Dienstag, 19. März 2024

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CDU-Landrat
"Von Thüringen gehen neue Impulse aus"

Man habe sich "auf die AfD eingelassen und gemeint, das sei Bürgerlichkeit", sagte CDU-Landrat Werner Henning im Dlf. In Thüringen könne man aber "eher mit den ungeliebten Linken ein Menschenbild beschreiben als mit der Höcke-AfD". Jetzt komme es darauf an, was man aus dieser neuen Zusammenarbeit mache.

Werner Henning im Gespräch mit Stephanie Rohde | 22.02.2020
Christine Lieberknecht (l./CDU) im Gespräch mit Bodo Ramelow (Die Linke)
Christine Lieberknecht (CDU) im Gespräch mit Bodo Ramelow (Die Linke) (imago/Jacob Schröter)
Es sei schade, "dass wir offenbar von Thüringen aus nicht in Harmonie mit dem CDU-Parteitag leben können", sagte Werner Henning, CDU-Landrat in Thüringen im Dlf. Man habe gespürt, dass sich alle intensiv mit dem Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU, der eine Zusammenarbeit mit der Linken untersagt, bemüht hätten. "Aber letzten Endes ist jeder Abgeordneter seinem Gewissen gegenüber verantwortlich. Und das steht viel, viel höher als ein CDU-Parteitag", so Henning. Dies bedeute aber nicht, dass von Thüringen das Signal ausgehe, dass jeder machen würde, was er wolle. Es sei eher ein Signal, "dass man sich tiefer - vielleicht überhaupt völlig neu - damit befasst, was CDU denn wieder ist", so Henning.
Man habe sich in Thüringen "auf die AfD eingelassen und hat eben gemeint, das sei Bürgerlichkeit. Man spürt aber im Aufschrei der Bevölkerung, dass das eben keine Bürgerlichkeit ist. Es geht hier um Weltbilder, es geht hier um das Verhältnis zu Menschen. "Das, was uns unter der Höcke-AfD begegnet, ist ein polarisierendes Weltbild, es neigt zu nihilistischen Ansätzen." Das solidarische Miteinander der Linken sei gleichermaßen ein christliches Weltbild.
"Von Thüringen aus gehen neue Impulse in die CDU nach Deutschland." Die bundesdeutsche CDU sei nun aufgefordert, sich mit diesem Zeitenumbruch zu befassen und zur Kenntnis zu nehmen, "dass die alte Bundesrepublik in ihrer Philosophie so auch nicht mehr unbedingt weiter kommt."
Zudem glaubt Werner, "dass viele AfD-Wähler einfach falsch sind bei der AfD. Sie nehmen die AfD, weil sie Antworten auf aktuelle Fragen anbietet, aber man hat nicht erkannt, dass sich in der AfD sich ein Geist unter Höcke breit macht, der nihilistisch ist und der weltverneinend ist."

Stephanie Rohde: Die CDU will also nun doch helfen, den Linken Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten zu wählen. Sie will dann eine rot-rot-grüne Regierung als konstruktive Opposition begleiten bis zu den Neuwahlen im kommenden Jahr. Wie kommt das an an der CDU-Basis, darüber kann ich jetzt sprechen mit Werner Henning. Er ist Landrat für die CDU im thüringischen Eichsfeld und hat diesen Posten seit der Wende inne. Er bezeichnet sich selbst als wertkonservativ, wirbt aber schon seit Längerem dafür, dass die CDU mit den Linken kooperiert, wenn es eben nicht anders geht. Einen schönen guten Morgen!
Werner Henning: Schönen guten Morgen, Frau Rohde!
Rohde: Die CDU wagt offenbar den Tabubruch mit den Linken. Ist das ein guter Tag für Ihre CDU?
Bodo Ramelow spricht im Thüringer Landtag in mehrere Mikrofone.
CDU: Wer liefert die fehlenden vier Stimmen?
Bleibt die Frage, woher die CDU-Stimmen kommen sollen, die Bodo Ramelow am 4. März sicher im ersten Wahlgang ins Amt verhelfen sollen. Die CDU, so wird ohne Mikrofon versichert, wird diese Stimmen liefern, reden möchte man darüber nicht, weiß Landeskorrespondent Henry Bernhard.
Henning: Ich halte den gestrigen Tag insgesamt für einen sehr guten Tag, ohne jetzt allzu stark abzustellen auf links und CDU, sondern es war ein guter Tag, weil man hat in den Abgrund hineingeschaut, und ich hoffe, dass man es noch geschafft hat, zurückzuweichen, und nun kommt es darauf an, was man gemeinsam aus dieser neuen Zusammenarbeit heraus macht.
Rohde: Die CDU wird die Linken dulden, obwohl der CDU-Parteitag eigentlich gegen eine Zusammenarbeit mit den Linken gestimmt hat. Ist das jetzt einfach egal?
Henning: Es ist nicht egal, es ist schade, dass wir von Thüringen aus nicht in einer Harmonie mit dem CDU-Parteitag weiterhin offenbar leben können. Man hat gespürt, dass sich alle intensiv darum bemüht haben, aber letzten Endes ist ein jeder Abgeordneter seinem Gewissen gegenüber verantwortlich, und das steht viel, viel höher als ein CDU-Parteitag, denn letzten Endes ist der einzelne Abgeordnete gewählt in seiner persönlichen Vertretung, seinem Gewissen gerecht zu werden und seine Wählerschaft zu vertreten.
Höcke-AfD neigt zu nihilistischen Ansätzen
Rohde: Das heißt aber, von Thüringen geht das Signal aus, wir machen, was wir wollen.
Henning: So würde ich es nicht sagen. Es geht das Signal aus, dass man sich tiefer, vielleicht überhaupt völlig neu damit befasst, was CDU denn wieder ist. Die alte CDU ist doch sehr stark geprägt aus ihren westdeutschen Antworten, die sehr eingespannt sind in Bürgerlichkeit und Kontrabürgerlichkeit. Ich glaube, hier in Thüringen geht es mittlerweile um etwas ganz anderes. Man hat sich auf die AfD eingelassen und hat gemeint, das sei Bürgerlichkeit. Man spürt aber im Aufschrei der Bevölkerung, dass das eben keine Bürgerlichkeit ist, sondern es geht hier um Weltbilder, es geht hier um das Verhältnis zum Menschen, und scheinbar werden wir am Ende auch mit den ungeliebten Linken eher ein Menschenbild beschreiben können als mit dem, was uns unter der Höcke-AfD im Moment begegnet.
Rohde: Sie sagen also, das Menschenbild passt zusammen von der CDU und den Linken, aber wie sieht es aus mit anderen Punkten? Die Linkspartei fordert im Wahlprogramm einen Bruch mit dem Kapitalismus und offene Grenzen für alle. Wie erklären Sie eigentlich jetzt Ihren CDU-Wählern in Eichsfeld, dass die CDU mit dieser Partei kann?
Henning: Noch einmal vielleicht zurück, weil Sie sagen, mit dem Menschenbild kann. Das muss man differenzieren. Ich meine das Menschenbild, was uns im Moment hier in Thüringen auch unter der Apostrophierung links begegnet, ist auf solidarisches Miteinander gerichtet, ungeachtet, wie man es in der Tiefe in den einzelnen Schattierungen weiter ausleuchten mag, und dieses solidarische Miteinander ist gleichermaßen ein christliches Weltbild. Das, was uns unter Höcke, der Höcke-AfD begegnet, ist ein polarisierendes Weltbild. Es neigt zu nihilistischen Ansätzen, es geht gewissermaßen kulturanthropologisch mit den Themen der Gegenwart um. Das rangiert an allererster Stelle. Ein Stückchen, eine ganze Ecke davon abgerückt, müssen dann die Fassungsfragen kommen, wie ist es mit dem Kapitalismus, was meint man überhaupt unter Kapitalismus, was ist überhaupt noch Kommunismus oder Sozialismus. Da wäre ich im Hier und Heute total überfragt, aber ich glaube, von Thüringen aus gehen neue Impulse in die CDU nach Deutschland, und auch die bundesdeutsche CDU ist aufgefordert, sich mit diesem Zeitenumbruch auch intellektuell zu befassen, zur Kenntnis zu nehmen, dass die alte Bundesrepublik in ihrer Philosophie so auch nicht mehr unbedingt weiterkommt. Ich glaube, dass wir hier von Thüringen einen Anstoß dazu geben.
"Lasst euch auf die neue Zeit ein"
Rohde: Aber was sagen Sie denn Ihren Wählern jetzt, die sagen, hm, eine CDU, die mit den Linken zusammengeht, die einen Bruch mit dem Kapitalismus möchte, offene Grenzen für alle, die kann ich eigentlich nicht mehr wählen?
Henning: Nein, also denen würde ich sagen, darüber müssen wir noch lange diskutieren, ob diese Linke diesen Bruch mit dem Kapitalismus so tradiert überhaupt meint. Ich will damit die Linke auch nicht verteidigen. Ich weiß es einfach nicht. Ich kann meinen, so wie Sie es sagen, meinen Fragern nur antworten: Lasst euch auf die neue Zeit ein, und wir müssen genau diese Antworten, die ihr sucht, die müssen wir wieder herausfiltern, die müssen wir erarbeiten, und wir müssen uns auf diese Fragestellung neu projizieren, auch unter der Rubrik einer sehr humanistisch christlich orientierten CDU und CDU nicht nur als Apostrophierung nehmen für pro und contra Kapitalismus. Das ist zu wenig. Dann können wir uns auch irgendeinen anderen Begriff einfallen lassen.
Rohde: Viele werfen der CDU jetzt vor, dass sie grundlegende Überzeugungen einfach so über Bord wirft. Haben Sie Sorge, dass viele Wähler aus Protest zur AfD gehen?
Henning: Würde ich so nicht sehen, zumindest in dieser katholisch geprägten Landschaft des Eichsfeldes. AfD behandelt im Vordergrund viele Fragen, die in dieser Zeit drin sind, die müssen aber genauso in der CDU oder in der SPD oder andernorts behandelt werden. Weil aber die tradierten Parteien dieses bisher überhaupt nicht anspruchsvoll genug getan haben, hat man dieses Feld der AfD überlassen. Das tut mir leid. Da müssen die Konservativen oder auch, wie eben gesagt, tradierten Parteien wirklich einen Neuansatz finden. Aber dass die Wähler … Ich glaube, dass viele AfD-Wähler einfach falsch sind bei der AfD. Sie nehmen die AfD, weil sie Antworten auf sehr aktuelle Fragen anbietet, aber man hat nicht erkannt, dass in der AfD sich ein Geist unter Höcke breitmacht, der nihilistisch ist und der weltverneinend ist und der polarisiert. Diese Polarisation bedeutet am Ende Feindschaft und pro und contra und zerstört gesellschaftliches Leben. Ich glaube, dass viele AfD-Wähler das nicht wollen.
"Vertrauensvoll aufeinander zugehen, dem anderen nicht das Böse unterstellen"
Rohde: Ja, aber man könnte ja argumentieren, bei der AfD weiß man, was man bekommt. Bei der CDU weiß man nicht, was man bekommt. Man wählt die und hat dann einen linken Ministerpräsidenten.
Henning: Ich würde Ihnen zustimmen. Im Moment kann man die Antwort noch nicht geben, was man bei der CDU bekommt, aber ob man bei der AfD weiß, was man bekommt, das bezweifle ich. Im Vordergrund weiß man, was man bei der AfD bekommt, aber im Hintergrund ist ein intellektuelles Gebäude, was man im Moment überhaupt nicht ausreichend erkennt.
Rohde: Was können denn CDU und Linke zusammen machen, jetzt aus Ihrer Erfahrung auch gesprochen als Landrat?
Henning: Sie sollen erst einmal vertrauensvoll aufeinander zugehen und dem anderen nicht das Böse unterstellen und dann Schrittchen für Schrittchen den Weg weitergehen, den wir auch die vergangenen fünf Jahre gegangen sind. Links ist ja für uns hier überhaupt nichts Neues, und wir kennen Herrn Ramelow nun seit fünf Jahren im Amt des Ministerpräsidenten. Bei allen Unterschieden, in vielen Sachfragen waren wir, gerade wir Kommunale, am Ende des Tages auch immer wieder in der Lage zu sagen, gut, wir lassen das Geschehene hinter uns – Gebietsreform war so eine große Überschrift –, lassen uns aber vertrauensvoll aufeinander ein und sind damit gut gefahren. Also meine Antwort, man möge nicht feindselig mit den tradierten Pro- und Contra-Bildern aufeinander zugehen, sondern positiv gestimmt und dem anderen gleichermaßen den Humanismus belassen, den man selbst verfolgt.
Rohde: Herr Henning, kurz noch zum Schluss: Haben Sie in dieser Krise an Ihrer CDU gezweifelt?
Henning: Also ich habe nie an meiner Grundauffassung gezweifelt, aber ich bin hart ins Schlingern geraten, ob diese CDU mit meiner Grundauffassung noch etwas zu tun hat, war aber selbst noch nie so weit zu sagen, ich schmeiße den Bettel hin, obwohl diese Frage in der Öffentlichkeit diskutiert worden ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.