
"Fluchtmaske nennt sich das. Sollte doch mal irgendwo hier was sein, dass Gas ausströmt oder ungewöhnliche Gerüche, dann Behältnis aufmachen, die Pfropfen vom Filter lösen und aufsetzen wie eine Mütze!"
Klingt ganz simpel, trotzdem möchte man lieber nicht in die Verlegenheit kommen, eine Fluchtmaske benutzen zu müssen. Insgesamt drei Verbrennungsanlagen gibt es auf dem Gelände der Geka, dazu eine Bodenwaschanlage und mehrere sogenannte Delaborieranlagen, in denen Munition mechanisch zerlegt wird. Heiner Hormann, einer der Feuerwerker der Geka, öffnet eine schwere Stahltür.
"So, ich weise darauf hin, dass hier Kampfstoffmunition bearbeitet wird, es ist aber nichts messbar zurzeit! Ja, das ist unsere Kammer 1, hier bearbeiten wir Kampfstoffgranaten aus dem Ersten und auch Zweiten Weltkrieg, salopp gesagt: Senfgas. Diese Granaten werden hier angeliefert und dann von uns auf der Fräse geöffnet, sodass wir den Sprengstoff entfernen, den Kampfstoff entfernen und dann einzeln zur Vernichtung zuführen."
Die Granathüllen und der konventionelle Sprengstoff werden in einem speziell gesicherten Sprengofen thermisch behandelt. Am Ende bleibt nur ein Haufen ausgeglühter Metallschrott übrig. Die chemischen Kampfstoffe werden in einem anderen Ofen bei gut 1.000 Grad rückstandslos verbrannt. Bei der Vernichtung von chemischen Kampfstoffen aus den Weltkriegen und auch aus den Bürgerkriegsregionen in Syrien und Libyen zählen die Mitarbeiter der Geka in Munster zu den international anerkannten Top-Spezialisten.
"Die Gefahr droht, dass die Norm erodieren könnte, dass der Eindruck entsteht, dass Chemiewaffen doch eine gewisse Nützlichkeit haben. Das geht, glaube ich, vor allen Dingen aus, diese Gefahr von Syrien, denn andere Staaten und Diktatoren werden mit Interesse beobachten, zum einen wie die internationale Gemeinschaft auf diese Einsätze reagiert - und da müssen wir leider feststellen, dass der Sicherheitsrat tief gespalten ist in der Reaktion - und zum anderen werden sie beobachten, welche militärischen Erfolge denn das syrische Regime durch den Einsatz dieser Waffen erzielen konnte und ob sich das lohnt."
Sagt Oliver Meier, Sicherheitsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, kurz SWP. Obwohl Syrien 2013 unter internationalem Druck dem Chemiewaffenabkommen beitrat und sich zur vollständigen Vernichtung seines Waffenbestands verpflichtete, hat das Regime nicht gänzlich auf seine Chemiewaffen verzichtet. Im dortigen Bürgerkrieg wurden mehrfach chemische Kampfstoffe wie Chlorgas und Sarin gegen Rebellen und Zivilbevölkerung eingesetzt. Und obwohl die OVCW und die UNO nachweisen konnten, dass Syrien Vertragsbruch begangen hat und dass die eingesetzten Waffen aus Beständen der syrischen Armee stammten, blieben Baschar al-Assad und sein Regime ungeschoren.

"Wenn es sich bestätigen sollte, dass Russland hier verantwortlich ist, dass ein Besitzerstaat, ein wichtiger Besitzerstaat Chemiewaffen nicht deklariert hat, die er hätte deklarieren müssen, und bereit ist, diese einzusetzen, wäre natürlich auch das eine Schwächung der Norm."
"Die Verurteilung der Anwendung solcher Waffen grundsätzlich ist schon ziemlich universell. Die Frage ist, wie haltbar im praktischen Sinne das Verfahren ist und wie groß die Versuchung ist, entweder für bestimmte Staaten oder auch für nichtstaatliche Akteure, trotz des Verbotes und trotz der Maßnahmen unter dem Chemiewaffenübereinkommen zur inneren und zur internationalen Kontrolle, dennoch zu versuchen, solche Waffen zu entwickeln und einzusetzen."
"Es gerät nicht automatisch in Gefahr dadurch, dass einzelne Staaten oder einzelne Akteure gegen das Verbot verstoßen, sondern das Entscheidende ist, wie mit diesen Vertragsverstößen oder Regelbrüchen umgegangen wird. Und da sehe ich eigentlich in der aktuellen Situation das Problem, dass es im Moment sehr sehr schwierig scheint, eine angemessene Antwort zu finden und darin liegt meiner Meinung nach das Risiko für die weitere Entwicklung."
Im Fall Skripal steht das Ergebnis der Experten noch aus. Die diplomatische Reaktion war bereits scharf. Premierministerin May sagte, sie habe britische Geheimdienstinformationen mit den Partnerstaaten geteilt. Neben Großbritannien wiesen zahlreiche andere Staaten, darunter Deutschland, russische Botschaftsangehörige aus. Es soll sich bei ihnen um Geheimdienstmitarbeiter handeln. Der Ton wird schärfer und eine Aufklärung dürfte schwierig werden, wenn nicht alle Beteiligten offen kooperieren, Russland eingeschlossen.
"Ich glaube, eine zweifelsfreie Feststellung der Urheberschaft wird äußerst schwierig werden. Was man sicher feststellen kann, ist, welcher Stoff verwendet wurde."
Sagt Una Becker-Jakob. Wie andere Experten auch geht sie davon aus, dass das Nowitschok-Gift nur unter Beteiligung staatlicher Stellen verwendet werden konnte. Die Wissenschaftlerin plädiert dafür, die OVCW ohne den Druck politischer Vorverurteilungen ihre Arbeit machen zu lassen. Eine solche neutrale Instanz sei in so einem brisanten Fall unverzichtbar.
In Syrien gibt es wesentlich klarere Hinweise auf die Urheberschaft der Giftgasangriffe. Ein Fall ist besonders wichtig: Ein vom UNO-Sicherheitsrat eingesetztes Untersuchungsgremium aus OVCW und UNO, der Joint Investigative Mechanism, kam zu dem Ergebnis, dass der Angriff auf die syrische Stadt Chan Scheichun vor einem Jahr vom syrischen Militär verübt wurde. Dabei wurden über 80 Menschen mit dem Nervengift Sarin getötet.
"Also man hat praktisch eine Verbindung herstellen können zwischen den Materialien, die Syrien 2013 an die OVCW als Bestandteil ihres Chemiewaffenarsenals gemeldet hat und den chemischen Signaturen, die man zum Beispiel in Chan Scheichun gefunden hat, wo Sarin verwendet worden ist."
Sagt Ralf Trapp. Im Bericht an den UNO-Sicherheitsrat hieß es im Oktober unmissverständlich: "Die Syrische Arabische Republik ist verantwortlich für den Einsatz von Sarin in Chan Scheichun am 4. April 2017."
"Russland hat nicht zuletzt durch sein Veto im Sicherheitsrat verhindert, dass ein Untersuchungsmechanismus, der sogenannte Joint Investigative Mechanism, der explizit den Auftrag hatte hier, zum ersten Mal hier tatsächlich die Verantwortlichen zu identifizieren, dass der seine Arbeit fortfahren kann, sodass er im November letzten Jahres seine Arbeit beenden musste. Und das ist wirklich ein schwerer Verlust."
Russland warf der OVCW gar vor, parteiisch zu sein - ein beispielloser Angriff auf die Behörde, die das Verbot von Chemiewaffen gewährleisten soll und in der bislang weitgehend im Konsens aller Beteiligten entschieden wurde. Die UNO versuche nun, die Untersuchungen wieder aufzunehmen, sagt Chemiewaffenexperte Ralf Trapp.
"Wir wissen, dass nach wie vor die Syrien-Kommission des Menschenrechtsrates an diesem Problem arbeitet und es gibt auch Diskussionen im Sicherheitsrat zu neuen Verfahren zur Untersuchung der Verantwortlichkeit für diese Chemiewaffeneinsätze."
"Es zeichnet sich doch meiner Meinung nach ab, dass man auch am scharfen Ende der Kontrolle Fähigkeiten vorhalten muss und vorhalten sollte und dass man nicht so tun kann, als ob die Herausforderungen durch Chemiewaffen jetzt schon alle bewältigt sind."
Sagt Oliver Meier von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

"Wir wissen auch durch die Arbeit der Vereinten Nationen, dass der sogenannte Islamische Staat in der Lage ist, selbst Senfgas herzustellen. Und sie haben es auch mehrfach eingesetzt."
Jan van Aken ist ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Linken und war zuvor Biowaffeninspekteur der UNO, als die einmalig im Irak eingesetzt wurden. Dass Terroristen des sogenannten "Islamischen Staates" das bereits im Ersten Weltkrieg eingesetzte Senfgas hergestellt und eingesetzt haben, wurde durch Untersuchungen der OVCW bestätigt. Auch die französische Regierung warnte nach den Terroranschlägen in Paris vom November 2015 davor, dass Terroristen chemische Kampfstoffe einsetzen könnten. Chemiewaffenexperte Ralf Trapp sieht die Gefahr ebenfalls.
"Bestimmte toxische Chemikalien können sich sicher kriminelle Organisationen oder Terrororganisationen relativ leicht beschaffen und dann auch entsprechend in improvisierte Waffensysteme umbauen."
Ein Kampfstoff wie Senfgas, das der "Islamische Staat" hergestellt hat, wirkt über die Haut. Er führt zu einer Blasenbildung, die einer chemischen Verbrennung gleicht und zum Tod führen kann. Es kann zudem Augen, Verdauungstrakt, Atemwege und Schleimhäute schädigen. Der irakische Machthaber Saddam Hussein ließ damit 1988 das Massaker an den Kurden von Halabdscha verüben. 5.000 Menschen wurden getötet.
Der Gummianzug besteht aus zwei Teilen, einer Art Wathose und einer Jacke. Heiner Hormann holt einen der Anzüge aus dem Schrank.
"Das ist das Unterteil, das ist eine ganz normale Hose mit Stiefeln, und dann das Oberteil, das wird dann da drüber gezogen. Und dann wird alles umwickelt, so zusammengerollt, dass da auch ja kein Kampfstoff reinkommt. Wenn Sie so einen Anzug anziehen, passiert das immer mit drei Mann: Einer der angezogen wird und zwei Mann, die ihm helfen den Anzug anzuziehen. Das wird alles nochmal mit Tape zur Sicherheit abgedichtet und dann geht es los."
Zusätzlich tragen die Mitarbeiter schweren Atemschutz. So ausgerüstet ist die Arbeit nicht gerade ein Vergnügen, sagt Heiner Hormann.
"Nee, auf keinen Fall. Wenn Sie das Ding eine halbe Stunde anhaben und damit auch körperlich gearbeitet haben, dann sind Sie bedient, dann können Sie eineinhalb Stunden Ruhe haben!"
Der Umgang mit den Kampfmittelgranaten findet grundsätzlich hinter dicken Betonmauern und schweren Stahltüren statt. Die nächste Halle dagegen wirkt eher wie ein großes Lager in einem Baumarkt. Eine kräftige Lüftungsanlage macht hier einen ziemlichen Lärm.
In langen Reihen stehen große, weiße Plastiksäcke am Boden der Halle. In diesen sogenannten Big Packs befindet sich mit Chemikalien belastetes Erdreich - überwiegend vom nahegelegenen Truppenübungsplatz Munster, aber auch aus anderen Regionen Deutschlands. Als Leiter der Betriebstechnik bei Geka weiß Ulrich Stiene genau, was in diesen kontaminierten Böden steckt.
"Es sind Kampfstoffreste, Clark 1, Clark 2, das sind Reizstoffe aus dem Ersten Weltkrieg und Zweiten Weltkrieg. Es können aber auch Lost-Reste drin sein, es können deren Zersetzungsprodukte drin sein, und es kann halt, wenn es ganz zersetzt ist, Arsen drin sein. Weil: Jeder Kampfstoff wurde in Deutschland mit Arsen umgesetzt und somit ist da viel Arsen in den Böden drin."
Die Reinigung dieser Böden findet in großen Waschanlagen statt. Mithilfe eines Rührwerks und zugesetzten Chemikalien werden die Giftstoffe von jedem einzelnen Sandkorn sprichwörtlich abgewaschen. Der gereinigte Sand - das sind etwa 80 Prozent des Ausgangsmaterials - kann anschließend als Füllmaterial zum Beispiel für Deponien verwendet werden. Die restlichen 20 Prozent sind feiner Schlamm, in dem sich die Kampfstoffe konzentriert haben. Dieser Schlamm wird getrocknet und wandert anschließend in einen Lichtbogenofen. Extreme Hitze von gut 20.000 Grad zerstört dort die meisten Kampfstoffe vollständig. Übrig bleiben Arsenverbindungen, die in dem Plasmafeuer des Lichtbogens zu einer Glasschlacke eingeschmolzen werden. Eine sichere Technik, beteuert Geka-Geschäftsführer Andreas Krüger, während er einige der erstarrten Glasschlackereste mit dem Fuß zur Seite schiebt.
"Das heißt, mit diesem Glas können Sie arbeiten, das kann auch als Ersatzbaustoff beispielsweise verwendet werden, ohne dass man mit einer Gefährdung durch das Arsen rechnen muss."