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Caritas-Leiter sieht Akzeptanz für westliche Helfer schwinden

Die Hilfsorganisation Caritas International plädiert für einen Strategiewechsel in Afghanistan. Nach Meinung von Caritas-Leiter Oliver Müller ist das Gebot der Stunde nach wie vor die Sicherheit. Daher solle die Bundeswehr auf jeden Fall im Land bleiben. Man müsse jedoch von einer militärischen Strategie weg und zu einem zivilgesellschaftlichen Aufbau hinkommen, so Müller.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Am kommenden Freitag ist es soweit, dann entscheidet der Bundestag erneut über die Verlängerung des Mandats für den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Konkret geht es um den Tornado-Aufklärungseinsatz der Luftwaffe und um den zivilen Wiederaufbau durch die Bundeswehr, vor allem im Norden des Landes, den sogenannten ISAF-Einsatz. Vorsorglich lässt die Regierung über beide Mandate gemeinsam abstimmen, was zahlreiche Abgeordnete, vor allem von SPD und Grünen, in Schwierigkeiten bringen dürfte. Die Rufe nach einem Strategiewechsel - sie mehren sich, auch die in Afghanistan tätigen Hilfsorganisationen schließen sich dieser Forderung jetzt an. Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Oliver Müller, dem Leiter von Caritas International, der vor wenigen Tagen von einer Reise nach Afghanistan zurückgekehrt ist. Guten Morgen!

    Oliver Müller: Guten Morgen, Herr Heckmann!

    Heckmann: Herr Müller, Sie fordern einen Strategiewechsel. Weshalb ist der aus Ihrer Sicht notwendig?

    Müller: Aus unserer Sicht zeigt sich sehr klar, dass die bisherige Strategie in Afghanistan nicht erfolgreich war. Die meisten Erwartungen der afghanischen Zivilbevölkerung wurden enttäuscht, der Neuanfang hat nicht geklappt, die Sicherheitslage verschärft sich und verschlechtert sich zunehmend, wir haben massive Probleme, wie die Rückkehrer- und Flüchtlingsfrage, die nach wie vor nicht geklärt ist, und auf diesem Hintergrund sehen wir die Notwendigkeit, zunehmend von einer militärischen Strategie - so wie sich uns das darstellt - wegzukommen, hin zu einem zivilgesellschaftlichen Aufbau, der die Sozialprobleme an der Wurzel anpackt und von daher zu einer wirklichen Verbesserung der Lebensbedingungen führen kann.

    Heckmann: Aber es kann ja keine Lösung sein, Herr Müller, das Militär abzuziehen, denn ohne Sicherheit kann es ja nun auch keinen Wiederaufbau geben.

    Müller: Das ist richtig. Deshalb sind wir, wie viele andere große Hilfsorganisationen, auch dafür, dass die Bundeswehr in Afghanistan bleibt. Das Gebot der Stunde ist in der Tat Sicherheit, darum sollte sich die Bundeswehr, das Militär, verstärkt kümmern. Wir erleben ganz konkret: In Landesteilen, wo diese Sicherheit besteht, wo Menschen wieder eine berechenbare, planbare Grundlage für ihr Leben haben, da gedeiht auch der Wiederaufbau, da gedeiht die Entwicklung, da wird Kleingewerbe gegründet, und die Menschen werden auch nicht mehr gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Aus diesem Grund sind wir dafür, dass das Mandat der Bundeswehr fortgesetzt wird, das ISAF-Mandat, und die Bundeswehr sich darum kümmert, für was sie dorthin entsendet wurde, nämlich, für Sicherheit zu sorgen.

    Heckmann: Und die Bundeswehr tut das - aus Ihrer Sicht - nicht in ausreichender Weise, verstehe ich Sie da richtig?

    Müller: Ja, wir würden uns schon wünschen, dass es in noch besserer Weise passiert, weil die Bevölkerung das wirklich wertschätzt. Ich habe mit Menschen in Nordafghanistan gesprochen, die froh waren, als die Bundeswehrsoldaten kamen und Patrouille liefen, weil es doch ein Zeichen der Sicherheit, ein Zeichen der Stabilität, war. Jetzt, in Zeiten einer zunehmend verschärften Lage, hat die Bundeswehr offensichtlich solche Maßnahmen etwas zurückgeschraubt. In dieser Hinsicht kritisieren wir auch, dass sich Militärs dann zunehmend auf andere Felder wie zum Beispiel Entwicklungshilfe oder humanitäre Hilfe konzentrieren, was aus unserer Sicht nicht zu ihrem Kernauftrag gehört. Jeder sollte das tun, wofür er da ist und was er am besten kann, das heißt, die Bundeswehr sollte die Sicherheit sicherstellen und die Hilfsorganisationen sollten sich um den zivilgesellschaftlichen Aufbau kümmern.

    Heckmann: Was ist schlimm daran, dass sich die Bundeswehr auch um den Wiederaufbau kümmert?

    Müller: Auf den ersten Blick mag das nicht tragisch klingen, aber in der Tat führt das zu einer Verwischung der Mandate in der Bevölkerung. Man muss sich bewusst machen, dass diese Provincial Reconstruction Teams, also diese regionalen Wiederaufbauteams unter Führung der Militärs, im ganzen Land zu einer Vermengung von Entwicklungshilfe und militärischen Zielen führen, und natürlich ist der Ausgangspunkt für die militärischen Einheiten ein sicherheitspolitisches Interesse, kein entwicklungspolitisches. Und aus Sicht der normalen Bevölkerung wird nicht mehr klar, wer ist westlicher Helfer, wer ist Mitglied der ISAF, aber wer ist womöglich auch Mitglied der Operation Enduring Freedom, die für große Opfer unter der Zivilbevölkerung führt, und insgesamt erleben wir, dass die Akzeptanz für die westlichen Helfer schwinden wird und auch die Sicherheit unserer eigenen deutschen Mitarbeiter in Afghanistan hat sich dadurch massiv verschlechtert.

    Heckmann: Sie haben mit vielen Afghanen auch gesprochen auf Ihrer Reise. Können Sie das konkretisieren, dass eben die Akzeptanz abgenommen hat?

    Müller: Ja, unser Kritikpunkt bezieht sich da auch hauptsächlich auf die Operation Enduring Freedom, die sehr stark auf eine militärische Lösung setzt. Ich sprach letzte Woche mit einem afghanischen Arzt, der in einem unserer Projekte arbeitet. In seinem Dorf in Ostafghanistan sind bei einem Vergeltungsschlag dieser internationalen Truppen elf Personen ums Leben gekommen, darunter auch Frauen und Kinder. Das führt zu Wut und Empörung in der afghanischen Bevölkerung. Es sind in den letzten drei Jahren rund die Hälfte aller zivilen Todesopfer durch die Taliban oder durch internationale Truppen ums Leben gekommen, das heißt, die Akzeptanz für diese Maßnahmen ist gering, die Empörung ist hoch und das schafft wiederum Rachegelüste, das schafft neuen Extremismus und das kann dem zivilgesellschaftlichen Aufbau in Afghanistan nicht nützlich sein.

    Heckmann: Aber Herr Müller - gerade wenn die Bevölkerung eben nicht differenziert zwischen den verschiedenen Operationen, dann könnte Deutschland ja nun doch bei der Unterstützung der Operation Enduring Freedom bleiben, denn auch ohne die Beteiligung der Deutschen würden ja zivile Opfer eben auf die deutsche Wiederaufbauarbeit zurückfallen.

    Müller: Das ist in der Tat schwierig, wie sich das dann vor Ort und in den Augen der Bevölkerung verwischt, aber wir sehen ganz klar die negativen Folgen dieser Operation Enduring Freedom, die keinen Frieden schafft und die aus unserer Sicht auch gescheitert ist. Man sollte sich da auch aus deutscher, politischer Sicht sehr klar davon abgrenzen und damit auch das gute Image, das die Bundeswehr und das die Deutschen durchaus in Afghanistan genießen, nicht aufs Spiel setzen.

    Heckmann: Ganz kurz zum Abschluss: Erlaubt die Sicherheitslage überhaupt eine Fortsetzung Ihrer Arbeit?

    Müller: Das prüfen wir natürlich ernsthaft. Nach wie vor kann man aber in Afghanistan sinnvoll etwas tun, und man muss natürlich auch im Blick behalten, wir dürfen dieses Land nicht nur unter den Aspekten von Sicherheit und Militär betrachten, sondern auch unter dem Aspekt, dass es sich um eines der ärmsten Länder der Welt handelt. Unsere Hilfe ist willkommen, wir sind in gutem Kontakt mit der Lokalbevölkerung, die froh ist, dass es die Internationale Gemeinschaft gibt, die Entwicklungshilfe leistet, und das ist nach wie vor auch möglich.

    Heckmann: Oliver Müller, der Leiter von Caritas International, soeben zurückgekehrt von einer Reise aus Afghanistan. Herr Müller, ich danke Ihnen für das Gespräch!