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CDU-Flüchtlingspolitik
"Problematisch ist, was nicht im Leitantrag steht"

Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach ist enttäuscht vom Kurs seiner Partei in der Flüchtlingspolitik. Zwar unterstütze er den vom Parteitag beschlossenen Leitantrag inhaltlich, aber er sei nicht ausreichend, sagte Bosbach im DLF. Vor allem der Blick auf die europäische Flüchtlingspolitik bereitet ihm Sorgen.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Bettina Klein | 15.12.2015
    Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach gestikuliert während eines Gesprächs.
    Aus Sicht des CDU-Innenexperten Wolfgang Bosbach ist der Leitantrag seiner Partei zur Flüchtlingskrise nicht ausreichend. (picture alliance / dpa / Rainer Jensen)
    Ein Fehler sei die breite Zustimmung seiner Partei zum Leitantrag nicht: "Alle Forderungen unterschreibe ich", sagte Bosbach im DLF. Aber die CDU-Führung setze komplett auf eine europäische Lösung der Flüchtlingskrise. Dabei sehe es überhaupt nicht danach aus, dass die Lasten auf alle EU-Länder gleichermaßen verteilt würden. "Was aber machen wir, wenn sich unsere Erwartungen an die EU nicht erfüllen?", fragte der CDU-Politiker. Wie die Bundesregierung sich dann verhalte, lasse der Leitantrag offen. "Problematisch ist nicht, was im Leitantrag steht, sondern was nicht drin steht", sagte Bosbach.
    Er spricht sich stattdessen dafür aus, die Zuwanderung stärker zu steuern und zu begrenzen. Diese Punkte seien der CDU eigentlich immer wichtig gewesen. Er wundere sich, dass die Partei dieses Ziel aufgegeben habe.

    Hier das vollständige Interview:
    Bettina Klein: Von Abstrafen oder Quittung für die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende war gestern beim Parteitag in Karlsruhe nicht mehr die Rede, überhaupt nicht mehr. Zehn Minuten Beifall für ihre Rede, die auch hinter den Kulissen offenbar einigen Beifall bekommen hat, ein Leitantrag zur Flüchtlingspolitik mit großer Zustimmung verabschiedet.
    Am Telefon begrüße ich den langjährigen CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach, der gestern einen Initiativantrag mit eingebracht hat. Guten Morgen, Herr Bosbach.
    Wolfgang Bosbach: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Ich würde gern erst mal mit diesem Antrag beginnen. Wenn ich es richtig sehe, kam darin der Satz vor: "Personen, welche aus einem sicheren Herkunftsland oder über einen sicheren Drittstaat illegal nach Deutschland einreisen wollen, sollen schon an der Grenze abgewiesen werden." Weshalb, glauben Sie, hat dieser Antrag keine Mehrheit gefunden?
    "Eine Ausnahmevorschrift kann die Rechtslage nicht auf Dauer suspendieren"
    Bosbach: Weil er nicht der derzeitigen Praxis entspricht. Der Antrag gibt die Rechtslage wieder, sowohl im Grundrecht auf Asyl als auch in den Ausführungsbestimmungen im Asyl- beziehungsweise Asylverfahrensgesetz. Wir berufen uns ja schon seit langer Zeit auf die Ausnahmevorschrift in Paragraf 18 Absatz vier des Asylgesetzes, dass auf Anordnung des Bundesinnenministers das Regelwerk, was ich gerade ganz kurz beschrieben habe, außer Kraft gesetzt werden kann. Aber diese Vorschrift ist eine Ausnahmevorschrift und gilt vielleicht in einer ganz bestimmten Situation zur Vermeidung humanitärer Katastrophen wie bei der Einreise von Flüchtlingen aus Ungarn. Aber durch eine Ausnahmevorschrift auf Anordnung des Bundesministers kann doch nicht die Rechtslage auf Dauer suspendiert werden.
    Klein: Und die Delegierten beziehen sich darauf, was jetzt Praxis ist, heißen diese Praxis gut, sind aber nicht mehr so ganz auf dem Boden des Gesetzes. Verstehe ich Sie da richtig?
    Bosbach: Na ja, ich empfehle mal den Artikel von Herrn Vosgerau, "Herrschaft des Unrechts", in "Cicero". Natürlich würde die Bundesregierung sagen, dass sie sich an Recht und Gesetz hält. Was soll sie auch anderes sagen. Auch der gerade erwähnte Paragraf 18 Absatz vier ist ja Teil unserer Rechtsordnung. Aber die Frage ist: Ist diese Ausnahmevorschrift wirklich geeignet, die Rechtslage ansonsten auf Dauer außer Kraft zu setzen? Wir berufen uns ja oft auf europäisches Recht, insbesondere auf das Abkommen von Dublin, aber da gibt es eine sehr widersprüchliche Argumentation. Denn auf der einen Seite sagen wir, Dublin ist in der Praxis gescheitert, was auch stimmt. Griechenland zum Beispiel hält schon seit vielen, vielen Jahren rechtsstaatliche und humanitäre Mindeststandards nicht ein. Andere Länder in der EU ebenfalls. Es gibt auch entsprechende Urteile. Gleichzeitig sagen wir, Dublin gilt nach wie vor.
    Klein: Aber mit Blick auf den Paragrafen im Asylrecht, den Sie gerade zitiert haben, sagen Sie, es ist eine Art Grauzone, die kann man so oder so rechtlich interpretieren. Oder ist es eine politische Entscheidung am Ende?
    Bosbach: Sie haben recht. Am Ende ist es eine politische Entscheidung. Und machen wir uns doch bitte nichts vor. Es hat ja schon in den letzten Monaten eine Reihe von politischen Kurskorrekturen bei der Flüchtlingspolitik gegeben. Denn zum Beispiel die Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten durch alle Staaten des Westbalkans, natürlich ist das eine politische Kurskorrektur. Oder das Asylbeschleunigungsgesetz, Kurskorrektur, auch die Einigung der Parteivorsitzenden vom 5. November. Dies alles sind ja auch in meinen Augen notwendige Kurskorrekturen, weil es so, wie es spätestens ab Anfang September war, doch auf Dauer nicht weitergehen kann. Dann wird unser Land in der Tat überfordert.
    Klein: Aber es gibt ja in dem Leitantrag, der jetzt verabschiedet wurde, Signale für eine Begrenzung und auch zumindest sinngemäß den Satz, unsere eigene Belastungsfähigkeit sei nicht unbegrenzt. Das ist Ihnen zu wenig?
    "Das Wort Begrenzung taucht an keiner Stelle des Antrages auf"
    Bosbach: Frau Klein, das ist nur halb richtig, was Sie sagen, denn das Wort begrenzen oder Begrenzung taucht an keiner Stelle des Antrages auf.
    Klein: Signale für Begrenzung, sagte ich.
    Bosbach: Ja. Deswegen sage ich ja, das ist nur halb richtig. Das ist deswegen interessant, weil wir die Gesetzeslage nicht zutreffend wiedergeben. Das Gesetz spricht schon in Absatz eins des Paragrafen eins - wir sprechen hier über das sogenannte Aufenthaltsgesetz; das sind die zentralen Vorschriften zur Zuwanderung nach Deutschland - vom Gesetzeszweck der Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung. Diese Formulierung befindet sich an keiner Stelle des Antrages. Dort wird immer nur von Ordnung und Steuerung der Zuwanderung gesprochen, wobei ich mich immer frage, wodurch unterscheidet sich eigentlich die Ordnung der Zuwanderung von der Steuerung der Zuwanderung. Egal! Jedenfalls ist es für mich sehr interessant, mit welcher Geschwindigkeit die Union das bisherige politische Ziel, Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung, aufgegeben hat, denn beides, sowohl die Steuerung als auch die Begrenzung der Zuwanderung, zur Vermeidung einer Überforderung unseres Landes war uns in der Vergangenheit immer sehr, sehr wichtig.
    Klein: Herr Bosbach, die Kanzlerin hat gestern zehn Minuten Beifall ungefähr bekommen. Sie hat nach Ansicht vieler Beobachter und auch Delegierter eine starke emotionale Rede gehalten und, so kann man den Eindruck gewinnen, sie geht auch mit ihrer Politik durchaus gestärkt aus diesem Parteitag hervor. Hat Ihrer Auffassung nach der CDU-Parteitag da gestern einen großen Fehler begangen?
    Bosbach: Nein! Wieso kann man einen Fehler machen, wenn man als Partei ein hohes Maß an Geschlossenheit zeigt und die Parteivorsitzende stark unterstützt?
    Klein: Weil Sie gerade den Leitantrag kritisiert haben, Herr Bosbach.
    Bosbach: Ja! Problematisch ist nicht das, was im Leitantrag steht, sondern was in dem Leitantrag nicht steht. Die Kanzlerin, in diesem Falle die Parteivorsitzende der CDU, hat ganz, ganz stark auf die europäische Karte gesetzt. Alle Forderungen unterschreibe ich: Sichere EU-Außengrenzen. Nie waren die Außengrenzen durchlässiger als heute. Gerechte Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der Länder der Europäischen Union, alles richtig. Verbesserung der Lebensbedingungen in den zentralen Auffanglagern der Flüchtlinge in der Krisenregion, alles richtig. Was aber machen wir, wenn sich unsere Erwartungen an die Europäische Union nicht erfüllen? Es sieht im Moment überhaupt nicht danach aus, dass alle Länder der Europäischen Union bereit wären, ihren Anteil bei der Aufnahme von Flüchtlingen zu tragen. Wie verhält sich dann die Bundesrepublik, wenn unsere Erwartungen sich nicht erfüllen? Welche Konsequenzen ziehen wir dann? Das ist leider offengeblieben.
    Klein: Herr Bosbach, Stimmen wie Ihre waren ja gestern doch erkennbar in der Minderheit.
    Bosbach: Ja.
    Klein: Es gab sie, auch Arnold Vaatz hat sich vielleicht sogar noch stärker geäußert. Macht Ihnen das Sorge, dass Sie da in einer Minderheitenposition sind?
    "Wie wird sich unser Land durch die Flüchtlinge verändern?"
    Bosbach: Nein. Ich weiß doch, dass ich in der Minderheitenposition bin. Und solche Parteitage dienen ja auch immer dazu, ein hohes Maß an Geschlossenheit herzustellen. Und der Kollege Carsten Linnemann hat gerade in einem Halbsatz gesagt, es geht ihm auf den Geist, dass jede Frage personalisiert wird. Das kann ich nur dreimal unterschreiben.
    Frau Klein, ich mache mir Sorgen über den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Lande. Ich mache mir Sorgen, dass es eine Folgenabschätzung in dem Sinne, wie es sie geben müsste, überhaupt nicht gibt. Was bedeutet das eigentlich für Deutschland, wenn Jahr für Jahr Hunderttausende Menschen kommen, die allermeisten davon aus anderen Kulturkreisen? Wie wird sich unser Land verändern? Brauchen wir nicht schnell angemessene winterfeste Unterkünfte, raschere Anerkennungsverfahren? Ich mache mir Sorgen über die Zukunft unseres Landes. Wenn ich mir die Sorgen mache und sie artikuliere, heißt es, was haben Sie eigentlich gegen die Kanzlerin, was haben Sie gegen Frau Merkel.
    Klein: Habe ich nicht gefragt.
    Bosbach: Nein, Sie nicht, aber viele. Dann macht Politik keinen Spaß mehr, wenn jede inhaltliche Debatte reduziert wird auf Personalfragen.
    Klein: Herr Bosbach, eine Frage habe ich aber noch, und das ist die nach den Sorgen, die sich andere machen, die glauben und befürchten, dass man mit dem Ruf nach einer stärkeren Begrenzung und nach Obergrenzen, wie Sie es jetzt sinngemäß auch gefordert haben, dass man damit Wasser auf die Mühlen jener gibt, die im Augenblick rechtsextremistische Gewalttaten gegen Flüchtlinge begehen. Wir haben heute gerade wieder neue Statistiken gehört, dass diese Gewalttaten zugenommen haben. Ist das auch ein gefährliches Spiel, wenn man so darauf drängt, wie Sie es gerade tun?
    "Wenn wir die Probleme nicht lösen, wird das die radikalen Kräfte stärken"
    Bosbach: Alle politischen Entscheidungen, die wir in der letzten Zeit getroffen haben, dienten der Korrektur der bisherigen Flüchtlingspolitik. Wieso sollen das riskante Signale sein? Ich habe eine ganz einfache Position. Jeder, der in die Bundesrepublik Deutschland kommt, unabhängig von Hautfarbe, Religion und Staatsangehörigkeit, übrigens auch unabhängig davon, ob sein Asylantrag Aussicht auf Erfolg hat oder nicht, hat einen Anspruch darauf, hier ordentlich behandelt, aufgenommen, versorgt zu werden, ein faires Verfahren zu bekommen und hier leben zu können, ohne Angst haben zu müssen vor jeder Form von Beleidigung, Bedrohung oder gar Gewalttaten. Aber das bedeutet doch im Umkehrschluss nicht, dass wir uns nicht darum bemühen müssen, offenkundige Probleme, die wir im Moment haben, zu lösen. Wenn wir die Probleme nur beschreiben und sie auf Dauer nicht lösen können, das wird die radikalen Kräfte stärken und davor habe ich Sorge.
    Klein: Noch kurz ein Wort zu Horst Seehofer. Sein Auftritt heute wird mit Spannung erwartet. Was erwarten Sie?
    Bosbach: Er wird freundlich empfangen werden, so wie sich das gehört.
    Klein: Wolfgang Bosbach heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk, CDU-Innenpolitiker, mit seiner Meinung zum CDU-Parteitag gestern und zur Flüchtlingspolitik seiner Partei im Augenblick.
    Bosbach: Frohe Weihnachten wünsche ich.
    Klein: Herr Bosbach, danke für das Gespräch, wünsche ich Ihnen auch.
    Bosbach: Alles Gute! - Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.