Cannabis-Legalisierung
Legalize-it-Debatte in der Dauerschleife

In Deutschland darf man seit April Cannabis besitzen und konsumieren. Das entsprechende Gesetz muss nun den Realitätstest bestehen. Dafür braucht es Zeit, doch die Debatte darüber nimmt kein Ende. Warum?

    Ein Joint liegt zusammen mit Marihuana auf einer Glasplatte.
    Laut dem Suchtforscher Jakob Manthey konsumieren etwa zehn Prozent der Erwachsenen in Deutschland Cannabis, unter den Jugendlichen sind es rund sieben Prozent. (picture alliance / NurPhoto / Samuel Boivin)
    Der Teillegalisierung von Cannabis in Deutschland gingen lange Debatten voraus: Die Kiffer waren schließlich selig, konservative Gemüter hingegen entsetzt. Nun ist die Droge seit April – mit Einschränkungen – entkriminalisiert und es wird munter weiter gezankt: über die Auswirkungen des Gesetzes auf die Verfolgung von Schmugglern, über Genehmigungen für Anbauvereine und das Kiffen auf Weihnachtsmärkten. Ein Überblick über einen Streit, dessen Ende nicht absehbar ist.

    Inhalt

    Cannabis-Legalisierung: Was sind die Regeln?

    Ab 18 Jahren darf man bis zu 25 Gramm Cannabis im öffentlichen Raum mit sich führen. Zu Hause darf man bis zu 50 Gramm herumliegen haben und bis zu drei Cannabispflanzen anbauen. Hinzu kommt die Abgabe von Cannabis über Anbauvereine, die jede Menge Vorgaben beachten müssen.
    In der Öffentlichkeit ist das Kiffen im Umkreis von 200 Metern von Schulen, Kitas, Spielplätzen, Jugendeinrichtungen und Sportstätten verboten. Auch in Fußgängerzonen darf man zwischen 7 und 20 Uhr keinen Joint rauchen.
    Cannabis und der Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) sind rein rechtlich kein Betäubungsmittel mehr. Im Straßenverkehr gelten nun Grenzwerte für den Konsum von Cannabis ähnlich wie beim Alkohol. Wer sich nicht daran hält, muss mit harten Strafen rechnen. Schließlich sollen dem Gesetz zufolge regionale Modellvorhaben zum Verkauf von Cannabis erprobt und Aufklärung, Prävention und Hilfsangebote ausgebaut werden.

    Warum steht das Gesetz immer wieder in der Kritik?

    Die Teillegalisierung von Cannabis war nicht irgendeine politische Routine-Entscheidung, sondern eine, an der sich die Geister scheiden. Hier treffen Überzeugungen aufeinander, die nicht einfach mit Argumenten veränderbar sind.
    Die Befürworter des Gesetzes argumentierten, statt Konsumentinnen und Konsumenten zu kriminalisieren, lasse sich der Schwarzmarkt mit einer Legalisierung eindämmen. Kritiker befürchteten dagegen eine Verharmlosung der Droge, steigenden Konsum und gesundheitliche Schäden.
    Grundsätzlich wurde es im November wieder im Bundestag, wo Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) das Gesetz in einer Aktuellen Stunde mit dem Argument verteidigte, es gehe darum, den Konsum von Cannabis sicherer zu machen. Die Union kündigte erneut an, die neuen Regeln nach einem Sieg bei der kommenden Bundestagswahl wieder abräumen zu wollen.
    Über folgende Details und Auswirkungen des Gesetzes wird im Moment debattiert:
    Cannabis gilt aufgrund des neuen Gesetzes nicht mehr als Betäubungsmittel. Das hat Folgen für die polizeiliche Verfolgung von größeren Delikten: Telefonüberwachung, Onlinedurchsuchung oder die akustische Wohnraumüberwachung können nicht mehr so eingesetzt werden wie bisher.
    Bei einem Prozess wegen Marihuana-Schmuggels im großen Stil führte das dazu, dass der Angeklagte freigesprochen wurde – denn er war durch die Auswertung von Chats in einem Messengerdienst ins Visier der Ermittler geraten. Nach Auffassung des Landgerichts Mannheim konnten diese Erkenntnisse aber nicht als Beweismittel genutzt werden.
    Bei dem – noch nicht rechtskräftigen – Urteil handelt es sich nach Angaben der Justizministerien von Baden-Württemberg und Berlin um keinen Einzelfall. Auch Gerichte in Berlin, Freiburg oder Stuttgart seien zu ähnlichen Urteilen gekommen. Damit führe das Gesetz vor allem „bei Verfahren des gewerbsmäßigen Handels mit Cannabisprodukten oder des Handels mit Cannabisprodukten in nicht geringer Menge zu einem Rückschritt in der Bekämpfung des Schwarzmarkts und der Organisierten Kriminalität“.
    Klagen gibt es auch über eine Amnestie-Regelung im Gesetz, weil dadurch die Justiz belastet wird. Nach Angaben des Deutschen Richterbundes mussten fast 280.000 Strafakten überprüft werden, um rückwirkend Strafen zu erlassen oder neu festzusetzen. In Niedersachsen waren es nach Angaben der Landesregierung rund 16.000 Verfahren, die noch einmal auf den Tisch kamen, 3600 davon mussten näher begutachtet werden. In 15 Prozent dieser Fälle kam es dann tatsächlich zu einem Straferlass. Um die 3600 Verfahren abzuarbeiten, wurden den Angaben zufolge 237 Arbeitstage benötigt – das sind rund 15 Verfahren pro Arbeitstag.
    Auf der anderen Seite entlastet die Teillegalisierung von Cannabis Polizei und Gerichte erheblich und auf Dauer. Nach Angaben der Berliner Gesundheitsverwaltung erfasste die Polizei in der Hauptstadt zwischen Anfang April und Ende Oktober dieses Jahres 1685 Straftaten nach dem Cannabis-Gesetz, darunter unerlaubter Handel oder unerlaubter Besitz. Im gleichen Zeitraum 2023 waren es 5315 Straftaten, also mehr als drei Mal so viel, die damals noch nach dem Betäubungsmittelgesetz verfolgt wurden.
    Die Gründung von Anbauvereinen läuft wegen komplexer Genehmigungsprozesse nicht gerade reibungslos. Mitte Oktober waren erst 15 Vereine in ganz Deutschland zugelassen, die meisten davon in Niedersachsen. Bayern hatte ohnehin angekündigt, es Interessenten möglichst schwer machen zu wollen. So hat das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit einen Antrag mit der Begründung abgelehnt, in der Satzung des Clubs sei nur die Rede davon, dass die Mitglieder sich am Anbau der Pflanzen beteiligen können. Können: Das reicht der Behörde nicht, denn dann könnten ja Club-Mitglieder Cannabis erhalten, die gar nicht am Anbau beteiligt waren - keine ausreichende Mitwirkung als Ablehnungsgrund.
    Und schließlich machen sich die Behörden derzeit verstärkt über das Kiffen in der Öffentlichkeit Gedanken, das im Gesetz eigentlich streng reglementiert ist. Vor dem Start der meisten Weihnachtsmärkte in Deutschland kündigten sie vielerorts Kontrollen an. Der Konsum von Cannabis in unmittelbarer Nähe von Minderjährigen sei auf Großveranstaltungen wie Volksfesten und Weihnachtsmärkten verboten, teilte das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium mit. Die meisten Weihnachtsmärkte wollen zwar kein explizites Cannabis-Verbot aussprechen. Doch Ordnungs- und Sicherheitsdienste werden wohl vermehrt darauf achten, dass keine Joints geraucht werden. Der Stadtrat im sächsischen Torgau erklärte den dortigen Weihnachtsmarkt vorsichtshalber gleich ganz zur „Cannabis-freien Zone“.

    Kann das Gesetz nach wenigen Monaten schon seriös bewertet werden?

    Nein. Bundesgesundheitsminister Lauterbach wirbt dafür, das Cannabis-Gesetz "ohne Polemik und Häme" zu betrachten.
    Eine umfangreiche Evaluation des Cannabis-Gesetzes sei wenige Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes „natürlich“ noch gar nicht möglich, betont Jakob Manthey, Leiter der Arbeitsgruppe „Substanzkonsum und Public Health“ am Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung des Universität Hamburg. Momentan deuteten erste Daten daraufhin, dass sich der Konsum von Cannabis durch das neue Gesetz nicht groß verändert habe.
    Doch für eine tiefere Analyse der Effekte des Gesetzes müssten mindestens zwei Jahre ins Land gehen, meint der Wissenschaftler. Oder noch länger: Manthey weist darauf hin, dass die Folgen der neuen Regeln möglicherweise erst einige Jahre später und auch nicht plötzlich, sondern graduell, auftreten werden. Für eine Gesamtevaluation seien umfangreiche Datenbestände aus verschiedenen Bereichen nötig - und viele kriminologische Routinedaten oder auch Verkehrsstatistiken würden erst nach einer Weile veröffentlicht.

    ahe