Bereits im März war Bo Xilai als Parteichef der chinesischen Metropole Chongqing entlassen worden. Die Staatsführung wirft ihm eine Verklärung der Ära Maos vor. Seine weitere Entmachtung wertet der Sinologe Oskar Weggel als Indiz für einen Richtungskampf innerhalb der chinesischen KP.
Peter Kapern: Das Ganze klingt wie ein Polit-Thriller aus der Feder von John le Carré: Ein mächtiger chinesischer Polizeichef flüchtet in ein US-Konsulat, bezeichnet seinen Chef, den mächtigen Provinzfürsten der kommunistischen Partei, als Mafioso. Dieser Parteichef galt als Rising Star der Kommunisten und findet sich urplötzlich abserviert außerhalb des Machtzentrums wieder. Nein, kein ausgedachter Krimi, sondern ziemlich genau so passiert in China.
Ein Beitrag von Ruth Kirchner, und den hat der China-Kenner Professor Oskar Weggel mitgehört. Guten Tag, Herr Weggel.
Oskar Weggel: Guten Tag, Herr Kapern.
Kapern: Was ist Ihre Lesart dieser spektakulären Vorgänge in Chinas KP?
Weggel: Ja, ich halte all die von Frau Kirchner gerade erwähnten Begründungen für ziemlich abwegig oder der chinesischen Propaganda folgend, also dass es um Mord geht und um persönlichen Ehrgeiz und so weiter. Das ist ja recht und schön. Was wirklich im Mittelpunkt steht – und das muss man sich mal klar machen – ist, wie China weiterentwickelt werden soll. Es fängt in der Wirtschaft langsam zu knirschen an, und nun tauchen alte maoistische Visionen wieder auf, und die sind der fortgesetzten Reform entgegengesetzt. Es geht in China jetzt darum, ob in den nächsten Jahren eine fortgesetzte Reform oder eine fortgesetzte Revolution durchgeführt werden soll, und für beide gibt es lokale Repräsentanzen, nämlich den Drachenkopf und den Drachenschwanz, gemeint ist der Yangtze damit. Der Drachenkopf wird repräsentiert durch Shanghai, durch ein sehr kapitalistisches System, durch die ganze Führung, die heute in Peking ist und die auch im Oktober die Macht antreten wird, vor allem der neue Parteichef Xi Jingping. Und auf der anderen Seite im fernen Westen am Drachenschwanz, in Chongqing, immerhin die größte Stadt der Welt mit 32 Millionen Einwohnern – das muss man sich mal vorstellen -, Bo Xilai. Und Bo hat dem jetzigen Reformkurs, der mit gewaltigen Wachstumsraten einerseits verbunden ist, aber andererseits natürlich auch viele negative Erscheinungen zur Folge hat wie wachsende Kluft in der Gesellschaft, Arbeitslosigkeit und dergleichen, einen Riegel vorschieben wollen und hat linke Parolen auszugeben begonnen, und er wird eben bekämpft als ein neuer Mao oder als ein Vertreter eines kulturrevolutionären Kurses, den man in China seit 1978 überwunden zu haben glaubt.
Kapern: Nun ist es ja so – Sie haben selbst darauf hingewiesen -, China boomt, die Chinesen werden wohlhabend. Auf wen könnte sich denn so ein ökonomischer Hardliner, so ein Mao-Nostalgiker wie Bo Xilai stützen?
Weggel: Ja eigentlich auf niemanden, denn nach wie vor ist der Kurs sehr stark. Natürlich hat Bo Xilai, um Ihre Frage genau zu beantworten, auch Vertreter in Peking, zum Beispiel Zhou Yongkang, der dortige Sicherheitschef, der allerdings auch in der Zwischenzeit abgesetzt worden ist. Man hat den Widerstand Bo Xilais als so gravierend in Peking empfunden, dass man seine Absetzung und alles, was dieser Absetzung folgte, als größte politische Katastrophe Chinas seit Tian’anmen im Jahre 1989 bezeichnen kann. Aber ich sehe eigentlich nur im fortgesetzten Reformkurs eine Chance, und dessen Grundlagen sind niedergelegt im zwölften Fünf-Jahres-Plan, der von 2011 bis 2015 läuft, und dort wird dieser "kapitalistische Kurs" fortgesetzt, der ja bisher sehr erfolgreich war. Man will nationale Führungslokomotiven ausbauen, man will strategische Industrien entwickeln, man will dem Dienstleistungssektor, unter anderem auch der Entwicklung mehr Chancen geben, man will den Finanzsektor reformieren, man will mehr Go-green-Politik verfolgen, soziale Sicherheitssysteme einführen und so weiter. Und ich glaube, das ist nicht nur ein Anliegen der Führung, das heißt der jetzigen Führung unter Hu Jintao und unter Wen Jiabao sowie der künftigen ab Oktober amtierenden Führung mit Xi Jingping und Li Keqiang, sondern es ist auch ein Anliegen der Bevölkerung. Und wenn man dafür einen Beweis bräuchte, dann erbrächte ihn das Weibo, also das chinesische Internet. Dort werden an erster Stelle als Wunsch der Bevölkerung genannt Antikorruptionskampf, Lohnerhöhung, Kluftverminderung zwischen oben und unten, Einführung von Sozialversicherungssystemen, mehr Kaderüberwachung, billigere Wohnungen und Bildung und so weiter, und da ist von Bo Xilai wenig eigentlich zu erwarten.
Kapern: Herr Weggel, eine kurze Frage noch zum Schluss mit der Bitte um eine kurze Antwort. Wir haben in den letzten Wochen sehr viel gehört von einer zunehmenden Internet-Zensur, von Putschgerüchten, die da umlaufen. Das, was wir jetzt rund um Bo Xilai erleben, ist das nur die Spitze eines Eisbergs? Steckt da viel mehr dahinter?
Weggel: Ja, es steckt natürlich mehr dahinter. Es steckt wie gesagt dieser Grundkurs zwischen fortgesetzter Reform und fortgesetzter Revolution dahinter, und wenn man die Meinung von einem Großteil der 450 Millionen Online-Besucher in China richtig einschätzt, dann plädieren die ganz eindeutig für eine Fortsetzung des reformerischen Kurses, also Mao ist toter als tot, und dass Bo Xilai ihn wieder auferwecken wollte, na ja, vielleicht hatte das viel mit seinem persönlichen Wunsch zu tun, aber weniger mit den Gesamtbedürfnissen der chinesischen Bevölkerung.
Kapern: Der China-Kenner Professor Oskar Weggel heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Weggel, danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
Weggel: Auf Wiederhören, Herr Kapern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Peter Kapern: Das Ganze klingt wie ein Polit-Thriller aus der Feder von John le Carré: Ein mächtiger chinesischer Polizeichef flüchtet in ein US-Konsulat, bezeichnet seinen Chef, den mächtigen Provinzfürsten der kommunistischen Partei, als Mafioso. Dieser Parteichef galt als Rising Star der Kommunisten und findet sich urplötzlich abserviert außerhalb des Machtzentrums wieder. Nein, kein ausgedachter Krimi, sondern ziemlich genau so passiert in China.
Ein Beitrag von Ruth Kirchner, und den hat der China-Kenner Professor Oskar Weggel mitgehört. Guten Tag, Herr Weggel.
Oskar Weggel: Guten Tag, Herr Kapern.
Kapern: Was ist Ihre Lesart dieser spektakulären Vorgänge in Chinas KP?
Weggel: Ja, ich halte all die von Frau Kirchner gerade erwähnten Begründungen für ziemlich abwegig oder der chinesischen Propaganda folgend, also dass es um Mord geht und um persönlichen Ehrgeiz und so weiter. Das ist ja recht und schön. Was wirklich im Mittelpunkt steht – und das muss man sich mal klar machen – ist, wie China weiterentwickelt werden soll. Es fängt in der Wirtschaft langsam zu knirschen an, und nun tauchen alte maoistische Visionen wieder auf, und die sind der fortgesetzten Reform entgegengesetzt. Es geht in China jetzt darum, ob in den nächsten Jahren eine fortgesetzte Reform oder eine fortgesetzte Revolution durchgeführt werden soll, und für beide gibt es lokale Repräsentanzen, nämlich den Drachenkopf und den Drachenschwanz, gemeint ist der Yangtze damit. Der Drachenkopf wird repräsentiert durch Shanghai, durch ein sehr kapitalistisches System, durch die ganze Führung, die heute in Peking ist und die auch im Oktober die Macht antreten wird, vor allem der neue Parteichef Xi Jingping. Und auf der anderen Seite im fernen Westen am Drachenschwanz, in Chongqing, immerhin die größte Stadt der Welt mit 32 Millionen Einwohnern – das muss man sich mal vorstellen -, Bo Xilai. Und Bo hat dem jetzigen Reformkurs, der mit gewaltigen Wachstumsraten einerseits verbunden ist, aber andererseits natürlich auch viele negative Erscheinungen zur Folge hat wie wachsende Kluft in der Gesellschaft, Arbeitslosigkeit und dergleichen, einen Riegel vorschieben wollen und hat linke Parolen auszugeben begonnen, und er wird eben bekämpft als ein neuer Mao oder als ein Vertreter eines kulturrevolutionären Kurses, den man in China seit 1978 überwunden zu haben glaubt.
Kapern: Nun ist es ja so – Sie haben selbst darauf hingewiesen -, China boomt, die Chinesen werden wohlhabend. Auf wen könnte sich denn so ein ökonomischer Hardliner, so ein Mao-Nostalgiker wie Bo Xilai stützen?
Weggel: Ja eigentlich auf niemanden, denn nach wie vor ist der Kurs sehr stark. Natürlich hat Bo Xilai, um Ihre Frage genau zu beantworten, auch Vertreter in Peking, zum Beispiel Zhou Yongkang, der dortige Sicherheitschef, der allerdings auch in der Zwischenzeit abgesetzt worden ist. Man hat den Widerstand Bo Xilais als so gravierend in Peking empfunden, dass man seine Absetzung und alles, was dieser Absetzung folgte, als größte politische Katastrophe Chinas seit Tian’anmen im Jahre 1989 bezeichnen kann. Aber ich sehe eigentlich nur im fortgesetzten Reformkurs eine Chance, und dessen Grundlagen sind niedergelegt im zwölften Fünf-Jahres-Plan, der von 2011 bis 2015 läuft, und dort wird dieser "kapitalistische Kurs" fortgesetzt, der ja bisher sehr erfolgreich war. Man will nationale Führungslokomotiven ausbauen, man will strategische Industrien entwickeln, man will dem Dienstleistungssektor, unter anderem auch der Entwicklung mehr Chancen geben, man will den Finanzsektor reformieren, man will mehr Go-green-Politik verfolgen, soziale Sicherheitssysteme einführen und so weiter. Und ich glaube, das ist nicht nur ein Anliegen der Führung, das heißt der jetzigen Führung unter Hu Jintao und unter Wen Jiabao sowie der künftigen ab Oktober amtierenden Führung mit Xi Jingping und Li Keqiang, sondern es ist auch ein Anliegen der Bevölkerung. Und wenn man dafür einen Beweis bräuchte, dann erbrächte ihn das Weibo, also das chinesische Internet. Dort werden an erster Stelle als Wunsch der Bevölkerung genannt Antikorruptionskampf, Lohnerhöhung, Kluftverminderung zwischen oben und unten, Einführung von Sozialversicherungssystemen, mehr Kaderüberwachung, billigere Wohnungen und Bildung und so weiter, und da ist von Bo Xilai wenig eigentlich zu erwarten.
Kapern: Herr Weggel, eine kurze Frage noch zum Schluss mit der Bitte um eine kurze Antwort. Wir haben in den letzten Wochen sehr viel gehört von einer zunehmenden Internet-Zensur, von Putschgerüchten, die da umlaufen. Das, was wir jetzt rund um Bo Xilai erleben, ist das nur die Spitze eines Eisbergs? Steckt da viel mehr dahinter?
Weggel: Ja, es steckt natürlich mehr dahinter. Es steckt wie gesagt dieser Grundkurs zwischen fortgesetzter Reform und fortgesetzter Revolution dahinter, und wenn man die Meinung von einem Großteil der 450 Millionen Online-Besucher in China richtig einschätzt, dann plädieren die ganz eindeutig für eine Fortsetzung des reformerischen Kurses, also Mao ist toter als tot, und dass Bo Xilai ihn wieder auferwecken wollte, na ja, vielleicht hatte das viel mit seinem persönlichen Wunsch zu tun, aber weniger mit den Gesamtbedürfnissen der chinesischen Bevölkerung.
Kapern: Der China-Kenner Professor Oskar Weggel heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Weggel, danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
Weggel: Auf Wiederhören, Herr Kapern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.