Mittwoch, 24. April 2024

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Eingeschränkte Berichterstattung aus Cherson
Ukrainisches Militär entzieht Akkreditierungen

Schon kurz nach dem russischen Abzug aus Cherson berichteten mehrere Medien live aus der befreiten Stadt - ohne Erlaubnis des Militärs. Dafür soll den Journalisten nun ihre Akkreditierung entzogen werden.

Text: Annika Schneider | Gesine Dornblüth im Gespräch mit Antje Allroggen | 15.11.2022
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gibt am 14. November 2022 in Cherson ein Statement für die Presse ab.
Berichterstattung erwünscht: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gibt am 14. November 2022 in Cherson ein Statement vor Journalistinnen und Journalisten ab. (Imago/Cover-Images)
Für die Berichterstattung aus der Ukraine gelten strenge Regeln. Im März veröffentlichten die ukrainischen Streitkräfte ein Dokument, das festlegt, wie sich Journalistinnen und Journalisten im Land zu verhalten haben. Damit will die Armee unter anderem verhindern, dass russische Soldaten über die Medien an Informationen zu ukrainischen Positionen und Strategien kommen.
Besonders strikt geregelt ist das Verhalten in den umkämpften Gebieten. Die Vorgaben legen unter anderem fest, dass Pressevertreter eigene Schutzausrüstung und Erste-Hilfe-Material mitbringen müssen, wenn sie von dort berichten wollen. Außerdem müssen sie als „Presse“ deutlich sichtbar gekennzeichnet sein, vorher anmelden, auf welcher Route und wie lange sie durch das Kampfgebiet reisen und was der Zweck ihrer Recherche ist.

Keine Recherche ohne Pressekarte

Ganz grundlegend ist dabei die Akkreditierung: Journalistinnen und Journalisten müssen sich jederzeit mit einer Pressekarte ausweisen können, ausgestellt von der ukrainischen Regierung. Genau diese Pressekarte soll mehreren ausländischen Reportern nun entzogen worden sein. Ihre Arbeitserlaubnis sei annulliert worden, ihre Pressekarten seien nicht mehr gültig, teilte der Generalstab des ukrainischen Militärs auf Facebook mit.
Der Grund: Die Journalistinnen und Journalisten hätten Verbote und Warnungen ignoriert und aus der Stadt Cherson berichtet, schon kurz nachdem die russischen Streitkräfte Ende vergangener Woche von dort abgezogen waren. Die Berichterstattung sei erfolgt, bevor die dortigen Maßnahmen zur „Stabilisierung“ abgeschlossen worden waren – und ohne die Zustimmung der zuständigen Befehlshaber, heißt es vom Generalstab.
Mit der erwähnten Stabilisierung ist unter anderem die Entschärfung von Sprengfallen und Minen gemeint. Das Militärkommando Süd hatte am Freitag eine Mitteilung veröffentlicht, dass die Berichterstattung aus den befreiten Gebieten vorerst eingeschränkt sei, und damit gedroht, bei Missachtung Akkreditierungen zu entziehen.

Live-Berichte schon kurz nach Truppenabzug

Welche Medien von der Maßnahme betroffen sind, teilten die ukrainischen Behörden nicht mit. Das Institut für Masseninformation (IMI) in der Ukraine berichtete allerdings auf seiner Webseite, es gehe um mindestens sechs Medienschaffende, unter anderem vom US-Medienhaus CNN und dem britischen Sender Sky News.
CNN hatte schon am Samstag live nach Cherson geschaltet. Reporter Nic Robertson berichtete von einem zentralen Platz der Stadt und interviewte mehrere Menschen, die dort den Erfolg der ukrainischen Armee feierten. Dem IMI zufolge hatten auch andere Sender unmittelbar nach der Befreiung in Cherson gefilmt. Auch Journalisten von zwei ukrainischen Redaktionen, nämlich vom Internetsender Hromadske und dem Online-Medium Ukrainska Pravda, sollen ihre Akkreditierung verloren haben.

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Kritik an Pressearbeit des Militärs

Mehrere ukrainische und ausländische Medienorganisationen wandten sich daraufhin in einem offenen Brief an Präsident Wolodymyr Selenskyj und forderten, die Maßnahme rückgängig zu machen. Gleichzeitig warfen sie in ihrer Stellungnahme dem Pressecenter des Militärkommandos vor, ineffizient und unprofessionell zu arbeiten. Die Arbeit dort müsse unabhängig überprüft und neu aufgestellt werden – mit fairen und transparenten Regeln für die Berichterstattung und weniger Bürokratie.
Es sei in- und ausländischen Journalistinnen und Journalisten zu verdanken, dass die Welt vom Krieg in der Ukraine erfahre und Solidarität zeige, heißt es in dem Brief. Auch der Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Dmytro Lubinets, hatte sich am Montag für eine Rückgabe der Akkreditierungen ausgesprochen.
Gesine Dornblüth, die für den Deutschlandfunk über die Ukraine berichtet, findet diese Forderung nachvollziehbar: „Es war richtig und wichtig, dass diese Kollegen da waren", sagte sie im Dlf über die Entscheidung, aus Cherson zu berichten.