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"Christian Wulff steht mit den Füßen im Rubikon"

Der Medienwissenschaftler Bernd Gäbler attestiert Christian Wulff "klassisches Politikerverhalten". Der Bundespräsident habe durch seine versuchte Einflussnahme auf die Medien das Entscheidende gegen sich aufgebracht: die Bevölkerung.

Das Gespräch führte Gerd Breker |
    Bettina Klein: "Die Frau, die Christian Wulff zum Bundespräsidenten gemacht hat, muss ihm sagen, dass er es nicht mehr sein kann; sonst wird aus der Affäre Wulff eine Causa Merkel." Das war ein Zitat aus der Süddeutschen Zeitung von heute Morgen, aus ihrem Kommentar, und die Zeitung geht mit diesem Kommentar wahrscheinlich in der Aussage wohl am weitesten an diesem Tag. Die Stellungnahmen rund um das Verhalten beziehungsweise Nichtverhalten, über das Schweigen des Bundespräsidenten, werden deutlicher und schärfer. Gleichzeitig wird es immer schwieriger, Politiker zu finden, die sich öffentlich auch in einem Interview äußern wollten, und das gilt übrigens auch für die politischen Freunde von Christian Wulff. Von einer groß angelegten öffentlichen Verteidigungskampagne der CDU kann man wahrlich nicht sprechen.
    Gerd Breker, mein Kollege hier aus dem Zeitfunk, hatte gestern Abend Gelegenheit, über das Thema zu sprechen mit Bernd Gäbler, Medienwissenschaftler, und er hat ihn gefragt, ob Wulff eigentlich inzwischen zu einem Opfer einer Medienkampagne geworden ist.

    Bernd Gäbler: Das sicher nicht. Ich glaube, wenn man das so aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht sieht: Kommunikation hat immer zwei Seiten, eine Inhaltsebene und eine Beziehungsebene. Und Wulff, statt nun die Inhaltsebene zu bedienen, also eine kohärente Information zu bieten zu Kredit, zu seinen Freunden, zu seiner Amtsauffassung, wollte schlicht die Beziehungsebene nutzen, also lockend und drohend bei entsprechenden Chefredakteuren vorstellig werden. Das ist alles eine so furchtbare schiefe Kommunikation, und schiefe Kommunikation fällt dann zurück auf den Kommunizierenden.

    Gerd Breker: Denn in der Sache selbst, ein günstiger Privatkredit, der dann nach Bekanntwerden in einen günstigen Bankkredit umgewandelt wird, gut, das hat Geschmäckle. Aber verwerflich genug für einen Rücktritt ist das nicht?

    Gäbler: Nein. Zumindest ist es keine grobe oder vorsätzliche Verletzung des Grundgesetzes, und nur das wäre ja ein juristischer Grund, um einem Bundespräsidenten irgendetwas zu wollen. Aber was wir doch sehen an dieser schiefen Kommunikation: Da geht es nicht um Juristerei, aber da zerfällt alles. Es fehlt sozusagen eine substanzielle gewichtige Mitte und jeder Beobachter hat den Eindruck, diese Mitte fehlt dieser Person. Da zerfällt etwas in etwas aufgesetzt Gravitätisches, wenn von Amt und Würde die Rede ist, und in so ein kesses Hopsasa mit viel Blitzlicht, roten Teppichen und Boulevard, und dieser Christian Wulff ist der jüngste Bundespräsident, den wir je hatten, aber er scheint auch ein Leichtgewicht zu sein.

    Breker: Sein Krisenmanagement wird ja allgemein umschrieben als Salamitaktik, immer nur das zugeben, was nicht mehr zu leugnen ist. Aber wenn wir ehrlich sind, Herr Gäbler: Das ist doch keine Erfindung von Wulff, das hat es doch schon vorher gegeben.

    Gäbler: Das ist so. Das ist auch ein klassisches Politikerverhalten, und nach Köhler wollten ja viele wieder einen richtigen Politiker im Amt. Das haben sie jetzt geerntet. Dass er es so ungeschickt, so unbeholfen, so naiv, und unter, man könnte ja sagen, Missachtung der Pressefreiheit macht, und glaubt, per Ordre de Mufti sei ein Artikel zu verhindern: Damit tritt er natürlich allen auf die Füße: dem Boulevard, mit dem er getanzt hat, der eine Gelegenheit findet zu demonstrieren, nein, wir sind unabhängig, wir kungeln nicht mit der Politik, den seriösen, vor allen konservativen Blättern, die entsetzt sind über diese, ja, stilistischen Verfehlungen des obersten Repräsentanten des Staates, und damit bringt er das Entscheidende gegen sich auf, nämlich die Beziehung zur Bevölkerung. Die geht verloren.

    Breker: Man muss sich ja wundern: zuerst zu Guttenberg und nun auch Christian Wulff. Wer mit der Bildzeitung im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr wieder runter. Dieser Spruch, der müsste doch eigentlich in der Politik bekannt sein?

    Gäbler: Das ist richtig. Aber man weiß, Medien und Politik, die haben ein Spannungsverhältnis zueinander, aber oft auch ein sehr intimes Verhältnis. Der Kern, wie die einen versuchen, die anderen zu nutzen, oder die Politik die Medien, um Themen über Bande zu spielen, ist immer, dass man Autorität hat. Und hier war offensichtlich der Fall eingetreten, dass die Verantwortlichen eines Verlages und einer Boulevard-Zeitung sagen konnten, dieser Autorität folgen wir nicht. Die Bildzeitung, für die war das sehr günstig. Sie konnte einerseits demonstrieren, wir sind hinreichend diskret, wir veröffentlichen nicht sofort jeden Anruf eines Bundespräsidenten. Andererseits wurde der Inhalt halbwegs gespielt, noch nicht im Wortlaut. Andere konnten es veröffentlichen, damit konnte sie eine Macht demonstrieren, wir sind unabhängig und wir können auch Leute fallen lassen.

    Breker: Christian Wulff, von der Schülerunion ins Präsidentenamt, eine Parteikarriere von Anfang bis Ende. Da müsste man doch eigentlich mehr Professionalität erwarten. Fehlt es ihm an den richtigen Beratern, oder hat er nichts gelernt auf diesem Weg?

    Gäbler: Ja, man sieht, dass ab einer gewissen Fallhöhe es wohl doch darauf ankommt, dass Formvollendetheit, Substanzielles zu sagen zu haben, doch gefüllt sein muss mit eigener Persönlichkeit und nicht nur mit Beratern und antrainiert sein. Wozu brauchen wir denn überhaupt so einen Bundespräsidenten? Ja, nicht in Wirklichkeit ständig, sondern vielleicht für den besonderen Fall, die Ausnahme. Stellen wir uns vor, es gäbe einen deutschen Attentäter wie diesen Breivik. Dann müsste abends sofort der Bundespräsident mit der Bevölkerung kommunizieren. Im Moment ist es so: Wir haben einen amtierenden Bundespräsidenten. Er hat sich selber weitgehend sprachlos gemacht und die Beobachter haben nicht das Gefühl, dass er eine solche Rolle wirklich ausfüllen könnte.

    Breker: Kann denn Christian Wulff da noch rauskommen, und wenn ja, was muss er dafür tun?

    Gäbler: Na ja, er kann rauskommen, weil es so furchtbar schwer ist, eine Alternative zu schaffen. Es wäre für Schwarz-Gelb doch ein Ritt auf der Rasierklinge, jetzt einen neuen Bundespräsidenten in der Bundesversammlung wählen zu wollen. Auch die SPD hätte maximal die Chance, irgendeine Art große Koalition in dieser Frage auszuhandeln. Verfassungsrechtlich ist es so gut wie unmöglich, einen Bundespräsidenten wirklich im Sturm zu kippen. Darum: Ich würde sagen, Christian Wulff steht mit den Füßen im Rubikon, aber es ist noch nicht ausgemacht, dass er nicht im Amt bleibt, auch wenn im Moment so deutlich geworden ist, dass er das Amt nicht ausfüllt.

    Breker: Es stellt sich ja die Frage, Herr Gäbler, welche Rolle dabei die CDU-Vorsitzende Angela Merkel spielt. Sie steht doch irgendwie auch in der Pflicht: Zum einen im Interesse ihres Parteifreundes und zum anderen im Interesse des Amtes, denn sie hat ihn da ja hinwählen lassen.

    Gäbler: Ja, absolut. Verantwortlich sind die, die ihn gemacht haben, also wollten, dass er Bundespräsident wird. Verantwortlich sind auch alle die, die ihn gewählt haben, denn eine Bundesversammlung ist ja eine Versammlung freier Bürger und kein Erpressungskommando. Und jetzt ist diese Koalitionsregierung tatsächlich in einer schwierigen Lage, zu sagen, halten wir an ihm fest, erklären wir ständig und immer wiederholt das Vertrauen zu ihm, obwohl er es doch in der Bevölkerung so sehr verliert, oder riskieren wir einen nochmaligen Rücktritt, wie wir ihn vor Kurzem schon hatten, und womöglich eine neue politische Konstellation. Ehrlich gesagt, ich kann das heute nicht genau einschätzen. Vor zwei Tagen hätte ich gesagt, sicher, Wulff wird das durchstehen; heute würde ich sagen, er steht mindestens am Ufer, wenn nicht schon bis zum Knöchel im Rubikon.

    Klein: Der Medienwissenschaftler Bernd Gäbler im Gespräch mit meinem Kollegen Gerd Breker.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.