Angesichts steigender Energiepreise schlägt der Linke-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch vor, die nächste Stufe der Preiserhöhung zu streichen. Die für Januar geplante weitere Preiserhöhung um 20 Prozent sollte abgesagt werden. Vielmehr müsse die neue Bundesregierung einen Winter-Energieplan vorlegen, der geringe Einkommen entlaste, "sonst sinkt die Akzeptanz", warnte Bartsch. Auch sei mehr Tempo erforderlich.
"Mehr Tempo beim Klimaschutz"
"Was wir im Moment machen, ist keine effiziente und auch keine sozial gerechte Klimapolitik. Ich teile ausdrücklich nicht, dass der CO2-Preis etwa unsere Probleme regeln würde. Wir müssen endlich an die Strukturen ran", sagte Bartsch.
Seine Anfrage bei der Bundesregierung habe ergeben, dass es bis 2025 nur eine Reduzierung von 2,5 Prozent geben werde. Das sei kein effektives Instrument, um das Klima zu schützen: "Da wird deutlich, hier wird Abzocke als Klimaschutz verkauft. Wir brauchen Alternativen für die Bürgerinnen und Bürger, damit wir mehr Tempo beim Klimaschutz entwickeln können."
"Eine Katastrophe für viele Menschen"
"Wir müssen an die Strukturen rangehen. Viele können sich diese steigende Preise nicht mehr leisten. Schon 2019 konnten sich zwei Millionen Menschen es sich nicht mehr leisten, ihre Wohnung zu heizen", so Bartsch. Auch über eine Verteilung der Kosten zwischen Vermietern und Mietern müsse da gesprochen werden. Deutschland sei Europameister bei den Strompreisen. Er forderte, den CO2-Preis temporär auszusetzen.
"Ansonsten erleben wir zum Jahresbeginn eine Katastrophe für viele Menschen." Die Ampel-Parteien seien untätig, während die Menschen immer höhere Preise für Strom und Energie zahlten.
Seit Anfang des Jahres gibt es in Deutschland einen CO2-Preis auf Kohle, Benzin, Diesel, Heizöl und Gas. Dadurch soll der schädliche Ausstoß von Klimagasen reduziert werden. Bis 2025 soll er von derzeit 25 Euro pro Tonne auf dann 55 Euro steigen.
Zu geringer Effekt der CO2-Bepreisung
"Wer den CO2-Preis als Heiligtum betrachtet, wird mit der Energiepolitik scheitern. Wir brauchen endlich das Herangehen an Strukturen." So sei der Güterverkehr auf der Schiene gesunken und auf der Straße gestiegen. "Was für ein Wahnsinn", so Dietmar Bartsch. Der CO2-Preis habe einen zu geringen Effekt auf den Verkehrsbereich und sei kein ausreichendes Instrument, um das Klima zu schützen. "Warum wird nicht beim ÖPNV endlich mehr getan", fragte der Linke-Politiker. Auch Großunternehmen müssten endlich was tun.
Das komplette Interview im Wortlaut.
Jasper Barenberg: Bei der Konferenz in Glasgow rufen ja nicht nur die Vereinten Nationen alle dazu auf, ihre Anstrengungen noch mal erheblich zu verstärken. Welchen Beitrag zum Klimaschutz leistet denn Ihre Forderung?
Dietmar Bartsch: Ich teile ausdrücklich die Forderung, dass es mehr Tempo geben muss, weil wir mit dem bisherigen Agieren das Klimaschutz-Ziel nicht erreichen. Wir werden eine höhere Erderwärmung haben und ich teile das, was Herr Guterres gesagt hat. Aber was wir im Moment machen, ist keine effiziente und auch keine sozial gerechte Klimapolitik. Ich teile ausdrücklich nicht, dass der CO2-Preis etwa unsere Probleme regeln würde. Wir müssen endlich an die Strukturen heran.
Ich will Ihnen nur ein Beispiel sagen. Ich habe die Bundesregierung gefragt, welchen Effekt der CO2-Preis hat im Verkehrsbereich, und mir wurde geantwortet, bis 2025 wird es eine Reduzierung von 2,5 Prozent nur geben, und das sind ja nicht meine Prognosen, sondern die der Bundesregierung. Das zeigt doch ganz deutlich, dass ist kein effektives Instrument, um das Klima zu schützen. Hier wird Abzocke als Klimaschutz verkauft. Deswegen: Wir brauchen Alternativen für die Bürgerinnen und Bürger, damit wir mehr Tempo entwickeln können. Ansonsten wird das Gegenteil passieren und die Attraktion wird geringer.
"Wir müssen an die Strukturen"
Barenberg: Da möchte ich noch mal fragen. Welchen Beitrag zum Klimaschutz leistet denn Ihre Forderung, im nächsten Jahr die Erhöhung des CO2-Preises auszusetzen?
Bartsch: Das leistet aktuell natürlich keinen Beitrag. Wir brauchen andere Maßnahmen. Ich sage noch mal: Wir müssen an die Strukturen. Wenn ich bei meinem Beispiel bleibe: Warum wird denn in der Verkehrspolitik, wenn wir die Pariser Klimaziele einhalten wollen, wirklich mal über den Güterverkehr geredet, der von der Straße auf die Schiene verlegt werden muss? Jetzt ist es doch so: Wir haben eine Situation, dass sich viele diese steigenden Preise nicht mehr leisten können. Schon im Jahr 2019 konnten zwei Millionen ihre Wohnung nicht mehr heizen, weil das Geld fehlte. Diese Situation können wir doch nicht einfach laufen lassen.
Barenberg: Welchen Anteil hat denn der CO2-Preis an den gestiegenen Energiekosten? Wir haben gerade im Beitrag gehört, einen verschwindend geringen. Warum an diesem Punkt ansetzen?
Bartsch: Ich bin gerne bereit, über andere Punkte nachzudenken. Jetzt endlich wir die EEG-Umlage abgesenkt. Wissen Sie, das Versprechen der Bundesregierung war, dass die energiepreise senken werden. Die Realität ist: Deutschland ist Europameister bei den Strompreisen, auch bei den Energiepreisen. Wir sind auf Platz eins! Und die Absenkung der EEG-Umlage ist nicht ausreichend. Wir brauchen – und ich sage das ganz klar – eine temporäre Aussetzung dieser CO2-Steuer, weil ansonsten erleben wir zum Jahresbeginn wirklich eine Katastrophe für viele Menschen. Ich bin ja gern bereit, auch über die Stromsteuer, ich bin gern bereit, auch über einmalige Zuwendungen zu reden. Man muss endlich etwas tun auch bei der Verteilung der Kosten zwischen Vermietern und Mietern beim Heizen. Es gibt eine breite Palette. Nur aktuell passiert folgendes: Es gibt drei Ampel-Parteien, die reden, aber es passiert nichts, und die Menschen zahlen immer höhere Preise. Wir müssen das doch ernsthaft zur Kenntnis nehmen. Das ist doch der Punkt.
Barenberg: Sie haben ja einen konkreten Vorschlag gemacht. Das soll nicht erhöht werden. Die nächste Preissteigerung wollen Sie aussetzen.
Bartsch: Richtig.
"Mehr Tempo ist dringend erforderlich"
Barenberg: Es geht um 1,4 Cent bei Sprit und um einen Cent bei Gas. – Angesichts der Turbulenzen auf dem Energiemarkt und den explodierenden Kosten, was bringt das? Was bringt das einer Familie, auf die Sie das abzielen?
Bartsch: Es ist ein Instrument und es ist auch nicht der einzige Vorschlag, den wir gemacht haben, sondern wir haben gesagt, wir brauchen eine Einmalzahlung. Ich habe gefordert einen Winter-Energieplan und da gehört mehr dazu. Jetzt zu rekrutieren und zu sagen, hier ist jemand gegen den Fortschritt; das Gegenteil! Ich sage noch mal: Mehr Tempo ist dringend erforderlich, wenn endlich das, was in Paris festgelegt worden ist, erreicht werden soll. Aber wir haben jetzt die Situation, die Akzeptanz steigt immer weniger und gerade Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen werden dadurch ausgegrenzt. Deswegen sage ich: Klar, das ist weder eine effiziente, noch eine sozial gerechte Klimapolitik. Ein Mosaikstein ist der CO2-Preis. Ich bin ja gerne bereit, über eine Modifizierung dieses Instruments zu reden. Nur wir können doch einfach feststellen, ich habe Ihnen dieses Beispiel im Verkehrsbereich gesagt. Ich kann Ihnen weitere sagen. Ich erwarte von der künftigen Ampel-Regierung, dass sie einen Winter-Energieplan möglichst schnell vorlegt, der die Bürger entlastet, weil ansonsten wird die Akzeptanz sinken und das Gegenteil von dem, was so dringend notwendig ist, wird passieren. Wir müssen insbesondere an die Haushalte mit geringem Einkommen in unserer Politik denken.
Barenberg: Das, glaube ich, würde niemand bestreiten.
Bartsch: Nur tun! – Nur tun! – Nur tun! – Bestreiten ist das eine, aber wissen Sie, die bisherige Politik der Großen Koalition, die gewesen ist, hat uns doch zu diesem Ergebnis geführt. Das ist doch nicht vom Himmel gefallen. Deswegen sage ich, dieses Element, zumindest im Verkehrsbereich hat es ungefähr gar nichts gebracht. Ich habe Ihnen die Zahlen genannt. Und warum wird beim ÖPNV nicht endlich mehr getan? Warum gibt es nicht ein massives Investitionsprogramm bei erneuerbaren Energien? Das sind die Mittel, nicht immer nur beim Verbraucher ansetzen; an die Strukturen ran! Wer sind denn die großen Emittenten von CO2? – Die Großkonzerne!
Belastung der am Rande der Existenz lebenden
Barenberg: Herr Bartsch, ich möchte gern noch mal zurückkommen auf den Grundgedanken, weil Sie ja von Abzocke sprechen, wo andere ein Schlüsselelement für den Erfolg der nächsten Jahre sehen, nämlich in der steigenden CO2-Bepreisung, wo es Debatten darüber gibt, auf welchen Preis das CO2 steigen soll. Der Grundgedanke ist ja, dass man tatsächlich Kosten endlich mal ehrlicherweise sichtbar macht, Anreize schafft umzusteigen – für viele, die sich seit langem mit dem Thema befassen, ein wichtiger Hebel. Was ist an dem Grundgedanken denn falsch, wenn Sie von Abzocke sprechen?
Bartsch: Dieser Grundgedanke kann vernünftig sein. Wenn er rein marktwirtschaftlich umgesetzt wird, dann belastet er insbesondere diejenigen, die jetzt schon am Rande ihrer Existenz leben. Deswegen hatte Ulrich Schneider in Ihrem Beitrag ja sehr recht. Wenn es wirklich so ist, dass die Menschen mit den geringen und niedrigen Einkommen nicht mehr bezahlen, wenn das bei den Menschen ankommt, wenn wir es schaffen, dass wirklich dort agiert wird, dann ist das möglicherweise ein Element. Nur jetzt passiert real das Gegenteil und das ist ja nicht nur gefühlt; es ist ja real so. Schauen Sie sich die Rechnungen an.
Ich sage es noch mal: Jetzt wird die EEG-Umlage gesenkt. Ja, ich bin dafür, das sichtbar zu machen, aber wer dort rein auf marktwirtschaftliche Instrumente setzt, wer nicht an die Strukturen geht, dann ist es ein Element, was eine pure Umverteilung von unten nach oben ist, und das kann eine Linke-Partei niemals akzeptieren.
CO2-Preis nicht das Heiligtum
Barenberg: Weswegen ja alle, die sich damit beschäftigen und diesen Vorschlag machen oder dieses Konzept verfolgen, immer dazu sagen, dass es selbstverständlich einen Ausgleich, einen sozialen Ausgleich geben muss für die, die besonders hart betroffen sind. Wenn der CO2-Preis niedrig bleibt, Herr Bartsch, welchen Anreiz haben dann noch Unternehmen? Welchen Anreiz hat jeder einzelne von uns, das eigene Verhalten zu ändern, CO2 zu vermeiden?
Bartsch: Er ist doch nicht niedrig. Aber ich darf Ihnen widersprechen. Wer den CO2-Preis als das Heiligtum betrachtet, wird mit der Energiepolitik scheitern. Wir brauchen endlich das Herangehen an Strukturen. Der Güterverkehr ist ein Beispiel, was ich genannt habe. Warum gibt es von der Umweltministerin und dem Verkehrsminister nicht einen Plan, wie wir Güterverkehr von der Straße auf die Schiene und aufs Wasser bekommen? Der ist leider – auch das sind Zahlen, die vorliegen – gestiegen, der Güterverkehr auf der Straße und auf der Schiene ist er gesunken. Was für ein Wahnsinn! Wer immer nur auf den CO2-Preis schaut – und ich sage noch mal: Dieses Element modifiziert und bitte so, dass das, was Sie sagen, auch eintritt, dass die Großunternehmen endlich mal etwas tun und nicht die kleinen und mittleren Unternehmen durch immer höhere Energiepreise belastet werden und in große Probleme kommen. Wir müssen das doch bitte gesamtgesellschaftlich denken und nicht ein Element zum Heiligtum machen. Das wird nicht funktionieren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.