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Caritas-Studie zu Schulabbrechern
Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss gestiegen

Knapp sechs Prozent aller Jugendlichen verlassen ohne Abschluss die Schule. Das belegt eine Studie der Caritas. Caritas-Präsident Peter Neher machte dafür im Dlf unter anderem die mangelnde Unterstützung durch das soziale Umfeld verantwortlich. Paten könnten eine wichtige Rolle spielen, um Jugendliche zu fördern.

Peter Neher im Gespräch mit Jörg Biesler | 04.07.2017
    Ein leeres Klassenzimmer.
    47.435 Jugendliche haben im Jahr 2015 ihre Schule ohne Abschluss verlassen, das entspricht einer Quote von 5,9 Prozent. 2014 lag sie noch bei 5,7 Prozent. (picture alliance / dpa / Stefan Sauer)
    Jörg Biesler: Die Schulen sollen qualifizieren für die weitere Ausbildung und das Berufsleben. Die Caritas untersucht alljährlich, wie viele Schülerinnen und Schüler die Schulen ohne Abschluss verlassen und deshalb mit großen Schwierigkeiten rechnen müssen, was eben die weitere Ausbildung und den Beruf angeht. Der Anteil ist aktuell leicht gestiegen auf fast sechs Prozent, und die Studie untersucht unter anderem, welche regionalen Unterschiede es gibt bundesweit. Am Telefon ist jetzt der Präsident der Caritas, Peter Neher. Guten Tag, Herr Neher!
    Peter Neher: Guten Tag! Ich grüße Sie!
    Biesler: Knapp sechs Prozent, habe ich gerade schon gesagt, sind es insgesamt, die ohne Abschluss die Schule verlassen. In richtigen Zahlen ausgedrückt: insgesamt über 47.000, aber die Prozentsätze sind sehr ungleich verteilt. Wo ist denn das Risiko besonders groß?
    Neher: Genau so ist es: Also, besonders großes Risiko ist in Sachsen-Anhalt und Berlin mit insgesamt über neun Prozent, wobei auch Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen oder auch Schleswig-Holstein überdurchschnittlich hohe Zahlen von Schulabgängern ohne Hauptschulabschluss haben, aber wir haben auch innerhalb der einzelnen Kreise zum Beispiel enorm hohe Unterschiede von 1,7 bis 15 Prozent, oder am Beispiel Jena, wo nur 3,8 Prozent sind, während ebenfalls in Thüringen, in einem anderen Kreis ist es bei 11,4 Prozent. Also wir haben sehr große regionale Unterschiede.
    "Der politische Wille, das ist eigentlich eine maßgebliche Größe bei diesem Thema"
    Biesler: Ja, das ist ja erstaunlich. Man könnte vermuten, dass das in etwa überall gleich aussieht, also plusminus um die sechs Prozent liegt. Woran liegen denn diese Unterschiede? Gibt es dazu Erkenntnisse?
    Neher: Ja, da gibt es Erkenntnisse: Es spielt schon eine große Rolle, wie ist die Arbeitslosenquote überhaupt in einer Region oder auch die Anzahl der Beschäftigten ohne abgeschlossene Berufsausbildung, Zahl ausländischer Schüler. All das spielt eine große Rolle, aber gleichzeitig ist es auch wichtig, wie die Verantwortlichen das Thema für sich als einen wichtigen Punkt erkennen und tatsächlich was dagegen unternehmen. Der politische Wille, das ist eigentlich eine maßgebliche Größe bei diesem Thema.
    Biesler: Also man könnte die Gründe dafür quasi, wenn ich Sie richtig verstehe, in zwei Bereich aufteilen: Das eine liegt im sozialen Umfeld der jeweiligen Person. Da können schon Gründe dafür liegen, warum man keinen Schulabschluss erwerben kann, aber es gibt auch unterschiedliches Verhalten der einzelnen Kommunen, der Kreise?
    Neher: Ganz genau so ist es. Also wenn man beispielsweise ein Landrat oder ein Bürgermeister da ist, der sagt, es kann doch nicht sein, dass wir in unserer Stadt, in unserer Gemeinde so viele Jugendliche haben, die hier eigentlich kaum eine Chance haben, der alle die zusammenholt – Jugendamt, Jobcenter, Verbände, die Unternehmen der IHK – und die miteinander wirklich überlegen, was können wir konkret machen. Da ist unsere Erfahrung, und auch eben aus unseren Untersuchungen, dass dann die Wahrscheinlichkeit, dass diese Quote deutlich singt, erheblich gestiegen ist.
    Drum noch mal: Der politische Wille zu sagen, ja, wir ändern hier etwas, wir überlegen miteinander, alle, die irgendwo mit jungen Menschen zu tun haben, das ist eigentlich einer der zentralen Schlüssel, um diesem Thema Herr zu werden und das wirklich konstruktiv anzugehen.
    "Ein ganz wichtiger Baustein ist zum Beispiel die Schulsozialarbeit"
    Biesler: Dann versuchen wir mal, das noch ein bisschen konkreter zu machen. Was wären denn zum Beispiel Maßnahmen, bei denen man sagen kann, hier sieht man tatsächlich, es gibt einen Erfolg, und die Quote derjenigen, die ohne Abschluss die Schule verlassen, sinkt tatsächlich?
    Neher: Also ein ganz wichtiger Baustein ist zum Beispiel die Schulsozialarbeit, dass hier wirklich Sozialarbeiter die Lehrer mit unterstützen, dass die tatsächlich hier bereitstehen, auch Schwierigkeiten miteinander durchzukämpfen, auch die jungen Leute stärken.
    Ein anderes Modell sind sowas wie Patenschaftssysteme, wo zum Beispiel einfach Erwachsene, die irgendwie gut mit jungen Leuten können – das kann ein pensionierter Lehrer sein oder ein Handwerker –, der einfach ein Händchen hat und einfach eine Beziehung aufbaut zu einem jungen Menschen und sagt, Mensch, gib nicht auf, ich stütz dich, du kannst das.
    Also so diese starke Unterstützung, das sind zum Beispiel zwei Elemente. Ein anderer Teil ist eben tatsächlich, dass man in einem Ort guckt und schaut, wie können wir auch Firmen motivieren, dann tatsächlich auch zu gucken, wie wir ihnen Anschlussarbeit – auch wenn der Schulabschluss nicht gelungen ist –, wie kann das verbessert werden.
    Ein wichtiger Teil wäre natürlich auch gerade bei Jugendlichen aus prekären Lebensverhältnissen, dass sie eben Nachhilfeunterricht nicht erst dann bekommen, wenn schon die Versetzungsgefahr droht, sondern tatsächlich, wo jemand vorher ihre Potenziale erkennt und sie eigentlich dabei begleitet und stützt, ihre Fähigkeiten tatsächlich zu entwickeln, weil ganz salopp gesagt: Es gibt niemanden, der nichts kann.
    Biesler: Individuelle Förderung scheint der Schlüssel zu sein, um zu vermeiden, dass Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss die Schule verlassen. Aktuell ist die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss leicht gestiegen, sagt eine heute veröffentlichte Studie der Caritas. Peter Neher ist das gewesen, der Präsident der Caritas. Vielen Dank!
    Neher: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.