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China kontrolliert Journalisten
Xi Jinpings App und Trumps Neid

Die Regierung in Peking lässt chinesische Journalisten auf ihre Loyalität testen – mit einer App. Kein Wunder, meint Arno Orzessek in seiner Glosse, dass Donald Trump neidisch auf "König" Xi Jinping schaut.

Von Arno Orzessek | 31.10.2019
Donald Trump richtet seinen Anzug, während er auf dem G20-Gipfel mit Xi Jinping für ein Foto posiert.
Präsidenten unter sich: Donald Trump und Xi Jinping beim G20-Gipfel in Japan (Picture Alliance / AP Photo / Susan Walsh)
Vorab: Ich kann leider kein Chinesisch! Sonst hätte ich mir von der neuen App probehalber das Gehirn waschen lassen und könnten Ihnen jetzt berichten, wie man danach drauf ist. Vorausgesetzt, ich wäre dazu noch willens und in der Lage - und nicht zu einer pekingtreuen Phrasen-Puppe mutiert.
Darauf will Xi Jinping ja hinaus: Dass Journalisten ihm und der Partei wie ein Heer von Phrasen-Puppen dienen oder - um die Metaphorik näher an die chinesische Kultur zu rücken - wie eine gleichgeschaltete Terrakotta-Armee mit ferngesteuerter Sprechblasen-Funktion.
Xi Jinpuuh
Dieser Xi, falls Sie's nicht wissen, ist nämlich recht streng und ehrpusselig, gerade was sein Bild in den Medien angeht. Googeln Sie mal 'Xi','Obama' und 'Winnie Puuh'. Dann sehen Sie ein Foto, auf dem Xi neben der Stricknadel-Gestalt Obamas auf wundersame Weise dem Bären Winnie Puuh ähnelt, was Physiognomie und Bauch-Rundung angeht. Das Motiv gefiel weltweit – und seither flottieren im Netz viele lustige Xi-Puh-Montagen.
Aber hat Xi die reizende Ähnlichkeit zur Selbstdarstellung als gutmütiger Landesvater mit gemütlicher Wampe genutzt? Hat er fröhliche Image-Bilder von sich und Winnie Puuh gepostet? Von wegen! Xi, dieser Stiesel, ließ sämtliche Puh-Bilder, ob mit ihm selbst oder ohne ihn, in Weibo, quasi dem chinesischen Facebook, tilgen.
Woran man erkennt: Xi ist nicht unsensibel. Er hat den Spaß verstanden, den die Leute im Hinblick auf ihn und den Bären von sehr geringem Verstand haben - aber er versteht mit diesem Spaß keinen Spaß. Xi steht halt chinesischen Traditionen näher. Seine Gehirnwäsche-App zum Beispiel ist funktional gesehen der alten Mao-Bibel ähnlich ähnlich wie seine Wampe der von Winnie Puuh.
Pippis Parole ist die seine
Für die Jüngeren unter uns: Die im Westen sogenannte Mao-Bibel enthielt, was der Titel versprach: Worte des Vorsitzenden Mao Tse-tung. Millionen trugen das rote Büchlein während der heillosen Kulturrevolution ab 1966 stets bei sich, lernten die Radikalinski-Sentenzen auswendig und warfen sich zur Begrüßung pflichtbewusst Zitate an den Kopf.
Übrigens, wenn man "Kulturrevolution" in Europa baidut, also in der chinesischen Suchmachine Baidu quasi googelt, erfährt man zur Not, dass die Kulturrevolution unzählige Menschenleben gekostet hat. Ob man die Info auch hinter der chinesischen Zensurmauer baiduen kann – keine Ahnung!
Schließlich hat Xi als Mao-Fan dessen blutiges Wirken um Dutzende Millionen Opfer bereinigen lassen - in Schulbüchern wie im chinesischen Netz. Denn Xi mag zwar kulturkreisbedingt Pippi Langstrumpf nicht kennen, aber Pippis Parole ist seine: "Ich mach die Welt, wie sie mir gefällt".
Per Gehirnwäsche-App zum geistigen Kotau
Kein Wunder, dass der alte weiße Mann im Weißen Haus den älteren Herrn drüben in Peking neidvoll als "König" tituliert hat - ohne zu peilen, dass "Kaiser" der chinesischere Titel gewesen wäre. Aber man muss den armen Trump auch verstehen!
Dieser Xi kann Journalisten per Gehirnwäsche-App zum geistigen Kotau zwingen - und er, der US-Präsident? Hat gerade verlautbart, im Weißen Haus die Abos der aufmüpfigen Washington Post und New York Times kündigen zu lassen - und selbiges allen Bundeseinrichtungen empfohlen.
Hey, wie hilflos ist das denn, verglichen mit Xis Durchgriffsmöglichkeiten? Andererseits: Trumps Getwittere kann labilen Typen das Gehirn natürlich auch ganz schön krass durchwaschen.
"Flüsse wissen, es gibt keine Eile"
Aber jetzt mal unter uns, qīn'ài de xiānshēng Xi, sprich: verehrter Herr Xi: Wäre es nicht letztlich schlauer, wenn die Journalisten in Ihrem Land der Parole folgen dürften: "Weißt du etwas, sprich; sprichst du, sage alles"? Das steht nämlich so in der Mao-Bibel, jawohl!
Und wenn die entsprechende Liberalisierung Ihrer Presse ein bisschen Zeit bräuchte, wäre das okay. Denn merke: "Flüsse wissen, es gibt keine Eile." Erraten Sie, Herr Xi, wer das jetzt wieder gesagt hat? Klingt maomäßig, gell? Aber gesagt hat's der liebe Winnie Puuh.