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China und der Fall He Jiankui
Ethik und Moral hinken dem Fortschritt hinterher

Zwei Babys mit künstlich verändertem Erbgut: Der Fall des chinesischen Gen-Forschers He Jiankui sorgte im November für weltweites Aufsehen. Seitdem wird die Frage um Forschung am menschlichen Erbgut hitzig diskutiert. Außer in China selbst, dort ist es – zumindest öffentlich – sehr ruhig geworden.

Von Steffen Wurzel | 18.01.2019
    Der chinesische Gen-Forscher He Jiankui auf einem hochkarätig besetzten Fachkongress in Hongkong am 29. November 2018.
    Der chinesische Gen-Forscher He Jiankui hat vor einem hochkarätig besetzten Fachkongress in Hongkong seine Arbeit verteidigt (Imagine china / Ling/ dpa)
    In einem viereinhalbminütigen Internetvideo eröffnete He Jiankui im November vergangenen Jahres der Welt, dass vor kurzem zwei Babys auf die Welt gekommen seien namens Lulu und Lala. Beide putzmunter und gesund. Das Besondere: Er habe nach der künstlichen Befruchtung der Eizelle das Erbgut der Zwillinge verändert.
    "Nachdem wir die Eizelle der Mutter mit der Samenzelle des Mannes befruchtet hatten, schleusten wir auch ein Protein ein. So konnten wir eine genetische Veränderung durchführen und das genetische Eingangstor entfernen, über das sich Menschen mit HIV infizieren."
    Wenige Tage nach Bekanntwerden des Falles stellte das chinesische Wissenschaftsministerium klar, dass He Jiankui mit seinem Experiment Gesetze gebrochen und eine rote Linie überschritten habe. Schockierend und inakzeptabel sei der Fall, sagte Vize-Wissenschaftsminister Xu Nanping in Peking. Das Ganze werde nun geprüft, die Verantwortlichen würden bestraft.
    He Jiankui unter Hausarrest - Behörden und Medien halten still
    He Jiankui selbst ist seit Anfang Dezember quasi von der Bildfläche verschwunden. Interviewanfragen per E-Mail laufen ins Leere. Die Webseite seines Forschungsteams ist offline. Reporter der New York Times machten sich Ende Dezember auf die Suche nach He Jiankui und berichteten anschließend, der Forscher werde in einem Gästehaus der Universität Shenzhen quasi unter Hausarrest festgehalten, bewacht von einem Dutzend Polizisten in zivil. Ein verschwommenes Foto zeigt den 35-Jährigen auf einem Balkon stehend.
    Die Behörden und die allesamt staatlich gesteuerten Medien halten komplett still. In China wundert das niemanden: Das Land ist kein Rechtsstaat und so kommt es immer wieder vor, dass unliebsame Menschen ohne offizielle Anklage einfach festgehalten werden, ohne dass sich irgendjemand dazu äußert oder dagegen protestiert.
    Diskussion unter chinesischen Forschern
    Anders als in Europa und den USA werden auch die ethisch-moralischen Fragen, die das Gentechnik-Experiment aufgeworfen hat, in China nicht offen diskutiert. In der Forscher-Szene allerdings habe der Fall sehr wohl für Aufsehen gesorgt, betont Wang Haoyi von der chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking. Schließlich handele es sich um einen Fall sondergleichen.
    "Entscheidend ist: Hier wurden nicht einfach irgendwelche Gen-Informationen verändert. Bemerkenswert ist, dass diese Gen-Veränderungen vererbt werden können an die nächste Generation."
    Was Wang auch betont: He Jiankui habe mit seinem Experiment ganz klar bestehende Gesetze gebrochen. Denn im Bereich der künstlichen Befruchtung gebe es in China keine rechtlichen Grauzonen.
    "Es gibt sehr wohl klare Regeln, die genau das verbieten, was er getan hat. Solche Versuche sind definitiv nicht erlaubt in offiziellen Kliniken für Künstliche Befruchtung in China."
    Chinas mangelnder Respekt für Regeln
    Ja, Gesetze wurden gebrochen. Dennoch: Überrascht habe ihn der Fall der gentechnisch veränderten Babys nicht, sagt Yu Hai. Er ist Soziologieprofessor an der Shanghaier Fudan-Universität.
    "In den vergangenen Jahrzehnten hat sich China häufig nicht an Regeln gehalten. Das ist einer der Hauptgründe dafür, dass sich China so schnell entwickeln konnte. Der mangelnde Respekt für Regeln ist kulturell bedingt. Man könnte auch sagen: Wenn die Nation, die Staatsführung, keine Regeln befolgt, ermuntert sie dadurch die Öffentlichkeit, es genauso zu handhaben."
    China entwickle sich im Bezug auf Forschung und Technologie so schnell, dass der gesellschaftliche Fortschritt nicht mehr hinterherkomme, sagt Yu. Anders gesagt: Ethik und Moral hinken der dem technologischen Fortschritt hinterher. Es gehe immer nur um Erfolgsmeldungen, kritisiert Yu. Viele vor allem junge Wissenschaftler glaubten, dass dabei alles erlaubt sei.
    "Das Problem ist, dass in China gewisse Regeln nicht befolgt werden. Jeder kämpft darum, der erste zu sein. Unsere gesamte Gesellschaft ist sehr tolerant, wenn es drum geht, Regeln zu verletzen. Aber sie ist nicht sehr tolerant gegenüber Misserfolgen."
    Eine offene Debatte über die ethischen Fragen, die der technische Fortschritt mit sich bringt, findet in China nicht statt. Weder in den komplett gleichgeschalteten Medien, noch im zensierten Internet. Den Aufbau einer echten Zivilgesellschaft wird von der Staats- und Parteiführung verhindert. Andererseits möchte sie, dass Chinas Wissenschaft und Forschung weltweit Spitze wird. Das verleite manche zu rücksichtslosem Verhalten, glaubt Yu Hai.
    "Ich bin sicher: Viele westliche Wissenschaftler waren insgeheim neidisch und wünschten sich, sie hätten solch ein Experiment selbst in China durchführen können. Ich schätze, diese chinesische Rücksichtslosigkeit wird von vielen klammheimlich bewundert."
    Wissenschaftler hoffen auf mehr Informationen
    Wang Haoyi von der chinesischen Akademie der Wissenschaften hofft, dass nicht einfach Gras wächst über den Fall He Jiankui. Wissenschaft brauche Regeln und die müssten auch eingehalten werden.
    "Als Mitglied der Wissenschafts-Gemeinschaft warte ich natürlich ungeduldig auf weitere Informationen zu dem Fall. Die Behörden gehen allerdings sehr zurückhaltend um mit Informationen zu ihren Ermittlungen. Ich hoffe, diese verlaufen objektiv und fair. Wann Ergebnisse vorgelegt werden - keine Ahnung. Was mir am Herzen liegt: Der Fall ist wichtig und verdient deswegen große Aufmerksamkeit, sowohl in China als auch im Rest der Welt."