Mittwoch, 22. Mai 2024

Kommentar
Sinkender CO2-Ausstoß: Kein Grund zur Entwarnung

Deutschlands CO2-Ausstoß sinkt auf einen Tiefstand. Doch ein großer Teil des Rückgangs ist bloß Folge der Wirtschaftsflaute. Die Bundesregierung hat zwar einiges beim Klimaschutz erreicht, findet unser Autor, er sieht aber noch große Defizite.

Ein Kommentar von Georg Ehring | 04.01.2024
RWE-Kohlekraftwerk in Bergheim Niederaußem
Mehr als die Hälfte des in Deutschland erzeugten Stroms floss aus erneuerbaren Energiequellen. Aber noch sollen die Kohlekraftwerke einige Jahre laufen. (picture alliance / Panama Pictures / Christoph Hardt)
So wenig CO2 wie seit den 1950er-Jahren nicht mehr – das gerade abgelaufene Jahr 2023 hat Deutschland beim Klimaschutz anscheinend vorangebracht. Mit 673 Millionen Tonnen lagen die Emissionen sogar noch deutlich unter den selbst gesteckten Zielen der Bundesregierung und das ist erfreulich.
Ein genauer Blick auf die Zahlen der Denkfabrik Agora Energiewende kann die Freude allerdings trüben: Ein großer Teil des Rückgangs ist kein Erfolg des Umsteuerns, sondern schlicht Folge der Wirtschaftsflaute. Gerade die energieintensive Industrie, dazu gehören Branchen wie Stahl und Chemie, produzierte weniger als zuvor. Entlastung dieser Bereiche für hohe Energiekosten tut also not, genauso wie ihre Unterstützung beim ökologischen Umbau.

Erfolge bei Energiewende, nicht beim Verkehr

Der Blick auf die Details zeigt deutlich, wo Klimaschutz in Deutschland funktioniert und wo nicht. Erfolge gibt es vor allem bei der Energiewende: Die Verstromung besonders klimaschädlicher Kohle ist im Jahr 2023 regelrecht eingebrochen und das trotz des Atomausstiegs. Ein Grund für diesen Erfolg ist der beschleunigte Ausbau der Solarenergie, auch bei der Windkraft zeigen sich erste Fortschritte. Aus erneuerbaren Quellen floss mehr als die Hälfte des in Deutschland erzeugten Stroms. Bessere Förderung sowie Bürokratieabbau bei der Genehmigung wirken, das sind Erfolge für Bundeswirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck.
Kaum Fortschritt gibt es dagegen beim Wohnen und Heizen. Das Gebäudeenergiegesetz ist zwar reformiert, aber in abgeschwächter Form. Und im Jahr vor seinem Inkrafttreten wurden mehr als eine Million neue Gasheizungen in Deutschland installiert – ein Debakel für die politische Kommunikation der Bundesregierung, die mit ihrem internen Streit das Gesetz selbst zerredet hat.
Schlusslicht bleibt der Verkehrssektor. Bundesverkehrsminister Volker Wissing von der FDP fällt vor allem durch Bremsen und Blockieren selbst einfach umsetzbarer Maßnahmen wie dem Tempolimit auf Autobahnen auf.

Unterlassener Klimaschutz wird teuer

Insgesamt zeigt sich: Wo die Bundesregierung beim Klimaschutz entschieden angepackt hat, da ist auch etwas herausgekommen – und Bremser kommen leider auch durch. Die Reform des Klimaschutzgesetzes mit der Abschwächung der Verantwortung der einzelnen Ministerien für das Ergebnis in ihrem Bereich lässt befürchten, dass gerade Letzteres so bleibt.
Es gibt keinen Grund, sich auf der Verringerung der Emissionen auszuruhen. Wenn die Konjunktur wieder anzieht, kann der Ausstoß von Treibhausgasen schnell wieder steigen. Wie teuer unterlassener Klimaschutz wird, das kann man gerade in den Hochwassergebieten in Nord- und Mitteldeutschland sehen. Wetterextreme nicht nur durch Starkregen werden häufiger, schwerer und teurer. Dies ist nicht etwa der neue Normalzustand, das wäre noch verharmlosend. Es wird absehbar immer schlimmer und zwar solange, bis der Ausstoß von Treibhausgasen weltweit auf netto null gesenkt wird. Es liegt im Eigeninteresse Deutschlands, dabei nach Kräften mitzumachen.
Georg Ehring
Georg Ehring, Jahrgang 1959, hat in Dortmund Journalistik und Politikwissenschaften studiert, später an der Fernuniversität Hagen Volkswirtschaft. Er arbeitet beim Deutschlandfunk als Redaktionsleiter Wirtschaft und Umwelt. Berufliche Stationen zuvor waren die zentrale Wirtschaftsredaktion der Nachrichtenagentur Reuters in Bonn und in den 1980er-Jahren eine freiberufliche Tätigkeit überwiegend für den WDR in Dortmund.