Dienstag, 16. April 2024

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CDU-Obmann zum Fall Sami A.
"Behördenabläufe nicht optimal verzahnt"

Der Fall des abgeschobenen Gefährders Sami A. eigne sich gut, um die Diskussion über sogenannte Ankerzentren neu zu führen, sagte der CDU-Politiker Armin Schuster im Dlf. Man müsse sich die Frage stellen, warum Gerichte und das BAMF die Menschenrechtslage in Tunesien unterschiedlich bewertet hätten.

Armin Schuster im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 17.07.2018
    Armin Schuster bei einer Rede mit ausgetrecktem Zeigefinger
    Armin Schuster, CDU, war nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz im Untersuchungsausschuss: "Ich weiß, wie das Gefühl ist, wenn man einen Terrorgefährder zu spät oder gar nicht abgeschoben hat." (dpa / Kay Nietfeld)
    Jörg Münchenberg: Der Obmann der Union im Innenausschuss des Bundestages, Armin Schuster. Herr Schuster, einen schönen guten Morgen.
    Armin Schuster: Guten Morgen, Herr Münchenberg.
    Münchenberg: Herr Schuster, war das politisch klug, das eigentlich für heute geplante Treffen zwischen Stamp und Seehofer abzusagen?
    Schuster: Ja, ich glaube schon, weil eigentlich ging es bei dem Treffen um sehr wichtige Themen, insbesondere um das Thema Abschiebung etc. etc. Ich glaube, dass die beiden Minister keine Chance gehabt hätten, eigentlich zu arbeiten, so wie sie es gewollt haben, weil dieser einzelne Fall sicher medial alles überlagert hätte. Von daher halte ich, ich sage mal, so ein mediales Abklingbecken gar nicht so schlecht.
    "Einfach Behördenabläufe nicht optimal verzahnt"
    Münchenberg: Auf der anderen Seite: Gerade im Fall Sami A. gibt es noch viele Fragen über die Zeitabläufe, wer was wann gewusst hat, und das hätte man ja heute vielleicht doch ein Stück weit beantworten können.
    Schuster: Das wird man ja sowieso. Ich bin sogar der Überzeugung, dass der Fall - ich neige eher dazu, dass hier einfach Behördenabläufe nicht optimal ineinander verzahnt waren - sehr, sehr gut dafür geeignet ist, noch mal die Diskussion aufzumachen, warum Ankerzentren so eine wunderbare Idee wären. Da sträuben sich ja noch einige Länder, das umsetzen zu wollen. Denn genau das, was hier passiert ist, Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, BAMF Nürnberg, Ausländerbehörde Bochum, das ist genau das. Ich fürchte einfach, dass da die Zahnräder zeitlich nicht ineinander gegriffen haben, was wir mit Ankerzentren verhindern wollen. Da eignet sich dieser Fall wunderbar, um das mal deutlich zu machen.
    "Beschluss des Gerichts kam einfach zu spät an"
    Münchenberg: Aber, Herr Schuster, es gibt einen schwerwiegenden Vorwurf, der da im Raum steht, dass nämlich die Behörden im Fall Sami A. das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen bewusst getäuscht haben.
    Schuster: Ja, das kommt jetzt von ganz bestimmter politischer Seite. Da wird, glaube ich, irgendwie eine günstige Gelegenheit genutzt, wirklich grenzwertige Thesen aufzumachen. Am Ende hat wahrscheinlich dann nach deren Vorstellungen Herr Seehofer das noch persönlich angeordnet.
    Herr Münchenberg, Entschuldigung! Das halte ich jetzt für einen gravierenden Quatsch. Ich glaube ganz einfach, dass es genau so gewesen ist, wie auch Armin Laschet es gesagt hat. Dieser Beschluss des Gerichts kam einfach zu spät an. Dass das Gericht selber ja auch Meinungsverschiedenheiten hat, sieht man ja, dass in der gleichen Woche ein Verfahren, wo es um die Abschiebungsandrohung gegen Sami A. ging, im Sinne der Behörden entschieden wurde. Ich glaube, mir kommt es jetzt mal darauf an, überhaupt die Frage zu stellen, warum kommen eigentlich Gerichte und das BAMF zu unterschiedlichen Einschätzungen zur Menschenrechtslage in Tunesien. Warum hat ein Auswärtiges Amt Lageberichte, die ich für seriös halte, aus denen hervorgeht, dass wir objektiv nicht von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen in Tunesien ausgehen müssen. Wir versuchen, Rückführungen zu forcieren mit Tunesien. Die haben ihre Verfassung 2014 geändert, indem sie die Folter ausgeschlossen haben. Sie haben es in ihr Strafgesetzbuch aufgenommen. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet, einen abzuschieben, Haikel S., weil es sagt, die Todesstrafe wird dort nicht mehr vollzogen, obwohl es sie noch gibt. Das sind ja alles eindeutige Indizien. Da ist die Frage, wieso entscheidet ein Verwaltungsgericht so, das BAMF anders. Kann man da nicht zu objektiven gemeinsamen Einschätzungen kommen.
    "Eindruck, dass wir selber den Rechtsstaat beliebig stellen"
    Münchenberg: Herr Schuster, wir hatten heute Morgen einen Bericht unseres Korrespondenten aus Tunesien, der bestätigt hat, dass Folter weiterhin auch gerade noch in Tunesien ein Problem sei, und das schildert so auch Amnesty International.
    Schuster: Ja, Herr Münchenberg. Das ist ja das, was ich jetzt gerade in meiner Frage insinuiert habe. Ich stelle jetzt noch mal die Frage: Gilt in Deutschland, da wir alle jetzt gerade von Rechtsstaat sprechen, eine Lageeinschätzung des Auswärtigen Amtes? Gelten die Abkommen, die die deutsche Regierung mit der tunesischen macht? Oder gilt jetzt die Meinung eines Richters am Verwaltungsgericht, eines Entscheiders am BAMF, und jeder legt das aus, wie er möchte? Ich habe irgendwie den Eindruck, dass wir jetzt auch selber den Rechtsstaat beliebig stellen. Ich kann im Moment nicht nachvollziehen, wie wir, wenn wir so weitermachen, von allen Staaten dieser Welt irgendwelche Zusicherungen bekommen wollen, die eine deutsche Rechtsstaatlichkeit nach unserem Empfinden attestiert, wenn jedes Verwaltungsgericht…
    "Vollstes Verständnis" für NRW-Behörden
    Münchenberg: Aber noch einmal, Herr Schuster. Wenn das Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen sagt, zu der Einsicht kommt, es droht Folter für Sami A. in Tunesien, er darf deshalb nicht abgeschoben werden, dann hat das doch erst mal Bestand.
    Schuster: Stimmt! Wenn dieser Beschluss, dieser Gerichtsbeschluss rechtzeitig bei den Behörden angekommen wäre, dann gilt der. Das ist ja vollkommen klar. Nur das ist ja das, was in Zweifel steht. Wenn der Sami A. im Flugzeug sitzt, dann ist es eben zu spät.
    Und, Herr Münchenberg, eines muss ich auch mal sagen: Ich sitze jede Woche im Untersuchungsausschuss: Anschlag auf den Breitscheidplatz. Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass gerade nordrhein-westfälische Ausländerbehörden nach den Erfahrungen, die wir gesammelt haben, schnell und konsequent abschieben, wenn es sich um einen Terrorgefährder handelt.
    Zwei unterschiedliche Entscheidungen aus Gelsenkirchen
    Münchenberg: Aber muss das nicht auch ein Rechtsstaat gerade aushalten, dass selbst unerwünschte Leute in Deutschland nicht einfach abgeschoben werden dürfen, sondern dass die geltenden Prinzipien und Grundsätze erst mal eingehalten werden müssen?
    Schuster: Natürlich! Wenn das Gericht eine solche Entscheidung rechtzeitig zustellt, gibt es überhaupt keine zwei Meinungen. Dann darf in diesem Fall nicht abgeschoben werden. Die Frage ist allerdings noch mal: War das rechtzeitig? Und hat nicht das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen selber in sich in dieser Woche zwei relativ unterschiedliche Entscheidungen gefällt?
    Ich komme noch mal auf das zurück, was ich am Anfang gesagt habe. Wir haben im Masterplan des Bundesinnenministeriums zwei Dinge drinstehen, die an diesem Fall wunderbar wirken würden. Wir dürfen den Rechtsstaat auch nicht selber lahmlegen, wenn wir seine Entscheidungen immer wieder neu zur Disposition stellen. Deswegen ist es wichtig - das haben wir jetzt formuliert -, dass die Rechtsmittelüberprüfung noch mal erfolgt, dass wir noch mal gucken, ob eine Ausreisepflicht nicht vollziehbar werden kann, trotz Rechtsmittel. Und ich plädiere noch mal dafür, dass alle Bundesländer wirklich sich die Frage stellen, müssen wir nicht über Ankerzentren doch ernsthafter jetzt nachdenken, da das vieles von den Problemen lösen würde.
    Eins bleibt für mich am Ende: Da nehme ich die Exekutive in Schutz. Ich erlebe jede Woche im Untersuchungsausschuss noch den Schmerz aus den Anschlagstagen am Breitscheidplatz, weil ich ihn jede Woche vernehme. Ich weiß, wie das Gefühl ist, wenn man einen Terrorgefährder zu spät oder gar nicht abgeschoben hat. Deswegen hat die Exekutive, solange sie von dem Gerichtsbeschluss nichts wusste, aus meiner Sicht keinen Fehler gemacht.
    "Halte politischen Druck aufrecht"
    Münchenberg: Sie verteidigen die Exekutive, sagen, es ist auch nicht vorstellbar, dass das Gericht bewusst getäuscht worden sei. Es steht ja auch der Vorwurf im Raum, dass da die Politik erheblichen Druck ausgeübt hat, dass es natürlich keine direkte Anweisung gab, aber dass der politische Druck im Raum stand, dass man diesen Mann unbedingt loswerden wollte.
    Schuster: Herr Münchenberg, da können Sie mich gerne mit einbeziehen und, ich glaube, eine Reihe weiterer Innenpolitiker in diesem Land auch - ich vermute sogar, unabhängig von Partei. Wir hatten nach dem Breitscheidplatz etwa 150 ausreisepflichtige Terrorgefährder und haben diese Zahl drastisch reduziert, aber wir sind noch längst nicht da, wo wir hin wollen. Den politischen Druck, Terrorgefährder, die ausreisepflichtig sind, aus dem Land zu bringen, den halte ich auch nach wie vor für richtig und den halte ich auf aufrecht.
    "Frage mich, ob wir Rechtsstaat nicht weitgehend überdehnt haben"
    Münchenberg: Aber vielleicht war dann Durchgreifen am Ende doch wichtiger als rechtsstaatliche Prinzipien.
    Schuster: Nein! Sonst wäre der Mann ja nicht - und das ist ja schon sehr verwunderlich - seit über zehn Jahren bei uns. Ich darf das noch mal sagen. Er ist ein ausreisepflichtiger abgelehnter Asylbewerber seit 2007. Er ist mutmaßlich Hassprediger, Gefährder, hat eine El-Kaida-Ausbildung, soll zur Leibgarde von Bin Laden gehört haben. Der Mann ist seit 2007 hier! Da frage ich mich, ob wir unseren Rechtsstaat nicht weitgehend überdehnt haben. Die Frage muss auch mal gestellt werden. Wer jetzt glaubt, wir hätten Sami A. irgendetwas Furchtbares angetan, der muss aber in die Waagschale werfen, wie lang dieser Mann schon im Land ist und wie lang wir dieses Sicherheitsrisiko schon dulden.
    Unterschiedliche Argumentation inakzeptabel
    Münchenberg: Auf der anderen Seite noch mal, Herr Schuster, droht dem Mann ja potenziell Folter in Tunesien, und das ist nun mal die Maßgabe, wo das Gericht in Gelsenkirchen gesagt hat, wir dürfen nicht abschieben, egal was der Mann für eine Geschichte hat.
    Schuster: Dieses Urteil des Verwaltungsgerichts akzeptiere ich. Wie gesagt, wenn es rechtzeitig gekommen wäre. Aber die Frage darf man stellen, auch als Politiker gegenüber Gerichten: Wir müssen dazu kommen, dass wir eine einheitliche objektive Einschätzung zu Menschenrechtslagen in Drittstaaten bekommen bei Gerichten und Behörden. Ich akzeptiere das nicht, politisch kann ich das nicht akzeptieren, dass hier Behördenvertreter und Gerichte auf unterschiedlichen Ebenen argumentieren. Meiner Einschätzung nach hat das BAMF sich daran orientiert, was das Auswärtige Amt an Lagebericht abgibt. Das Auswärtige Amt ist ja nicht irgendwer. Das Gericht wiederum weiß ich nicht, woran das sich eigentlich orientiert, ob die individuelle Folterdrohung gegen Sami A. überhaupt belegbar ist. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur eins: Wir arbeiten mit Tunesien als Vorbild-Staat für den Arabischen Frühling zusammen - das einzige Land, was substanzielle Fortschritte in Demokratisierung und Rechtsstaat gemacht hat.
    Und das muss ich Ihnen auch mal sagen, Herr Münchenberg: Das gilt nicht nur für Tunesien. Die deutsche Hybris, anderen Staaten auf der Welt ständig erklären zu wollen, was bei ihnen nicht in Ordnung ist, das ist auch nicht einfach diplomatisch zu vermitteln.
    Münchenberg: Herr Schuster, den Punkt hatten wir jetzt schon diskutiert, und ich muss hier etwas unsanft angesichts der fortschreitenden Zeit abbrechen. Wie gesagt: Amnesty International kommt da zu einer anderen Einschätzung. Aber in jedem Fall war das zum Fall Sami A. der Obmann der Union im Bundestags-Innenausschuss, Armin Schuster. Herr Schuster, vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
    Schuster: Danke für das spannende Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.