarbeit mit den Russen suchen, um hier den ersten Schritt zu tun, den IS gemeinsam zu bekämpfen, und da muss Russland mehr tun. Und ich glaube auch, wenn wir uns stärker militärisch engagieren, dass Deutschland insgesamt politisch auch mehr Einflussmöglichkeiten bekommt auch auf Russland. Schauen Sie: Ich glaube, der Militäreinsatz muss gesehen werden auch unter seiner politischen Bedeutung. Jede Diplomatie gerade in Krisenzeiten oder in Kriegszeiten ist nur so stark wie der militärische Rückhalt oder das militärische Engagement, und das bringt sicherlich bei den Russen Respekt und stärkt natürlich auch unsere Rolle, glaube ich, insgesamt im europäischen Verband im Kampf gegen den IS. Italien macht jetzt mit, Cameron versucht natürlich auch, sein Engagement aufzustocken. Deutschland wird militärisch-politisch seinen Handlungsspielraum enorm vergrößern können. Das ist eigentlich das Wichtige. Weniger wichtig ist jetzt die militärische Aufklärungsarbeit in meinem Sinne.
    Breker: Nun sagen alte erfahrene Militärs: Wer reingeht, der muss auch wissen, wie er wieder rauskommt. Wissen wir das? Gibt es einen Plan überhaupt?
    "Militäreinsatz stärkt unser Land"
    Hacke: Ich glaube, das ist eines der Hauptmomente auch der Kritik: Was ist eigentlich die Gesamtstrategie? Und hier hat gerade die Bundesrepublik eigentlich doch immer nur sehr kleinteilig sich gezeigt, nicht nur zögerlich, sondern wir haben schon ja kein Gefühl in Deutschland für den Zusammenhang zwischen Politik auf der einen Seite und militärischem Engagement, wie ich es gerade angedeutet habe, dass Krisendiplomatie nur so stark ist, wie sie militärisch gedeckt ist. Und in unserem pazifistischen Umfeld ist hier eben Lernbedarf notwendig, mehr Realismus, und ich denke, dann werden wir auch insgesamt vorankommen mit Blick auf eine militärische Gesamtstrategie oder militärisch-politische Gesamtstrategie. Außenminister Steinmeier wird sicherlich auch durch diese Militäreinsätze in seinem diplomatischen Spielraum, dort Frieden zu schaffen, vielleicht Waffenstillstand zu schaffen, sicherlich gestärkt werden. Dieser Einsatz hat eine eminent politische Bedeutung und stärkt unser Land dort und als Zentralmacht in Europa auch und wirkt als Katalysator für die anderen Europäer wie die Italiener und auf die Briten zum Beispiel.
    Breker: Nach den Anschlägen von Paris, Herr Hacke, war eine These, der IS in Syrien sei in Bedrängnis, er suche deshalb mit verstärktem Terror in Europa die Aufmerksamkeit. Wenn wir mitmachen, dann ist Deutschland kein nachrangiges Ziel mehr. Dann müssen wir auch hier mit Terroranschlägen rechnen.
    "Ich weiß keine Alternative"
    Hacke: Herr Breker, ich glaube, wir müssen schon vorher ohne unser Engagement mit Terroranschlägen rechnen, und das wird sich vermutlich durch unseren Einsatz erhöhen. Aber was ist nun wichtiger, dass wir bei Seite stehen? Ich habe vorhin gesagt, wenn wir nichts tun und es passiert trotzdem was bei uns, dann wird uns mangelnde Solidarität vorgeworfen. Es ist eine Abwägungsfrage. Das ist nicht risikofrei. Und ich sagte vorhin auch, das ist nicht der Weisheit letzter Schluss, was ich jetzt gesagt habe, aber ich weiß keine Alternative.
    Breker: Die Einschätzung des Politikwissenschaftlers Christian Hacke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.