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Chemnitz und die Folgen
Behörden in Sachsen wegen Haftbefehl-Leak unter Druck

In den Streit um das Vorgehen der Behörden in Sachsen hat sich nun auch Bundesinnenminister Seehofer eingeschaltet. Der CSU-Politiker kritisierte, dass Justiz-Dokumente im Internet veröffentlicht worden waren. Die Geschehnisse in Chemnitz belasten auch die Landesregierung in Sachsen.

Von Bastian Brandau | 29.08.2018
    Polizisten stehen in der Innenstadt bei einer Kundgebung der rechten Szene, um ein Aufeinanderprallen von rechten und linken Gruppen zu verhindern. Nach einem Streit war in der Nacht zu Sonntag in der Innenstadt ein 35-jähriger Mann erstochen worden. Die Tat war Anlass für spontane Demonstrationen, bei denen es auch zu Jagdszenen und Gewaltausbrüchen kam.
    Auch die Polizei in Sachsen steht erneut in der Kritik ( Sebastian Willnow/dpa)
    Gestern Abend veröffentlichten mehrere rechte Gruppen ein Dokument im Internet, das den Haftbefehl im Fall des Tötungsdeliktes zeigen soll. Dabei war am Sonntag ein 35-Jähriger in Chemnitz getötet worden. In Untersuchungshaft sind deswegen ein Syrer und ein Iraker.
    Das veröffentlichte Dokument ist an einigen Stellen geschwärzt und enthält unter anderem den Tatbestand, Name und Adresse des Angeklagten sowie Namen von Zeugen und Richterin. Außerdem Abläufe des Geschehens in der Tatnacht. Die Generalstaatsanwaltschaft hält das Dokument nach Angaben eines Sprechers für echt.
    Kritik von Seehofer Richtung Sachsen
    Unter anderem zu sehen war das Dokument auf den Internetseiten der Gruppierung Pro Chemnitz, die zur Demonstration am Montag in Chemnitz aufgerufen hatte. Auch der AfD-Kreisverband Chemnitz sowie Pegida-Gründer Bachmann hatten das Dokument veröffentlicht. In Berlin äußerte sich dazu Bundesinnenminister Horst Seehofer: "So kann es nicht sein, dass hochpersönliche Dinge, aber auch Abläufe, interne Abläufe der Justiz plötzlich einem Teil der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Inakzeptabel."
    Das sächsische Justizministerium hat Aufklärung angekündigt. Mit dem Verfahren wurde die Staatsanwaltschaft Dresden betraut. Einsicht in einen Haftbefehl haben alle Verfahrensbeteiligten, also neben Justiz und Polizei unter anderem auch Strafverteidiger, Angeklagte oder Dolmetscher. Nicht nur die Veröffentlichung, sondern auch die Weiterverbreitung eines solchen Dokuments ist strafbar.
    Kretschmer in Erklärungsnot
    Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer sagte zur Veröffentlichung des Dokumentes zum MDR: "Wir wissen ja nicht, ob das das Original ist, ob es tatsächlich der Haftbefehl ist, zweitens wissen wir nicht, wer diesen Haftbefehl ins Netz gestellt hat. Natürlich wird der Sache nachgegangen und es wird ein Ermittlungsverfahren geben. Aber es gibt dafür viele Möglichkeiten. Das ist auch eine Sache, die nicht gut ist, das ist überhaupt keine Frage, das ist auch ein Straftatbestand. Wir werden versuchen das aufklären zu können, aber das wird eine schwierige Angelegenheit."
    Kretschmers Stellvertreter, der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig von der SPD, sieht einen erneuten Rückschlag bei den Bemühungen, den Rechtsstaat durchzusetzen und rechte Tendenzen in der sächsischen Polizei zu bekämpfen. Dulig sagte ebenfalls im MDR: "Und wenn ich jetzt höre, dass der Haftbefehl aus der Polizei heraus geleakt wurde, also verbreitet wurde in rechtsextremen Kreisen. Dann sage ich, haben wir hier ein dickeres Problem aufzuarbeiten. Und wir müssen unsere Polizei unterstützen, dass so etwas nicht mehr passiert. Denn das ist ein skandalöser Vorgang."
    Der rechtspolitische Sprecher der Linken im Sächsischen Landtag Klaus Bartl spricht von einer neuen Eskalationsstufe im Schüren pogromartiger Stimmung gegenüber Migrantinnen und Migranten unter skrupelloser Ausnutzung des tragischen Todes eines jungen Mannes.
    Linke fordert Sondersitzung
    Weil in dem Dokument auch die Anschrift genannt wird, riskiere derjenige, die dieses Dokument veröffentliche, Angriffe auf die Gesundheit und das Leben völlig unbeteiligter Dritter. Dies sei die latente Fortsetzung der Vorverurteilung und Selbstjustiz, die in Chemnitz in den vergangenen Tagen eskaliert sind. Bartl fordert eine Sondersitzung des Rechtsausschusses zur Aufklärung des Vorfalls.
    Der Innenausschuss des sächsischen Landtags wird sich am Montag mit den Ereignissen in Chemnitz vom Wochenende befassen, als es aus einer rechten Kundgebung zu Übergriffen auf Passanten gekommen war. Auf Antrag der Grünen findet am Montag eine Sondersitzung des Innenausschusses statt.
    Für morgen haben rechte Gruppierungen wieder in Chemnitz zu einer Demonstration aufgerufen, dann wird Ministerpräsident Kretschmar zu einem Bürgerdialog in der Stadt sein.