Dirk Müller: Als hätte die schwarz-gelbe Koalition nicht genug Probleme: Jetzt wächst auch noch der Widerstand in den eigenen Reihen gegen die Pläne der Bundesregierung, die Steuern zu senken. Vor allem zahlreiche unionsgeführte Bundesländer winken ab und sagen: Mit uns nicht, das können wir uns nicht leisten. Quasi von der Seitenlinie aus wirft nun auch noch Paul Kirchhof wieder einmal seinen Spielball aufs Feld und fordert 25 Prozent Steuern für alle, ganz gleich, ob arm oder reich, ganz gleich, ob untere oder obere Mittelschicht. Dafür bekommt der Finanzexperte und Ex-Verfassungsrichter, vielen als Professor aus Heidelberg geläufig, Szenenapplaus, ausgerechnet wiederum von den unionsgeführten Bundesländern. Die Steuerpläne der Merkel-Regierung – unübersichtlich, verwirrend, unausgegoren, so jedenfalls die Kritiker. Darüber sprechen wollen wir nun mit Christian von Boetticher, CDU-Fraktions- und Parteichef im hohen Norden. Guten Morgen nach Kiel!
Christian von Boetticher: Guten Morgen!
Müller: Herr von Boetticher, regiert in Berlin wieder einmal das Chaos?
von Boetticher: Ich glaube gar nicht, dass im Augenblick das Chaos regiert: Ich habe bisher jedenfalls keine einzige Quelle gefunden, die bestätigt, dass es eine Absprache gibt oder einen Beschluss gibt; es gibt keine Parteigremien, keine Fraktionsgremien, die bisher beschlossen hätten, dass es zu Steuersenkungen kommt. Ich weiß aber, dass es die Debatte gibt, die wieder von Herrn Rösler angestoßen worden ist. Es wundert mich ein wenig, ich glaube, allen müsste inzwischen bekannt sein, dass wir eine Schuldenbremse im Grundgesetz haben, die uns dazu zwingt, in den nächsten Jahren Haushalte zurückzubauen, und zwar konjunkturunabhängig, egal, ob wir ein gutes Jahr haben wirtschaftlich oder ein schlechtes Jahr, wir müssen diesen Weg gehen, und da ist für Steuererleichterung, Klammer auf, Steuergeschenke, eigentlich so jedenfalls kein Platz.
Müller: Dann ist wieder einmal die FDP schuld?
von Boetticher: Also es war zumindest das "Spiegel"-Interview von Herrn Rösler, das das Ganze angeschoben hat. Inwieweit es jetzt dort Einigung geben wird, kann ich derzeit nicht erkennen. Wir haben als Länder unseren Standpunkt jedenfalls sehr klar gemacht: Eine Steuerentlastung, die dann in der Regel auch zulasten der Länder geht, kann es nicht geben, denn am Ende läuft es doch so, dass wir dann wieder an einer anderen Stelle das einsparen müssen, was wir an Verlusten zu erleiden haben. Das wird weitergegeben an den Bürger, der an irgendeiner Stelle entweder mehr zahlen muss, oder auf eine Leistung verzichten muss. Das heißt, das, was ihm auf der einen Seite dann als Steuererleichterung vom Bund über die Länder zukommt, wird ihm auf der anderen Seite wieder aus der Tasche gezogen. Das kann nicht das Spiel sein. Das haben die Bürgerinnen und Bürger längst durchschaut, und darum kann ich nur davor warnen, eine Steuererleichterung so vorzunehmen, dass sie die Länder trifft, denn dann kommen wir in diesen Kreislauf.
Müller: Haben Sie Angela Merkel denn schon signalisiert, sie kann sich das Ganze sparen?
von Boetticher: Wir haben deutlich gemacht, wie wir dazu stehen, und zwar nicht erst heute, nicht erst in dieser Steuersenkungsdebatte, sondern auch schon in den vorangegangenen, im Übrigen hier in einem engen Schulterschluss in Schleswig-Holstein mit den Liberalen, die auch hier die Zeichen der Zeit voll erkannt haben. In dieser Regierung ist das völlig unstrittig, dass wir uns eine Steuersenkung auch zulasten der Länder nicht leisten können.
Müller: Also Wolfgang Kubicki ist nicht Philipp Rösler?
von Boetticher: So ist es, Wolfgang Kubicki hat die Schuldenbremse mit uns zusammen sehr rational analysiert, er weiß, was für ein schwieriger Weg das für die Länderhaushalte in den nächsten Jahren sein wird. Ich wünschte mir, dass sich Wolfgang Schäuble, von dem ich weiß, dass er auch genau ahnt, was auf uns zukommt, uns berechnet hat, dass er sich im Bundeskabinett noch stärker durchsetzen kann.
Müller: Ich muss da noch einmal nachfragen: Wir reden ja seit zwei Wochen über sechs bis zehn Milliarden Euro Entlastung für die mittleren und unteren Einkommen, das ist ja keine Erfindung der Journalisten, sondern es ist tatsächlich ja aus Reihen des Bundeskabinetts ventiliert worden. Sie sagen, ist alles Quatsch?
von Boetticher: Aus Reihen des Bundeskabinetts – ich höre auch immer mal wieder Sachen aus Reihen des Bundeskabinetts, ich weiß aber auch, dass nicht alles, was in Reihen des Bundeskabinetts mal diskutiert worden ist, am Ende sich realisiert hat. Und hier muss man doch feststellen, dass jedenfalls dann, wenn es eine Steuererleichterung gibt, die auch die Länder betrifft, der Bundesrat zustimmen muss, und da sehen Sie schon an den ersten Reaktionen, dass es dafür jedenfalls überhaupt gar keine Zustimmung geben wird.
Müller: Inwieweit wäre das denn jetzt fatal, auf der einen Seite die Hoffnung zu nähren, dass es zu Entlastungen kommt, und dann klappt es am Ende doch nicht?
von Boetticher: Ja, ich weiß, dass diese Spekulationen negativ sind, auch in der Öffentlichkeit negativ beurteilt werden. Das Wort "Steuersenkung", einseitige Steuersenkung, das kann, glaube ich, keiner mehr hören. Wofür die Union immer gestanden hat, ist ein einfaches und gerechtes Steuersystem. Wir haben aber immer gesagt: Das muss möglichst im System aufkommensneutral gestaltet werden, und es war eines der Versprechungen, mit der die Union in den Wahlkampf gezogen ist, insofern hoffen wir schon, dass wir in diesem Bereich in den verbleibenden Jahren der Bundesregierung auch noch einen Systemwechsel erleben werden.
Müller: Das heißt, jetzt kommt Paul Kirchhof ja ins Spiel. Können Sie ihm folgen?
von Boetticher: Also ich glaube, wir brauchen die Debatte. Dieses Steuersystem, was Paul Kirchhof vorschlägt, klingt in den Augen von vielen Deutschen erst mal höchst ungerecht. Warum sollen alle denselben Steuersatz zahlen, 25 Prozent, der, der viel verdient, ganz genauso wie der am unteren Einkommensende – wobei das nicht ganz stimmt, weil Paul Kirchhof auch bei Einkommen bis 20.000 Euro Staffelungen vorsieht, also noch niedrigere Staffelungen als die 25 Prozent. Aber es erscheint erst mal ungerecht. Ich sage aber: Die mittel- und osteuropäischen Staaten, die nach 1990 unabhängig geworden sind, die ihre eigene Souveränität zurückerlangt haben, die haben sich ganz bewusst fast ausschließlich für diesen Einheitssteuersatz entschieden, weil er eben ganz einfach zu vollziehen ist, weil er ein einfaches Steuerrecht schafft, weil er extreme Systemkosten vermeidet. Das heißt, das Steuersystem ist dort wesentlich kostengünstiger, es wird für die Volkswirtschaft viel Geld gespart, und ich glaube, es lohnt sich zumindest, sich damit zu beschäftigen. Ob man es dann eins zu eins umsetzt, ist eine andere Frage, aber beschäftigen glaube ich muss sich die Politik mit dem Modell.
Müller: Sie haben sich ja damit schon ausführlicher beschäftigt: 25 Prozent für alle, wir lassen mal die Ausnahmen unter 20.000 Euro Jahreseinkommen weg, Sie haben das gerade erwähnt. 25 Prozent für alle – ist das sozial gerecht, ist das politisch vermittelbar, wenn Millionäre und Milliardäre 25 Prozent des Einkommens nur versteuern?
von Boetticher: Ja, das sagte ich gerade. Es kommt ja darauf an, was wir noch für weitere Steuern dort machen und was wir für Privilegien abbauen. Wissen Sie, die meisten sehr, sehr guten und Spitzenverdiener, die zahlen ja diesen Steuersatz gar nicht, weil es erhebliche Abschreibungsmöglichkeiten im System gibt, ob das über Schiffe ist, ob das über Firmenfonds ist – die haben eine ganze Menge von Möglichkeiten heute, große Vermögen zu bewegen, welches dazu führt, dass am Ende eben dieser Spitzensteuersatz überhaupt nicht gezahlt wird.
Müller: Warum hat das denn die deutsche Politik über Jahrzehnte zugelassen?
von Boetticher: Na, weil man damit bestimmte Branchen, bestimmte Bereiche finanziert hat. Es war sozusagen eine verdeckte Finanzierung über eine Steuererleichterung beziehungsweise eine Steuererstattung.
Müller: Also Subventionen?
von Boetticher: Das, was Paul Kirchhof ... Ja, eine Subvention, wie wir sie in vielen Bereichen ja zahlen, der Unterschied ist nur: In anderen Bereichen zahlen wir sie transparent aus dem Haushalt. Da wird eine Branche unterstützt, indem Geld überwiesen wird. Hier haben wir es verdeckt, indem man Steuern sozusagen zurückerstattet oder indem man Steuern erleichtert, und das ist natürlich kein besonders transparentes System. Und da schlägt Paul Kirchhof vor, alle diese Ausnahmebestände abzuschaffen und es transparent zu machen: Da, wo der Staat unterstützt, da, wo der Staat fördert, da soll er das im Haushalt abbilden, aber dann auch öffentlich darüber diskutieren.
Müller: Um an dem Punkt, Herr von Boetticher, noch mal zu bleiben: Das heißt, wenn alles abgebaut wird, die sämtlichen Privilegien, die Ausnahmetatbestände – da gibt es Zehntausende von oder auch Tausende, die substanziell relevant sind –, wenn das alles passieren würde, dann wären Sie bereit zu sagen, dann muss der Millionär auch nur 25 Prozent versteuern?
von Boetticher: Ja, dann muss er real 25 Prozent versteuert, wissen Sie, es gibt gute Einkommensverdiener, die bekommen fast ihre gesamte Steuer am Ende des Jahres wieder, und da muss man sich dann fragen, ob das gewollt ist. Natürlich hat das eine Lenkungswirkung, natürlich habe ich das Geld, was ich ihm dann sozusagen wieder zurückzahle als Staat, das ist woanders angelegt worden, wo ich es gerne gewollt habe. Und trotzdem muss ich mich fragen lassen, ob das ein transparentes System ist. Am Ende, wie gesagt, zahlt auch der Spitzenverdiener nicht den Spitzensteuersatz. Und wenn es ohnehin so ist, dann muss ich sagen, dann lieber transparent, dann kostengünstig, dann durch eine ganz klare Umsteuerung von Subventionen in die Haushalte, da, wo sie hingehören. Ich finde, darüber muss man in der Gesamtbilanz zumindest reden dürfen. Ich finde, man muss wenigstens reden dürfen darüber, wie die Situation nominell im Augenblick ist, nämlich mit dem Spitzensteuersatz – den rot-grün damals übrigens gesenkt hat – auf der einen Seite, und wie viel wirklich gezahlt wird in diesen Einkommensschichten. Und dann finde ich angemessen, dass man auch über Alternativen nachdenkt.
Müller: Jetzt müssen Politiker ja nicht nur reden, sondern auch handeln, das heißt, Sie handeln jetzt?
von Boetticher: Gut, wir warten jetzt einen Augenblick darauf mal, was im Bund jetzt wirklich entschieden wird. Ich sagte Ihnen das ja bereits. Es wird diskutiert, das haben wir auch vernommen, wir haben unsere Position zu den Diskussionsmodellen deutlich gemacht, wir haben auch als Union deutlich gemacht, dass wir uns ein einfaches und gerechteres Steuersystem wünschen, und ich hoffe, dass das im Bundeskabinett ankommt. Ich glaube auch, dass Wolfgang Schäuble an einer nachhaltigen Sanierung des Haushaltes großes Interesse hat, und das heißt: Wenn ich wirklich die unteren und mittleren Einkommensschichten entlasten will, dann geht das nur im System, dann kann ich nicht im Augenblick die Konjunktur nutzen, um mal wieder einmalig Geld auszukehren, sondern dann muss ich im System etwas verändern. Und für solche Pläne gibt es sicherlich Unterstützung der Länder.
Müller: Christian von Boetticher, CDU-Fraktions- und Parteichef von Schleswig-Holstein, heute Morgen im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
von Boetticher: Herr Müller, vielen Dank!
DLF-Interview: Staatsrechtler Kirchhof schlägt "fundamentale Erneuerung" des Steuerrechts vor
Christian von Boetticher: Guten Morgen!
Müller: Herr von Boetticher, regiert in Berlin wieder einmal das Chaos?
von Boetticher: Ich glaube gar nicht, dass im Augenblick das Chaos regiert: Ich habe bisher jedenfalls keine einzige Quelle gefunden, die bestätigt, dass es eine Absprache gibt oder einen Beschluss gibt; es gibt keine Parteigremien, keine Fraktionsgremien, die bisher beschlossen hätten, dass es zu Steuersenkungen kommt. Ich weiß aber, dass es die Debatte gibt, die wieder von Herrn Rösler angestoßen worden ist. Es wundert mich ein wenig, ich glaube, allen müsste inzwischen bekannt sein, dass wir eine Schuldenbremse im Grundgesetz haben, die uns dazu zwingt, in den nächsten Jahren Haushalte zurückzubauen, und zwar konjunkturunabhängig, egal, ob wir ein gutes Jahr haben wirtschaftlich oder ein schlechtes Jahr, wir müssen diesen Weg gehen, und da ist für Steuererleichterung, Klammer auf, Steuergeschenke, eigentlich so jedenfalls kein Platz.
Müller: Dann ist wieder einmal die FDP schuld?
von Boetticher: Also es war zumindest das "Spiegel"-Interview von Herrn Rösler, das das Ganze angeschoben hat. Inwieweit es jetzt dort Einigung geben wird, kann ich derzeit nicht erkennen. Wir haben als Länder unseren Standpunkt jedenfalls sehr klar gemacht: Eine Steuerentlastung, die dann in der Regel auch zulasten der Länder geht, kann es nicht geben, denn am Ende läuft es doch so, dass wir dann wieder an einer anderen Stelle das einsparen müssen, was wir an Verlusten zu erleiden haben. Das wird weitergegeben an den Bürger, der an irgendeiner Stelle entweder mehr zahlen muss, oder auf eine Leistung verzichten muss. Das heißt, das, was ihm auf der einen Seite dann als Steuererleichterung vom Bund über die Länder zukommt, wird ihm auf der anderen Seite wieder aus der Tasche gezogen. Das kann nicht das Spiel sein. Das haben die Bürgerinnen und Bürger längst durchschaut, und darum kann ich nur davor warnen, eine Steuererleichterung so vorzunehmen, dass sie die Länder trifft, denn dann kommen wir in diesen Kreislauf.
Müller: Haben Sie Angela Merkel denn schon signalisiert, sie kann sich das Ganze sparen?
von Boetticher: Wir haben deutlich gemacht, wie wir dazu stehen, und zwar nicht erst heute, nicht erst in dieser Steuersenkungsdebatte, sondern auch schon in den vorangegangenen, im Übrigen hier in einem engen Schulterschluss in Schleswig-Holstein mit den Liberalen, die auch hier die Zeichen der Zeit voll erkannt haben. In dieser Regierung ist das völlig unstrittig, dass wir uns eine Steuersenkung auch zulasten der Länder nicht leisten können.
Müller: Also Wolfgang Kubicki ist nicht Philipp Rösler?
von Boetticher: So ist es, Wolfgang Kubicki hat die Schuldenbremse mit uns zusammen sehr rational analysiert, er weiß, was für ein schwieriger Weg das für die Länderhaushalte in den nächsten Jahren sein wird. Ich wünschte mir, dass sich Wolfgang Schäuble, von dem ich weiß, dass er auch genau ahnt, was auf uns zukommt, uns berechnet hat, dass er sich im Bundeskabinett noch stärker durchsetzen kann.
Müller: Ich muss da noch einmal nachfragen: Wir reden ja seit zwei Wochen über sechs bis zehn Milliarden Euro Entlastung für die mittleren und unteren Einkommen, das ist ja keine Erfindung der Journalisten, sondern es ist tatsächlich ja aus Reihen des Bundeskabinetts ventiliert worden. Sie sagen, ist alles Quatsch?
von Boetticher: Aus Reihen des Bundeskabinetts – ich höre auch immer mal wieder Sachen aus Reihen des Bundeskabinetts, ich weiß aber auch, dass nicht alles, was in Reihen des Bundeskabinetts mal diskutiert worden ist, am Ende sich realisiert hat. Und hier muss man doch feststellen, dass jedenfalls dann, wenn es eine Steuererleichterung gibt, die auch die Länder betrifft, der Bundesrat zustimmen muss, und da sehen Sie schon an den ersten Reaktionen, dass es dafür jedenfalls überhaupt gar keine Zustimmung geben wird.
Müller: Inwieweit wäre das denn jetzt fatal, auf der einen Seite die Hoffnung zu nähren, dass es zu Entlastungen kommt, und dann klappt es am Ende doch nicht?
von Boetticher: Ja, ich weiß, dass diese Spekulationen negativ sind, auch in der Öffentlichkeit negativ beurteilt werden. Das Wort "Steuersenkung", einseitige Steuersenkung, das kann, glaube ich, keiner mehr hören. Wofür die Union immer gestanden hat, ist ein einfaches und gerechtes Steuersystem. Wir haben aber immer gesagt: Das muss möglichst im System aufkommensneutral gestaltet werden, und es war eines der Versprechungen, mit der die Union in den Wahlkampf gezogen ist, insofern hoffen wir schon, dass wir in diesem Bereich in den verbleibenden Jahren der Bundesregierung auch noch einen Systemwechsel erleben werden.
Müller: Das heißt, jetzt kommt Paul Kirchhof ja ins Spiel. Können Sie ihm folgen?
von Boetticher: Also ich glaube, wir brauchen die Debatte. Dieses Steuersystem, was Paul Kirchhof vorschlägt, klingt in den Augen von vielen Deutschen erst mal höchst ungerecht. Warum sollen alle denselben Steuersatz zahlen, 25 Prozent, der, der viel verdient, ganz genauso wie der am unteren Einkommensende – wobei das nicht ganz stimmt, weil Paul Kirchhof auch bei Einkommen bis 20.000 Euro Staffelungen vorsieht, also noch niedrigere Staffelungen als die 25 Prozent. Aber es erscheint erst mal ungerecht. Ich sage aber: Die mittel- und osteuropäischen Staaten, die nach 1990 unabhängig geworden sind, die ihre eigene Souveränität zurückerlangt haben, die haben sich ganz bewusst fast ausschließlich für diesen Einheitssteuersatz entschieden, weil er eben ganz einfach zu vollziehen ist, weil er ein einfaches Steuerrecht schafft, weil er extreme Systemkosten vermeidet. Das heißt, das Steuersystem ist dort wesentlich kostengünstiger, es wird für die Volkswirtschaft viel Geld gespart, und ich glaube, es lohnt sich zumindest, sich damit zu beschäftigen. Ob man es dann eins zu eins umsetzt, ist eine andere Frage, aber beschäftigen glaube ich muss sich die Politik mit dem Modell.
Müller: Sie haben sich ja damit schon ausführlicher beschäftigt: 25 Prozent für alle, wir lassen mal die Ausnahmen unter 20.000 Euro Jahreseinkommen weg, Sie haben das gerade erwähnt. 25 Prozent für alle – ist das sozial gerecht, ist das politisch vermittelbar, wenn Millionäre und Milliardäre 25 Prozent des Einkommens nur versteuern?
von Boetticher: Ja, das sagte ich gerade. Es kommt ja darauf an, was wir noch für weitere Steuern dort machen und was wir für Privilegien abbauen. Wissen Sie, die meisten sehr, sehr guten und Spitzenverdiener, die zahlen ja diesen Steuersatz gar nicht, weil es erhebliche Abschreibungsmöglichkeiten im System gibt, ob das über Schiffe ist, ob das über Firmenfonds ist – die haben eine ganze Menge von Möglichkeiten heute, große Vermögen zu bewegen, welches dazu führt, dass am Ende eben dieser Spitzensteuersatz überhaupt nicht gezahlt wird.
Müller: Warum hat das denn die deutsche Politik über Jahrzehnte zugelassen?
von Boetticher: Na, weil man damit bestimmte Branchen, bestimmte Bereiche finanziert hat. Es war sozusagen eine verdeckte Finanzierung über eine Steuererleichterung beziehungsweise eine Steuererstattung.
Müller: Also Subventionen?
von Boetticher: Das, was Paul Kirchhof ... Ja, eine Subvention, wie wir sie in vielen Bereichen ja zahlen, der Unterschied ist nur: In anderen Bereichen zahlen wir sie transparent aus dem Haushalt. Da wird eine Branche unterstützt, indem Geld überwiesen wird. Hier haben wir es verdeckt, indem man Steuern sozusagen zurückerstattet oder indem man Steuern erleichtert, und das ist natürlich kein besonders transparentes System. Und da schlägt Paul Kirchhof vor, alle diese Ausnahmebestände abzuschaffen und es transparent zu machen: Da, wo der Staat unterstützt, da, wo der Staat fördert, da soll er das im Haushalt abbilden, aber dann auch öffentlich darüber diskutieren.
Müller: Um an dem Punkt, Herr von Boetticher, noch mal zu bleiben: Das heißt, wenn alles abgebaut wird, die sämtlichen Privilegien, die Ausnahmetatbestände – da gibt es Zehntausende von oder auch Tausende, die substanziell relevant sind –, wenn das alles passieren würde, dann wären Sie bereit zu sagen, dann muss der Millionär auch nur 25 Prozent versteuern?
von Boetticher: Ja, dann muss er real 25 Prozent versteuert, wissen Sie, es gibt gute Einkommensverdiener, die bekommen fast ihre gesamte Steuer am Ende des Jahres wieder, und da muss man sich dann fragen, ob das gewollt ist. Natürlich hat das eine Lenkungswirkung, natürlich habe ich das Geld, was ich ihm dann sozusagen wieder zurückzahle als Staat, das ist woanders angelegt worden, wo ich es gerne gewollt habe. Und trotzdem muss ich mich fragen lassen, ob das ein transparentes System ist. Am Ende, wie gesagt, zahlt auch der Spitzenverdiener nicht den Spitzensteuersatz. Und wenn es ohnehin so ist, dann muss ich sagen, dann lieber transparent, dann kostengünstig, dann durch eine ganz klare Umsteuerung von Subventionen in die Haushalte, da, wo sie hingehören. Ich finde, darüber muss man in der Gesamtbilanz zumindest reden dürfen. Ich finde, man muss wenigstens reden dürfen darüber, wie die Situation nominell im Augenblick ist, nämlich mit dem Spitzensteuersatz – den rot-grün damals übrigens gesenkt hat – auf der einen Seite, und wie viel wirklich gezahlt wird in diesen Einkommensschichten. Und dann finde ich angemessen, dass man auch über Alternativen nachdenkt.
Müller: Jetzt müssen Politiker ja nicht nur reden, sondern auch handeln, das heißt, Sie handeln jetzt?
von Boetticher: Gut, wir warten jetzt einen Augenblick darauf mal, was im Bund jetzt wirklich entschieden wird. Ich sagte Ihnen das ja bereits. Es wird diskutiert, das haben wir auch vernommen, wir haben unsere Position zu den Diskussionsmodellen deutlich gemacht, wir haben auch als Union deutlich gemacht, dass wir uns ein einfaches und gerechteres Steuersystem wünschen, und ich hoffe, dass das im Bundeskabinett ankommt. Ich glaube auch, dass Wolfgang Schäuble an einer nachhaltigen Sanierung des Haushaltes großes Interesse hat, und das heißt: Wenn ich wirklich die unteren und mittleren Einkommensschichten entlasten will, dann geht das nur im System, dann kann ich nicht im Augenblick die Konjunktur nutzen, um mal wieder einmalig Geld auszukehren, sondern dann muss ich im System etwas verändern. Und für solche Pläne gibt es sicherlich Unterstützung der Länder.
Müller: Christian von Boetticher, CDU-Fraktions- und Parteichef von Schleswig-Holstein, heute Morgen im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
von Boetticher: Herr Müller, vielen Dank!
DLF-Interview: Staatsrechtler Kirchhof schlägt "fundamentale Erneuerung" des Steuerrechts vor