Archiv

CDU vor Parteitag
Von Reformwillen und Kompromisspolitik

Die CDU macht derzeit auf viele Beobachter einen wenig geschlossenen Eindruck. Personaldebatten, aber auch Streit in Sachfragen entzweien die Partei. Auf dem Parteitag in Leipzig wird die Parteiführung versuchen, die Fliehkräfte zu bändigen. Die Machtfrage dürfte vertagt werden.

Von Stephan Detjen und Moritz Küpper |
Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesministerin der Verteidigung und CDU-Bundesvorsitzende, und Paul Ziemiak, Generalsekretär der CDU, besichtigen die Halle für den CDU-Bundesparteitag in Leipzig (22. bis 23. November)
Die CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und ihr Generalsekretär Paul Ziemiak vor dem CDU-Bundesparteitag, der am 22. und 23. November in Leipzig stattfindet (dpa/Hendrik Schmidt)
Leipzig. Das ist für die CDU nicht nur einfach die Ortsmarke für einen Bundesparteitag. Leipzig ist ein schillerndes Synonym. Es steht für Hoffnungen, Selbstbeschreibungen und Aufbrüche aber auch für Abbrüche und Desillusionierungen. Leipzig ist für die CDU ein schillernder Erinnerungsraum. Auf ihrem Parteitag wird sie an diesem Freitag mit einer Vergangenheit konfrontiert, die doch nicht ganz vergangen ist.
Friedrich Merz: "Wenn wir es mit Vereinfachung ernst meinen, wenn wir es ernst meinen damit, dass wir ein Steuersystem etablieren wollen, das die Menschen wieder verstehen und wo sie sich sehr einfach – etwa auf einem Bierdeckel – ausrechnen können, wie hoch ihre Steuerschuld ist, dann dürfen wir den komplizierten Formeltarif unseres Einkommensteuergesetzes nicht verlängern, dann müssen wir – so wie fast alle OECD-Staaten auf dieser Welt, alle modernen Industrienationen dieser Welt – einen Steuerstufen Tarif einführen: 12, 24 und 36 Prozent."
Das Logo der CDU ist in Berlin an der CDU-Zentrale, dem Konrad-Adenauer-Haus, rot beleuchtet.
CDU - "Wir brauchen Mut zu einer echten Runderneuerung"
Wolfgang Reinhart, CDU-Fraktionschef im Landtag von Baden-Württemberg, hat seine Partei vor dem anstehenden Bundesparteitag dazu aufgefordert, selbstkritisch einen Erneuerungsprozess anzustoßen.
Merz gegen Merkel - und anders herum
Vor sechzehn Jahren, Anfang Dezember 2003, traf sich die CDU in Leipzig zu einem Parteitag, auf dem sich die Christdemokraten als kraftstrotzend röhrender Reformmotor präsentierten. Friedrich Merz, ein Jahr zuvor von Angela Merkel als Fraktionsvorsitzender verdrängt, drückte noch einmal aufs politische Gaspedal, bevor er ein Jahr später den Rückzug aus der Spitzenpolitik einleitete.
Friedrich Merz wirbt am 02.12.2003 auf dem 17. Parteitag der CDU in Leipzig um Zustimmung für sein Konzept einer Steuerreform

. Bereits am 01.12.2003 hatten die Delegierten eine Kursänderung in der Sozialpolitik beschlossen. (lef03-021203) | Verwendung weltweit
Friedrich Merz 2003 auf dem 17. Parteitag der CDU in Leipzig (dpa/Michael Hanschke)
Im Bundestagswahlkampf 2005 berief Angela Merkel nicht mehr Merz, sondern den ehemaligen Verfassungsrichter Paul Kirchhof als Finanzexperten in ihr Schattenkabinett. Kirchhof kämpfte statt für den von Merz vorgeschlagenen Stufentarif für eine noch radikaler vereinfachte Flatrate-Steuer. In den Augen von Merz war die Berufung Kirchhofs ein fataler Fehler Merkels, der sie beinahe die Kanzlerschaft und der CDU ihre programmatische Entschlossenheit gekostet hatte.
"Das hat ganz konkrete Folgen. Das bedeutet nämlich: weniger Investitionen in Bildung, weniger Investitionen in Betreuung, weniger Investitionen in innere und äußere Sicherheit, weniger Investitionen in Infrastruktur, in Straßen und Schienen. All das bedeutet das, was dieser Professor da vorschlägt, meine Damen und Herren und das kann er ja vielleicht wollen. Wir können es uns nicht leisten, solche Experimente zu machen."
Gerhard Schröder, im Sommer 2005 als Kanzler schon so gut wie abgeschrieben, nutzte Kirchhof als breite Angriffsfläche, die ihm in einem furiosen Wahlkampf die Rückkehr in die Offensive erlaubte.
Paul Kirchhof, Finanzexperte im Wahlkampfteam der CDU 2005 
2005 wurde Paul Kirchhof zum Finanzexperten der Kanzlerin (dpa/Maurizio Gambarini)
Kampf um Merkel-Nachfolge
Der Reformmut, an dem sich die CDU auf ihrem Leipziger Parteitag 2003 berauscht hatte, wurde abgeschliffen. In drei Großen Koalitionen regierte Angela Merkel ab 2005 als Großmeisterin einer pragmatischen Kompromisspolitik. Die Sehnsucht nach einer konsequenteren, mehr von ehernem Willen als abwägender Vernunft geprägten Führung aber schlummert seitdem in der Partei – und kann geweckt werden.
So wie auf dem Parteitag im Februar 2018, als Annegret Kramp-Karrenbauer formal ihre Kandidatur zur Generalsekretärin erklärte, aber für niemanden im Saal einen Zweifel daran ließ, dass sie mehr, viel mehr anstrebte: "Und deswegen kommt es auch im Leben von jedem einzelnen zu Situationen, da genügt es nicht mehr zu sagen: Derjenige müsste oder diejenige sollte. Sondern da muss man dann selbst die Antwort darauf geben, und die kann da nur lauten: Ich kann und ich will und ich werde. Und deswegen stelle ich mich gern in den Dienst der Partei!"
Dieser 26. Februar 2018 ist der Tag, an dem der Machtwechsel an der Spitze der CDU eingeleitet wurde. Schon ein halbes Jahr später fand der Kampf um die Nachfolge Angela Merkels auf den offenen Bühnen von acht Regionalkonferenzen statt. Die Partei inszenierte die Vorstellungstournee der drei Kandidaten Kramp-Karrenbauer, Merz und Spahn als fröhlichen Beleg innerparteilicher Demokratie.
Friedrich Merz, Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn auf der CDU-Regionalkonferenz Berlin/Brandenburg
Friedrich Merz, Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn auf der CDU-Regionalkonferenz Berlin/Brandenburg im November 2018 (picture alliance/Kay Nietfeld/dpa)
"Das macht richtig Spaß, wieder dabei zu sein! Ich merke dann erst in einem solchen Augenblick, wenn man dann in diese voll besetzte Halle kommt und in fröhliche und gespannte Gesichter blickt, was mir in den letzten Jahren auch ein bisschen gefehlt hat. Also meine Damen und Herren: die CDU."
Ein Teil des Saales lachte, ein anderer raunte laut, als Friedrich Merz vor fast auf den Tag genau einem Jahr in Lübeck in die politische Arena zurückkehrte.
Friedrich Merz, unterlag Annegret Kramp-Karrenbauer in der Wahl um den CDU-Vorsitz.
Die CDU und Friedrich Merz
Friedrich Merz kann sich vorstellen, Bundesminister zu werden. Die Kanzlerin hat aber schon abgelehnt und angekündigt, dass das Kabinett nicht umgebaut werden solle. Nur kann sie das nicht mehr alleine entscheiden.
Auf den acht Regionalkonferenzen, auf denen sich die Bewerberin und ihre beiden Konkurrenten um den Parteivorsitz der Basis präsentierten, gelang es Friedrich Merz, weite Teile der CDU mit seinem Gestus entschlossener Führungskraft und programmatischer Selbstgewissheit zu beseelen. Beobachter und Parteistrategen waren sich einig: Hätte die CDU so wie in diesen Tagen die SPD in einer Befragung aller gut 400.000 Mitglieder über ihren Vorsitz entschieden: Friedrich Merz wäre der Sieger gewesen.
Knappe Mehrheit für Kramp-Karrenbauer
Anders als bei den Regionalkonferenzen aber stimmten beim Hamburger Parteitag Anfang Dezember letzten Jahres nur die 1.000 Delegierten ab, Repräsentanten der mittleren und gehobenen Funktionselite der Partei: Vorstandsmitglieder von Orts- und Kreisverbänden, Landtags- und Bundestagsabgeordnete. Um sie von sich zu überzeugen, hatte Merz in seiner Bewerbungsrede statt flammender Führungsrhetorik einen staatsmännisch weltläufigen Ton angeschlagen:
"Herr Tagungspräsident, lieber Daniel Günther, Frau Bundeskanzlerin, liebe Angela Merkel, liebe Parteifreundinnen und Parteifreunde, meine sehr geehrten Damen und Herren. Dieser 31. Parteitag der CDU Deutschlands wird in die Geschichte eingehen als ein ganz außergewöhnlicher Parteitag…"
Friedrich Merz' Redestrategie in Hamburg sollte sich als falsch erweisen. Im entscheidenden Moment gelang es Annegret Kramp-Karrenbauer, Herz und Verstand einer knappen Mehrheit der Delegierten für sich zu gewinnen.
"Liebe Delegierte, ich stehe hier so wie ich bin. So wie mich das Leben geformt hat und darauf bin ich stolz. Ich stehe hier als Mutter von drei Kindern, die selbst weiß, wie schwer es ist, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Ich stehe hier als ehemalige Innenministerin, als Bildungsministerin, als Sozialministerin, als Ministerpräsidentin die über 18 Jahre ihrem Land und den Menschen in diesem Land gedient hat."
Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) spricht beim CDU-Bundesparteitag 2018 in Hamburg
Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) nach ihrer Wahl beim CDU-Bundesparteitag 2018 in Hamburg (dpa/Kay Nietfeld)
Im Zwiespalt
Annegret Kramp-Karrenbauer wusste, dass die Harmonie und Euphorie, mit der die CDU den Wettstreit um die Nachfolge Angela Merkels bis dahin inszeniert hatte, nur eine vordergründig glitzernde Oberfläche abbildete.
Darunter gärte der Zwiespalt: Zwischen Konservativen und Wirtschaftsliberalen auf der einen und liberal Progressiven auf der anderen Seite. Zwischen Kontinuität der bis heute zweitlängsten Kanzlerschaft in der Geschichte der Bundesrepublik, Rückwendung zu politischen Idealen und Ordnungsvorstellungen der Kohl-Ära und den vagen Versprechen einer Neuorientierung in einer ungewissen Zukunft. Kramp-Karrenbauer versuchte, mit Gesten und Signalen in alle Richtungen, die Partei hinter sich zu einen.
Annegret Kramp-Karrenbauer (l), Bundesvorsitzende der CDU, wartet neben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), auf den Beginn der Klausurtagung des CDU-Bundesvorstands
Nach Merkel: Wohin steuert Annegret Kramp-Karrenbauer die CDU?
Der Dreikampf um die Spitze der CDU - vor dem Parteitag in Hamburg war viel von Erneuerung die Rede, vom Wunsch nach mehr Profil. Dort allerdings hat sich die Kandidatin durchgesetzt, die am wenigsten für einen Bruch mit der Ära Merkel steht.
"Wir haben gesagt als Ultima Ratio wäre das durchaus auch denkbar" - nach einem sogenannten "Werkstattgespräch" zur Flüchtlings- und Migrationspolitik erklärte Kramp-Karrenbauer eine Schließung der deutschen Grenze zu Österreich für machbar. Die Aussage wurde als Abkehr von den Richtlinien verstanden, die Angela Merkel im Herbst 2015 für ihre Regierung vorgegeben hatte.
Bei Veranstaltungen zur Erinnerung an die Einführung des Frauenwahlrechts bekannte sich die neue Vorsitzende zu Quotenregelungen in der Politik und band die Mitglieder der Frauenunion an ihrer Seite, die nach dem Ende der Ära Merkel ein patriarchalisches Rollback in der eigenen Partei fürchten.
Die "Rezo-Krise" der CDU
Wie unsicher der Platz am Fenster in der Führungsetage des Adenauer-Hauses ist, bekam die neue Vorsitzende zu spüren, als die Parteizentrale nach der Veröffentlichung des Rezo-Videos mit dem auftrumpfenden Titel "Die Zerstörung der CDU" auf die digitale Schleuderspur geriet.
Die Aufnahme zeigt den Youtuber Rezo mit blauen Haaren und Baseballmütze.
"CDU-Zerstörungs-Video" von Rezo - Jung, politisch und sendungsbewusst
Mehr als sieben Millionen Menschen haben das "CDU-Zerstörungs-Video" gesehen. Bei aller Kritik über die Machart an dem YouTuber Rezo sieht der Journalist Marcus Richter auch etwas Positives.
"Was sind eigentlich Regeln aus dem analogen Bereich und welche Regeln gelten eigentlich für den digitalen Bereich – ja oder nein? Das ist eine sehr grundlegende Frage, über die wir uns unterhalten werden und zwar nicht nur wir in der CDU und mit der CDU, sondern ich bin mir ganz sicher, in der gesamten medienpolitischen und auch demokratietheoretischen Diskussion in der nächsten Zeit wird es eine Rolle spielen. Und deswegen werden wir diese Diskussion auch sehr offensiv angehen."
Annegret Kramp-Karrenbauer geriet in die Defensive. Ihr Generalsekretär Paul Ziemiak wurde innerparteilich zum Prügelknaben, der die Schläge einstecken muss, die der Vorsitzenden gelten. Das Adenauer-Haus sei schlecht organisiert, habe in der "Rezo-Krise" stümperhaft reagiert und keine klaren Konsequenzen aus den letzten Wahlergebnissen in Ostdeutschland gezogen, wurde kolportiert.
Friedrich Merz als Hoffnungsträger der JU
Der Eintritt Kramp-Karrenbauers ins Bundeskabinett trug im Sommer Züge eines fluchtartigen Exits aus der Parteizentrale. Als Verteidigungsministerin versucht sie nun mit außenpolitischen Vorstößen wieder offensives Profil zu gewinnen. Doch selbst einstige Unterstützer bezweifeln, ob sie in der zweiten Runde des Machtkampfes um die Nachfolge von Angela Merkel nochmals wie in Hamburg in die Vorhand kommen kann. Schon auf dem Parteitag vor einem Jahr hatten die Anhänger von Friedrich Merz keinen Zweifel daran gelassen, dass die Sehnsucht nach einem radikaleren Führungs- und Stilwechsel an der Spitze der CDU nicht erloschen war.
"Lieber Friedrich. Bleib bitte bei uns! Unterstütze bitte weiter die Union! Friedrich, wir brauchen dich! Wir brauchen dich vor allem nächstes Jahr! Nicht nur bei der Europawahl! Sondern auf vielen Veranstaltungen."
Carsten Linnemann, Vorsitzender der CDU Mittelstandsvereinigung gehört ebenso wie der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, zu denen, die systematisch und publizistisch unterstützt von der "Bild"-Zeitung daran arbeiten, Friedrich Merz als Hoffnungsträger im Spiel zu halten. Das Ziel der offenen Attacken ist indes nicht die Vorsitzende, sondern die Kanzlerin.
"Das hängt nach meinem Eindruck aber vor allem damit zusammen, dass sich seit Jahren über dieses Land wie ein Nebelteppich die Untätigkeit und die mangelnde Führung durch die Bundeskanzlerin legt."
Tilman Kuban, Bundesvorsitzender der Jungen Union (JU)  spricht bei einer CDU-Wahlkampfveranstaltung zur Europawahl
Tilman Kuban ist seit März 2019 Bundesvorsitzender der Jungen Union (dpa/Christophe Gateau)
In einem Fernsehinterview nach der Landtagswahl in Thüringen ließ Merz seiner Verachtung für Angela Merkel freien Lauf. Für ihn war der Aufstieg der Frau aus Ostdeutschland an die Spitze der Macht in Partei und Staat seit jeher ein Irrtum der Geschichte, ein kostspieliges Zugeständnis an einen Zeitgeist, der jetzt mit dramatisch sinkenden Zustimmungswerten für die CDU und dem Aufstieg der AfD seine Rechnung präsentiert.
"Wir müssen das intern miteinander besprechen, auf dem Parteitag in Leipzig offen ausdiskutieren und dann wird es hoffentlich Konsequenzen geben."
Leipzig sollte 2019 also nach dem Wunsch Friedrich Merz' noch einmal der Ort einer neuen Selbstvergewisserung und Kursbestimmung für die CDU werden. Ein vorzeitiges Ende der Kanzlerschaft Merkels, so schien das Kalkül, würde den Weg für eine Neuordnung der Macht an der Spitze der CDU freimachen, wenn nicht gleich im Vorsitz, dann in jedem Fall für eine Kanzlerkandidatur. Doch der politische Kompass der CDU wird nicht nur von den beiden Gegenpolen Merz und Kramp-Karrenbauer angezogen.
Tilman Kuban, Bundesvorsitz der Jungen Union 
Kuban: "Auch in schwierigen Zeiten eine Debattenkultur wahren"
Junge-Union-Chef Tilman Kuban kritisiert, dass die CDU Debatten zu häufig personalisiere. In der Diskussion um Hans-Georg Maaßen und die Werteunion etwa habe sich die Partei zuletzt nicht mit Ruhm bekleckert, sagte Kuban im Dlf.
NRW-Landesverband der CDU spielt besondere Rolle
Ein Veranstaltungssaal im Kölner Mediapark. Eine Woche vor dem Parteitag findet hier, wo ansonsten viel Glas und Stahl verbaut ist, eine klassische CDU-Veranstaltung statt: Klavierklänge, Einstecktücher, Sektgläser. 60 Jahre Karl-Arnold-Stiftung werden gefeiert. Knapp hundert Menschen sind gekommen. Die Parteivorsitzende hält die Festrede.
Harmonie, Geschlossenheit, so scheint es, stehen hier hoch im Kurs. Und Kramp-Karrenbauer ist bemüht, in der Erinnerung an Karl Arnold, einst Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen und Widersacher von Konrad Adenauer, dem ersten Bundeskanzler, dies zu betonen: Die CDU sei in der Auseinandersetzung entstanden – aber im konstruktiven Sinne.
"Im Übrigen, in einer Zeit, und ich sag das ganz bewusst noch wenige Tage vor einem Parteitag, wo man oft, wenn man in die Zeitungen blickt und das eine oder andere hört, das Gefühl hat, dass es für die CDU nur noch um die Frage gehen kann: 'Entweder-Oder?', ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass der Gründungsimpuls der CDU als Union gerade ein anderer war. Nämlich zu sagen, wir müssen über das 'Entweder-Oder' hinwegkommen, es muss das 'Sowohl als auch' sein, es muss das Verbindende sein."
Es ist Nordrhein-Westfalen, der größte Landesverband der CDU, der in den vieldiskutierten Personalfragen eine besondere Rolle spielt. Und es ist wohl kein Zufall, dass Kramp-Karrenbauer – trotz des parallel stattfindenden Landesparteitages ihrer heimischen Saar-CDU – an diesem Samstag im Rheinland ist. Denn: Aus NRW kommen wohl ihre größten Konkurrenten. Eben Friedrich Merz aus dem Sauerland, als Abteilung Attacke. Jens Spahn aus dem Münsterland, als Gesicht der Zukunft. Und da wäre noch – sozusagen als dritte Alternative – Armin Laschet, der NRW-Ministerpräsident, der immer mehr die Rolle des Abwartenden einnimmt.
"Die Parteivorsitzende wird immer freundlich in Nordrhein-Westfalen begrüßt", so Laschet am Rande des Festakts der Arnold-Stiftung.
Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, spricht auf einer Pressekonferenz
Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, gilt als idealer Kandidat für eine Jamaika-Koalition (dpa/Fabian Strauch)
Zusammen mit Kramp-Karrenbauer fährt er nun weiter, zur Landestagung der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung, sprich zu den wohl größten Kritikern der Parteivorsitzenden. Es ist vor allem Laschets Rolle, die ein wenig unklar erscheint: Obwohl beim Rennen um den Parteivorsitz mit Merz und Spahn zwei Kandidaten aus seinem Landesverband kamen, hielten es viele für gesichert, dass Laschet Kramp-Karrenbauer unterstützt.
Laschet auf dem Höhepunkt seiner Kanzlerträume
Doch in den vergangenen Monaten ging der Aachener, einst erster Integrationsminister in Deutschland und in der CDU als Leichtgewicht verspottet, spürbar auf Distanz, übte beispielsweise Kritik an der Vorsitzenden im Umgang mit dem Rezo-Video. Für viele Beobachter stand fest: Hier überlegt einer, ob ihn sein Weg nicht vielleicht doch ins Kanzleramt führen könnte. Und Laschet selbst nährte diese Spekulationen. Höhepunkt seiner Kanzlerträume: Ein Interview-Termin für die "Rheinische Post" mit Altkanzler Gerhard Schröder, der ihn glatt zum kommenden Kanzlerkandidat der CDU erklärt.
"Dass natürlich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident ein Kandidat ist, ist doch klar. Natürlich auch andere Ministerpräsidenten sind Kandidaten, aber ich bin ja bereit eine Wette einzugehen, dass letztlich die CDU auf Herrn Laschet zukommen wird."
Laschet, der den Grünen-Politiker Cem Özdemir sowie FDP-Chef Christian Lindner zu seinen Freunden zählt, sei – heißt es oft – der ideale Kandidat für eine Jamaika-Koalition, könne derjenige sei, der letztendlich übrig bleibt. Doch: Anders als Merz und wohl auch Spahn, hätte Laschet, dem viele Parteifreunde vor einigen Jahren noch nicht einmal den Fraktionsvorsitz im Landtag zugetraut hätten und der erst seit gut zwei Jahren Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen ist, auch etwas zu verlieren, er scheut das Risiko. Zumal auch er gemerkt hat, dass die offensiven Vorstöße von Merz im größten CDU-Landesverband, in NRW, nicht gut ankamen.
Auch deswegen gibt sich wohl Laschet als NRW-Ministerpräsident sowie Vorsitzender des größten CDU-Landesverbandes inzwischen alle Mühe, die Erwartungen zu dämpfen: "Ja, ich wüsste nicht, was da noch sein soll. Ich erwarte jedenfalls einen sachlichen Parteitag, wo alle sich jetzt konzentrieren auf das was im Land ansteht und nicht auf irgendwelche Nebenkriegsschauplätze."
Manfred Weber, Spitzenkandidat der EVP für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten, Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU), Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesvorsitzende der CDU, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), und Nordrhein-Westfalens Armin Laschet (CDU).
NRW und die Zukunft der CDU: Armin Laschet als König(in)macher
Zwei der Anwärter auf das Merkel-Erbe kommen aus Armin Laschets CDU-Landesverband. Das lässt die Bedeutung des Nordrhein-Westfälischen Ministerpräsidenten wachsen, bringt ihn aber auch in die Zwickmühle.
Der Vorsitzenden, Annegret Kramp-Karrenbauer, stärkt Armin Laschet im Interview mit der "FAZ" kurz vor dem Parteitag sogar noch einmal demonstrativ den Rücken. Sie sei eine "erfahrene und starke Politikerin, die eine schwierige Aufgabe übernommen hat".
Weiter betont Laschet allerorts: "Sachdebatten erwarte ich zu allen Themen. Quer durch. Es gibt, glaube ich, so viele Anträge wie noch nie zu einem Bundesparteitag. Eine Antragsmappe ohne Ende. Und das ist ja das, was alle immer ersehnen: Sachdebatten."
Der Ausbau von Windenergie und Mobilfunknetzen, die Landwirtschaftspolitik, das Wahlrecht und Frauenquoten, eine Urwahl zur nächsten Kanzlerkandidatur werden in Leipzig auf der Agenda des Parteitages stehen. Eine Klärung der Machtfrage erwartet am Vorabend kaum noch jemand. Sie wird vertagt werden. Aber der Druck, unter dem die CDU steht, wird sich Ventile suchen. Das macht Leipzig 2019 zu einem spannungsreichen und spannenden Treffen der Regierungspartei.