Cannabis in Deutschland
Über die Teillegalisierung wird weiter gestritten

Seit eineinhalb Jahren ist der Besitz von Cannabis in Deutschland nicht mehr strafbar. Aber das Thema polarisiert weiter. Einige Politiker fordern die Abschaffung des Gesetzes, andere zumindest Korrekturen. Wie geht es weiter?

    Eine getrocknete Cannabis-Blüte in der Hand eines Mitarbeiters des „Cannabis Social Club Rhoihesse“. Die Anbauvereinigung bezieht ihr Gras aus eigener Anzucht und gibt es ausschließlich an Mitglieder ab.
    Eine getrocknete Cannabis-Blüte. Vor allem der private Anbau von Cannabis hat offenbar deutlich zugenommen (picture alliance / dpa / Boris Roessler)
    Das sogenannte Konsumcannabisgesetz trat am 1. April 2024 in Kraft. Die Teillegalisierung erlaubt Anbau und Besitz von Cannabis, zumindest für Erwachsene und in begrenzten Mengen: Man darf 25 Gramm bei sich haben, 50 Gramm zu Hause lagern und drei Pflanzen selbst anbauen.
    An der bislang geltenden Regelung gibt es aber Kritik von verschiedenen Seiten. Am 1. Oktober will das Bundesgesundheitsministerium eine erste Bilanz der gesetzlichen Neuerungen veröffentlichen. Dabei stehen der Kinder- und Jugendschutz sowie die erlaubten Cannabis-Mengen beim Besitz und bei der Weitergabe in Anbauvereinigungen im Fokus.

    Inhalt

    Wie hat sich der Cannabiskonsum in Deutschland entwickelt?

    In Deutschland gibt es geschätzt 4,5 Millionen Cannabis-Konsumenten. Die Zahl hat sich in den vergangenen 15 Jahren ungefähr verdoppelt. Die meisten davon sind junge Erwachsene zwischen 18 und 25 Jahren. Bei der regelmäßigen Befragung des Bundesinstituts für öffentliche Gesundheit gaben 2023, also vor Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes, fast ein Viertel der jungen Erwachsenen an, in den vergangenen zwölf Monaten mindestens einmal gekifft zu haben. Immer häufiger fanden sich aber unter den Konsumenten auch Erwachsene im mittleren und höheren Alter, die die Droge zur Entspannung nutzen oder auch als Medikament.
    Ob sich durch die Teillegalisierung etwas am Cannabiskonsum geändert hat, ist noch unklar. Ersten Erkenntnissen aus einer großen Bevölkerungsumfrage zum Rauchen zufolge habe sich im Großen und Ganzen unter Erwachsenen aber eigentlich nichts geändert, sagt der Soziologe Bernd Werse, Leiter des Instituts für Suchtforschung an der Frankfurt University of Applied Sciences. 
    Unter den jungen Menschen scheine der Cannabiskonsum eher rückläufig zu sein. Darauf deute auch eine Schulbefragung aus Hamburg hin. Dort habe sich schon in den vergangenen Jahren abgezeichnet, dass der Konsum bei Jugendlichen sinke und nun auf dem niedrigsten Niveau seit mehr als 20 Jahren liege, so Werse.
    Grund dafür ist nach Ansicht des Soziologen weniger die Cannabis-Teillegalisierung, sondern die allgemeine Tendenz, dass Jugendliche insgesamt weniger psychoaktive Substanzen konsumieren. Gleiches gelte für das Rauchen sowie den Konsum von Alkohol und anderen Drogen. Als Gründe dafür nennt Werse ein größeres Gesundheitsbewusstsein und die Ablenkung durch Social Media.
    Um genauer zu erfahren, welche Auswirkungen die Legalisierung hat, hat das Bundesgesundheitsministerium eine Evaluierung in Auftrag gegeben. Daran beteiligt sind das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und die Eberhard Karls Universität in Tübingen. Das Projekt soll bis 2028 laufen.

    Gibt es mehr Verkehrsunfälle durch Cannabiskonsum?

    Die Legalisierung von Cannabis hat deutschlandweit offenbar nicht dazu geführt, dass sich Menschen vermehrt nach dem Konsum der Droge ins Auto setzen und im Rauschzustand Verkehrsunfälle verursachen. Jakob Manthey vom Zentrum für interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg sieht mit Daten bis November 2024, also ein gutes halbes Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes, „keine Veränderung im Trend“.
    Laut Bayerischer Verkehrsunfallstatistik 2024 hingegen wurden 27 Prozent mehr Fahrer unter Drogeneinfluss erwischt - mehr als 50 Prozent hatten THC konsumiert. Aus den Zahlen geht jedoch nicht hervor, ob es mehr Unfälle durch Cannabiskonsum gegeben hat. Nach einem Bericht des Bayerischen Rundfunks verzeichnet die Polizei in München einen Anstieg der THC-Fälle im Straßenverkehr um 52 Prozent. Etwa die Hälfte der Unfälle unter Drogeneinfluss soll mit Cannabis zu tun haben. Mehr Unfälle nach THC-Konsum verzeichnen auch Baden-Württemberg, Brandenburg, Berlin und Nordrhein-Westfalen. In Rheinland-Pfalz sollen es weniger geworden sein.
    Allerdings: Laut Statistischem Bundesamt gibt es bundesweit immer noch fünfmal mehr Verkehrsunfälle unter Alkohol als unter anderem Drogeneinfluss - rund 15.000 gegenüber etwa 3000 im Jahr 2023. Das zeigt sich auch in Bayern: Im Jahr 2024 spielte bei 36 tödlichen Unfällen Alkohol am Steuer eine Rolle. Nur bei fünf wurden andere Drogen festgestellt, im Vorjahr waren es zehn Tote gewesen. In wie vielen Fällen es sich dabei um Cannabis handelte, wurde in der Statistik nicht erfasst.

    Wird der Cannabis-Schwarzmarkt effizient bekämpft?

    Ein wichtiges Argument für die Legalisierung von Cannabis war, dass so der Schwarzmarkt effizient bekämpft werden kann. Nur wenn man kontrollierte, legale Möglichkeiten schaffe, Cannabis zu erwerben oder selbst anzubauen, könne der illegale Markt ausgetrocknet werden. Und je weiter der Schwarzmarkt eingedämmt werde, desto schwerer werde auch der Zugang für Jugendliche – nicht nur zu Cannabis, sondern auch zu anderen Drogen.
    Mehr als 52 Tonnen medizinisches Cannabis wurden in der zweiten Jahreshälfte 2024 nach Deutschland importiert – dreimal so viel wie im Vorjahreszeitraum. Das entspricht ungefähr einem Viertel dessen, was in Deutschland in diesem Zeitraum insgesamt an Cannabis konsumiert wurde. Dazu kommen einigen Tonnen medizinisches Cannabis, das in Deutschland angebaut wird.
    Da in Deutschland schätzungsweise 400 Tonnen Cannabis im Jahr verbraucht werden, ist davon auszugehen, dass der Schwarzmarkt in Deutschland bereits durch legale Alternativen zurückgedrängt wurde. Laut dem Soziologen Werse hat der Schwarzmarkt schon viel an Raum verloren. Hauptgründe sind der erlaubte Eigenanbau und die Apothekenversorgung.

    Welche Rolle spielt der Cannabis-Eigenanbau?

    Bis zu drei Cannabis-Pflanzen darf eine Privatperson für den eigenen Bedarf selbst anbauen. Das hat offenbar erhebliche Auswirkungen auf die Bezugswege. Bei einer Umfrage unter mehr als 11.000 Cannabiskonsumenten, erklärten laut Werse bereits 49 Prozent, dass sie sich hauptsächlich über Eigenanbau versorgen würden. Für den Soziologen ist das ein überraschendes Ergebnis.

    Wie viele Cannabis-Clubs gibt es in Deutschland?

    Bis September 2025 genehmigten die Behörden mehr als 300 „Cannabis Social Clubs“. Da diese Anbauvereinigungen maximal 500 Mitglieder haben dürfen, können sie nur einen relativ kleinen Teil der Konsumierenden versorgen. Der bürokratische Aufwand für eine Genehmigung ist groß. Der Umfrage unter den regelmäßigen Konsumenten zufolge spielen die Clubs noch keine große Rolle bei der Beschaffung von Cannabis. Es seien etwa zwei Prozent, die sich hauptsächlich darüber versorgen, sagt Werse.

    Welche Rolle spielt Cannabis auf Rezept?

    Bei medizinischem Cannabis gibt es gesicherte Qualität auf Rezept. Der Zugang ist nun ebenfalls leichter, weil Cannabis seit vergangenem Jahr nicht mehr als Betäubungsmittel gilt. Für ein Rezept muss nicht einmal ein Arzt aufgesucht werden und es muss auch keine Krankheit vorliegen. Über „Telemedizin-Firmen“ kann eine Beratung online gekauft werden, woraufhin man ein Rezept zugeschickt bekommt. Andere Anbieter verschicken die „Medizin“ gleich mit.
    Knapp 30 Prozent der Konsumenten nutzten Apotheken, sagt Werse. Er vermutet, dass es sich dabei nicht nur um medizinische Konsumenten im engeren Sinne handelt. Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Hendrik Streeck (CDU), fordert deshalb eine stärkere Abgrenzung zwischen medizinisch genutztem Cannabis und Konsum-Cannabis.

    Wie geht es weiter mit der Cannabislegalisierung?

    Das Cannabisgesetz bleibt umstritten. Die Bundesärztekammer und die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordern eine Abschaffung der Teillegalisierung. Die Ärztevereinigung sieht darin die Gefahr einer Verharmlosung der Droge. Ihrer Ansicht nach wird das Ziel verfehlt, Jugendliche zu schützen. Die Neue Richtervereinigung NRV sieht dagegen die Justiz entlastet.
    Auch in der Politik gehen die Meinungen auseinander. Einige Bundesländer wie Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen halten das Gesetz insgesamt für falsch. Andere wie Thüringen sehen Verbesserungsbedarf, Sachsen oder Bremen haben keine Probleme mit der Umsetzung des Gesetzes.
    Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung rechnet damit, dass die Überprüfung der Cannabis-Teillegalisierung kein eindeutiges Ergebnis liefern wird. Im ARD-Interview der Woche sagte Streeck, er erwarte ein gemischtes Bild. Zudem seien gesellschaftliche Veränderungen in der Regel erst nach fünf bis zehn Jahren verlässlich messbar.

    Modellversuche für legalen Cannabisverkauf

    Mehrere deutsche Städte wollen auch die kontrollierte Abgabe von Cannabis testen. Modellprojekte starteten in Hannover und Frankfurt am Main. Die Medizinische Hochschule Hannover und die Frankfurt University of Applied Sciences sollen die Projekte wissenschaftlich begleiten.
    Erwachsene Studienteilnehmer sollen in Läden zwei bis fünf Jahre lang Zugang zu Cannabisblüten und anderen THC-haltigen Produkten bekommen. Interessenten müssen gewisse Voraussetzungen erfüllen: Sie müssen etwa in der jeweiligen Stadt wohnen und dürfen keine schwerwiegende Erkrankung haben, die ein zu hohes Risiko darstellt. Der Preis für die Produkte soll sich am Schwarzmarkt orientieren.

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