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Claudia Piñeiro: "Der Privatsekretär"
Satirischer Politthriller aus Argentinien

Der Roman "Der Privatsekretär" von Claudia Piñeiro ist Politthriller und argentinisches Sittengemälde zugleich: Parteigründer Fernando Rovira steigt unaufhaltsam auf. Sein Assistent Román Sabaté möchte aussteigen, als er merkt, in welches Netz aus Lügen, Korruption und sogar Mord er verstrickt ist - und muss fliehen.

Von Birgit Koß | 12.09.2018
    Buchcover: Claudia Piñeiro: "Der Privatsekretär"
    Der "Privatsekretär" verstrickt sich in Claudia Piñeiros Roman in Lügen, Korruption und Mord. (Buchcover: Unionsverlag, Hintergrundfoto: dpa / Uwe Anspach)
    "In meinen Büchern kommen tatsächlich Verbrechen vor. Und es gibt dann immer die Ermittlungen, die Versuche, das Verbrechen aufzudecken, aber das findet eher im Hintergrund statt, das ist so wie ein Hintergrundstrang, der sich mit durchzieht, das ist aber nicht das Vordergründige. Ich bezeichne mich nicht als Kriminalautorin, die nur Fälle aufdecken möchte."

    Ihr jüngster Roman "Der Privatsekretär" beginnt wie ein Roadmovie. Ein junger Mann, Román Sabaté, ist unterwegs mit einem dreijährigen Jungen. Schnell wird klar, er ist auf der Flucht - vor etwas unbestimmbar Bösem. Dann springt die Geschichte um fünf Jahre zurück, zu ihren Anfängen.
    "Man kann aus allen möglichen Gründen bei der Politik landen. Völlig zu Recht oder nicht ganz so. Oder auch aus Versehen, aus Nachlässigkeit, weil man nicht Nein sagen kann. Weil man zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Oder zur falschen Zeit am falschen. Weil man von irgendwas leben muss – das war für mich ein berechtigter Grund, damals, vor fünf Jahren."
    Sabaté geht auf Distanz zu seinem Arbeitgeber
    Zufällig, über einen Freund, kommt der etwas naive, junge Mann zu dem charismatischen Bauunternehmer Fernando Rovira, der die Partei "Pragma" gegründet hat. Der smarte Aufsteiger schart eine Anhängerschaft um sich, die ihm dem Weg zur Macht ebnen soll. Lange weiß Román Sabaté gar nicht, wie er zu seinem lukrativen Job gekommen und was seine wirklich Aufgabe ist. Er wird Privatsekretär und Personal Trainer des Politikers und bekommt somit auch engen Zugang zur Familie. Nachdem die Ehefrau von Fernando Rovira unter zweifelhaften Umständen zu Tode kommt, kümmert er sich besonders intensiv um den kleinen Sohn und distanziert sich innerlich immer weiter von seinem Arbeitgeber. Währenddessen setzt das Team von "Pragma" rücksichtslos seinen Einfluss durch. Geheime Parteienfinanzierung ist noch das geringste Übel. Man geht buchstäblich über Leichen, damit Fernando Rovira der perfekte Kandidat wird. Wichtig ist lediglich die Außenwirkung.
    "Die Handlung spielt in dieser politischen Welt. Es geht sehr stark um den Diskurs, wie sich die politische Welt gerade im Moment verändert, dass sie weniger bestimmt ist von Ideologien, sondern eher von den Strategien des Marketing - wie verkauft sich jemand. Das können wir beobachten bei Trump, aber auch bei Macron in Frankreich, das sind ganz andere politische Figuren, die ganz anders hochgekommen sind."
    Genaue Recherchen im jeweiligen Milieu
    Um die Strukturen der argentinischen Gesellschaft schonungslos zu entlarven, recherchiert die Autorin intensiv im jeweiligen Milieu. So gelingt es ihr, den Ton dort zu treffen. Er hat für sie den gleichen Stellenwert wie ihre Figuren.
    "Die Dinge müssen stets fein säuberlich voneinander getrennt bleiben – wer im Auftrag des Staates tätig wird, darf nicht gleichzeitig Spendengelder an Parteien verteilen. Aber die Ehefrau des Unternehmensbesitzers – warum denn nicht? Und der Marketingchef seines Labors? Und sein Anwalt? Und der Betreiber der nächstgelegenen Drogerie? Nach den letzten Berechnungen seiner Berater übernahm Zanetti bei der letzten Wahlkampagne mithilfe all dieser Strohmänner und –frauen über 50 Prozent der Kosten. Trotzdem wird von alledem beim Essen keine Rede sein. Stattdessen wird es um politische Vorhaben und langfristig angelegte Geschäfte gehen, um die Zukunft des Landes, ihre Unternehmen, vergangene und bevorstehende Reisen."
    Besondere Freude hat es Claudia Piñeiro bei ihren Recherchen bereitet, Interviews mit argentinischen Politikern zu führen und diese im Original in ihren Roman aufzunehmen:
    "Ich bin verheiratet mit einem Politiker, also einem Mann, der in der Politik war. Und wie andere Frauen sich abends vielleicht mit ihrem Mann unterhalten, wie es im Geschäft gelaufen ist, so erzählt mir mein Mann, was in der politischen Welt läuft: Was gibt es dort für Intrigen, für Verrat, was ist im Hintergrund zu sehen, was wir als Bevölkerung so gar nicht mitbekommen? Gleichzeitig habe ich auch ein echtes Interview geführt mit Politikern aus den beiden Parteien, die es in Argentinien gibt: die Peronistas und die Radikalen. Das ist keine Fiktion, ich habe da die Wirklichkeit in den Roman geholt."
    Interviews mit Politikern fließen ein
    Die Interviews im Roman übernimmt die Fernsehjournalistin China Sureda. Sie recherchiert für ein Buch über den sogenannten Alsina-Fluch, der auf jenen Politikern liegt, die Gouverneur der Provinz Buenos Aires waren und Präsident werden wollten. Keiner von ihnen hat es in das Amt geschafft. Um diesem Fluch zu entgehen, will Fernando Rovira die Provinz unbedingt teilen. Claudia Piñeiro spielt gekonnt mit dem Thema Mystik und Zauberei. Sie bezieht Ausführungen des Anthropologen Claude Lévi-Strauss zur Magie mit ein. Durch die eingeschobenen Projektskizzen der etwas naiven, aber sehr hartnäckigen Journalistin China werden auch leicht abstruse Thesen aufgestellt und hinterfragt. Wie der "Tecumseh– oder Zwanzig-Jahre Fluch" in den USA. Dieser Fluch besagt, dass alle Präsidenten, die in einem Jahr ins Amt gewählt wurden, das durch zwanzig teilbar ist, während ihrer Regierungszeit starben. Der erste war William Henry Harrison, ihm folgten unter anderem Abraham Lincoln, Franklin Roosevelt und John F. Kennedy.
    Im Zuge von Chinas ganzen Recherchen zur Teilung der Provinz Buenos Aires und wegen des Alsina–Fluchs finden dann die Interviews mit den realen Politikern statt. Diese dürften insbesondere für argentinische Leser reizvoll sein.
    "In Argentinien ist der politische Diskurs im Alltag fest verankert. Ich weiß nicht, ob das in Deutschland auch so ist. Man geht bei uns morgens Brot kaufen, und dann wird in der Bäckerei schon über Politik geredet. Man kommt zur Arbeit, man redet über Politik, abends sieht man sich die politischen Sendungen im Fernsehen an. Die Show Argentiniens ist die Politik."

    "Der Privatsekretär" ist ein satirischer, gesellschaftskritischer Roman über kriminelle Machenschaften mit tiefen Einblicken in die argentinische Geschichte. Aber neben unglaublichen Intrigen zeigt er auch Loyalität unter Freunden und einen Hoffnungsschimmer am Schluss. Claudia Piñeiro und ihr Protagonist Román Sabaté beziehen sich auf Hegels Dialektik von Herr und Knecht. Wenn der Knecht wirklich alles für seinen Herrn tut, wird dieser von ihm so abhängig, dass sich das Machtgefüge eines Tages umdreht – dann fühlt sich der Knecht frei, zumindest für einen Moment.
    Claudia Piñeiro: "Der Privatsekretär"
    Aus dem Spanischen von Peter Kultzen.
    Unionsverlag, Zürich. 320 Seiten, 22 Euro.