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Bundeswehrreform
"Von der Leyen macht haushaltspolitisches Harakiri"

Die Bundeswehr soll ein attraktiverer Arbeitgeber werden. Das sei auch gut so, sagt der Grünen-Verteidigungspolitiker Tobias Lindner. Aber Wohlfühl-Atmosphäre bringe wenig, wenn Unterkünfte in extrem schlechtem Zustand sind. Und dann sei da noch das Problem der Finanzierung.

Tobias Lindner im Gespräch mit Martin Zagatta | 29.10.2014
    Tobias Lindner von der Partei die Grünen
    Im Verteidigungsministerium habe man es weniger mit einem Geldproblem zu tun, sondern vor allem mit Planungs- und Managementproblemen, sagt Tobias Lindner. (picture alliance / dpa / Thomas Frey)
    Martin Zagatta: Günstigere Arbeitszeiten, mehr Kinderbetreuung, mehr Sold und mehr Rente - die Bundeswehr soll ein attraktiverer Arbeitgeber werden, und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat das Maßnahmenpaket gerade vorgestellt.
    Mitgehört hat Tobias Lindner, der für die Grünen im Bundestags-Verteidigungsausschuss sitzt. Guten Tag, Herr Lindner.
    Tobias Lindner: Guten Tag.
    Zagatta: Herr Lindner, Ihre Partei, die Grünen, die gelten ja als Wohlfühlpartei. Ihnen müssten doch diese Pläne von Ursula von der Leyen voll und ganz gefallen, oder sehe ich das falsch?
    Lindner: Es geht da weniger um wohlfühlen, sondern eigentlich um einen konsequenten Schritt, den man hätte schon mit Beginn der Bundeswehrreform gehen müssen. Wenn man die Bundeswehr - was ich richtig finde - in eine Berufsarmee umwandelt, dann stellen sich automatisch natürlich Fragen: Ist das ein attraktiver Arbeitgeber? Welche Perspektiven werden Menschen geboten? Wie sieht es mit der Vereinbarkeit von Familie und Dienst aus? Das Gesetz, das die Ministerin heute jetzt endlich, später als geplant wurde, durchs Kabinett gebracht hat, ist ein notwendiger Schritt. Ich kenne wenige, die da was dagegen haben. Aber ich muss ganz deutlich sagen: Es ist natürlich nicht der einzige Schritt, der noch gegangen werden muss. Wenn fast die Hälfte der Unterkunftsgebäude bei der Bundeswehr in einem extrem schlechten Zustand sind, dann nützt natürlich Wohlfühl-Atmosphäre im Sinn von Flachbildfernsehern - was man da alles gehört hat - relativ wenig, wenn Sanitärräume nicht in Ordnung sind oder es in die Kasernen reinregnet.
    "Bundeswehrreform hat dem Verteidigungsministerium auch Kompetenz geraubt"
    Zagatta: Sie sagen, das war absehbar, wenn man jetzt so hört: 41-Stunden-Woche, Arbeitszeitverkürzungen, alles, was Frau von der Leyen da heute vorgestellt hat. Kann man denn eine Armee, die notfalls ja auch kämpfen soll, mit anderen Unternehmen überhaupt vergleichen?
    Lindner: Ich bin da immer vorsichtig. Natürlich ist die Aufgabe einer Soldatin oder eines Soldaten kein Beruf, den man mit anderen Berufsbildern so einfach vergleichen kann. Man muss da auch immer unterscheiden von Dienst im Heimatland, in Friedenszeiten, im Normalbetrieb, wo ich sehr wohl der Meinung bin, da muss man über geregelte Arbeitszeiten sprechen können. Man muss aber andererseits auch sehen: Ich habe viele Soldatinnen und Soldaten kennengelernt, die natürlich bereit sind, in so einem wirklich speziellen Beruf auch Außergewöhnliches leisten zu wollen, da nicht auf die Minute auf die Stechuhr schauen, aber sichergestellt sehen wollen, dass es Kinderbetreuung gibt, und die vor allem eines auch wissen wollen, dass wenn sie in Auslandseinsätzen sich befinden, dass das Versprechen, vier Monate Auslandseinsatz werden durch 20 Monate Dienst in Deutschland kompensiert, dass dieses Versprechen auch eingehalten werden kann. In der Vergangenheit war das ja leider nicht der Fall.
    Zagatta: Herr Lindner, wenn jetzt etwa Harald Kujat, der frühere Generalinspekteur, der Verteidigungsministerin bescheinigt, von der Leyen habe keine Ahnung, da seien Laien am Werk - lässt sich das so abtun? Liegt er völlig daneben?
    Lindner: Ich bin ja sicherlich durchaus bekannt, dass ich in den letzten Wochen und Monaten einiges an der Ministerin, an ihrer Arbeit zu kritisieren hatte. Aber ich finde, man muss mit irgendwelchen Vorurteilen oder anderen Dingen da auch sehr vorsichtig sein. Klar ist, mit der Bundeswehrreform hat man das Verteidigungsministerium auch teilweise Kompetenz beraubt. Wenn man den Planungsstab abschafft und gleichzeitig die Inspekteure der Teilstreitkräfte, also von Heer, Luftwaffe und Marine, aus dem Ministerium rausbringt, dann geht natürlich dem Ministerium auch ein bisschen Tuchfühlung verloren, und an der einen oder anderen Stelle in den letzten Wochen und Monaten hätte es auch gutgetan, wenn dann mehr Praxiswissen vorhanden gewesen wäre bei der militärischen Führung.
    Zagatta: Glauben Sie jetzt, dass sich mit diesen Maßnahmen mehr Freiwillige finden werden? Wird das jetzt grundsätzlich etwas ändern?
    Lindner: Es bleibt abzuwarten. Ich glaube schon, dass diese Maßnahmen, wo man im Detail sicherlich auch das eine oder andere zu kritisieren hat, wo man auch sagen muss, gehen die wirklich weit genug, aber ich glaube schon, dass sie einen Beitrag dazu leisten können. Aber noch mal: Wichtig wird auch sein, zu einem attraktiven Arbeitgeber gehören ordentliche, saubere, moderne Unterkünfte, und dazu gehört natürlich auch, dass das Material, mit dem die Soldatinnen und Soldaten täglich ihren Dienst tun, dem sie ja auch teilweise ihr Leben anvertrauen, der Funktionsfähigkeit dieses Materials, dass auch das in Schuss ist. Ich glaube, nur wenn all diese Komponenten stimmen, dann werden sich auch mehr Menschen für die Bundeswehr interessieren und dann wird man auch Nachwuchssorgen eher in den Griff bekommen. Die Ministerin kann nicht, wie sie es vorhin in der Pressekonferenz getan hat, diese Materialfragen einfach so vom Tisch wischen und sagen, na ja, über ein Gesetz zur Attraktivität löst sich schon alles, sondern da muss sie alle Aspekte im Auge behalten.
    Probleme über europäische Kooperationen lösen
    Zagatta: Danach wollte ich Sie auch gerade fragen. Sie sind ja auch Haushaltspolitiker. Jetzt hören wir, dem Verteidigungsministerium sei schon bekannt, dass das Geld noch nicht mal für diese Reform gesichert ist. Wie ist da Ihr Eindruck? Haben Sie da Informationen?
    Lindner: Ich muss ganz ehrlich sagen, das ist haushaltspolitisches Harakiri, was Frau von der Leyen da vollzieht. In den letzten Wochen gab es immer wieder nur Gerüchte und Andeutungen, wie sie tatsächlich dieses Gesetz finanzieren will. Da war mal die Rede davon, dass man im nächsten Jahr das über überflüssige Personalmittel machen würde, während in diesem Jahr die Mittel für Personal gar nicht ausreichen sollen, und wie es dann 2016 aussieht, steht in den Sternen. Ich glaube, dass Frau von der Leyen schleunigst hier eine Diskussion führen muss, eine Aufgabenkritik und eine Priorisierung, was muss die Bundeswehr können, was muss sie nicht mehr können und was lösen wir vielleicht besser in europäischer Kooperation. Nur dann wird man mit dem vorhandenen Geld auch wirklich die Mittel freisetzen können, die man haben muss, um dieses Gesetz zu finanzieren am Ende.
    Zagatta: Wenn jetzt noch nicht einmal für diese Reformen das nötige Geld unter Umständen da ist, und angesichts der Diskussion, die wir haben um Flugzeuge, um Waffen, die verrottet sind, die nicht einsatzfähig sind, ist da schon abzusehen, dass der Verteidigungsetat erhöht werden muss?
    Lindner: Ich kann überhaupt nicht erkennen, wie man die Probleme dadurch löst, dass man jetzt neues Geld draufschüttet, wenn man sich klar macht, dass Frau von der Leyen heute schon fünf Milliarden Euro mehr an Geld hat, als eigentlich bei der Bundeswehrreform in diesem Jahr vorgesehen war. Wenn die Bundeswehrreform wirklich ein Erfolg wäre, dann würden wir in diesem Jahr mit 27 bis 28 Milliarden Euro auskommen. Jetzt haben wir fünf Milliarden Euro mehr. Im letzten Jahr hat sie 1,5 Milliarden Euro sogar von dem Geld zurückgegeben, also gar nicht verbrauchen können, und auch in diesem Jahr sehen wir an der einen oder anderen Stelle Dinge, wo mir die Haare zu Berge stehen. Ich habe vorhin den Zustand von Kasernen erwähnt. Gleichzeitig werden wohl 150 Millionen Euro zurückgegeben an Geldern, die für die Modernisierung von Unterkünften zur Verfügung stehen. Ich erkenne daran, dass wir es nicht mit einem Geldproblem zu tun haben, sondern vor allem mit Planungs- und Managementproblemen im Verteidigungsministerium.
    "Prioritäten richtig setzen"
    Zagatta: Aber wenn wir an die Waffen denken, da reichen auch 150 Millionen nicht aus. Das ist ja oft so, so teuer; wenn man das modernisieren will, kommt man doch gar nicht daran vorbei.
    Lindner: Da muss man natürlich deutlich unterscheiden. Es gibt bis heute keine Zahl, wo wirklich dargelegt wird, wie viel Geld brauchen wir wirklich für Materialerhalt, also für Wartung und Instandhaltung bestehender Systeme. Ich bin fest davon überzeugt, dass man wirklich den Fokus darauf legt und sagt: Okay, wir gucken mal, dass das vorhandene Material erst mal funktioniert. Dann darf man sich auch nicht gleich blindlings in neue Abenteuer rein begeben. Die Ministerin hat einen Abend, bevor überhaupt das Rüstungsgutachten veröffentlicht wurde, schon angekündigt, dass sie die Pleitedrohne Euro-Hawk reanimieren will. Das wird mindestens eine Viertel Milliarde mehr an Steuergeld kosten und von dem Geld kriegen Sie natürlich kein kaputtes Flugzeug, keinen Hubschrauber, der am Boden ist, wieder fit, sondern da müssen Sie - sorry, dass ich mich da wiederhole - die Prioritäten richtig setzen und statt neuen Rüstungsausgaben vor allem erst mal gucken, dass das vorhandene Gerät dann auch funktioniert.
    Zagatta: Wo kann man noch einsparen? Was soll die Bundeswehr in Zukunft nicht mehr tun? Vergleichbar wie Amerikaner, wie Briten, wie Franzosen, das macht ja die Bundeswehr ohnehin nicht, dass man in Kampfeinsätze geht.
    Lindner: Nein. Aber wenn Sie sich anschauen: Wir haben nach wie vor das Programm nukleare Teilhabe, also wären in der Lage, uns an einem nuklearen Konflikt zu beteiligen. Das kostet im Jahr einen zweistelligen Millionenbetrag beispielsweise. Man muss sich fragen, müssen wir alles tatsächlich selbst können, oder gibt es Fähigkeiten - beim Lufttransport machen wir das schon zum Teil -, die man wirklich europäisch besser lösen kann. Wenn man wirklich gucken will, wie man in Zeiten einer Schuldenbremse auch mit dem Verteidigungsbudget hinkommt, dann muss sich Ursula von der Leyen mit ihren Kolleginnen und Kollegen in Europa zusammensetzen. Dann muss man klar sagen: Okay, die eine Nation kann vielleicht Sanität besser, die andere ABC-Abwehr, eine andere Nation ist besser beim Lufttransport, und da eine Kooperationslösung finden, und das wird natürlich dann auch zu Effizienzgewinn führen.
    Zagatta: Tobias Lindner, Verteidigungspolitiker, Bundestagsabgeordneter der Grünen. Herr Lindner, ich bedanke mich für das Gespräch.
    Lindner: Bis zum nächsten Mal. Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.