Energiewende
Die Bundesregierung setzt auf Wasserstoff

Die Bundesregierung will künftig deutlich mehr Wasserstoff beziehen, um Klimaneutralität zu erreichen. Kritik gibt es insbesondere am Import des Energieträgers. In diesem Jahr soll der Aufbau des Kernnetzes beginnen.

01.01.2024
    Ein Wasserstoff-Zeichen an einem Bus im tschechischen Prag
    Energie für die Zukunft: Wasserstoff wird zum Beispiel heute schon als Kraftstoff für Busse eingesetzt (picture alliance / dpa / CTK / Miroslav Chaloupka)
    Wasserstoff. Das Wort steht in EU, Bund und Ländern schon seit Jahren in Strategiepapieren und Regierungserklärungen. Manchmal klingt es in Reden wie ein Allheilmittel gegen die Klima- und Energiekrise. Wasserstoff gilt wegen der fortschreitenden Erderwärmung als Baustein für klimaverträglicheres Wirtschaften. Seit dem Ukraine-Krieg gilt Wasserstoff auch als wichtig, um die Energieabhängigkeit von Russland zu beenden.

    Inhaltsverzeichnis

    Was steht in der neuen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung?

    Die Bundesregierung hat am 26. Juli 2023 ihre Wasserstoffstrategie aktualisiert. Viele Zahlen werden im Vergleich zur ersten Strategie, die 2020 von der Regierung Angela Merkel vorgelegt worden war, nach oben korrigiert. Das betrifft etwa den Bedarf: 95 bis 130 Terawattstunden Wasserstoff wird Deutschland demnach 2030 benötigen.
    Wasserstoff soll Gas oder Öl ersetzen. Der Energieträger soll in Deutschland vor allem durch Elektrolyse hergestellt werden. Elektrolyse bedeutet, dass mithilfe von Strom Wassermoleküle in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten werden. Wenn der dabei eingesetzte Strom aus Erneuerbaren stammt, wird von grünem Wasserstoff gesprochen.
    Außerdem soll die Produktionskapazität von grünem Wasserstoff in Deutschland bis 2030 von fünf auf zehn Gigawatt steigen. Daneben setzt die Bundesregierung auf Importe und sogenannten blauen Wasserstoff, der vor allem mit Erdgas hergestellt wird. Dabei wird CO2 freigesetzt, das klimasicher eingelagert oder verwertet werden soll.
    Unklar ist, wie viel Staat und Unternehmen für die Umstellung auf Wasserstoff finanziell aufwenden müssen. Experten rechnen mit einem Investitionsbedarf von vielen Milliarden Euro.
    Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger stellt 700 Millionen Euro bereit, um Wege zur Wasserstoff-Herstellung zu optimieren: "Wasserstoff ist das noch fehlende Puzzleteil der Energiewende", so die FDP-Politikerin. Es sei die Chance, Energiesicherheit mit Klimaneutralität und Wettbewerbsfähigkeit zu verbinden.

    Wie soll Wasserstoff bei der Energiewende helfen?

    Wasserstoff soll im großen Stil fossile Grundstoffe ersetzen. Auf dem Weg zu einem fossilfreien Wirtschaftssystem gilt Wasserstoff als einer der wichtigsten Faktoren. Deutschland soll bis 2045 klimaneutral sein und muss dazu seine Energieversorgung umstellen.
    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagt zur neuen Strategie: "Meine persönliche Einschätzung ist, dass alles viel schneller und damit auch viel schneller günstiger werden wird, als wir uns das bisher vorstellen." Mit Wasserstoff sollten nicht elektrisch zu erschließende Bereiche im Industriesektor, im Verkehrssektor und teilweise auch im Energiebereich dekarbonisiert werden.
    Wasserstoff sei nach dem Ausbau der stromgeführten Versorgung der Netze und der erneuerbaren Energien die "nächste große Geschichte", die Deutschland brauche, um klimaneutral zu werden. Den deutschen Bedarf bezifferte Habeck bis 2045 auf 500 bis 600 Terawattstunden.
    Nach Thyssen Krupp in Essen betreibt die Salzgitter AG Deutschlands zweitgrößten Stahlkonzern. Derzeit stammt ein Prozent des deutschen Kohlendioxid-Ausstoßes allein aus Salzgitter. Ab 2026 will das Unternehmen am Standort Salzgitter, an dem 10.000 Arbeitsplätze hängen, auf Basis von Strom und Wasserstoff grünen Stahl produzieren. Aber schon jetzt ist klar, dass der Wasserstoff aus eigener Produktion nicht ausreichen wird. Salzgitter erzeugt mit der geplanten neuen Anlage rund 9.000 Tonnen pro Jahr. Für die grüne Stahlerzeugung werden in der letzten Ausbaustufe aber 300.000 Tonnen gebraucht.

    Woher soll der Wasserstoff kommen?

    In Deutschland sollen zahlreiche Elektrolyseanlagen gebaut werden, die vor allem grünen Wasserstoff produzieren. Laut Habeck soll ungefähr ein Drittel des benötigten Wasserstoffs in Deutschland erzeugt werden.
    50 bis 70 Prozent des Wasserstoff-Bedarfs soll durch Importe aus dem Ausland gedeckt werden. Dabei will die Bundesregierung auf soziale und ökologische Standards im Herkunftsland achten.
    Länder mit der größten Elektrolysekapazität für Wasserstoff in Europa im Jahr 2022 (in Megawatt)
    Für den Import kommen nach Regierungsangaben Länder wie Namibia oder Marokko infrage, die selbst ein großes Potenzial an erneuerbaren Energien haben. Dem Klima wäre nämlich nicht geholfen, wenn andere Länder Wasserstoff nach Europa exportieren, aber selbst fossile Brennstoffe einsetzen.
    Der Energiekonzern Shell, der mit fossilen Brennstoffen groß geworden ist, will im Hafen Rotterdams in den kommenden zwei Jahren Europas größte Anlage für grünen Wasserstoff errichten. Ab 2025 soll sie bis zu 60.000 Kilogramm pro Tag liefern.
    Experten nennen auch Portugal, Spanien und Griechenland als mögliche Lieferländer. Allerdings werde es im globalen Wasserstoff-Markt Konkurrenten geben, so Manfred Fischedick, Chef des Wuppertal-Instituts. Nicht nur Deutschland habe Interesse an Wasserstoff.
    Die Umweltorganisation Greenpeace warnt vor "überdimensionierten Importzielen", wodurch Deutschland drohe, erneut von autokratischen Regierungen abhängig zu werden. Verena Graichen vom Umweltverband BUND forderte deshalb einen Fokus auf Effizienz und Reduktion der Energienachfrage.
    Die Deutsche Umwelthilfe kritisiert, dass die Bundesregierung "auf unbestimmte Zeit auch auf fossil-blauen Wasserstoff" setzt. Damit werde die Gaswirtschaft befähigt, "weiteres fossiles Erdgas zu fördern". Der CDU-Energieexperte Andreas Jung sieht in der Regierungsstrategie viele Absichtserklärungen und fordert konkretere Planungen.

    Wie kann Wasserstoff transportiert werden?

    "Es ist ein großer Vorteil von Wasserstoff, dass er in sehr unterschiedlicher Form transportiert werden kann", sagt der Chef des Wuppertal-Instituts, Manfred Fischedick. Auf kürzeren Distanzen könne Wasserstoff per Binnenschiff, Zug oder Lkw transportiert werden. Größere Distanzen wie nach Nordafrika seien gut über Pipelines zu erschließen.
    Bei weiteren Entfernungen wie Kanada oder Australien müsse man "über den Schiffstransport sprechen", so Fischedick. "Dann muss Wasserstoff verflüssigt werden." Das führe zu sehr niedrigen Temperaturen und entsprechenden Wirkungsgradverlusten.
    Deshalb dürften auf der Langstrecke sogenannte Wasserstoffderivate wie Ammoniak, Methanol oder synthetische Kraftstoffe, die für den Transport per Schiff genutzt werden können, eine wichtige Rolle spielen. Eine Pipeline ist von Norwegen nach Deutschland geplant, über die laut Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zunächst "blauer" Wasserstoff transportiert werden soll. Die Terminals zum Import von Flüssiggas (LNG), die derzeit an den deutschen Küsten entstehen, sollen später für Wasserstoff nutzbar gemacht werden.
    In Deutschland soll bis zum Jahr 2032 ein Kernnetz - eine Art Autobahn für Wasserstoffleitungen - entstehen. Rund 9.700 Kilometer sollen Häfen, Speicher, Kraftwerke und wichtige Industriezentren in allen Bundesländern miteinander verbinden. 19,8 Milliarden Euro soll das Projekt kosten, der Bund geht in Vorleistung.
    Das Netz muss nicht ganz neu aufgebaut werden: Zu 60 Prozent soll es aus umgestellten Erdgasleitungen bestehen. 2024 soll der Bau beginnen, 2025 soll der erste Wasserstoff fließen.
    Das Kernnetz soll durch zusätzliche Verbindungen erweitert werden und in ein europäisches System eingebunden sein. Unter anderem soll es eine zentrale Leitung für grünen Wasserstoff über Portugal, Spanien und Frankreich geben. Bis 2028 soll das deutsche "Startnetz" mit mehr als 1.800 Kilometern Länge entstehen. Europaweit soll das Netz 4.500 Kilometer umfassen.

    Wo und wie genau soll Wasserstoff eingesetzt werden?

    In Kraftwerken soll mit Wasserstoff Strom erzeugt werden. Auch in der Stahlherstellung soll er zum Einsatz kommen. Wo bei der Herstellung von Roheisen bislang Kohle dem Eisenerz den Sauerstoff entzieht, soll künftig Wasserstoff ran. In chemischen Prozessen soll er Kohlenstoffverbindungen ersetzen.
    Doch der Umstieg auf Wasserstoff ist extrem komplex. In energieintensiven Industrien wie Stahl, Glas oder Aluminium müssen die Betriebe erst an ein Wasserstoffnetz angebunden werden. Daneben muss es einen Anschluss an Speicher- und Verteilerzentren geben.
    Der aktualisierten Strategie zufolge soll Wasserstoff im Verkehrssektor etwa für "schwere Nutzfahrzeuge" verwendet werden. Für die Wärmeversorgung spiele der Einsatz von Wasserstoff eine "eher nachgeordnete Rolle". Beim Heizen gebe es bessere Alternativen wie etwa die Wärmepumpe, sagt der Energieexperte Volker Quaschning.
    Auch Elektroautos seien im Stromverbrauch billiger als die Wasserstoffherstellung für Fahrzeuge mit E-Fuels. Quaschning kritisiert zudem, blauer Wasserstoff helfe dem Klima nicht.
    Bislang werden in Deutschland jährlich rund 55 Terawattstunden Wasserstoff verbraucht, vor allem in der Chemieindustrie. Gewonnen wird er bislang meist aus Methan, dem Hauptbestandteil von fossilem Erdgas.

    tei, dpa, Reuters, AFP