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Chef der Landesrektorenkonferenz in Sachsen
"Gewalt und Pöbeleien sind irritierend"

Gewalt, Missachtung des Rechtsstaates und Fremdenhass seien ausgesprochen schädlich für die Wissenschaft, sagt Klaus-Dieter Barbknecht von der TU Bergakademie Freiberg. Der Hochschulstandort Sachsen würde extrem darunter leiden, wenn solche Entwicklungen Schule machten, betonte er im Dlf.

Klaus-Dieter Barbknecht im Gespräch mit Benedikt Schulz | 31.08.2018
    Klaus-Dieter Barbknecht, Rektor der TU Bergakademie Freiberg
    Klaus-Dieter Barbknecht, Rektor der TU Bergakademie Freiberg (TU Bergakademie Freiberg)
    Benedikt Schulz: In diesen Tagen blicken viele Menschen in Deutschland nach Sachsen. Die Ereignisse in Chemnitz lassen ja auch die Wissenschaft, die Hochschulen, auch die Studierenden natürlich nicht unberührt. Die TU Chemnitz hat dazu in diesen Tagen einen offenen Brief veröffentlicht, in dem sie auch Folgen für den Wissenschaftsstandort befürchtet, wenn angesichts der Ausschreitungen dort darüber gesprochen wird, ob man internationalen Studierenden oder Wissenschaftlern von einem Aufenthalt eher abraten sollte.
    Eigentlich ist die Hochschullandschaft in Sachsen international ja ziemlich gut aufgestellt, und über den Wissenschaftsstandort Sachsen wollen wir sprechen angesichts dessen, was da gerade im Land vor sich geht. Am Telefon ist Klaus-Dieter Barbknecht, Rektor der Technischen Universität Bergakademie Freiberg und außerdem Chef der Landesrektorenkonferenz in Sachsen. Ich grüße Sie! Hallo!
    Klaus-Dieter Barbknecht: Guten Tag, Herr Schulz!
    Schulz: Herr Barbknecht, wie nehmen Sie, aber auch Ihre Kollegen und Studierenden die aktuellen Vorgänge in Chemnitz, aber auch in anderen Städten in Sachsen wahr?
    Barbknecht: Zunächst mal ganz kurz zur Klarstellung, ich gebe hier natürlich meine eigene persönliche Meinung wieder, vermute mich aber sehr im Einklang mit meinen Rektorkollegen an den sächsischen Hochschulen. Wir sehen mit Besorgnis, dass zunehmend die Diskussion durch eine fortschreitende Radikalisierung von Meinungsbekundung dominiert wird, wobei Gewalt und Pöbeleien statt Diskussion mit Argumenten schon irritierend sind, aber ich denke, Studierende und Kollegen wissen auch, dass sie sich bei dieser Situation davor hüten müssen, dass Besorgnis oder Irritation in Angst umschlagen könnte, denn das wäre sicherlich fehlerhaft. Denn Angst vor der Auseinandersetzung und vor dem Eintreten für die Grundsätze, für die parlamentarische Demokratie wäre geradezu ein Erfolg für diejenigen, die mit der Angst die Meinungshoheit an sich ziehen wollen.
    "Fortschreitende Radikalisierung von Meinungsbekundung"
    Schulz: Und was würden Sie sagen, welche Folgen hat das oder kann das haben für die Internationalisierung der Wissenschaft in Sachsen?
    Barbknecht: Internationalisierung der Wissenschaft ist ja kein Selbstzweck, sondern eine notwendige Voraussetzung für die Weiterentwicklung von Forschung und Lehre, und zwar der Austausch von Wissen und neuen Erkenntnissen über Grenzen hinweg. Das dient sowohl der gesellschaftlichen Entwicklung als auch dem wirtschaftlichen Wohlstand in Sachsen, und dazu gilt generell, Gewalt, Missachtung des Rechtsstaates und Fremdenhass sind ausgesprochen schädlich für die Internationalisierung und für die Wissenschaft und Entwicklung in jeder Nation. Sachsen würde extrem darunter leiden, wenn das Schule machen würde oder gar mehrheitsfähig werden würde.
    Schulz: Was können denn Hochschulen, Wissenschaftler, oder wie können die reagieren, und was tun sie vielleicht schon bereits?
    Barbknecht: Wir haben ja zahlreichen Umgang mit internationalen Partnern, und in diesem Umgang mit unseren internationalen Partnern, Studenten und Wissenschaftlern zeigen wir jeden Tag aktiv, dass wir für eine weltoffene Kultur eintreten. Man darf nicht vergessen, an den Hochschulen in Sachsen arbeiten täglich tausende Mitarbeiter an einem vernunftbasierten, diskriminierungsfreien und respektvollen Umgang untereinander, egal welcher Herkunft, welchen Glaubens oder sonstiger Ausrichtung, und wir werben bei unseren Kollegen im Ausland für die Werte, für die Sachsen und Deutschland mehrheitlich stehen und treten dafür ein, eben uns auch gegen Gewalt, Diskriminierung oder Übergriffe auf die Würde des Menschen zu positionieren. Das geschieht unter anderem durch den offenen Brief der TU Chemnitz, den Sie eben zitiert haben, aber auch durch andere öffentliche Positionierung für die Einhaltung unseres Rechts- und Wertesystems.
    Mein Rektorat und die Dekanin der Technischen Universität in Freiberg haben gerade gestern zum Beispiel eine Presseerklärung abgegeben, in der wir dazu aufrufen, die verfassungsrechtlichen Grundsätze der parlamentarischen Demokratie, des Rechtsstaates und damit insbesondere auch die Würde eines jeden Menschen gegen Übergriffe zu schützen. Wir bringen da sehr unsere zutiefst empfundene Missbilligung gegenüber Fremdenhass, Gewalt und Intoleranz zum Ausdruck.
    Schulz: Das heißt, über die Wissenschaft hinaus sind die Hochschulen auch in einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung.
    Barbknecht: Wissenschaft und Gesamtverantwortung für die Gesellschaft lassen sich nicht trennen, das gehört zusammen. Wir sitzen nicht im Elfenbeinturm, sondern das, was wir tun, hat Auswirkungen auf die Gesellschaft, und das, was die Gesellschaft tut, hat Auswirkungen auf die Wissenschaft. Deswegen müssen wir uns hier natürlich dann positionieren, wenn Grundwerte dort gefährdet werden.
    Schulz: Jetzt sind Hochschulen und auch die vernunftbasierte Wissenschaft natürlich nicht per Naturgesetz gefeit vor rechtem und rechtsextremem Gedankengut. Wie bewerten Sie das, dass sich überall auch AfD-Hochschulgruppen gründen, und wie können Hochschulen mit einer solchen Herausforderung umgehen?
    Barbknecht: Die Hochschulen sind natürlich zu einer gewissen parteipolitischen Neutralität verpflichtet, und das gilt, solange eine Partei nicht verfassungsrechtlich negativ beurteilt wird, für alle Parteien, das heißt also, die Hochschulen werden auch für alle Parteien offen sein und die Diskussion führen, wenn die Diskussion eben im Rahmen dessen passiert, was unter dem Grundrecht der Meinungsfreiheit und auch dem Recht der anderen geführt wird.
    "Jede Bildungseinrichtung muss in den gesellschaftlichen Raum hineinwirken"
    Schulz: Genau. Sie können eine AfD-Hochschulgruppe aus guten demokratischen Gründen also schlecht verbieten. Trotzdem ist das Ganze ja eine Herausforderung für die Hochschulen, wenn sich solche Gruppen gründen und auch aktiv auf die Belange der studentischen Hochschulpolitik Einfluss nehmen, oder?
    Barbknecht: Es ist immer eine Herausforderung, wenn politische Parteien aktiv Einfluss nehmen, und das ist das gute Recht von politischen Parteien, und da darf man keine Angst vor haben, sondern muss sich mit dem dann auch aktiv auseinandersetzen.
    Schulz: Und wie?
    Barbknecht: Indem man mit Sachargumenten vorgeht und dementsprechend dann auch mit Sachargumenten punktet.
    Schulz: Es wird immer wieder der Vorwurf laut, bei der Bildung in Sachsen habe man eigentlich zu lange auf MINT und zu wenig auf politische Bildung gesetzt, eigentlich so seit dem Aufkommen von Pegida wird das immer wieder als Grund für das Aufkommen von rechtem Gedankengut herangezogen. Ist das wirklich so einfach?
    Barbknecht: Also ich bin kein Bildungspolitiker, der sich jetzt darüber auslassen kann, was an Schulen gemacht wird oder was da gegebenenfalls versäumt oder gut gemacht worden ist. Deswegen werde ich mir jetzt auch kein Urteil erlauben. Ich weiß aber, dass genauso wie die Wissenschaft in den gesellschaftlichen Raum hineinwirkt, muss jede Bildungseinrichtung in den gesellschaftlichen Raum hineinwirken und dort auch etwas dazu beitragen, dass man auf der Basis von wechselseitigem Respekt und Verständnis arbeitet und nicht mit, sagen wir mal, unangebrachten Gewaltargumenten.
    Schulz: Klaus-Dieter Barbknecht, Rektor der Technischen Universität Bergakademie Freiberg, außerdem Chef der Landesrektorenkonferenz Sachsen. Herzlichen Dank für Ihre Einschätzungen und Ihre Aussagen!
    Barbknecht: Vielen Dank und auf Wiedersehen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.