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Calle Ocho in Miami
Kubanisches Leben in Florida

In den Jahren nach 1959, nachdem Fidel Castros Revolution erfolgreich war, emigrierten viele Kubaner nach Miami. Mit der Zeit entstand dort Little Havana, ein kleines Havanna mit dem Mittelpunkt Southwest 8th Street. Die Straße heißt so aber nur auf dem Stadtplan. Alle in der Stadt kennen sie nur als Calle Ocho.

Von Mareike Aden |
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    Tower Theater an der Calle Ocho in Miami (Mareike Aden/ Deutschlandradio)
    Musik ist auf der Calle Ocho in Miami überall zu hören: Sie kommt über Lautsprecher aus Plattenläden, aus Galerien, Souvenirgeschäften, Restaurants.
    Vor dem Restaurant Casa Panza steht die menschengroße Skulptur eines Hahnes - bunt bemalt, aus Fiberglas. Etwa 20 davon gibt es in Little Havana, vor Galerien, Restaurants oder Geschäften. Anfang der 2000er hat ein kubanischer Künstler sie aufgestellt, alle unterschiedlich bemalt. Der Hahn an dieser Kreuzung hat ein blau, gelb, rotes Gefieder. Gerade bekommt sein gelbes Halstuch mit der Aufschrift Calle Ocho eine Auffrischung mit Pinsel und Farbe. Die Künstlerin Eva Ruiz sitzt auf einem umgestülpten Eimer vor dem Hahn. Ein gutes Symbol für den Stadtteil seien die Hähne. Eva Ruiz:
    "In der lateinamerikanischen Kultur spielen Hahnenkämpfe eine große Rolle, vor allem in den karibischen Ländern. Diesen Teil des Lebens in Lateinamerika symbolisieren die Hähne - und auch das Farmleben. Wenn Menschen in Lateinamerika mal eine Pause vom Stadtleben wollen, dann fahren sie aufs Land um sich zwischen den Kühen und Hühnern zu erholen."
    Seit Jahren kommen immer mehr Besucher aus der ganzen Welt
    Ruiz ist in Little Havana aufgewachsen, ein paar Straßen entfernt von der Calle Ocho. Ihre Eltern zogen vor Jahnzehnten aus Kolumbien nach Miami. Little Havana war damals günstig und bequem für sie: Geschäfte, Nachbarn – alles auf Spanisch. Seit Jahren kommen immer mehr Besucher aus der ganzen Welt, Tourbusse machten halt. Im Alltag sei das zu viel Rummel, sagt Eva Ruiz. Sie ist deshalb vor einigen Jahren aus Little Havana weggezogen – schweren Herzens:
    "Hier in der Calle Ocho fühlt man sich wie in einem anderen Land. Die Menschen hier sind mehr draußen, sie sprechen miteinander. Die Menschen in den USA machen das nicht. Wenn man dann hier ist, dann fühlt man sich als jemand der aus Lateinamerika kommt gleich zu Hause. Und jeder wird hier mit dir ein Gespräch beginnen - bei einer Tasse Kaffee."
    Ein paar hundert Meter weiter scheppern die Dominosteine – Streit bricht aus, eine Schlichterin muss mit Trillerpfeife eingreifen: Dutzende Rentner, die meisten Exil-Kubaner, sitzen an fest installierten Domino-Tischen im überdachten Maximo-Gomez Park.
    Auf Kuba ist Dominospielen bei den Älteren die wohl liebste Freizeitbeschäftigung: Der Dominopark in Miami ist für die US-Kubaner ein Stück Alltag aus der verlorenen, zurückgelassenen Heimat. Aber es herrschen Regeln: Gespielt wird nur unter Aufsicht, und zwar von 9 Uhr morgens bis sechs Uhr abends. Und: Um Geld darf nicht gespielt werden – immer wieder gibt es aber Gerüchte, dass Schulden dann eben außerhalb des Parks beglichen werden. Der 67 Jahre alte Manuelo kam vor mehr als 40 Jahren aus Kuba nach Miami und verbringt viel Zeit im Dominopark:
    "Die ganze Welt darf hier mitspielen. Du musst nur älter als 50 Jahre alt sein – wenn du das bist, dann kannst du hier spielen, egal aus welchem Land du bist. Egal ob du Amerikaner bist oder Kubaner. Und uns zugucken dürfen sowieso alle: Alle, die nach Miami kommen, wollen ja die Calle Ocho sehen. Sie ist das Herz von Miami."
    Direkt neben dem Dominopark beginnt der "Paseo de las Estrellas" – "der Weg der Sterne"- eine lateinamerikanische Version des Walk of Fame in Hollywood. Ende der Achtziger Jahre wurden die ersten rosaroten Sterne in den Beton gegossen. Geehrt werden lateinamerikanische Stars, viele aus Kuba. Ein paar hundert Meter weiter: die Bäckerei Yisselle mit bunt bemalter Fassade.
    Spezialität Pastelitos - Blätterteig-Gebäck mit verschiedenen Füllungen
    Drinnen dröhnen Kühltheke und Ventilatoren. Die Bäckerei ist beliebt bei Einheimischen und Touristen. Auf Bestellung werden bunte, süße Festtagstorten angefertigt, aber bekannt ist Yiselle vor allem für ihre pastelitos: Das ist eine Art Blätterteig-Gebäck mit verschiedenen Füllungen, erklärt Verkäuferin Namir. Ihren Nachnamen möchte sie nicht sagen:
    "Wer uns zu kommt, der sucht den Geschmack von Kuba und er findet ihn hier auch. Wir haben hier viel süßes Gebäck, so wie man es auch in Kuba macht - und auch in anderen Ländern Lateinamerikas. Und hier sprechen so viele Leute Spanisch, dass man sich hier oft mehr in Lateinamerika fühlt als in den Vereinigten Staaten."
    Namir kommt aus Venezuela und arbeitet seit mehr als 10 Jahren in der Bäckerei Yiselle. Längst sind Menschen aus ganz Latein- und Zentralamerika in Miami’s Little Havana gezogen. Viele der Exil-Kubaner, die es zu Wohlstand gebracht haben, wohnen jetzt in anderen Stadtteilen. Aber Little Havana hat weiterhin eine große Bedeutung für die Menschen mit kubanischen Wurzeln: An der Calle Ocho gibt es ein Denkmal für jene, die gefallen sind im Kamp gegen Fidel Castro und auch eines für Nationaldichter José Marti.
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    Wandmalerei an einem Restaurant an der Calle Ocho in Miami (Mareike Aden/ Deutschlandradio)
    Junge US-Kubaner nutzen die wachsende Bekanntheit des Stadtteils: Vor einigen Jahren hat eine junge US-Kubanerin an der Calle Ocho die Azucar Ice Cream Company eröffnet: Über dem Eingang des Eisladens, in dem es oft lange Schlangen gibt, thront eine riesige Eistüte. Das Eis hier ist hausgemacht, die Sorten tropisch – typisch Kuba eben. Die 24-jährige Bianca Gomez, deren Eltern aus Kuba in die USA kamen, ist die Geschäftsführerin. Es war ihre Cousine, die die Azucar Ice Cream Company gegründet hat. Bianca Gomez:
    "Meine Cousine und ich waren noch nie auf Kuba, so wie die meisten in unserer Familie – das ist ein heikles Thema bei uns. Aber wir wissen auch so: Auf Kuba geht nichts ohne Eis! In unserer Familie gab es immer Eis als Nachttisch, jeden Abend. In einem so heißen Klima wie in Kuba braucht man etwas zur Abkühlung."
    Louis Armstrong, Billie Holiday, Count Basie
    Nebenan liegt der Klub Ball & Chain – einer der beliebtesten Klubs in Miami seit er im Herbst 2014 öffnete. Mehrmals in der Woche gibt es hier Livemusik: vor allem Jazz. Bevor die Straße zur Calle Ocho und der Stadtteil zu Klein-Havanna wurde, gab es hier zwischen 1935 und 1957 schon einmal einen Klub der Ball & Chain hieß. Louis Armstrong, Billie Holiday oder Count Basie standen hier auf der Bühne, erzählt Chad Love, einer der Geschäftsführer. Das alte Ball & Chain verdankte diese Star-Auftritte der damals geltenden Rassentrennung:
    "Damals war die Segregation noch sehr streng. Viele der afro-amerikanischen Künstler wurden für Auftritte in South Beach in den Hotels am Strand gebucht, aber sie durften dort nicht übernachten. Also mussten sie wo anders übernachten: Hier in der Straße gleich nebenan gab es das Tower Hotel und dann sind sie eben auch hier im Ball & Chain aufgetreten."
    Auch Jazzlegende Chet Baker gab Konzerte im Ball und Chain – und verklagte nach einem Streit den damaligen Besitzer. Der ging pleite, der Klub musste schließen. Als die neuen Besitzer der Räume das Ball & Chain vor einigen Jahren wieder zum Leben erwecken wollten, ließen sie erst einen Wissenschaftler die Geschichte des Klubs erforschen. Alles sollte so authentisch wie möglich sein. Konzert-Flyer von früher wurden zu Vorlagen für Wanddekoration. Chad Love:
    "Dies ist unsere Vorstellung, wie es damals hier war. Wir haben zum Beispiel handgemachte Fliesen auf dem Boden. Es ist alles neu, aber sieht aus wie von früher."
    Und weil das Viertel seit dem ersten Ball & Chain mittlerweile eben zu Little Havana geworden war, kam noch eine Prise Kuba dazu. Außer Jazz gibt es im Ball & Chain vor allem kubanische Live-Musik und auf dem Bar-Menü stehen kubanische Snacks und Cocktails. Ein bisschen Lateinamerika – das gibt es in Miami fast überall. Aber die Calle Ocho ist das lateinamerikanische Herz der Stadt, zwischen Tradition und Veränderung.